Stolberg, Christian und Leopold, Gebr., Grafen zu

[435] Stolberg, Christian und Leopold, Gebr., Grafen zu, Christian, Graf zu. Es war ein heiliger, herrlicher Moment in der Geschichte deutscher Entwickelungen, als plötzlich durch die gallische und gelehrte Barbarennacht Klopstock's Tuba wie ein Schlachtruf Odin's schallte. Da trat zum erstenmal wieder nach langer Zeit aus des Waldes einsamen Dunkel die deutsche Muse hervor, wie Diana, als Endymion ihr Herz gerührt; zwischen die rauhen Lieder des Sturms, wie sie noch als Echo der Waldeinsamkeit in ihrem Busen lebten, tönten nun die weicheren Nachtigallklagen ihrer zärtlichen Gefühle hindurch; und Lessing geleitete sie, [435] ein treuer Seneschall, auf ihrer Blumen- und Dornenbahn durch alle deutsche Gauen. Bald darauf, in dem sechsten Decennium des 18. Jahrhunderts war es auch, wo sich in Göttingen jener schöne Dichterbund bildete, dem herrliche Jünglinge, wie der jugendkräftige Bürger, der sanfte Miller, Boje, der biderbe Voß, der elegische Hölty, der geniale Leisewitz angehörten, und dem sich auch Christian S., welcher in dieser Stadt von 1769–74 studirte, nebst seinem Bruder Leopold mit heiliger Inbrunst anschloß. Geb. zu Hamburg am 15. Octob. 1748 (sein Vater, Christian Günther, war Obersthofmeister der Königin Sophie Magdalena von Dänemark) ward Christian S nach Vollendung seiner Studien, nachdem er einige Zeit dän. Kammerjunker gewesen war, 1777 Amtmann zu Tremsbüttel in Holstein, vermählte sich hierauf mit der von ihm selbst in seinen Gedichten mehrfach hochgefeierten Luise, Gräfin von Reventlau, verwitw. Hofjägermeisterin von Gramm, und verlebte, nachdem er 1800 sein Amt freiwillig niedergelegt hatte, seine übrige Lebenszeit auf seinem Gute Windebye im Schleswigschen, wo er auch am 18. Jan. 1821 starb. Tiefe Innigkeit des Gefühls und eine durch Lieblichkeit gemilderte Kraft waltet in seinen Gedichten, sowie er auch mit vielem Glücke manches Interessante aus dem Griechischen übertrug. – Durch lebhaftere, blühendere Phantasie, durch größere Hoheit zeichnen sich die Oden und Lieder, Elegien, Romanzen, Satyren, poetischen Gemälde und Dramen seines Bruders, Friedrich Leopold, aus. Geb. am 7. Novemb. 1750 in dem holstein. Flecken Bramstedt, bekleidete dieser nach und nach mehrere der wichtigsten dän. Staatsämter, und vermählte sich 1782 mit Agnes von Witzleben, die von ihm in mehreren schönen Gedichten besungen worden ist. In seinen spätern Jahren ergriff ihn der Geist des Mysticismus. 1800 ging er zu Münster nebst seiner gan:en Familie, mit einziger Ausnahme seiner ältesten Tochter Agnes, zur römisch-katholischen Kirche über, welcher Uebertritt das größte Aufsehen erregte und eine lebhafte Anklageschrift von Seiten[436] seines Jugendfreundes Voß veranlaßte. Befangen von einer ziemlich mattherzigen Schwärmerei, schrieb er noch im hohen Alter »Ein Büchlein von der Liebe« und starb kurz darauf, am 5 Dec. 1819, auf dem Gute Sondermühlen bei Osnabrück. – Die Schriften beider Brüder sind vollständig enthalten in den zu Hamburg in 20 Bdn. erschienenen: »Gesammelten Werken der Grafen Brüder Stolberg.«

S....r.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 435-437.
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