Recitativ

[365] Recitativ. Dieses Zwitterkind von Rede und Gesang, groß gewachsen unter Hesperiens klarem Himmel, verlebte seine erste Jugend auf Griechenlands klassischem Boden, und fand gleich den andern Künsten, nach dem Untergange dieses Reichs, in Italien eine neue Heimath. Und welche Sprache möchte sich auch mehr dazu eignen redend zu singen als die Italienische? Das R. gehört demnach vorzugsweise der Gesangmusik an, denn die Ungebundenheit desselben in Takt, Melodie und Vortrag, und dennoch wiederum die hohen Anforderungen, dem prosaischen Abkömmlinge, Seele, geben und Gefühl einzuhauchen, sind fast nur durch die menschliche Stimme zu lösen. Man unterscheidet das einfache und das obligate R. Ersteres hat nur einzelne Accorde zur Begleitung, während Letzteres von allen Instrumenten begleitet, mit diesem fühlt, denkt, spricht. Auf einfachere Mittel beschränkt wie der Gesang, muß es mit diesen um so besser haushalten, und ist in seiner Vollkommenheit die liebenswürdigste Kokette unserer Rede. Unter den deutschen Tonmeistern dürften Handel, Gluck, Mozart etc. die besten R. geliefert haben.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 8. [o.O.] 1837, S. 365.
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