Ewigkeit

[325] Ewigkeit: unbegrenzte Dauer, zeitloses Sein. Im Begriff des (absoluten) Seins liegt schon das Nicht-entstanden-sein und Nicht-zunichte-werden, die Beharrung, das Währen durch alle Zeit hindurch. Die Zeit betrifft nur das Geschehen, nicht das Seiende, den Grund (die Substanz) des Geschehens. Der Begriff der Ewigkeit beruht auf einem logisch-ontologischen Postulat.

Die Eleaten lehren die Ewigkeit des Seins (s. d.). Nach XENOPHANES ist nur das einzelne Ding vergänglich pan to ginomenon phtharton esti Diog. L. IX, 19). HERAKLIT lehrt ein ewiges Werden (s. d.). Die Welt war immer, immer wird sie sein (Mull. Fragm. I, 20), ewig ist das Gesetz des Werdens (l.c. 8). Ewig ist das Apeiron (s. d.) des ANAXIMANDER, ewig sind die Atome (s. d.) des DEMOKRIT, die Ideen (s. d.) PLATOS (Phaedo 211 A, B; aei on, aidion, aiôn Lach. 198. D, Men. 86 A, Tim. 29 A). ARISTOTELES versteht unter Ewigkeit (aiôn) das unvergängliche, die Zeit einschließende Sein to gar telos to periechon ton tês hekastou zôês chronon, hou mêthen exô kata physin, aiôn hekastou keklêtai De coel. I 9, 279a 24). Das Ewige wird von der Zeit nicht berührt ta aei onta, hê aei onta, ouk estin en chronô, ou gar periechetai hypo chronou, oude metreitai to einai autôn hyto tou chronou Phys. IV 12, 221 b 4). Das Weltall ist ewig oute gegonen ho pas ouranos out' endechetai phtharênai, all' estin eis kai aidios, archên men kai teleutên ouk echôn tou pantos aiônos, echôn de kai periechôn en hautô ton apeiron chronon De coel. II 1, 283b 28). Ewig ist Gott (s. d.), der unbewegte Weltbeweger ton theon einai zôon aidion ariston, Met. XII 7 1072b 29). Ewig ist die kreisförmige Himmelsbewegung (De gener. et corr. II 11, 338 a 18). Die Stoiker lehren die Ewigkeit des pneuma (s. d.),[325] der Weltsubstanz aphthartos esti kai agennêtos Diog. L. VII, 137); ewig ist auch die Wiederkehr des Gleichen, die Apokatastasis (s. d.). Nach PLOTIN ist die Welt ewig, denn die Zeit (s. d.) entstand erst in und mit der Welt. Ewigkeit ist »Leben, das identisch bleibt, welches das Ganze stets gegenwärtig hat«, ewig ist, »was weder war noch sein wird, sondern nur ist, also das Sein in völliger Ruhe ohne bevorstehenden oder dagewesenen Übergang in der Zukunft hat« (Enn. II, 7, 3). BOËTHIUS definiert Ewigkeit als »nunc stans«, »interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio«. »Sempiternitas et aeternitas differunt. Nunc enim stans et permanens aeternitatem facit; nunc currens in tempore sempiternitatem.« Gott ist ewig, die Welt nur unbegrenzt dauernd (Consol. philos. V).

ORIGENES lehrt eine »creatio continua« (s. Schöpfung) der Welt. Nach AUGUSTINUS ist die Welt in Gott ewig gewesen, da die Zeit erst mit ihr entstand. »Si recte discernuntur aeternitas et tempus, quod tempus sine aliqua mobili mutabilitate non est, in aeternitate autem nulla mulatio est, quis non videat, quod tempora non fuissent, nisi creatura fieret, quae aliquid aliqua motione mutaret« (De civ. Dei XI, 4, 6; Confess. XI, 11). Die Ewigkeit der Welt behaupten NEMESIUS, AVICENNA, AVERROËS u. a. GILBERTUS PORRETANUS erklärt: »Aeternitas est mora indeficiens et immutabilis.« Nach RICHARD VON ST. VICTOR ist Ewigkeit »diuturnitas sine initio, carens omni mutabilitate.« ALBERTUS MAGNUS bestimmt das »aevum« als »mensura eorum, quae facta sunt, sed finem non habent« (Sum. th. I, qu. 23). Ewig ist nur Gott, der durch und in sich ist (l.c. II, 1, 3). Wäre die Welt ewig, so würde sie Gott gleichen. Dagegen ist THOMAS, doch ist es Glaubenssache, die Erschaffung der Welt (mit der Zeit zugleich) anzunehmen. »Deus est omnino extra ordinem temporis« (in 1. perih. 1, 14 f.). Das »aevum« ist die Dauer der unvergänglichen Dinge, nicht Zeitlosigkeit. So auch SUAREZ (Met. disp. 50, sct. 5, 1). »Aeternitas essentialiter est duratio talis esse, quod essentialiter includit omnem perfectionem essendi et consequenter omnem actum seu internam operationem talis entis« (l.c. 50, sct. 3)

Nach G. BRUNO ist das All ewig, nur dessen Gestaltungen sind vergänglich (De la causa V). HOBBES definiert Ewigkeit als »non temporis sine fine successio, sed nunc stans« (Leviath. 46). DESCARTES läßt die Frage nach der Ewigkeit der Welt unentschieden. SPINOZA betrachtet die Substanz (s. d.) als ewig, als in und durch sich seiend. »Per aeternitatem intelligo ipsam existentium, quatenus ex sola rei aeternae definitione necessario sequi concipitur« (Eth. I, def. VIII). »Ad naturam substantiae pertinet existere« (l.c. prop. VII), denn sie ist »causa sui« (s. d.). »Substantia non potest produci ab alio; erit itaque causa sui, id est ipius essentia involit necessario existentiam, sive ad eius naturam pertinet existere« (l.c. dem., vgl. Ep. 29). Auch die Attribute (s. d.) der göttlichen Substanz sind ewig. »Deus sive omnia Dei attributa sunt aeterna« (l.c. prop. XIX). »Dei omnipotentia actu ab aeterno fuit et in aeternum in eadem actualitate manebit« (l.c. prop. XVII). »Atqui ad naturam substantiae pertinet aeternitas; ergo unumquodque attributorum aeternitatem involvere debet, adeoque omnia sunt aeterna« (l.c. prop. XIX7 dem.); »sequitur Deurn sive omnia Dei attributa esse immulabilia« (l.c. prop. XX, coroll. II). Die Vernunft (s. d.) betrachtet alles, die Dinge in ihrer ewigen Notwendigkeit, »sub quadam aeternitatis specie«, so, wie sie dem göttlichen Urgrunde folgen (l.c. II, prop. XLIV), d.h. zeitlos (De emend. int.), so wie sie in Gott ideell sind.[326] »Res duobus modis a nobis ut actuales concipiuntur, vel quatenus eadem cum relatione ad certum tempus et locum existere, vel quatenus ipsas in Deo contineri et ex naturae divinae necessitate consequi concipimus. Quae autem hoc secundo modo ut verae seu reales concipiuntur, eas sub aeternitatis specie concipimus, et earum ideae aeternam et infinitam Dei essentiam involvunt« (Eth. V, prop. XXIX, schol.). Ewigkeit ist nicht mit Dauer (s. d.) zu verwechseln. »Talis enim existentia, ut aeterna veritas, sicut rei essentia concipitur, proptereaque per durationem aut tempus explicari non potest, tametsi duratio principio et fine carere concipiatur« (l.c. I, def. VIII, explic.).

Nach LOCKE gelangt man zur Idee der Ewigkeit durch das Vermögen, Vorstellungen von Zeitlängen, so oft man will, in Gedanken zu wiederholen, ohne hierbei zu einem Ende zu kommen (Ess. II, ch. 14, § 31). Nach CONDILLAC entsteht die Idee der Ewigkeit, indem wir eine Dauer als unbestimmt, ohne Anfang und Ende auffassen (Trait. d. sensat. I, ch. 4, § 14). Nach LEIBNIZ entspringt der Ewigkeitsbegriff nicht aus den Sinnen (Nouv. Ess. II, ch. 14, § 27). Ewig ist Gott, ewig werden die Monaden von Gott geschaffen (Monadol. 6, 47), ewig bleiben sie, im Wandel ihrer Complexionen, bestehen (l.c. 76 f.). – KANT sieht in der Zeit (s. d.) eine subjective Anschauung, daher muß er das Sein als ewig (zeitlos) setzen (s. Antinomien). SCHELLING bestimmt Ewigkeit als »Sein in keiner Zeit« (Vom Ich S. 105 f.), HEGEL als »absolute Zeitlosigkeit« des Begriffes, Geistes (Naturphil. S. 55). Der dialektische Proceß des Absoluten ist ewig, setzt erst die Zeit (s. d.). Das Endliche ist vergänglich, zeitlich. »Der Begriff aber, in seiner frei für sich existierenden Identität mit sich, Ich = Ich, ist an und für sich die absolute Negativität und Freiheit, die Zeit daher nicht seine Macht, noch ist er in der Zeit und ein Zeitliches, sondern er ist vielmehr die Macht der Zeit, als welche nur diese Negativität als Äußerlichkeit ist. Nur das Natürliche ist darum der Zeit untertan, insofern es endlich ist; das Wahre dagegen, die Idee, der Geist, ist ewig.« »Der Begriff der Ewigkeit muß aber nicht negativ so gefußt werden, als die Abstraction von der Zeit, daß sie außerhalb derselben gleichsam existiere« (Encyk1. § 258). K. ROSENKRANZ erklärt: »Die Zeit als absolute Totalität gedacht, wie sie ohne Anfang und Ende mit dem absoluten Continuum des Raumes identisch ist, also das Abstractum ihres Begriffs, das weiter keine Bestimmung zuläßt, nennen wir Ewigkeit« (Syst. d. Wiss. S. 192). Wer ein Absolutes annimmt, bestimmt dieses als ewig (SCHOPENHAUER, FECHNER, E. V. HARTMANN, H. SPENCER, E. HAECKEL, WUNDT u. a.). Nach LOTZE hat nur das Wertvolle Ewigkeit (Psychol. § 81). Ähnlich wie HERBART (Psych. als Wiss. II, §148) erklärt VOLKMANN: »Die... nach beiden Seiten hin Über jede Grenze hinaus construierte leere Zeitreihe nennen wir die Ewigkeit. Sie ist... das Vorstellen eines Vorstellens, d.h. ein Gefühl. Die Ewigkeit ist ein, ja das dem reinen Begriff der Zeit gemäß construierte Schema: der Begriff der Zeit ist der Begriff des Nacheinander, und die Vorstellung der Ewigkeit ist der Versuch, dies Nacheinander in einer Anschauung darzustellen« (Lehrb. d. Psychol. II4, 29). G. SPICKER betont: »Der Begriff 'Ewigkeit' schließt... die Zeitlichkeit aus; man kann sich darunter nichts anderes vorstellen, als ein Sein mit dem Attribut der Aseïtät, d.h. eine absolute Realität, die sich aus keiner höheren Ursache ableiten läßt, sondern die Kraft zu existieren in sich selbst trägt« (Vers. e. n. Gottesbegr. S. 106 f.). Nach O. CASPARI ist Ewigkeit nicht Zeitlosigkeit, sondern »die real fortschreitende ewige Zeit« (Zusammenh. d. Dinge S. 170). RENOUVIER (wie DÜRING) nimmt nur eine[327] Ewigkeit a parte post, nicht a parte ante an; es gibt einen Anfang der Phänomene (Nouv. Monadol. p. 16). Vgl. Zeit, Unendlich, Schöpfung, Materie.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 325-328.
Lizenz:
Faksimiles:
325 | 326 | 327 | 328
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon