Allgemein

[22] Allgemein = meiner Klasse von Objecten gemeinsam. Das Allgemeine, Universale, Gattungsmäßige, Typische ist dasjenige an einem Dinge, was es mit anderen teilt bezüglich Eigenschaften, Vorgänge, Tätigkeiten, gesetzmäßigen Verhaltens. Das Allgemeine besteht in den Dingen, wird aber im Denken (durch isolierende und generalisierende Abstraction) für sich gesetzt, oft auch hypostasiert. Auf das Allgemeine geht der (abstracte) Begriff. Das Bewußtsein der Allgemeinheit ist ein mit einem individuellen Inhalt verbundenes Meinen, daß dieser Inhalt sich an einer ganzen Gruppe von Objecten findet, finden läßt.

An den Begriff des Allgemeinen knüpft sich der mittelalterliche Universalienstreit. In des BOËTHIUS Commentar zur Isagoge des PORPHYR wird bei Besprechung der fünf »Prädicabilien« (s. d.) gefragt, ob das Allgemeine, der Gegenstand des Allgemeinbegriffs außer oder im Denken, außer oder in den Dingen besteht, ob die genera und species »sive subsistant sive in solis nudis intellectibus posita sint, sive subsistentia corporalia an incorporalia, et utrum separata a sensibilibus an insensibilibus posita et circa haec consistentia«. Die »Realisten« antworten: die Universalien (Allgemeinheiten) sind etwas unabhängig vom Denken Seiendes, die »Nominalisten« (Terministen, Conceptualisten) halten sie für bloße subjective Namen oder Begriffe, eine vermittelnde Richtung lehrt das Sein der Universalien, aber nicht außer den Dingen (»extra res«), sondern in den Dingen (»in rebus«). Es wird auch erklärt: die Universalien sind »ante res« (nämlich in Gott), »in rebus« und »post res« (als Abstractionsproducte in unserem Denken).

Zunächst geben wir die Geschichte des universalistischen Realismus in seinen verschiedenen Schattierungen. Er beginnt mit der Lehre PLATOS von den an sich (kath' hauto) seienden Ideen (s. d.). ARISTOTELES dagegen setzt[22] das Allgemeine als den Dingen immanent (Met. VII 10, 1035b 27). Es ist dasjenige, was einer Vielheit von Dingen naturgemäß zukommt: legô de katholou men ho epi pleionôn pephyke katêgoreisthai, kath' hekaston de ho mê (De interpr. VII, 17a 39), ho an kata pantos te hyparchê kai kath' hauto kai hê hauto (Anal. post. I 4, 73b 26). Begrifflich-wesenhaft (kata ton logon) ist das Allgemeine das Prius, in der Erkenntnis aber das Spätere, erst aus dem Einzelnen Gewonnene (Met. VII, 1018b 33). Ein wahres Wissen gibt es nur vom Allgemeinen (hê d' epistêmê tôn katholou, De an. II, 5). PORPHYR betont, hoti ta men onta kai ta toutôn genê kai ta eidê kai hai diaphorai pragmata asti, kai ou phônai ('Exêgêsis f. 3a; Prantl I, 632).

Nach JOH. SCOTUS ERIUGENA sind die Universalien (als Ideen, (s. d.)) sowohl vor als in den Einzeldingen; nach BERNHARD VON CHARTRES bestehen sie für sich, so auch nach WILHELM von CHAMPEAUX (vgl. Prantl, Gesch. d. L. II, 118 ff.). Nach JOHANN VON SALISBURY sind die Universalien in den Dingen, aus denen sie durch Abstraction erkannt werden (so schon GILBERTUS PORRETANUS). ALFÂRÂBI bestimmt das Allgemeine als »unum de multis et in multis«, das »non habet esse separatum a multis« (bei Alb. Magnus, De praed. II, 5). Nach AVERROËS sind die Universalien in den Dingen (Ep. met. 2, p. 42), aber als Universalien werden sie erst vom Intellect gesetzt. »Intellectus officium est, abstrahere formam a materia individuata« (l.c. p. 54). »Accidit in intellectu ipsa universalitas« (l.c. p. 55; schon AVICENA sagt: »intellectus in formis agit universalitatem«, vgl. Prantl, G. d. L. II, 348 f.). VINCENZ VON BEADVAIS: »Universalia non solum in intellectu sunt, sed et in re« (Specul. doctr. III, 9). ALBERTUS MAGNUS: »Universalis dicitur ratio, non ideo quia tantum fit in nobis, sive in mente nostra: sed ideo quia est res non in uno absolute accepta, sed quae in collatione accipitur, quae est in multis et de multis, quam collationem facit ratio« (Sum. th. I, qu. 42, 2). Das Allgemeine, das »immutabile« ist (l.c. qu. 3, 3), ist »ante rem, in re et post rem« (qu. 4, 1); es ist (wie schon ABAELARD sagt) das von vielen Dingen Aussagbare (De praed. II, 1). »Universale naturae producitur in esse ab agente intelligentia, quae operatur per suum intellectuale lumen in omni natura« (Prantl, G. d. L. III, 99; vgl. Hauréau II, 1, p. 232). THOMAS definiert das Allgemeine als »quod est aptum natum de pluribus praedicari« (1 perih. 10a), »quod est semper et ubique« (1 anal. 42b). »Universalia... non sunt res subsistentes, sed habent esse solum in singularibus« (Contr. gent. I, 65). Vor den Dingen sind die Universalien im »intellectus aeternus« Gottes (Sum. th. I, qu. 16, 7). »Intellectus agens causat universale abstrahendo a materia« (Sum. th. I, qu. 9, 5). »Universale fit per abstractionem a materia individuali« (Sum. th. I, II, 29, 6c). »Quod est commune multis, non est aliquid praeter multa, nisi sola ratione« (Cont. gent. I, 26, 4). »Cognitio singularium est prior quoad nos, quam cognitio universalium« (Sum. th. I, 85, 3); »scientia est universalium« (De an. II, 12b). »Universalia non movent, sed particularia« (Cont. gent. III, 6). (Vgl. Log. I, 1 u. C. gent. I, 32.) DURAND VON ST. POURÇAIN: »Universale, i.e. ratio vel intentio universalitatis... est aliquid formatum per operationen intelligendi, per quam res secundum considerationem abstrabitur a condicionibus individuantibus« (In I. sent. 1, d. 3, 5). »Universale non est primum obiectum intellectus nec praeexistit intellectioni, sed est aliquid formatum per operationem intelligendi, per quam res secundum considerationem abstrahitur a conditionibus individuantibus« (ib.). Nach RICHARD VON MIDDLETON sind die Universalien 1) »in[23] causando«, (in Gott), 2) »in essendo«, 3) »in repraesentando«, 4) »in praedicando« (l c. 2, d. 3, 3, qu. 1). Dem Universale entspricht ein »fundamentum in re« – dies behaupten die Thomisten insgesamt. Aber anch DUNS SCOTUS: »Universale est ab intellectu,... universali autem aliquid extra correspondet, a quo movetur intellectus ad causandum talem intentionem... Effective est ab intellectu, sed materialiter sive originaliter sive occasionaliter est a proprietate in re, figmentum vero minime est« (Qu. sup. Porph. 4; Prantl, G. d. L. III, 207). Universale »non autem est in intellectu subiective, sed tantum obiective« (Qu. de an. 17, 14; Prantl III, 208). SUAREZ: »Naturas fieri actu universales solum opere intellectus, praecedente fundamento aliquo ex parte ipsarum rerum, propter quod dicuntur esse a parte rei potentia universales...« (Met. disp. 6, sct. 2, 1). Es gibt ein »universale physicum«, »u. metaphysicum«, »u. logicum«. »Primam, qua a parte rei dicitur universalis; alteram, quam habet ab intellectu per extrinsecam denominationem et abstractionem, iuxta quam ipsa natura repraesentatur ut communis et indifferens; tertiam relationis« (De an. IV, 3, 22).

NICOLAUS CUSANUS erklärt: »Habent... universalia ordine naturae quoddam esse universale, contrahibile per singulare... non sunt solum entia rationis... non sunt nisi in corpore,« »Intellectus tamen facit eas extra res per abstractionem esse, quae quidem abstractio est ens rationis« (De doct. ign. II, 6). Nach SPINOZA ist das Allgemeinste, das All oder Gott (s. d.) das wahrhaft Wirkliche. So auch nach SCHELLING, SCHOPENHAUER, HEGEL. Dieser sagt: »Das Allgemeine der Dinge ist nicht ein Subjectives, das uns zukäme, sondern vielmehr als ein dem transitorischen Phänomen entgegengesetztes Noumen das Wahre, Objective, Wirkliche der Dinge selbst, wie die Platonischen Ideen, die nicht irgendwo in der Ferne, sondern als die substantiellen Gattungen in den einzelnen Dingen existieren« (Naturph. S. 16 f.). Das Allgemeine im Denken ist die Bestimmtheit oder Form der Gedanken (Encykl. §. 54). Nach K. L. MICHELET ist das Allgemeine das Wesen der Dinge, das wahrhaft Seiende (Vorles. ü. d. Pers. Gottes, S. 81). K. ROSENKRANZ: »Das Allgemeine ist der Begriff des Seins an sich, die in sieh als Identität mit sich bestimmte Wirklichkeit, die Beziehung der unbedingten Gleichheit des Seins auf sich«, es ist die »Tätigkeit, sich von sich zu unterscheiden« (Syst. d. Wiss. S. 99). Das Besondere ist »der Unterschied des Allgemeinen von sich selber« (l.c. S. 100). DROBISCH unterscheidet (wie HEGEL) abstracte und concrete Allgemeinheit (Gattung – Art, Neue Darst. d. Log.5, § l9).

Nach LOTZE ist das Allgemeine das »was in mehreren voneinander verschiedenen Vorstellungen gemeinsam, gleichartig vorkommt« (Grdz. d. Log. S. 11). A. LANGE findet das Allgemeine schon in den Empfindungen enthalten (G. d. Mat. II5, 80). J. BAUMANN erblickt in der »Allgemeinheit« nur »eine mehr oder minder verbreitete Tatsächlichkeit« (Ph. als Or. S. 154). DÜHRING: »Die Gattungen und Arten, also überhaupt die gegenständlich fixierten Allgemeinheiten, sind das, was sie sind, nicht bloß durch Einerleiheit, sondern auch durch Ursächlichkeit« (Log. S. 196 f.). von KIRCHMANN versteht unter dem Allgemeinen sowohl eine Beziehungsform als auch das damit Bezogene, d.h. die Begriffe und Gegensätze, welche in den Gebieten der betreffenden Wissenschaft bestehen (Kat. d. Phil. S. 61). SCHUPPE definiert »allgemein« als »etwas, was vielen gemeinsam sein kann« (Log. S. 79). Im Unterschiede vom numerisch Allgemeinen ist das inhaltlich Allgemeine »das Vorgestellte, sofern es durch seinen Inhalt das verschiedenen Gegenständen Gemeinsame umfaßt« (l.c. S. 89); »es zerfällt in[24] das unbestimmt, erweitert, typisch und abstract Allgemeine« (l.c. S. 89 ff.). Das Allgemeine ist schon, als ein Stock der Wirklichkeit, im Einzelnen enthalten (l.c. S. 92). So auch VON SCHUBERT SOLDERN, nach welchem das Allgemeine nicht erst durch Induction gefunden wird (Viertelj. f. w. Ph. Bd. 21, S. 151). Nach HUSSERL ist das Allgemeine ein Gegenstand des Denkens, es hat ein ideales Sein unabhängig vom Denken (Log. Unt. II, 111, 123 f., 146 ff., 210). Die Allgemeinheit des Wortes besagt, »daß ein und dasselbe Wort durch seinen einheitlichen Sinn eine ideell festbegrenzte Mannigfaltigkeit möglicher Anschauungen so umspannt.., daß jede dieser Anschauungen als Grundlage eines gleichsinnigen nominalen Erkenntnisactes fungieren kann« (l.c. II, 501).

Der Nominalismus in seiner extremen Form behauptet, die Universalien seien bloße »nomina, flatus vocis«, nicht einmal im Bewußtsein des Erkennenden gebe es ein Allgemeines. Der gemäßigte Nominalismus oder Conceptualismus hingegen setzt das Allgemeine in Allgemeinbegriffe (»conceptus universales«); es hat Existenz, aber nur im Bewußtsein.

Schon ANTISTHENES soll gelehrt haben, es gebe kein Allgemeines für sich, z.B. keine Pferdheit, nur einzelne Pferde (Prantl, G. d. L. I, 32). Die Stoiker halten die Ideen (s. d.) oder Gattungsbegriffe nur für subjective Gedanken. To ennoêmata... mête tina einai mête poia, hôsanei de tina kai hôsanei poia phantasmata psychês. tauta de hypo tôn archaiôn ideas prosagoreuesthai... tauta de hoi stôikoi philosophoi phasin anyparktous einai, kai tôn men ennoêmatôn metechein hêmas, tôn de ptôseôn, has dê prosêgorias kalousi, tynchanein (Stob. Ecl. I, 12, 332); ennoêmata de esti phantasma dianoias, oute ti on oute poion, hôsanei de ti on hôsanei poion (Diog. L. VII 1, 61); outina ta koina par' autous legetai (Simpl. in Categ. f. 26c). Nach KLEANTHES sind die Ideen nicht einmal ennoêmata (Stein, Psych. d. St. II, 293). Auch nach ALEXANDER VON APHRODISIAS sind die Universalien nur im Denken (De an. 139b).

Im Sinne des Nominalismus lehrt schon MARCIANUS CAPELLA. Begründer des scholastischen Nominalismus ist ROSCELLINUS. Von den Nominalisten berichtet ANSELM: »Illi utique nostri temporis dialectici... qui nonnisi flatum vocis putant esse universales substantias« (Prantl, G. d. L. II, 78) und JOH. VON SALISBURY: »Fuerunt et qui voces ipsas genera dicerent et species, sed eorum iam explosa sententia est, et facile cum auctore suo evanuit« (I, p. 266). Nach ABAELARD bestehen die Universalien nur in den »sermones« (»Sermonismus«), da das Prädicat eines Dinges nicht selbst ein Ding sein könne, sondern nur das, »quod de pluribus natum est praedicari« (Prantl II, 181 ff.). »Est sermo praedicabilis« (vgl. Joh. Sarebb., Metal. II, 17). ALGAZEL: »Esse autem universale non est nisi in intellectibus« (Ritter VIII, 69). Nach ROGER BACON ist das Allgemeine nur eine »convenientia plurium individuorum«; »singulare est melius quam universale« (Op. m. p. 383; Prantl, G. d. L. III, 126). Der Erneuerer des Nominalismus, WILHELM VON OCCAM, hält die Universalien für subjective Begriffe, Zusammenfassungen von Ähnlichkeiten der Dinge. Das Wort, die »significatio«, stellt das Allgemeine im Denken her. »Dicendum est, quod quodlibet universale est una res singularis et ideo non est universale nisi per significationem, quia est signum plurium... Universale est una intentio singularis ipsius animae nata praedicari de pluribus, non pro se, sed pro ipsis rebus« (Log. I, 14). Die Universalien sind »ficta quibus in esse reali correspondent vel correspondere possunt consimilia« (Prantl, G. d. L. III, 337). »Universale non est figmentum tale, cui non correspondet aliquid consimile in[25] esse subiectivo, quale illud fingitur in esse obiectivo« (l.c. S. 358). »Nullum universale est extra animam existens realiter in substantiis individuis nec est de substantia vel esse earum, sed universaliter est tantum in anima, quia de pluribus est praedicabilis non pro se, sed pro rebus, quas significat« (l.c. S. 346). Die Universalien entstehen im Bewußtsein ohne Spontaneität des Denkens. »Universalia et intentiones secundae causantur naturaliter sine omni activitate intellectus et voluntatis a notitiis incomplexis terminorum per istam viam, quia primo cognosco aliqua singularia in particulari intuitive vel abstractive« (l.c. S 346). G. BIEL: »Universale est conceptus mentis, i.e. actus cognoscendi, qui est vera qualitas in anima et res singularis, significans univoce plura singularia aeque primo negative naturaliter proprie« (Coll. I, d. 2, qu. 8). Das Universale ist »quoddam fictum ab intellectu habens tantum esse obiectivum in anima« (In l. sent. d. 2, qu. 8). J. BURIDAN: »Genera et species non sunt nisi terrnini apud animam existentes vel etiam termini vocales aut scripti« (Prantl, G. d. L. IV, 16). Nach M. NIZOLIUS ist das Allgemeine nur ein Collectivname, die Comprehension einer Mehrheit von Dingen (De ver. princ. I, 4-7, III, 7).

DESCARTES erklärt das Universale für einen »rnodus cogitandi« (Pr. ph. I, 58). »Fiunt haec universalia ex eo tantum, quod unum et eadem idea utamur ad omnia indivdua, quae inter se similia sunt, cogitanda: Ut etiam unum et idem nomen omnibus rebus per ideam istam repraesentatis imponimus; quod nomen est universale« (l.c. 59). Nach SPINOZA entstehen Universalbegriffe, »quia in corpore humano tot imagines, ex. gr. hominum formantur simul, ut vim imaginandi non quidem penitus, sed eo usque tamen superent, ut singulorum parvas differentias.., eorumque determinatum numerum mens imaginari nequeat, et id tantum, in quo omnes, quatenus corpus ab iisdem afficitur, conveniunt, distincte imagitnetur; nam ab eo corpus, maxime scilicet ab unoquoque singulari, affectum fuit, atque hoc nomine hominis exprimit, hocque de infinitis singularibus praedicat« (Eth. II, prop. XL, schol. I). Nach LEIBNIZ ist das Allgemeine nur in unserem Denken, zur Bezeichnung ähnlicher Dinge (Erdm. p. 305, 398, 439). Wirklich ist nur das Individuum (s. Monade). CHR. WOLF: »Notiones universales sunt notiones similitudinum inter res plures intercedentium« (Phil. rat. §. 54). »Genera et species non existunt, nisi in individuis« (l.c. § 56; Psych. rat. § 393). »Ens universale est, quod omnino determinatum non est, seu quod tantummodo continet determinationes intrinsecas communes pluribus singularibus, exclusis iis, quae in individuis diversae sunt« (Ont. § 230). Der »allgemeine Begriff« entsteht durch Abstraction des mehreren Dingen Gemeinsamen (Vern. Ged. von d. Kr. d. m. V.9, S. 36).

HOBBES setzt das Allgemeine in die Namen, welche ähnliche Dinge bezeichnen (De corp. C. 2, 10; Hum. nat. C. 5, p. 22). LOCKE: »Die Vorstellungen sind allgemeine, wenn sie als die Darstellungen vieler einzelner Dinge aufgestellt sind. Aber Allgemeinheit gehört nicht den Dingen selbst an, vielmehr sind diese, als daseiende, sämtlich einzelne, und dies gilt selbst bei den Worten und Vorstellungen, deren Bedeutung eine allgemeine ist. Verläßt man daher das Einzelne, so ist das Allgemeine, das übrigbleibt, nur ein von uns selbst gemachtes Geschöpf; seine allgemeine Natur ist nur die von dem Verstande ihm beigelegte Fähigkeit, vieles Einzelne zu bezeichnen und darzustellen; seine Bedeutung ist nur eine Beziehung, die ihm von der Seele zugegeben ist« (Ess. III, ch. 3, § 11). Die Genera und Species sind ein Product des Denkens, dem Ähnlichkeiten in den Dingen selbst entsprechen (l.c. §13). Entschiedener Nominalist ist BERKELEY.[26] Nach ihm gibt es nicht einmal allgemeine Ideen, sondern Allgemeinheit besteht nur in den Zeichen für mehrere Einzelideen, deren jede durch das Wort besonders im Bewußtsein angeregt wird (Princ. XV, XI). So auch HUME (Treat. sct. 7), JAMES MILL (Anal.c. 15). HERBART erblickt im Allgemeinen nur eine »Abbreviatur, zur Bequemlichkeit, ohne irgend eine eigene Bedeutung« (Met. Il, 417). Begriffliche Allgemeinheit ist ein logisches Ideal (Lehrb. z. Psych.3, S. 127).

KANT betont, daß die wahre (im Unterschiede von der bloß »comparativen«, inductiven) Allgemeinheit (= Allgemeingültigkeit) a priori (s. d.) sei, durch das Denken selbst gesetzt, nicht erfahren sei. Die Erfahrung »sagt uns zwar, was da sei, aber nicht, daß es notwendigerweise, so und nicht anders, sein müsse. Eben darum gibt sie uns auch keine wahre Allgemeinheit« (Kr. d. r. V. S. 35). »Erfahrung gibt niemals ihren Urteilen wahre oder strenge, sondern nur angenommene und comparative Allgemeinheit (durch Induction), so daß es eigentlich heißen muß: soviel wir bisher wahrgenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme« (l.c. S. 648 f.). Schon früher bemerkt K.: »Si omnes spatii affectiones nonnisi per experientiam a relationibus externis mutuatae sunt, axiomatibus geometricis non inest universalitas, nisi comparativa« (De mund. sens. sct. 3, § 15). Daß die Allgemeinheit von Sätzen aus unserem Geiste stammt, betont WHEWELL (Phil. of In. I, 257 ff.). Nach G. SPICKER ist Allgemeinheit von Sätzen schon eine Folge der Notwendigkeit (Kant, Hume u. Berk. S. 177). Allgemeinheit kommt nicht nur apriorischen Erkenntnissen zu (l.c. S. 62). Unter »allgemein« ist zu verstehen »eine der Zahl nach bestimmte oder unbestimmte Menge gleichartiger Obiecte, die irgend ein Merkmal oder mehrere oder alle gleich sehr miteinander gemein haben«. »Etwas im allgemeinen betrachten, heißt also eine Eigenschaft oder ein Merkmal, das allen gleich wesentlich ist, betrachten« (l.c. S. 142). Nach WUNDT bedeutet die Allgemeinheit der Begriffe, daß »jeder Begriff in zahlreiche Urteilsacte als Element eingehen kann, und daß in diesen einzelnen Urteilen seine Beziehungen zu andern Begriffen bestimmt werden« (Log. I2, S. 95 ff.). RIEHL unterscheidet drei Arten des Allgemeinen: das Objective, das Allgemeine als Schlußergebnis, das rationell Allgemeine, als Folge der Gewißheit eines Urteils (Phil. Krit. II, 1, S. 223 f.). E. MACH: »Den Generalien kommt keine physikalische Realität zu, wohl aber eine physiologische« (Wärmelehre2, S. 422). Nach BALDWIN ist das Allgemeine (Abstracte) kein Inhalt des Denkens, sondern »eine Haltung, eine Erwartung, eine motorische Tendenz. Es ist die Möglichkeit einer Reaction, die gleichmäßig einer großen Menge von besonderen Erfahrungen dienen kann« (Entw. d. Geist. S. 308). Vgl. Allgemeinvorstellung, Allgemeingültig, Abstract, Begriff, Gattung.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 22-27.
Lizenz:
Faksimiles:
22 | 23 | 24 | 25 | 26 | 27
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon