Herkulan und Pompeji

[258] Herkulan und Pompeji.

Welches Wunder begibt sich? Wir flehten um trinkbare Quellen,

Erde! dich an, und was sendet dein Schoß uns herauf!

Lebt es im Abgrund auch? Wohnt unter der Lava verborgen

Noch ein neues Geschlecht? Kehrt das entflohne zurück?

Griechen, Römer, o kommt! o seht, das alte Pompeji!

Findet sich wieder, auf's Neu' bauet sich Herkules Stadt.

Giebel an Giebel steigt, der räumige Portikus öffnet

Seine Hallen, o eilt, ihn zu beleben, herbei!#150;

Also beginnt Schiller sein Gedicht über die Entdeckung von Pompeji und Herkulanum. Wie ein Epimenides stieg es nach langem Schlafe aus dem tiefen Grabe hervor und redete zu dem erstaunten Geschlechte eine fast vergessene Sprache, zerriß den Schleier vor den Augen bekümmerter Forscher und löste Räthsel, deren Lösung mehr als ein Jahrtausend vergebens versucht worden war. Erst durch die Aufdeckung Herkulanums und Pompeji's ist uns ein sicherer Blick in römische Vorzeit, Sitte, Gestaltung, Form und Manier geworden. Das vorzeitliche Leben, das bis dahin nur geschlummert, trat uns mit Einem Male sichtbar vor die Augen. Es war nicht mehr traditionell, es war wirklich, die Zeit der Cäsaren liegt vor dem forschenden Blicke. Herkulanum und Pompeji, unter dem milden und glücklichen Himmel Campaniens (s. d.) gelegen, traf 79 nach Chr., nebst der kleinen Stadt Stabiä das schreckliche Loos, durch eine Eruption des Vesuvs verschüttet zu werden. Ueber die einst blühenden Städte lagerte sich Asche, Lava, verhärteter Schlamm, so daß nicht nur im Laufe der Zeit ihre Spur gänzlich verschwand, sondern über den begrabenen, eingesargten Städten, auf der festen Lavadecke sich neue Städte erhoben, so wie über der Verwesung der Gräber neue Pflanzen sprossen. – So erhoben sich über Herkulanum die Städtchen Portici und Resina. Jahrhunderte lang ahnten die Bewohner nicht, welche Vergangenheit, welcher Reichthum von Kunstschätzen nur hundert Fuß tief unter ihren Wohnungen schlummerten. Erst 1720 grub man daselbst einen Brunnen und fand in bedeutender Tiefe statt[258] des Wassers, Antiken. Dieser Umstand veranlaßte neue Nachgrabungen, die 1738 unter Karl III. von Neapel eifrig betrieben wurden. Man sah jetzt mit Erstaunen, daß man sich hundert Fuß unter der Erde in einer neuen Stadt mit Straßen, Tempeln, einem Theater, Statuen etc. befand, und die Ausbeute an kostbaren Alterthümern war ungeheuer. Die Straßen waren gerade, rechtwinkelig, mit Lava gepflastert; beim rothen Lichte der Fackeln sah man eine Zauberwelt, eine Stadt; unterirdisch, menschenleer, mit dem Typus einer längstverloschenen Zeit, wie sie nur die Phantasie eines Dichters zu träumen vermag Dieß Ereigniß war welthistorisch; man strömte dahin, um das Unglaubliche mit eigenen Augen zu schauen. – Leider wurde nicht dafür gesorgt, die aufgedeckten Straßen und Gebäude auch aufgedeckt zu erhalten, man füllte mit dem aufgegrabenen Schutte der neuen die alten wieder; so versank der größte Theil der entdeckten Räume wieder in ein finsteres Grab. Zu dieser Maßregel gab die Besorgniß Veranlassung, daß man durch diese unterirdische Aushöhlung leicht das darüber gelegene Portici untergraben und einen Erdsturz desselben herbeiführen könnte. Ein besseres Loos hatte Pompeji; hier war der Aschenregen nicht mit Schlamm und Lava vermischt gewesen; auf der Oberfläche hatte sich im Laufe der Zeit fruchtbare Erde gebildet, das Bild des schwellenden Lebens über dem Grabe breitete sich über die begrabene Stadt aus. – Von Pompeji ist nunmehr über ein Fünftel aufgedeckt und unsre Nachkommen dürfen hoffen, dereinst die vollständige Ansicht einer altrömischen Stadt zu haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten sich die Bewohner der verschütteten Städte während der Eruption größtentheils gerettet; denn bis jetzt hat man in dem aufgedeckten Theile nur etwas über hundert Gerippe gefunden, während der Tradition zu Folge Pompeji 50,000 Ew. zählte. Die Verschütteten waren höchst wahrscheinlich Greise, Kranke und solche, welche sich bei Rettung ihrer Habseligkeiten verspätet hatten. Der Ausbruch des Vulkans[259] muß aber sehr schnell erfolgt sein; dafür zeugt die Masse der zurückgebliebenen Kunstschätze und Kostbarkeiten. Herkulanum hat uns viel mehr und viel größere Kunstschätze aufbewahrt, als Pompeji, doch haben die von Pompeji einen höhern Werth, weil sie durchaus unversehrt erhalten worden sind, da die lockere Asche hier Alles leicht umhüllte und nicht, wie dort, der Steinregen und der Druck der Lava das Meiste zertrümmerte. In Pompeji sehen wir die feinsten Glasarbeiten, die schönsten Malereien trefflich erhalten. In Herkulanum hat die glühende Lava, obwohl sie zwanzig Fuß über den Häusern daher floß, doch im Innersten derselben fast Alles verkohlt, so daß von mehrern Tausend Papyrus- und Pergamentrollen durchaus keine vollständig und unbeschädigt aufgewickelt werden konnte. Der dritte Ort, Stabiä, woselbst der Naturforscher Plinius der Aeltere, welchen wissenschaftlicher Eifer antrieb, den Ausbruch des Vesuvs in der Nähe anzusehen, seinen Tod fand, war mehr eine ausgedehnte Villa von geringer historischer und artistischer Bedeutung; deßhalb hat man dort noch keine Ausgrabungen versucht. Wichtig für den Kunstgeschmack und die Kunstbildung wurden die aufgefundenen Antiken hauptsächlich zu einer Periode, wo Ludwig's XIV. Zeitalter der Malerei und Plastik eine gezierte, unnatürliche und corrupte Richtung gab. Jene Vorbilder erweckten den Geschmack für die reinen, edlen Gebilde der Römer und Griechen, und bereiteten eine Kunstära vor, die bis auf den heutigen Tag so viel des Herrlichen zu Tage gefördert. – Und so wandert denn der Fremde aus fernen Landen staunend durch die Straßen und Säulenhallen der auferstandenen Stadt; sein Fußtritt hallt geisterhaft auf dem glatten Lavaboden; es ist, als ob das Echo Antwort gäbe von den Seufzern der Sterbenden, die hier ein glühender Aschenregen begraben! Bulwer hat in seinem Werke: »die letzten Tage von Pompeji« nicht nur die schreckliche Katastrophe, sondern auch römische Sitte und Verfassung trefflich geschildert, und der russische [260] Maler Brülow hat ein großes Gemälde, »der Untergang von Pompeji,« voll erschütternder Wahrheit geliefert. Letzteres befindet sich in der kaiserl. Galerie zu Petersburg.

V. u.– n.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 258-261.
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