[856] Zweifel (dubium, dubitatio) ist der (gefühlsmäßig charakterisierte) Zustand der Unentschiedenheit, des Schwankens zwischen mehreren Denkmotiven, deren keines das volle Übergewicht hat, so daß das Denken nicht durch objective Gründe bestimmt werden kann. Während der Skepticismus (s. d.) den absoluten Zweifel an der Erkenntnisfähigkeit des Menschen zum Princip macht, besteht der methodische Zweifel (doute méthodique) in der provisorischen Bezweiflung von allem, was noch nicht methodisch-kritisch festgestellt, gesichert erscheint.
AUGUSTINUS betont die Unmöglichkeit des absoluten Zweifels. »Omnis qui se dubitantem intelligit, verum intelligit, et de hac re quam intelligit certus est. de vero igitur certus est. Omnis igitur qui, utrum sit veritas, dubitat, in se ipso habet verum, unde non dubitet. nec ullum verum nisi veritate verum est. Non itaque oportet eum de veritate dubitare, qui potuit undecunque dubitare« (De vera relig. 39, 73. vgl. THOMAS, Sum. th. I, 2, 1. DUNS SCOTUS, Sent. I, d. 2, qu. 2). Als Ausgangspunkt des Philosophierens nimmt den Zweifel RAYM. LULLUS (Tabula general. p. 15), besonders aber DESCARTES. Will man festes Wissen gewinnen, muß man seine dogmatischen Meinungen prüfen, von vorn anfangen (Med. I). Vor aller Philosophie gibt es nichts, »de quo non liceat dubitare« (ib.). »Quoniam infantes nati sumus et varia de rebus sensibilibus iudicia prius tulimus, quam integrum nostrae rationis usum haberemus, multis praeiudiciis a veri cognitione avertimur. quibus non aliter videmur posse liberari, quam si semel in vita de iis omnibus studemus dubitare, in quibus vel minimam incertitudinis suspicionem reperiemus« (Princ. philos. I, 1 f.).[856] GOCLEN bestimmt: »Dubitatio est, cum haeremus ob contrariarum rationum aequalitatem, quia sunt paria rationum momenta« (Lex. philos. p. 560). MICRAELIUS erklärt: »Dubium est, quando intellectus iudicat neutram contradictionis partem esse satis manifestam et neutri prae altera assentitur.« »Dubitatio est, qua suspendimus mentem ad assensum« (Lex. philos. p. 352). Ähnlich SPINOZA (Em. intell.). HOBBES erklärt: »In quaestione veri vel falsi series tota opinionum alternarum dicitur dubitatio« (Leviath. I, 7). Verschiedene Arten des Skepticismus (s. d.) unterscheidet HUME (Inquir sct. XII). H. S. REIMARUS erklärt: »Wir zweifeln an einer Sache, wenn wir unsern Beifall, wegen gewisser Umstände, die dem Satze zu widersprechen scheinen zurückhalten« (Vernunftlehre, § 348 ff.). KRUG erklärt: »Wenn die Gründe für und wider eine Behauptung an Zahl und Wert einander gleich sind oder wenigstens zu sein scheinen, so entsteht der Zustand des Zweifelns« (Fundamentalphilos. S. 272). FRIES bemerkt: »Der Widerstreit durch gegeneinander stehende Gründe und Gegengründe gibt den Zweifel« (Syst. d. Log. S. 410). Nach BOLZANO heißt, an einem Satze zweifeln, »sich diesen Satz vorstellen, aber aus Mangel eines hinreichenden Grundes weder ihn selbst, noch sein Gegenteil behaupten« (Wissenschaftslehre I, S. 155, § 34. vgl. BIUNDE, Empir. Psychol. I 2, 329 ff.). W. ROSENKRANTZ erklärt: »Jeder Zweifel ist... ein noch unvollendetes Urteil, bei welchem die Bejahung oder Verneinung eines Prädicates an einem Subjecte in Frage steht.« »Ohne alle Gewißheit wäre das Zweifeln selbst gar nicht möglich« (Wissensch. d. Wiss. I, 125). Nach HARMS ist das Wissen und nicht der Zweifel der Anfang der Philosophie (Psychol. S. 21). – Nach NAHLOWSKY ist der Zweifel »das Gefühl des Unentschiedenseins, welcher von mehreren, als gleich möglich gedachten Ausgängen einer Sache sich dann endlich als der wirkliche erweisen werde« (Das Gefühlsleben, S. 110 ff.). Auf die Gegensätzlichkeit annähernd gleicher Motive führen den Zweifel LIPPS (Grundtats. d. Seelenleb. S. 213) u. a. zurück. RABIER bestimmt: »Le conflit des idées qui résulte de leur contradiction, c'est le doute« (Log. p. 379). Vgl. KÜLPE, Gr. d. Psychol. S. 264. – Vgl. Wahrheit, Skepsis, Aporie.