Materie

[628] Materie (materia, hylê) oder Stoff bedeutet zunächst, allgemein, das Correlat zur Form (s. d.), den Inhalt derselben, das Geformte, Gestaltete, Formungsfähige in Abstraction von seiner Form, also alles, sofern es Object einer Formung ist oder werden kann, allen Gehalt einer Sache, eines Begriffs, eines Urteils (s. d.), einer Erkenntnis, eines Kunstwerkes. Der absolut ungeformte Stoff ist nur eine Idee, ein abstracter Begriff; alle concrete Materie ist nur relativ »Stoff« von oder zu etwas, im Verhältnis zu einer höheren, activeren Form, einer Formung. Seit KANT unterscheidet man Form (s. d.) und Stoff des Erkennens (s. d.), der Erfahrung (s. d.). Stoff der Erfahrung ist das noch ungeordnete Chaos der Empfindungen (vgl. KANT, Krit. d. r. Vern., Transcend. Ästhet.). W. ROSENKRANTZ betrachtet (»Materie und Form« als Nebenkategorien der Hauptkategorie »Ursache und Wirkung« (Wissensch. d. Wiss. II, 201). »Soll Überhaupt etwas werden, so muß immer schon etwas vorhanden. sein, das entweder selbst etwas anderes wird, oder woran etwas anderes wird. – Da ferner die Ursache der Wirkung entgegengesetzt ist, so kann jede Ursache das, was sie wirkt, nur an einem andern wirken, was sie nicht selbst ist. – Dasjenige endlich, was dadurch an diesem andern entsteht, erscheint nur der Ursache gegenüber als Wirkung. Im Vergleiche mit dem, woraus es entsteht, erscheint es als etwas, was dieses nicht ursprünglich war, sondern wozu es von außen bestimmt wurde, sohin als Form, zu welcher das hierzu Bestimmte in seinem ursprünglichen Zustande die Materie bildete« (l.c. S. 201 f.). Nach CARNERI ist der Stoff die Identität von Geist und Materie, von Inhalt und Form (Sittl. u. Darw. S. 95).

Metaphysisch bedeutet die Materie den beharrenden Träger der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen, die Substanz (s. d.) der Körper, insofern sie räumlich-mechanisch und dynamisch begrifflich bestimmt wird. Die Materie ist nicht ein Ding unter Dingen, sondern das allen gemeinsame Substantielle im Raume und in der Bewegung. Ein Ding ist materiell, insofern es räumlich ausgedehnt, bewegt und widerstandskräftig ist. Die Materie als solche, der Stoff, ist weder ein Ding an sich noch Schein, sondern eine begriffliche Hypostase (s. d.) der Körperlichkeit der Dinge, welche dynamische und energetische (s. d.) Relationen der Dinge untereinander und auf das erkennende Subject darstellt. Qualitativ läßt sich die Materie in (active und passive, actuelle und potentielle) Kräfte (s. d.) auflösen, im engeren Sinne ist sie der Inbegriff von Widerständen in räumlicher Form, insofern diese Sitz, Ausgangs- und Angriffspunkte von Bewegungskräften bilden. Die Constanz der Materie bedeutet die Unzerstörbarkeit derselben, das Postulat des (naturwissenschaftlichen) Denkens, die einmal gesetzte materielle Substanz für alle Veränderung festzuhalten, ein Postulat, das durch die Erfahrung beständig als berechtigt erhärtet wird. Der Materialismus (s. d.) erblickt in der Materie die einzige oder doch eine absolute Realität ersten Ranges. In der modernen Physik besteht teilweise die Tendenz, den Begriff der Materie zu »eliminieren«, ihn durch den Begriff der Energie (s. d.) zu ersetzen. Als Gegensatz der Materie wird oft der Geist ((s. d.) betrachtet.

Die Materie wird bald als das Seelische einschließend, als belebt (Hylozoismus, (s. d.)), bald als vom Geiste schroff unterschieden betrachtet, es werden ihr[628] bald innere Kräfte zugeschrieben, bald gilt sie als träge Masse (»rudsi indigestaque moles«), sie wird geometrisch-mechanisch und auch dynamisch bestimmt.

Von den ionischen Naturphilosophen (THALES, ANAXIMADER, HERAKLIT) wird die Materie als bestimmter Stoff (Wasser, Luft, Feuer) bestimmt, von ANAXIMANER als unbegrenzter Kraftstoff (s. Apeiron). Bei den Eleaten tritt die Materie im Begriffe des starren Seins (s. d.) auf. Nicht ganz sicher ist es, was die PLATONISCHE Materie eigentlich bedeutet, ob einen Stoff oder eher den leeren Raum (so nach ARISTOTELES, Phys. IV, 2, 209 b 11 squ.; E. ZELLER, Gesch. d. Philo(s. d.) Griech. II4, 1, 727 ff.; SIEBECK, Platons Lehre von d. Mat.; Unters. zur Philo(s. d.) Gesch.2, S. 49 ff.; WINDELBAND, Plato2, S. 108 ff.; BÄUMKER, Probl. d. Mat. S. 177 ff.). Plato vergleicht die Materie mit der hylê der Handwerker. Sie ist das triton genos neben den Ideen und den Sinnendingen, ein mê on, relativ Nichtseiendes (Tim. 48 E). Sie ist gestaltlos, unbegrenzt, qualitätslos, unwahrnehmbar, nur durch einen unechten Schluß (logismô tini nothô) erfaßbar, sie ist der Schloß des Werdens, die dexamenê ein ekmageion ein alles Aufnehmendes (pandeches), sie ist genos tês chôras (Tim. 52 A); die Dinge entstehen in ihr (en hô gignesthai, Tim. 50 C). Pasês einai geneseôs hypodochên auto, hoion tithênên (Tim. 49 A). Dechetai te gar aei ta panta kai morphên oudemian pote oudeni tôn eisiontôn homoian eilêphen oudamê oudamôs: ekmageion gar physei panti keitai, kinoumenon te kai diaschêmatizomenon hypo tôn eisiontôn... en d' oun tô paronti chrê genê dianoêthênai tritta, to men gignomenon, to d' en hô gignetai, to d' hothen aphomoioumenon phyetai to gignouenon. kai dê kai proseikasai prepei to men dechomenon mêtri (Tim. 50 C, D); kai tô ta tôn pantôn aei te ontôn kata pan heautou pollakis aphomoiômata kalôs mellonti dechesthai pantôn ektos autô prosêkei pephykenai tôn eidôn, dio dê tên tou gegonotos, horatou kai pantôs aisthêtou mêtera kai hypodochên mête mên mête aera mête pyr mête hydôr legomen, mête hosa ek toutôn mête ex hôn tauta gegonen. all' anoraton eidos ti kai amorphon, pandeches (Tim 51 A). Triton de au genos on to tês chôras aei, phthoran ou prosdechomenon, hedran de parechon hosa echei genesin pasin, auto de met' anaisthêsias hapton logismô tini nothô, mogis piston (Tim. 52 A, B).

Den Begriff der Materie im Gegensatze zum Formbegriffe prägt ARISTOTELES. Die Materie (hylê) ist eines der Principien (archai). Sie ist die dynamis, das dynamei on, die Möglichkeit (Potenz) zu allem, das Unbestimmte (aoriston), das der Form zur concreten Existenz bedarf, die Grundlage aller Gestaltung, das »weibliche« Princip (to thêly, De gener. anim. II, 1). Legô gar hylên to prôton hypokeimenon hekastô, ex hou gignetai ti enyparchontos; (Phys. I 9, 192 a 31); hou gar hê diaphora kai hê poiotês esti, tout' esti to hypokeimenon,ho legomen hylên. – Legô d' hylên hê kath' hautên mête ti mête poson mête allo mêden legetai hois hôristai to on. esti gar ti kath' hou katêgoreitai toutôn hekaston, hô to einai heteron kai tôn katêgoriôn hekastê (Met. VII 3, 1029 a 20 squ.); dynaton gar kai einai kai mê einai hekaston autôn, touto d' estin hê hekastô hylê Met. VII 7, 103 a 21); hylên de legô, hê mê tode ti ousa energeia dynamei esti tode ti (Met. VIII 1, 1042a 27). Die Materie ist träge, formlos (aeides kai amorphon), unbegrenzt (aoriston Met. VII 11, 1037 a 27), allein für sich unerkennbar (agnôstos kath' hautên, Met. VII 10, 1036a 8). Zu unterscheiden sind hylê aisthêtê und noêtê (sinnlicher und geistiger Stoff, Met. VII 10, 1036a 9 squ.). Die hylê ist dynamei, hoti elthoi an eis to eidos. hotan de g'energeia ê, tote en tô eidei estin[629] (Met. VIII 8, 1050 a 15). Die Materie ist den Dingen immanent: hê men gar hylê ou chôristê tôn pragmatôn (Met. IV 7, 214a 13). Allen Dingen liegt die gleiche Materie zugrunde: estin hylê mia tôn enantiôn... tô d'einai heteron, kai mia tô arithmô... hotan gar ex hydatos aêr genêtai, hê autê hylê ou proslabousa ti allo egeneto, all' ho ên dynamei, energeia egeneto (Met. IV 9, 217 a 22 squ.). Das Substrat (hypokeimenon) aller Dinge ist die Urmaterie, hylê prôtê (»materia prima«), die aber für sich allein nur in der Abstraction, begrifflich Existenz hat (Met. V 4, 1015a 7). Die hylê eschatê (idia, oikeia, »materia secunda«) ist die specifische und schon roh geformte Materie, die noch weiter zu formen ist (z.B. Erz) (Met. VIII 6, 1045 b 18). Die hylê prôtê ist ousia pôs, insofern sie sich mit der Form zu einer ousia verbindet (Phys. I, 9). Jedes Ding ist Materie im Verhältnis zu einem höheren Dinge: aei gar to anôteron pros to hyph' auto, hôs eidos pros hylên, houtôs echei pros allêla (De coel. IV 3, 310 b 15). Nur Gott (s. d.) ist ohne Materie, reine Form (»actus purus«, (s. d.)). Die Materie ist der Grund des Zufälligen (symbebêkos), Accidentiellen, des Mechanischen, Alogischen: hôste estai hê hylê hê endechomenê para to hôs epi to poly allôs tou symbebêkotos aitia (Met. VI 2, 1027 a 13). En tê gar hylê to anagakaion, to d' hou heneka en tô logô (Phys. II 9, 200a 14). Nach EUDEMOS ist die Materie ein Gestaltloses, kein sôma, sondern sômatoeidês; die Formen sind in ihr (Simpl. ad Arist. Phys. I u. IV; von enyloi logoi ist die Rede bei ARISTOTELES, De an. I, 403 a 25; enyla eidê: ALEXANDER APHRODIS., De an. 89). Die Stoiker identificieren die Urmaterie (prôtê hylê) mit dem, »Leidenden« (paschon), welches mit dem poioun zur Einheit verbunden ist. Das paschon bestimmen sie als tên apoion ousian tên hylên (Diog. L. VII, 134). Die Materie ist als solche träge und gestaltlos, ihre Größe ist constant. »Materia iacet iners, res ad omnia parata creatura, si nemo moveat« (SENECA, Ep. 65, 2). Hylê de estin ex hês hoti dêpotoun ginetai. Kaleitai de dichôs, ousia te kai hylê, hê te tôn pantôn kai hê tôn epi merous. hê men oun tôn holôn oute pleiôn oid' elattôn ginetai, hê de tôn epi merous kai pleiôn kai elattôn (Diog. L. VII, 150); aidion kai oute pleiô gignomenên oute elattô. oute auxêsin oute meiôsin hypomenousan; apoion kai amorphon (Stob. Ecl. I 11, 322, 324). Die Constanz der Materie spricht der Epikureer LUCREZ aus: »Nec stipata magis fuit unquam materiae copia nec porro maioribus intervallis: nam neque adaugescit quicquam neque deperit inde« (De rer. nat. II, 294 – 96). Nach PHILO ist die Materie qualitätslos, tot (nekron) passiv (apoios), gestaltlos (amorphos), unrein, bös (s. d.) (ZELLER, Philo(s. d.) Griech. III 23, 386 f.). PLOTIN unterscheidet von der intelligiblen Materie in den Ideen, welche Formen annimmt (Enn. IV, 4, 4) die sinnliche Materie, das Abbild (mimêma) jener. Die Materie (hylê) ist to bathos hekastou, das Substrat von allem, sie ist dunkel, unbestimmt (apeiron), ein Böses (kakon), eine sterêsis (Beraubung) des hen, ein mê on (Nicht-Seiendes), eine apousia agathou, die skia logou kai ekpiôsis, asômaton, ihr Begriff ist ein »unechter«, abstracter (Enn. I, 8, 7; II, 4, 3 squ.; III, 6, 6 squ.). Das gegenseitige In-einander-übergehen der Elemente bezeugt, daß für die Körper ein Substrat als ein anderes neben ihnen bestehen muß (l.c. II, 4, 6). Die Materie ist die letzte, schwächste Emanation (s. d.) des »Einen« (l.c. I, 8, 7). Eine intelligible Materie nimmt auch JAMBLICH an: hylên tina katharan kai theian einai legômen (De myster. Aegypt. V, 23). – Nach ALEXANDER VON APHRODISIAS hat die Materie das Vermögen zu den entgegengesetztesten Qualitäten (Quaest. nat. I, 15); sie[630] bedarf der Form, um Bestimmtheit (tode ti) zu erlangen (l.c. de an. II, p. 120).

Nach den Valentinianern ist die Materie eine ousia amorphos (Iren. I, 4; II, 29, 3), ein Nichtiges, sie hat eine physikê hormê, ein Streben (l.c. I, 2, 4; von einem Streben Dach Dasein in der Materie spricht schon PLOTIN, Enn. III, 6, 7). Das Materielle entstand durch den Fall der sophia, aus deren pathê die Elemente wurden (Iren. II, 10, 3). Die Qualitätslosigkeit der Materie behauptet HERMOGEXES (Tertull., Adv. Herm. 35, 37). Die Materie ist weder gut noch böse (l.c. 37), ist ursprünglich in ungeordneter (»incondite«) Bewegung (l.c. 42). Ihre Teile haben alle von allem etwas (l.c. 39). ORIGENES lehrt die Schöpfung (s. d.) der Materie durch Gott (De princ. II, 164). Sie ist qualitätslos, aber fähig, qualitativ bestimmt zu werden (Contr. Cels. III, 41), existiert nur mit den Qualitäten: »Haec tamen materia quamvis secundum suam propriam rationem sine qualitatibus sit, umquam tamen subsistere extra qualitatem invenitur« (De princ. II, 1). AUGUSTINUS definiert: »Hylen dico quandam penitus informem et sine qualitate materium, unde istae, quae sentimus qualitates, formantur« (De trin. VIII, 358c). Sie enthält die Potenz zu allen Dingen, ist niemals zeitlich ohne Form, wenn sie auch logisch der Form (als deren Grund) vorhergeht (Conf. XII, 8; 40; De civ. Dei XXII, 2). An sich ist sie »quaedam informitas sine ulla specie« (Conf. XII, 3). Nach JOH. PHILOPONUS ist die Materie von Gott aus dem Nichts geschaffen, sie kann nicht ohne Form sein (De aetern. mund. XI, 1; XII, 1).

Nach GREGOR VON NYSSA besteht die Materie aus immateriellen Qualitäten (s. d.) (De hom. opif. 24). So auch nach JOH. SCOTUS ERIUGENA: »Ipsa etiam materies, si quis intentus aspexerit, ex incorporeis qualitatibus copulatur« (De div. nat. I, 42; vgl. I, 61 f.). Die Materie ist »invisibilis, incorporea« (l.c. III, 14), eine »privatio« (l.c. I, 56), keine Substanz.

DAVID von Dinant nennt Gott die »materia omnium« (Alb. Magn., Sum. th. I, 20, 2). Die Materie ist »primum indivisibile, ex quo constituuntur corpora« (Thom., In sent. 2, d. 17, qu. 1, 1). Nach AVICENNA ist die Materie ewig, das Princip der Individuation (Met. VI, 2). Nach AVERROËS hat die Materie die Formen der Dinge potentiell in sich. Nach IBN GEBIROL ist eine (von Gott emanierende) Materie auch in der (ireisterwelt, allem liegt eine »materia universalis« zugrunde, nur der Gottheit nicht (STÖCKL II, 62; M. EISLER, Jüd. Philos. I, 62 ff.). – Ähnlich BONAVENTURA. Die geistigen Wesen haben weil aus Potentialität und Actualität zusammengesetzt, eine »materia spiritualis« (In sent. 2, d. 3, 17). – Nach MAIMONIDES ist die Materie von Gott geschaffen.

ALBERTUS MAGNUS erklärt: »Materia est primum subiectum eius quod est« (Sum. th. II, 4, 1). »Materia appetit formam« (l.c. I, 26, 1). Die Urmaterie (»materia prima«) ist »potentia inchoationis formae« (l.c. II, 4, 4). »Materia numquam separata est a formis omnibus propter sui imperfectionem, quae adesse non safficit sine forma, et haec imperfectio numquam relinquit materiam; et ideo cum forma semper erit secundam actum« (In phys. I, 2, 4). Es gibt »materia incorruptibilium et corruptibilium« (Sum. th. II, 47). Die schon von einer bestimmten Form gestaltete Materie ist »materia signata« (Met. VII, 3, 2). Nach THOMAS ist die Materie das, »ex quo est generatio« (De princ. nat., Op. 31), sie ist »potentia pura« (Opusc. 15, 7), »id, quod est in potentia« (Sum. th. I, 3, 2 c), »ex qua aliquid fit« (l.c. I, 92, 2 ad 2), »primum subieclum,[631] ex quo aliquid fit per se« (1 phys. 15; Sum. th. III 72, 2). Ihre »prima dispositio« ißt »quantitas dimensiva« (Sum. th. III, 72, 2). Sie wird »substantia« genannt, »non quasi ens aliquid actu existens in se considerata, sed quasi in potentia, ut sit aliquid actu« (8 met. 1 f.). »Materia prima« ist dasjenige, »quod est in genere substantiae ut potentia queedam intellecta praeter omnem speciem et formam et etiam praeter privationem, qune tamen est susceptiva et formarum et privationum« (Spir. 1 c). Es gibt eine, »materia sensibilis« und »intelligibilis« (Sum. th. I, 85, 1 c; C. gent. II, 75, III, 105). Zu unterscheiden sind ferner: »materia composita« und »simplex« (C. gent. III, 97), »materia corporalis« und »spiritualis« (Sum. th. I, 12, 11 c), »materia elementaris« (l.c. I, 71, 1 ad 1), »materia communis« und »particularis« (Sum. th. I, 3, 3c; C. gent. II, 30, III, 41), »materia prima (pura)« und »ultima« (Sum. th. I, 3, 8c; C. gent. I, 17), »materia demonstrata, designata, signata« (Sum. th. I, 75, 4e; C. gent. I, 21, 65; De ente et ess. 2; De verit. II, 6 ad 1). »Materia signata (individualis)« ist die schon von einer Form gestaltete Materie (z.B. ein Knochen, ein Stock Fleisch, Sum. th. I, 85, 1). »Signatio materiae est esse sub certis dimensionibus, quae faciunt esse hoc et nune ad sensum demonstrabile« (Sum. th. III, 77, 2). Sie ist »principium individuationis« (s. d.) (1 anal. 38c; 1 cael. 19b). Es gibt endlich eine »materia enunciationis« und »syllogismi«. DUNS SCOTUS schreibt allen endlichen Dingen eine (auch ohne Form wirkliche) Materie, als »subiectum omnis receptionis« (De rer. princ. qu. 8, 4, 26) zu. Die formlose Urmaterie (»actus entitativus«) ist »materia primo prima« (l.c. qu. 8, 3, 19). »materia secundo prima« ist »subiectum generationis et corruptionis« (l.c. qu. 8, 3, 20). »Materia tertio prima« ist die Materie »cuiuslibet artis et materia cuiuslibet agentis naturalis particularis« (ib.). Nach SUAREZ ist die Materie »subiectum primum« der Veränderung (Met. disp. 13, sct. 1, 8), die bleibende Potentialität der Körper (l.c. 3, sct. 4 5). – GOCLEN erklärt: »Materia est causa interna, ex qua ens producitur.« »Materia propria est materia disposita, id est, praeparata et adepta« (Lex. philos. p 669). MICRAELIUS bestimmt: »Materia est altera causa naturalis interna et essentialis, ex qua corpora fiunt et constant.« »Materia sumitur vel obiective pro materia circa quam, quae dicitur obiectum; vel subiective, pro materia in qua et dicitur subiectum inhaerentiae; vel constitutive pro materia ex qua, ita ut insit composito materiato; vel logice pro genere« (Lex. philos. p. 622). Als Gründe für die Annahme der Materie bei den Scholastikern wird angegeben: 1) »ex mutua elementorum transmutatione«, 2) »ex generatione rerum«, 3) »ex puro actu«, 4) »ex contrarietate privationis et formae« (l.c. p. 624).

NICOLAUS CUSANUS bezeichnet die Materie als das (aus dem Nichts geschaffene) »Werden-können«, als »posse fieri«; die intelligible Materie ist eins mit dem schöpferischen Vermögen Gottes (De venat. sap. 39). PARACELSUS bestimmt die Urmaterie als »limbus mundi« (»limbus maior«), »yliaster« (hylê, astrum), »hyaster«, in welchem die Keime zu allen Dingen lagen; sie ist »mysterium magnum« (Paramir. I, 1). Die materiellen Elemente sind die »Mütter« aller Dinge, sind beseelt. Nach CARDANUS ist die Materie das in allen Dingen Gemeinsame, das Constante im Entstehen und Vergehen (De subtil. p. 358 ff.). Als träge, tote Masse, »corporea moles«, bestimmt die Materie TELESIUS, der ihr eine Widerstandskraft gegen alle Veränderung zuschreibt, der zufolge ihre Menge stets constant bleibt (De rer. nat. I, 4 ff.). Von einer »resistentia«,[632] »antitypia« ((s. d.), wie die Stoiker) der Materie spricht PATRITIUS, der die Materie als »fluor seu humor primogenius« bestimmt (Panaug. 6, p. 78).

CAMPANELLA bestimmt die Materie als (von Gott geschaffene) »secunda substantia«, »basis formarum, principium passivum compositionis rerum«, als »iners«, »invisibilis«, »nigra« (Real. philos. p. 6). »Materiam universalem, locum omnium formarum, sicuti spatium est locus omnium materiarum, molem esse corpoream intelligimus« (De sensu rer. II, 1; Physiol. I, 3). Die feinste Materie ist der Äther (l.c. I, 4). J. B. VAX HELMONT bestimmt die Materie als »fluorem genericum sive generativum«. Sie ist die Substanz jedes Dinges (Causae et init. rer. nat. p. 35 f.). Eine unbestimmte Materie gibt es nicht (l.c. p. 33). G. BRUNO faßt die Materie als Gestaltungsstoff auf. »Es gibt... eine Art Substrat, aus welchem, mit und in welchem die Natur ihre Wirksamkeit, ihre Arbeiten vollzieht und welches durch diese in so ziele Formen gebracht wird, als sich in der großen Verschiedenheit der Arten den Blicken des Betrachters darbieten« (De la causa III). Die Materie, das Formlose, die Potenz der Formen, ist das Bleibende in den Dingen, das nur begrifflich erkannt zu werden vermag. »Wie auch die Formen sich ins Unendliche vermannigfaltigen und eine auf die andere folgt, es bleibt doch immer eine und dieselbe Materie vorhanden.« »Es muß also immer eins und dasselbe sein, was an sich nicht Stein, nicht Erde, Leichnam, Mensch, Embryo, Blut oder etwas anderes ist, was aber, nachdem es Blut war, Embryo wird, indem es das Embryo-Sein annimmt. Nur die Formen wechseln, die Materie aber ist unvergänglich, fest, ewig, die wahrhaft seiende Substanz.« »Sie ist nicht eigentlich körperlich, denn sie hat alle Arten von Gestaltungen und körperlichen Richtungen, und weil sie alle hat, so hat sie keine von allen« (l.c. IV). Die Materie ist als Wirksamkeit göttlicher Natur (ib.). Das ist die Reaction gegen die häufige Verachtung, Geringwertung der Materie bei den christlichen Philosophen des Mittelalters. R. FLUDD nimmt einen Urstoff, »universa massa«, welcher die Finsternis ist, an. Die Materie ist formlos, qualitätlos, hat die Möglichkeit zu allen Körpern in sich (Historia utriusque cosmi, C. 4, 6). Ähnlich OETINGER.

Nach GALILEI ist die Materie stets unverändert und dieselbe (Discorsi, Opp. III, p. 4). Sie besteht aus unausgedehnten Atomen (II Saggiatore, Opp. II, p. 342). Die Constanz der Materie behauptet auch F. BACON: »Omnia mutari et nil vere interire, ac summam materiae prorsus eandem manere satis constat« (Opuscul. philos., Works V, p. 82). Nach HOBBES ist die Materie nichts als »corpus generaliter sumptum« (De corp. C. 8, 24), d.h. der Körper bloß hinsichtlich seiner Größe und Ausdehnung und der Fähigkeit, Form und Accidentien anzunehmen, betrachtet (ib.). DESCARTES scheidet schroff die Materie als besondere Substanz (s. d.) vom Geiste. Sie hat keine inneren Kräfte, ist nichts als »res extensa«, mit der Eigenschaft der Bewegung (s. d.), rein passiv, sie ist erfüllter Raum. Die Ausdehnung constituiert die Natur der »substantia corporea« (Princ. philos. I, 63). »Quod agentes, percipiemus naturam materiae, sive corporis in universum spectati, non consistere in eo quod sit res dura, vel ponderosa, vel colorata, vel alio aliquo modo sensus afficiens; sed tantum in eo, quod sit extensa in longum, latum et profundum« (l.c. 11, 4). Eine und dieselbe Materie liegt dem Himmel und der Erde zugrunde (l.c. II, 22). »Materia itaque in toto universo una et eadem existit; utpote quae omnis per hoc unum tantum agnoscitur, quod sit extensa. Omnesque proprietates, quas in ea clare percipimus, ad hoc unum reducuntur quad sit partibilis et mobilis[633] secundum partes; et proinde capax illarum omnium affectionum, quas ex eius partium motu sequi posse principimus. Partitio enim, quae sit sola cogitatione, nihil mutat; sed omnis materiae variatio, sive omnium eius formarum diversitas, pendet a motu« (l.c. II, 23). Auch SPINOZA bestimmt die Materie durch das Prädicat der Ausdehnung. sie ist nicht Substanz, sondern Attribut (s. d.) der einen Substanz (s. d.). MALEBRANCHE setzt »matière« und »l'étendue« gleich. Die Materie hat zwei Eigenschaften: »celle de recevoir différentes figures« und »la capacité d'être mue« (Rech. I, 1). »La matière est toute sans action« (ib.). GASSENDI erklärt: »Quia imprimis sensu manifestum est, in rerum natura multa fieri et multa quoque interiere: ideo mente tenendum est, opus ad hoc esse materia, ex qua res gignantur, in quam resolvantur« (Philos. Epic. synt. II, sct. I, 4). Die Materie besteht aus Atomen (l.c. II, sct. I, 5 squ.). Nach NEWTON besteht die Materie aus harten, undurchdringlichen, beweglichen Teilchen (Opt. qu. 31, p. 325). Nach J. BOSCOVICH sind die »primae materiae elementa« »puncta penitus inextensa et indivisibilia, a se invicem aliquo intervallo disiuncta« (Theor. philos. 1763, p. 41). Vgl. Atomistik.

Nach H. MORE besteht die Unmaterie aus gleichartigen Monaden (Enchir. met.). Bildende (plastische) Kräfte (»vires plasticae«) schreibt R. CUDWORTH der Materie zu (Syst. intell.). Nach GLISSON kommt ihr ein Streben zu (Tract. de natur. subst. energ. p. 90 f.). Dynamisch bestimmt die Materie LEIBNIZ. »Materia prima« ist die Widerstandskraft (»antitypia«), die Receptivität, die Kraft der Undurchdringlichkeit, eine rein passive Kraft (Erdm. p. 157, 463, 466, 691). Die »materia secunda« ist eine Erscheinung, aber ein »phaenomenon bene fundatum« (l.c. p. 725), die »verworrene« Vorstellung von geistigen Monaden (s. d.), deren Aggregat sich uns als Körper, als »substantiatum«, darstellt (vgl. Gerh. IV, 18; Nouv. Ess. IV, ch. 3). – Nach CHR. WOLF ist Materie »illud, quod determinantur in ente composito« (Ontolog. § 948). Sie ist »extensum vi inertiae praeditum« (Cosmolog. § 141). »Dasjenige nun, was einem Körper die Ausdehnung gibt mit seiner widerstehenden Kraft, wird die Materie genennet« (Vern. Ged. I, § 607). Sie besteht aus Natur-Monaden (s. d.). RÜDIGER unterscheidet die Materie, deren Wesen die Ausdehnung bildet, von der Körperlichkeit, die in der Elasticität besteht. Die Seele (s. d.) ist materiell, aber nicht körperlich. Nach L. EULER besteht das Wesen der Materie im Trägheitswiderstand.

LOCKE definiert die Materie (»matter«) als »an extended solid substance« (Elem. of nat. philos. ch. 1). Die »Materie« ist ein unklarer, problematischer Begriff, sie ist nur eine Abstraction vom Körper, bezeichnet die überall gleiche und einförmige Dichtigkeit der Körper (Ess. III, ch. 10, § 15). Für sich allein ist die Materie passiv, unbewegt (l.c. IV, ch. 10, § 10). Als bloße Vorstellung faßt die Materie A. COLLIER auf: »All matters, which exist, exist in or dependantly on mind« (Clav. univ. p. 10). BERKELEY bestreitet die Existenz einer Materie. Sie ist nichts als der abstracte Begriff eines Wesens (»being«) überhaupt (Princ. XVII), existiert weder außer noch in dem Bewußtsein (l.c. LXVII). Die Annahme einer Materie (»Materialismus«, (s. d.)) nützt nichts, die Erscheinungen der Natur sind direct durch das Wirken Gottes zu erklären (l.c. LXXII). Da alle Qualitäten (s. d.) samt Ausdehnung und Bewegung nur Vorstellungen sind, so hat die Materie keinen realen Sinn (l.c. LXXIII, LXXX). Auch HUME hält den Begriff der Materie für eine bloße Fiction (Treat. IV, sct. 3; vgl. Substanz). – BOYLE definiert die »universal matter« als »an extended, divisible and inpenetrable stubstance« (Works 1738, p. 197).[634]

Die Materialisten (s. d.) halten die Materie, das Materielle für absolut real. Nach PRIESTLEY ist die Materie »a substance possessed of the property of extension and of powers of attraction or repulsion« (Disquls. I, Introd. p. II). HOLBACH erklärt: »La matière en général est tout ce qui affecte nos sens d'une façon quelconque« (Syst. de la nat. I, ch. 3, p. 31). »La matière est éternelle et nécessaire, mais ses combinaisons et ses formes sont passagères et contingentes« (l.c. I, ch. 6). – Nach DIDEROT ist die Materie ewig, in sich selber bestehend, sie hat (in ihren Atomen) Empfindung (Pensées sur l'interprét. de la nat. 175; Sur la matière et sur le mouvement, 1770). Nach D'ALEMBERT ist das Wesen der Materie unbekannt (Mél. T. V). ROUSSEAU nennt Materie alles, was außer uns wahrgenommen wird und was auf unsere Sinne wirkt (Emil IV). BONNET betont: »In n'existe point de matière en général; mais il existe une infinité de corps particuliers, dans lesquels nous remarquons des déterminations communes et des déterminations propres. Nous déduisons de celles-là, par la réflexion, la notion des attributs essentiels des corps, et nous donnons a la collection de ces attributs le nom de matière« (Ess. analyt., préf. p. XXVI f.).

Phänomenalistisch und dynamisch ist der Begriff der Materie bei KANT. Da alle Qualitäten (s. d.) sowie Ausdehnung und Bewegung subjectiver Natur, da ferner die Kategorien (s. d.) des Denkens apriorisch-subjectiv sind, insbesondere auch der Begriff der Substanz (s. d.), so ist die Materie kein Ding an sich (s. d.), sondern die Erscheinung eines solchen ganz in der Form unserer Anschauung und unseres Denkens, als solche aber, empirisch, objectiv real. Sie hat eine Wirklichkeit, »die nicht geschlossen werden darf, sondern unmittelbar wahrgenommen wird« (Krit. d. r. Vern. S. 314). Die Materie der Erscheinung (das Physische) bedeutet ein Etwas, das im Raume und in der Zeit angetroffen wird und der Empfindung correspondiert (l.c. S. 555). Die Materie ist die Resultierende von Anziehungs- und Abstoßungskräften. Die Abstraction von der Erfahrung der Undurchdringlichkeit (s. d.) bringt in uns den Begriff der Materie hervor (Träume ein. Geisterseh. I. T., 1. Hptst.). Die Materie hat »eine Kraft der Zurückstößung« (ib.). Materie ist »das Bewegliche im Raume«, »das Bewegliche, sofern es einen Raum erfüllt«, d.h. allem Beweglichen widersteht (Met. Anf. d. Naturw. S. l, 31), und zwar durch eine »besondere bewegende Kraft« (l.c. S. 33). »Die Materie erfüllet ihre Räume durch repulsive Kräfte aller ihrer Teile, d. i. durch eine ihr eigene Ausdehnungskraft, die einen bestimmten Grad hat, über den kleinere oder größere ins Unendliche können gedacht werden« (l.c. S. 36). Alle Materie ist daher ursprünglich elastisch (l.c. S. 37). »Materielle Substanz ist dasjenige im Raume, was für sich, d. i. abgesondert von allem anderen, was außer ihm im Raume existiert, beweglich ist« (l.c. S. 42; vgl. S. 106). Materie ist »das Bewegliche, sofern es, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung sein kann« (l.c. S. 138). Es kann nur »eine ursprüngliche Anziehung im Conflict mit der ursprünglichen Zurückstoßung einen bestimmten Grad der Erfüllung des Raumes, mithin Materie möglich machen« (l.c. S. 70). »Bei allen Veränderungen der körperlichen Natur bleibt die Quantität der Materie im ganzen dieselbe, unvermehrt und unvermindert« (l.c. S. 116; vgl. dazu die chemischen Versuche LAVOISIERS).

Bei der Mehrzahl der philosophischen Systematiker nach Kant herrscht ein dynamischer Materie-Begriff, der vielfach zugleich phänomenologisch ist, indem die Materie als objective oder subjective Erscheinung, auch als Product immaterieller Kräfte oder Tätigkeiten betrachtet wird.[635]

Nach LICHTENBERG ist die Materie ein abstracter Begriff, dem empirisch nur Kräfte entsprechen. Phänomenal ist der Begriff der Materie nach BOUTERWEK (Lehrb. d. philos. Wiss. I, 154). A. WEISHAUPT betont: »Keine Materie als solche wirkt; alle Wirkungen der Materie sind also Wirkungen der immateriellen Kräfte, aus welchen sie besteht« (Üb. Material. u. Ideal.2, S. 46). Alle Materie, alle Ausdehnung, alle Zusammensetzung ist Erscheinung (l.c. S. 183). Nach KRUG ist die Materie »ein Tätiges oder Wirksames im Raume, so da, wir von ihr eben nichts weiter als diese Wirksamkeit erkennen«. »Die Materie ist also als ein ursprünglich dynamisches Etwas zu denken« (Handb. d. Philos. I, 331). Nach J. G. FICHTE ist die (nur als Product des »Ich«, (s. d.), existierende) Materie »das, was im Raume ist und denselben ausfüllt« (Syst. d. Sittenl. S. 162). SCHELLING erklärt: »Aller Stoff ist bloßer Ausdruck eines Gleichgewichts entgegengesetzter Tätigkeiten, die sich wechselseitig auf ein bloßes Substrat von Tätigkeiten reducieren« (Syst. d. tr. Ideal. S. 101). »Alle Materie ist innerlich eins, dem Wesen nach reine Identität« (Naturphilos. I, 239). »Materie ist... etwas, was, nach drei Dimensionen ausgedehnt, den Raum erfüllt« (l.c. S. 246). Sie besteht nur »durch Wirkung und Gegenwirkung anziehender und zurückstoßender Kräfte« (l.c. S. 247), sie ist nichts »als diese Kräfte im Conflict gedacht« (l.c. S. 266). »Materie und Körper also sind selbst nichts als Producte entgegengesetzter Kräfte, oder vielmehr selbst nichts anderes als diese Kräfte« (l.c. S. 270). Die Materie ist das erste »Etwassein« des Welt-Subjects. Dies ist die nichtkörperliche Urmaterie, die Potenz der sinnlich wahrnehmbaren Materie (WW. I 10, 104). L. OKEN bestimmt: »Materie ist nur die sichtbar gewordene, begrenzte Tätigkeit... Es gibt keine tote Materie, sie ist durch ihr Sein lebendig, durch das Absolute in ihr.« Urmaterie ist der (göttliche) Äther (Naturphilos. I, 42 ff.). Die Materie ist ewig, grenzenlos (l.c. S. 41). Nach J. E. v. BERGER ist die Materie eine Abstraction, ideale Principien sind das Wirksame in ihr (Zur philos. Naturerk. 1821). Ähnlich LAMMENAIS. STEFFENS erklärt: »Das Absolute, insofern es die Indifferenz aller Dimensionen ist, ist die Materie.« »Die Materie ist ewig und das Absolute der Natur selbst.« »Der Raum ist von der Materie nicht verschieden, sondern ist die Materie selbst, insofern ihm die endliche Unendlichkeit der Zeit eingepflanzt ist« (Grdz. d. philos. Naturwiss. S. 23). Nach SCHLEIERMACHER ist »Materie« »nicht nur das Raumerfüllende, sondern auch das nur Zeiterfüllende, das chaotisch Materielle des Bewußtseins«. (Dial. S. 140). Nach H. RITTER gibt es keine Materie, der nicht ein inneres oder geistiges Dasein entspräche. »Der Raum wird nicht erfüllt durch materielle Substanzen. Atome u.s.w., sondern durch Tätigkeiten oder Kräfte..., welche, von verschiedenen Subjecten ausgehend, steh in einem Raume sättigen und so die Undurchdringlichkeit der körperlichen Erscheinung bilden« (Abr. d. philos. Log.2, S. 45). Nach F. BAADER ist die Materie keine Substanz, sondern die Äußerlichkeit der nichtdenkenden Natur. Die Natur integriert beständig aus »immateriellen differentialen Materiell-Wesen« (Üb. d. Incompet. unserer dermal. Philos. S. 12 f., 31; vgl. Ferm. Cognit.). Jeder Körper besteht aus einem Kräfte-Ternar (Beitr. zur Elementarphysiol. 1796). Nach HEINROTH ist die Materie nur Kraft (Psychol. S. 264), sonst nichts (l.c. S. 264). Nach HILLEBRAND besteht das Materielle in »ursprünglichen, einfach wirkenden Selbstkräften, gleichsam bloß in einem mechanischen Sich-setzen« (Philo(s. d.) Geist. I, 49 ff.). HEGEL bestimmt die Materie als »Identität des Raumes und der Zeit, des unmittelbaren Außereinander und der [636] Negativität oder der als für sich seienden Einzelheit« (Encykl. § 261), als »das Reale an Raum und Zeit«, die »erste Realität, das daseiende Für-sich-sein«, als »positives Bestehen des Raumes«, als »dauerndes Etwas« in der Bewegung (Naturphilos.2, S. 67). »Die Materie ist die Form, in welcher das Außer-sich-sein der Natur zu ihrem ersten In-sich-sein kommt, dem abstracten Für-sich-sein, das ausschließend und damit eine Vielheit ist, welche ihre Einheit, als das für-sich-seiende Viele, in ein allgemeines Für-sich-sein zusammenfassend, in sich zugleich und noch außer sich hat – die Schwere« (l.c. S. 41 f.). Eine selbständige Substanz ist die Materie nicht, ihr Wesen besteht in Bewegung. K. ROSENKRANZ bemerkt: »Insofern... das Wesen, indem es sich als Existenz setzt, nach verschiedenen Seiten hin seinen Unterschied von andern Existenten verschieden auszudrucken vermag, kann es gegen diesen möglichen Wechsel der Form als die Materie erscheinen, welche gestaltet wird und als passiver Stoff gegen die active Form sich verhält« (Syst. d. Wiss. S. 67). Die Materie ist die Äußerlichkeit der Idee (l.c. S. 178). »Alle concrete Materie ist... qualitativ und quantitativ sich unaufhörlich verändernd« (l.c. S. 221). – BRANISS bestimmt die Materie als das Sein, »welches die entgegengesetzten Kräfte als verschwindende Momente zum Inhalt, deren Bestimmungen aber, nämlich Repulsion und Attraction, als ruhendes Außereinander und indifferente Einheit zu seiner Form hat« (Syst. d. Met. S. 324). Nach CHALYBAEUS ist die Materie das räumlichzeitlich Unendliche (apeiron), »das reale Moment im Absoluten«, das objective Sein des Unendlichen, ein der Störungen passiv fähiges, aber nicht activ productives Wesen (Wissenschaftslehre S. 105 ff.). Vgl. G. BIEDERMANN Philos. als Begriffswiss. II, 25 ff. Vgl. ROSMINI, Teosofia, V, p. 449 ff.

SCHOPENHAUER betrachtet die Materie als Erscheinung, Objectivation (s. d.) des »allgemeinen Willens zum Leben«. Ihr Sein ist »Wirken« (W. a. W. u. V. I. Bd., § 4). Aus der Vereinigung von Raum und Zeit entstehend, ist sie wie diese nur Vorstellung (l.c. § 7). Sie ist durch und durch Causalität, ist nur »die objectiv aufgefaßte Verstandesform der Causalität selbst«, die »objectivierte, d.h. nach außen projicierte Verstandesfunction der Causalität selbst, also das objectivierte hypostasierte Wirken überhaupt, ohne nähere Bestimmung seiner Art und Weise«. Die empirisch gegebene Materie manifestiert sich nur durch ihre Kräfte, jede Kraft inhäriert einer Materie; beide zusammen machen den empirisch realen Körper aus. Die Materie ist »die bloße Sichtbarkeit des Willens, nicht aber dieser selbst: demnach gehört sie dem bloß Formellen unserer Vorstellung, nicht aber dem Ding an sich an. Demgemäß eben müssen wir sie als form- und eigenschaftslos, absolut träge und passiv denken; können sie jedoch nur in abstracto also denken: denn empirisch gegeben ist die bloße Materie, ohne Form und Qualität, nie. Wie es aber nur eine Materie gibt, die unter den mannigfaltigsten Formen und Accidentien auftretend, doch dieselbe ist, so ist auch der Wille in allen Erscheinungen zuletzt einer und derselbe.« (Prolegom. II, § 75). Das, woraus alle Dinge werden und hervorgehen, muß als Materie erscheinen, »d.h. als das Reale überhaupt, das Raum. und Zeit Erfüllende, unter allem Wechsel der Qualitäten und Formen Beharrende, welches das gemeinsame Substrat aller Anschauungen, jedoch für sich allein nicht anschaubar ist« (ib.). In der Anschauung kommt sie nur in Verbindung mit der Form und Qualität vor, als Körper. Sie ist Bedingung, nicht Gegenstand der Erfahrung, wird nur gedacht als »das durch die Formen unseres Intellects, in welchem die Welt als Vorstellung sich darstellt, notwendig herbeigeführte, bleibende [637] Substrat aller vorübergehenden Erscheinungen«. Sie ist »dasjenige, wodurch der Wille, der das innere Wesen der Dinge ausmacht, in die Wahrnehmbarkeit tritt, anschaulich, sichtbar wird. In diesem Sinne ist also die Materie die bloße Sichtbarkeit des Willens oder das Band der Welt als Wille mit der Welt als Vorstellung. Dieser gehört sie an, sofern sie das Product der Functionen des Intellects ist, jener, sofern das in allen materiellen Wesen, d. i. Erscheinungen, sich Manifestierende der Wille ist« (W. a. W. u. V. II. Bd. C. 24). Die einmal von uns gesetzte Materie »können wir schlechterdings nicht mehr wegdenken, d.h. sie als verschwunden und vernichtet, sondern immer nur als in einen andern Raunz versetzt uns vorstellen: insofern also ist sie mit unserm Erkenntnisvermögen eben so unzertrennlich verknüpft, wie Raum und Zeit selbst. Jedoch der Unterschied, daß sie dabei zuerst beliebig als vorhanden gesetzt sein muß, deutet schon an, daß sie nicht so gänzlich und in jeder Hinsicht dem formalen Teile unserer Erkenntnis angehört, wie Raum und Zeit, sondern zugleich ein nur a posteriori gegebenes Element enthält. Sie ist in der Tat der Anknüpfungspunkt des empirischen Teils unserer Erkenntnis an den reinen und apriorischen, mithin der eigentümliche Grundstein der Erfahrungswelt« (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 24). Aus den innern Eigenschaften der Materie geht alle bestimmte Wirkungsart der Körper hervor, und doch wird die Materie selbst nie wahrgenommen, sondern zu den Wirkungen hinzugedacht (ib.). Jedes Object ist als Ding an sich Wille, als Erscheinung Materie; auf dem Willen beruht alles Empirische der Materie. Die niedrigste Stufe der Objectivation des Willens ist die Schwere. Was objectiv Materie ist, ist subjectiv Wille (ib.). Kraft und Stoff sind im Grunde eines. Für die physische Forschung ist die Materie der Ursprung der Dinge, die »mater rerum«, aber sie ist selbst ein Mittelbares, Secundäres, was der Materialismus (s. d.) verkennt (ib.). Alle Materie ist »nur für den Verstand, durch den Verstand, im Verstande« (l.c. I. Bd., § 4). Die Beharrlichkeit der Materie ist ein Reflex der Zeitlosigkeit des Subjectes: »So erscheint die endlose Dauer der Materie als Spiegel der Ewigkeit (d. i. Zeitlosigkeit) des Subjects« (Neue Paralipom. § 12).

HERBART betrachtet die ausgedehnte Materie als »objectiven Schein«, als Erscheinung. »Ebendieselbe Materie aber ist real, als eine Summe einfacher Wesen, und in diesen Wesen geschieht wirklich etwas, welches die Erscheinung einer räumlichen Existenz zur Folge hat.« Den innern Zuständen der »Realen« (s. d.), den »Selbsterhaltungen«, gehören »gewisse Raumbestimmungen, als notwendige Auffassungsweisen für den Zuschauer« zu, die »eben weil sie nichts Reales sind, sich nach jenen innern Zuständen richten. müssen«, so daß »ein Schein von Attraction und Repulsion« entspringt, deren Gleichgewicht den Dichtigkeitsgrad u.s.w. der Materie bestimmt (Lehrb. zur Psychol.3, S. 110 f.). »Die Cohäsion und Dichtigkeit jeder Materie hängt ab von einem Gleichgewichte zwischen Attraction und Repulsion, welches beides nicht von gewissen räumlichen Kräften der einfachen Wesen, sondern von der formalen Notwendigkeit herrührt, daß der äußere Zustand, d. i. die räumliche Lage, dem innern Zustande, d.h. den Selbsterhaltungen der Wesen, völlig entspreche« (Psychol. als Wissensch. II, § 153). Die Materie entsteht durch partielle Durchdringung der »Realen«. Je nach der Art und Stärke des Gegensatzes entsteht die feste oder starre Materie, der Wärmestoff (Caloricum), das Electricum, der Äther. Die Materie ist »kein Continuum, sondern ursprünglich eine starre Masse« (All. Met. II, § 246 ff., 253 ff., 269 ff., 274; Lehrb. zur Psychol.3, S.111). Die[638] Materie besteht aus unräumlichen Elementen, aus Monaden (Encykl. d. Philos. S. 221; vgl. Lehrb. zur Einl.5, S. 178 ff., 314 ff.). Eine innere Bildsamkeit kommt ihr zu. Als Erscheinung von immateriellen realen Wesen betrachten die Materie die Herbartianer VOLKMANN, R. ZIMMERMANN (Anthropos.), O. FLÜGEL, u. a. – RENAN erklärt: »Alles geht von der Materie aus, aber die Idee ist es, die alles belebt.« »Nichts besteht ohne Materie, aber die Materie ist nur die Bedingung des Seins, nicht die Ursache« (Philos. Dial. u. Fragm. p. 41 f.). Nach TRENDELENBURG versteht das Denken die Materie nur durch die Bewegung als deren Wesen. W. WEBER hat den Begriff einer »Masse, an welcher die Vorstellung der räumlichen Ausdehnung gar nicht notwendig haftet« (bei FECHNER, Atomenl.2, S. 88 f.). Nach LOTZE ist die Materie »ein System unausgedehnter Wesen..., die durch ihre Kräfte sich ihre gegenseitige Lage im Raume vorzeichnen, indem sie der Verschiebung untereinander wie dem Eindringen eines Fremden Widerstand leisten, jene Erscheinung der Undurchdringlichkeit und der stetigen Raumerfüllung hervorbringen« (Mikrok. I2, 403). »Es bleibt... bloß die eine Ansicht übrig, die einfachen Wesen oder die Atome der Physik als unausgedehnte Mittelpunkte von Kräften, d.h. von aus- und eingehenden Wirkungen, jede stetige Materie aber als eine bloße Erscheinung anzusehen, die aus einer Vielheit wechselwirkender discreter Atome besteht« (Gr. d. Met.2, S. 79). Die träge Materie ist kein Wahrnehmungsgegenstand, sondern eine Hypothese (Med. Psychol. S. 58 ff.). Die Eigenschaften der Materie sind nur »Formen des äußerlichen Verhaltens mehrerer Subjecte gegeneinander« (l.c. S. 63). ULRICI faßt alle Materie als »Kraftäußerung« auf, als Erscheinung der »einfachen Central- und Widerstandskräfte« eines Dinges, nicht als totes Substrat (Leib u. Seele S. 30 ff.). Der Stoff ist nur die Erscheinung der Kraft, ist an sich Kraft, Widerstandskraft (Gott u. d. Nat. S. 456 ff., 19). Ähnlich K. SNELL (Streitfr. d. Mat. S. 327). Nach M. CARRIERE ist die Materie »das Phänomen, die Erscheinung des Zusammentreffens der Kraft in uns mit Kräften außer uns; die Kräfte in ihrer Wechselbeziehung bringen den Stoff hervor« (Sittl. Weltordn. S. 32). Die Materie ist Widerstandskraft (l.c. S. 33). Nach J. H. FICHTE ist die ausgedehnte Materie nur ein »Phänomen... auf dem Augenpunkte unseres Bewußtseins«, Erscheinung, Bild eines Realen (Psychol. I, 34 f.). E. v. HARTMANN bestimmt die Materie (die vom sinnlichen »Stoff« zu unterscheiden ist) als »System von Atomkräften«, »Dynamidensystem« (wie REDTENBACHER), »System von Atomkräften mit gewissem Gleichgewichtszustande« (Philo(s. d.) Unbew.3, S. 474, 484), objective Erscheinung unbewußter Willenskräfte (s. d.). Der Begriff der Materie ist nicht zu eliminieren (Weltansch. d. mod. Phys. S. 206 ff.; ähnlich A. DREWS, Das Ich S. 261 ff.). Nach R. HAMERLING ist die Materie, genau besehen, ein Immaterielles (Atomist. d. Will. II, 47). »Materie ist in alle Ewigkeit nichts anderes als die Combination sinnfälliger Wirkungen immaterieller Kräfte« (l.c. S. 49), nur »Folgeerscheinung von Kraft«, nicht Ursache und Träger derselben (1.c. S. 50 f., ähnlich NIETZSCHE, s. Mechanisch). Nach G. SPICKER ist die Materie »nichts anderes als die mittelst der Empfindung vorgestellte Kraft« (K. H. u. B. S. 196). Dynamisch bestimmen die Materie auch VACHEROT (La science et la conscience 1866), CH. LEVÈQUE (La science et l'invisible 1865), BOUILLIER (Le princ. vitale2, 1874), P. JANET, WALLACE, ZÖLLNER, A. WIESNER. Nach HELLENBACH ist die Materie nur eine Zusammensetzung individueller Kraftwesen (Der Individual. S. 188). Ein System von Kräften ist sie nach DU PREL (Mon. Seelenl. S. 301).[639] O. CASPARI führt die Materie auf Kraft zurück (Zusammenh. d. Dinge S. 5). Nach F. ERHARDT liegt die Realität der Materie in der Kraft (Wechselwirk. zw. Leib u. Seele S. 101 ff.). – Nach RENOUVIER ist die Materie die Erscheinung von Monaden (s. d.). FECHNER betrachtet das Materielle als die Erscheinung desselben, was an sich geistig ist (Zend-Av. II, 164). Geistigem und Materiellem liegt ein Wesen zugrunde (l.c. E, 149). Die Materie ist für den naiven Verstand das »Handgreifliche«, für den Physiker die »allgemeinste Unterlage der Naturerscheinungen« (Physikal. u. philos. Atom.2, S. 105 f.). Nach E. SPENCER ist die Vorstellung der Materie »nur das Symbol irgend einer Form jener Macht..., die uns absolut und für immer unbekannt bleibt« (Psychol. I, § 63; First. princ. § 16). »Die Darstellung aller objectiven Tätigkeiten in Ausdrücken der Bewegung ist nur eine Darstellung und nicht eine Erkenntnis derselben« (Psychol. I, § 63, S. 166). Die Vorstellung der Materie beruht auf der Wahrnehmung des Widerstandes. »It follows, that forces are standing in certain relations from the whole content of our idea of matter« (First princ. I, § 3). LEWES erklärt: »Matter is the felt viewed in its statical aspect« (Probl. II, 262). »Force« ist »activity of the felt«. »Matter is the symbol of all the known properties« (l.c. p. 264). RIEHL bestimmt die Materie als die (phänomenale) »Substanz im Raume«, »die von den räumlichen Empfindungen des Drucks und des Widerstandes abgeleitete Vorstellung des Realen, als Substrat der objectiven Teilvorstellung« (Philos. Kritic. II 1, 274 f.). Nach R. WAHLE ist die Materie eine bloße subjective Wirkung, eine Vorstellung; ihr entspricht eine unbekannte Ursache (Kurze Erkl. S. 172). Sie ist kein Agens, ist ohne Kräftigkeit (Das Ganze d. Philos. S. 107 ff.). Nach MAINLÄNDER ist die Materie »die apriorische gemeinsame Form für alle Sinneseindrücke« (Philo(s. d.) Erlös. S. 7).

FROHSCHAMMER setzt das Wesen der Materie in die Räumlichkeit (Die Phantas. S. 230), CZOLBE in die Ausdehnung (s. d.). Nach E. DÜHRING ist die Materie der »Träger alles Wirklichen« (Log. S. 201), das »Weltmedium.« als »Inbegriff aller Regungen und Kräfte«, »ein großer Gesamtkörper, der unter sich relativ getrennte Gruppen befaßt« (ib.). Nach Lord KELVIN ist die Materie eine durch Wirbelbewegung entstehende Differenzierung des Äthers, sie besteht aus Wirbelatomen (»vortex atoms«). – MOLESCHOTT betont: »Kein Stoff ohne Kraft. Aber auch keine Kraft ohne Stoff« (Kreisl. d. Leb.4, S. 394). So auch L. BÜCHNER (Kr. u. St. S. 2). Nach Du BOIS-REYMOND sind Kraft und Materie nur Abstractionen der Dinge ohne isolierten Bestand (Unters. üb. d. tier. Elektric. I, S. XLI). Das Wesen der Materie ist unerkennbar (l.c. I, 105 ff.). – ÜBERWEG erklärt: »Materie und Kraft – bezeichnen die zweifache Auffassung einer untrennbaren Einheit, einesteils durch die Sinneswahrnehmung, anderesteils nach der Analogie der inneren Wahrnehmung von unserer eigenen Willenskraft« (Log. S. 84). Nach Überweg sind Materie und Kraft »nur zwei verschiedene Weisen der Auffassung des nämlichen Seins«. »Materie ist sinnlich angeschaute Kraft.« »Kraft ist die nach der Analogie der innern Wahrnehmung, insbesondere der Wahrnehmung von unserem Wollen, vorgestellte Realität der erscheinenden Materie« (Welt- und Lebensansch. S. 52 f.). Nach HAGELMANN sind Kraft und Stoff nicht zu trennen. »Betrachten wir nämlich die Körper in ihren wirkungslosen Dasein als das Raumerfüllende, Beharrliche, was aus sich nicht zur Bewegung oder zur Ruhe kommt, so nennen wir dieses Stoff oder Materie. Dasjenige hingegen, was den verschiedenen Eigenschaften[640] und Wirkungsweisen der Körper zugrunde liegt, nennen wir die Kräfte derselben« (Met.9, S. 65).

ROBINET, GOETHE, L. NOIRÉ, L. GEIGER, E. HÄCKEL, BÖLSCHE, CLIFFORD, ROMANES u. a. (s. Hylozoismus) schreiben der Materie Leben, Trieb, Empfindung zu.

Nach WUNDT ist der Begriff der Materie der Niederschlag der begrifflichen Verarbeitung der äußern Erfahrung, für die allein er Gültigkeit hat; sie ist ein Hülfsbegriff zur Erledigung der naturwissenschaftlichen Aufgaben, der aus dem »Bedürfnis der Causalerklärung stammt. Hypothetisch ist dieser Begriff insofern, als verschiedene Voraussetzungen über die Eigenschaften der Materie denkbar sind, welche Postulate der Anschauung sind.« Die Materie wird gedacht als »das Substrat der in den äußeren Anschauungen gegebenen Erscheinungen«, als »Sitz der Kräfte oder der Energien«, als System der Ausgangs- und Angriffspunkte der Kräfte. Die Materie ist die Form, unter der unser Denken die ihm gegebenen Objecte appercipiert, begreift (Log. I2, 537 ff., 548 ff., 626 ff.; II2, 1, 327 ff.; Syst. d. Philos.2, S. 284 ff., 438, 461 ff.; Philos. Stud. II, 187, X, 11 ff., XIII, 80). »Die Materie ist ein Begriff und keine Anschauung. Die letztere hat es nur mit zusammengesetzten Körpern zu tun. Die Erscheinungen, welche an diesen sich darbieten, nötigen uns erst, jenen hypothetischen Begriff zu bilden, der den Zusammenhang der Erscheinungen deutlich machen soll« (Ess.2, S. 36). In den ursprünglichen Bedingungen der Naturerkenntnis liegt die Aufgabe, die Natur als ein System beharrender Substanzelemente zu begreifen, die nur äußere Causalitätsverhältnisse zueinander darbieten (Syst. d. Philos.2, S. 275). Daher ist die Materie nicht zu eliminieren (ib.). An sich jedoch gibt es keine Materie als Wesen, sondern Tätigkeit, Willen (s. d.). Der Satz von der Constanz der Materie ist ursprünglich eine Denkforderung, alle Veränderung in das Princip der Causalität aufzunehmen. »Die materielle Substanz bleibt beharrlich, weil ihre Causalität als ein bloßes Princip äußerer Veränderungen angenommen ist. Diese äußeren Veränderungen bestehen in räumlichen Lageänderungen, also in einem bloßen Wechsel der äußeren Relationen der Substanzelemente, wobei die Elemente selbst constant bleiben.« Auf die äußeren Relationen der Dinge muß sich die Naturwissenschaft beschränken (Syst. d. Philos.2, S. 260 ff.; Philos. Stud. II, 182, 187 f.). UPHUES führt die Materie auf Undurchdringlichkeit zurück (Psychol. d. Erk. I, 85). Nach THOMSON und TAIT ist die Materie »that which can be perceived by the senses«, »that which can be acted upon by, or can exert force« (Natural Philos. 161). KROMAN erklärt: »Die Materie kann nicht aus nichts entstehen oder sich in nichts verwandeln. Dagegen, ist die Behauptung von dem constanten Quantum der Materie in der Welt mit Unrecht als notwendiges Princip aufgestellt« (Unsere Naturerk. S. 289 ff., 296).

Der erkenntnistheoretische Idealismus (s. d.) erblickt in der Materie nur einen für die Interpretation der Erfahrungen notwendigen Begriff oder eine Vorstellung. So SCHUBERT-SOLDNER, dem die Materie »ein räumliches Zusammen sinnlicher Qualitäten« ist, deren Grundlage der »qualitativ bestimmte, also anschauliche, concrete Raum« ist (Gr. e. Erk. S. 59, 63). SCHUPPE definiert die Materie als einen »mit Sinnesqualitäten erfüllten Raum« (Log. S. 83). Ähnlich V. LECLAIR, M. KAUFFMANN (vgl. Immanenzphilosophie). COLLYNS-SIMON betont, »that there is no material substance in the Universe« (Universal Immaterial. p. 198 ff.). Eine vom Erkennenden unabhängige Materie gibt es nicht nach J. F. FERRIER, GREEN, BRADLEY u. a. Nach H. COHEN ist die[641] Materie die »objectivierte Empfindung«, »diejenige Gruppe von Erscheinungen des Bewußtseins, an welcher wir die andere Gruppe derselben, die psychischen, studieren müssen« (Princ. der Infin. S. 103). »Materielle Teilchen sind zunächst geometrische Punkte, an welchen dynamische Beziehungen verrechnet werden, und welche, sofern solche dynamischen Beziehungen der Rechnung gemäß unter ihnen obwalten, zu materiellen Punkten und Teilchen werden« (l.c. S. 134). Stoffliche Massenpunkte sind nicht anzunehmen (l.c. S. 135). Nach ZIEHEN ist die Materie nur eine allgemeine Hypothese, sie ist nicht Erlebnis, sondern zu den Empfindungen und Vorstellungen hinzugedacht als Ursache, als Inbegriff von Kraftcentren (Leitfad, d. physiol, Psychol.4, S. 25). Nach MÜNSTERBERG ist die Materie nicht in den wirklichen Dingen, sondern nur in den physikalischen Objecten, den Producten einer Abstraction, wirksam (Grdz. d. Psychol. I, 390). Sie ist ein »Abschlußbegriff für die Ausarbeitung der Objecte« (l.c. S. 391). Nach CLIFFORD ist die Materie »ein Gedankenbild, in dem Seelenstoff (mind-stuff, (s. d.)) das vorgestellte Ding ist«, ein Bild des Wirklichen im Geiste (V. d. Nat. d. Dinge an sich S. 47). Nach E. MACH ist die Materie nur »ein Gedankensymbol für Empfindungen« (Populärwiss. Vorles. S. 230), »ein gewisser gesetzmäßiger Zusammenhang der Elemente«, wobei das »Verbindungsgesetz« das Beständige ist (Analy(s. d.) Empfind. S. 222 f.). »Das Ding, der Körper, die Materie ist nichts außer dem Zusammenhang der Farben, Töne u.s.w., außer den sogenannten Merkmalen« (Analy(s. d.) Empfind.4, S. 5). Die Annahme eines Stoffes als absoluten Trägers der Kraft ist eine Illusion. So auch nach OSTWALD, der den Begriff der Materie ganz eliminieren und durch den der Energie (s. d.) ersetzen will (Überwind. d. wissensch. Material.). Materie ist nichts als »eine räumlich zusammengesetzte Gruppe verschiedener Energien« (l.c. S. 28), ein »räumlich zusammengeordneter Complex gewisser Energien« (Vorl. üb. Naturphilos.2, S. 245). »Dadurch..., daß eine Anzahl von Eigenschaften, wie Masse, Gewicht, Volum, Gestalt und Farbe, dauernd örtlich beisammen bleibt und sich zum Teil gar nicht (wenigstens nicht meßbar), zum Teil nur in geringem Maße mit der Zeit und den äußeren Umständen ändert, ist der Begriff eines von aller Zeit und allen Umständen unabhängigen Trägers entstanden, an dem diese Eigenschaften haften« (Energet. S. 5). Ähnlich lehrt TAIT (Properties of Matter 1886; vgl. auch die Arbeiten STALLOS). H. CORNELIUS betont: »Von einem Gegensatze zwischen der Welt der Erscheinungen und einer unabhängig von diesen Erscheinungen bestehenden materiellen Welt im Sinne eines Gegensatzes 'bloßer Erscheinung' und 'wahren Seins' ist hier nicht mehr die Rede: die materielle Welt ist ihrer empirischen Bedeutung nach nur ein abgekürzter Ausdruck für die gesetzmäßigen zusammenhänge der Erscheinungen.« Die »Massen« und »Kräfte« sind nichts als solche Zusammenhänge; »der Wert dieser Begriffe beruht nur darin, daß durch ihre Einführung die Beschreibung unserer Erfahrungen eine Vereinfachung erfährt« (Einleit. in d. Philos. S. 327). – Gegen die »reine Energetik« sind WUNDT, E. V. HARTMANN U. a. RIEHL bemerkt: »In den Capacitäten... steckt der empirische Begriff der Materie, und statt diesen Begriff wirklich eliminieren zu können, hat die Energetik ihn nur anders benannt. Mag die Materie immerhin ein Abstractum sein, darum ist sie noch kein bloßes Gedankending; Sie ist überhaupt kein Ding, sondern die Vorstellungsart von Dingen durch die äußeren Sinne.« In jedem physikalischen Erscheinungsgebiete treffen wir auf besondere Größen, die wir uns naturgemäß nur unter dem Bilde der Materie vorstellen können. »Wir werden die Materie[642] nicht los wie wir den Raum nicht los werden« (Zur Einf. in d. Philos. S. 148 f.). Vgl. J. C. S. SCHILLER, Riddles of the Sphinx2, 1894; KRAMAR, Das Problem d. Materie; SIGWART, Log. II2, 244 ff., 705; MAXWELL, Matter and Motion, dtsch. 1875; BAEUMKER, Problem d. Materie; CHERVREUIL, Résumé d'une histoire de la matière 1878. Vgl. Körper, Object, Substanz, Kraft, Unendlichkeit, Atom, Element, Materiell.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 628-643.
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