Humor

[351] Humor, jene seltene Ideenströmung aus den Quellen der Phantasie und des Gemüthes, die in jeder neuen Erklärung die Räthsel ihres Lebens vermehrt und dem Gefühle allein das offenbart hat, was wir von ihr wissen oder meinen. Humor ist nicht der Reichthum an Ideen allein, sondern vielmehr die Gabe, diese Ideen in jenen seltsamen Streit mit dem Gefühle zu führen, daß sich Luft und Schmerz rastlos bekämpfen, wie im Leben selbst, dessen Camera obscura der Humor ist. Denn wie im Leben der Sarg dicht an der Wiege steht, Freudenthränen neben Kummerzähren fließen, der Irisbogen die Wetterwolke sühnend verklärt: so stellt der Humor Leiden und Freuden, Scherz und Schmerz, Gemeines[351] und Hohes neben einander; und wie im Tode der Wahn sich vernichtet und die ewige Wahrheit ihren Strahl über die am Grabe zusammenbrechende Täuschung der Zeitlichkeit hereinsendet: so ist es auch die Aufgabe des Humors, alle Täuschungen zu vernichten und das Gefühl im reinsten Pathos zu verklären. Der Charakter des Humors ist edler Zorn, jugendliche Kampflust, Idealität. Er ist der Zorn der Himmlischen; er geißelt die Arglist und böswillige Thorheit, er zeigt die Blößen des Dünkels und Aberwitzes, er verfolgt und straft das Schlechte, auf seiner unermüdeten Wanderung durch die Erscheinungen des Tages, die er hinstellt vor den Eingang des Paradieses, bewacht vom Flammenschwerte des CherubsWahrheit. Er reizt, bewegt, rührt, erhebt, vernichtet, begeistert, beseligt. Wenn die Phantasie die Luftsäule ist, die den Geist emporhebt in das Aetherland des Ideals, so ist der Humor die flüssig gewordene Phantasie, die von der Sonne der Wahrheit erwärmt aufsteigt aus dem Weltmeere der Zeit, und niedersinkt als Morgenthau auf Herzenssaaten und als vernichtender Wetterstral auf die Sünde. Des Humors Waffen sind Witz, Laune, Scharfsinn, Phantasie, Geist und Gefühl. Der Witz sucht und findet den Feind, die Laune bemächtigt sich seiner Schwächen, der Scharfsinn schneidet ihm den Rückzug ab, Gefühl macht den Kampf menschlich, der Geist lenkt und vollendet ihn. Dann stimmt die siegreiche Phantasie zwischen den Leichenhügeln ihr Te Deum an im Verklärungslichte des Abendrothes. Solchen Kampf kann aber nur der Mann kämpfen; weibliches Wesen ist dafür zu mild, zu weich, zu schonend. Zur Schlichtung der großen Lebensfrage ist der Mann berufen; Zwischenfragen indessen bekämpfen Frauen mit Witz und Laune glücklich. Sie sollen ja nur lieben, dulden, verzeihen, während der Mann kämpft und schafft: die Liebe schweigt; das Leben fordert Sprache.

B–l.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 351-352.
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