[381] Lange, Friedrich Albert, geb. 1828 in Wald (bei Solingen), 1852 Gymnasiallehrer in Köln und Duisburg, 1855 Privatdozent in Bonn, ging 1860 nach der Schweiz, wurde 1870 Professor u Zürich, 1872 in Marburg, gest. 1875.
L., dessen »Geschichte des Materialismus« von großer Wirkung war, in welcher einerseits die relative Berechtigung des (kritisch-methodischen) »Materialismus« (bezw. Mechanismus), anderseits dessen Unzulänglichkeit als Weltanschauung betont wird, gehört zu den ersten, welche im Beginn des dritten Drittels des 19. Jahrhunderts auf Kant zurückgingen. Sein Standpunkt ist der des kritischen Idealismus. Die Aprioritätslehre faßt er (analog wie Schopenhauer, Helmholtz u. a.) zum Teil psychologisch, ja psychophysisch auf; gefunden wird das A priori durch Induktion, nicht apriorisch. Die Anschauungs- und Denkformen sind durch die »psychophysische Organisation« bedingt. »Die psychophysische Einrichtung, vermöge welcher wir genötigt sind,[381] die Dinge nach Raum und Zeit anzuschauen, ist jedenfalls vor aller Erfahrung gegeben.« Die Bedingungen der Erfahrung aufzusuchen, ist der Zweck der Vernunftkritik. Nicht Begriffe sind vor der Erfahrung vorhanden, sondern nur »solche Einrichtungen, durch welche die Einwirkungen der Außenwelt sofort nach der Regel jener Begriffe verbunden und geordnet werden«. Kants »reine Vernunft« läßt sich in Physiologie übersetzen. Die Kategorien sind von Kant nicht wahrhaft aus einem Prinzip abgeleitet worden. Nur wenn wir die einfachen und notwendigen Elemente alles Urteilens hätten, könnten wir die wahren Kategorien erhalten. Der »synthetische, schaffende Faktor« unserer Erkenntnis erstreckt sich bis in die ersten Sinneseindrücke hinein. Das Wesen dieses Aktes ist »stets gerichtet auf die Erzeugung der Einheit, der Harmonie, der vollkommenen Form«; es ist dasselbe Prinzip, welches im Ästhetischen und Ethischen wirksam ist.
Die Wirklichkeit ist der »Inbegriff der notwendigen, durch Sinneszwang; gegebenen Erscheinungen«. Die Welt ist unsere Vorstellung, »ein Produkt der Organisation der Gattung in den allgemeinen und notwendigen Grundzügen aller Erfahrung«, die »Erscheinung für die Gattung«. Das »Ding an sich« ist mir ein »Grenzbegriff« von rein negativer Bedeutung, es ist absolut unerkennbar, ja sein Begriff ist nur »die letzte Ausgeburt eines von unserer Organisation bedingten Gegensatzes, von dem wir nicht wissen, ob er außerhalb unserer Erfahrung irgend eine Bedeutung hat«. Objekte gibt es nur in Beziehung zu einem Subjekt, nur als Erscheinungen; auch die Sinneswerkzeuge und das Gehirn sind als solche nur Erscheinungen, Vorstellungen. Empfindungen sind unmittelbare, Atombewegungen vermittelte, gedachte Erscheinungen. Das Naturerkennen ist eben nur ein »Analogon des wahren Erkennens, ein Mittel, uns zu orientieren«. Die ganze Erscheinungswelt als solche ist durch unsere Organisation bedingt, sie ist allgemeingültig-objektiv, aber nicht unabhängige, absolute, letzte Wirklichkeit.
Eine Metaphysik als Wissenschaft ist unmöglich, hingegen ist sie als »Begriffsdichtung« von Wert. Die Ideen der Vernunft sind der Ausdruck: der in unserer vernünftigen Organisation liegenden »Einheitsbestrebungen«, Sie haben keinerlei theoretische Geltung im Gebiete des auf die Außenwelt gerichteten Erkennens, sind aber keine Hirngespinste, sondern »in der Naturanlage des Menschen begründet« und nützlich für die Ethik und Religion. Die Begriffsdichtung der Spekulation ist individuell bedingt, ohne den Zwang der Erfahrungsprinzipien. Die Einheitssynthese folgt, ästhetischen Prinzipien, geht auf ein harmonisches Weltbild. Der Mensch bedarf der »Ergänzung der Wirklichkeit durch eine von ihm selbst geschaffene Idealwelt« (vgl. Fr. Schiller), Die Metaphysik hat die Welt des Seienden mit der »Welt der Werte« in Verbindung zu bringen und wird so ethisch wirken. Der Kern der Religion liegt in der »Erhebung der Gemüter über das Wirkliche und in der Erschaffung einer Heimat der Geister«. Der göttliche Wille wird als das wahre Wesen des eigenen Willens erkannt.
Der Materialismus nun ist eine »vortreffliche Maxime der Naturforschung«, er gilt allgemein für das Gebiet der Erscheinungswelt, ohne aber[382] eine Weltanschauung sein zu können, da er einseitig-abstrakt ist, nur eine Seite der Dinge berücksichtigt und da das Bewußtsein nicht aus Physischem abzuleiten ist. Nur vom Standpunkt der äußeren Erfahrung ist alles materiell, gibt es nur Bewegung. Hier aber muß alles, was Gegenstand der äußeren Erfahrung ist, als materiell-mechanisch gedacht werden, die Erscheinungsreihe ist geschlossen, nirgends dürfen nicht-physische Faktoren eingesetzt werden. Daher ist auch eine Wechselwirkung zwischen Psychischem und Physischem nicht möglich, nur ein Parallelismus auf Grund der Identität des beiden Erscheinungsreihen Zugrundeliegenden. Eine substantielle Seele gibt es für die Psychologie nicht (»Psychologie ohne Seele«, Aktualismus). Die Physiologie aber muß »die physische Kausalreihe ohne irgendwelche Berücksichtigung des sogenannten Bewußtseins durch das Hirn hindurch bis zu der ersten Veranlassung der ganzen... Bewegung zurückverfolgen«. Eben der subjektive Zugtand des empfindenden Individuums ist zugleich für die äußere Beobachtung ein objektiver Molekularvorgang. Rein physiologisch betrachtet sind die menschlichen Handlungen automatische Bewegungsprozesse; das Psychische ist nicht die Ursache, sondern die andere Betrachtungsweise dieser Prozesse. Die Bewegungen aber sind als solche nur Erscheinungen, die Materie ist nur als Objekt des Bewußtseins real; was ihr an sich zugrunde liegt, wissen wir nicht, und so ist der Materialismus als endgültige Weltanschauung unhaltbar.
In der »Arbeiterfrage« nimmt L. einen sozialen Standpunkt ein. Die egoistische Konkurrenz unter den Menschen wird immer mehr durch Vernunft und Sittlichkeit beschränkt und gemildert werden.
SCHRIFTEN: Die Grundlegung der mathematischen Psychologie, 1865. – Die Arbeiterfrage, 1865; 5. A. 1894. – Geschichte des Materialismus, 1806; 7. A., hrsg. von H. Cohen, 1902 (Ausgaben auch in der Univ.-Bibl. und bei Kröner), – Neue Beiträge zur Geschichte des Materialismus, 1867. – Logische Studien, 1877: 2. A. 1894. – Vgl. VAIHINGER, Hartmann, Dühring und Lange, 1876. – O. A. ELLISEN, F. A. L, 1891.
Adelung-1793: Länge (2), die · Länge (1), die · Lange
Brockhaus-1809: Maria Antonia Lange
Brockhaus-1837: Länge und Breite
Brockhaus-1911: Lange [4] · Lange [3] · Lange [6] · Lange [5] · Länge · Lange · Lange [2] · Lange Nacht
DamenConvLex-1834: Länge, geographische · Lange Nacht
Eisler-1912: Lange, Konrad · Lange, Ludwig · Lange, Karl · Lange, Carl Georg · Lange, Johann Joachim
Herder-1854: Lange [2] · Lange [3] · Lange [1] · Länge · Lange Nacht
Lueger-1904: Länge am Himmel · Länge · Breite und Länge
Meyers-1905: Lange Nacht · Länge [1] · Länge [2] · Abgefahrene Länge u. Breite · Angekommene Länge und Breite · Lange
Pagel-1901: Lange, Wilhelm · Lange, Karl Georg · Lange, Karl Georg · Lange, Victor
Pataky-1898: Lange, Mathilde · Lange, Frau Valerie · Lange, Helene · Lange, Helene · Lange, Frau Hildegard · Lange, Frau Valerie · Lange, Frl. Helene
Pierer-1857: Lange · Geographische Breite u. Länge · Astronomische Länge
Buchempfehlung
Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«
74 Seiten, 4.80 Euro