Inquisition

[455] Inquisition. Schon bei den Römern bezeichnete inquisitio diejenige Untersuchung und richterliche Wirksamkeit, welche mittels Zeugen und anderer Hülfsmittel über den Lebenswandel der Beklagten verhängt wurde, und wer dieses Geschäft leitete, hiess inquisitor. Im Mittelalter nannte man inquisitores u.a. gewisse Sendbotschaften, welche die Könige in ihre Provinzen schickten, um das Verfahren und Betragen der Beamten oder auch gewisse Vorfälle zu untersuchen und nötigenfalls zu bestrafen; in Frankreich wählte man hierzu nicht bloss weltliche Personen, sondern auch Geistliche. Mithin war der Ausdruck längst bekannt und üblich, als die Kirche ihn auf diejenigen Sendbotschaften der Päpste übertrug, die zum Richten und Bestrafen der Glaubensverbrecher bevollmächtigt wurden.

Sachlich ist die Inquisition eine unter Mitwirkung der Zeitverhältnisse herbeigeführte Entwickelung und Ausartung der alten Kirchenzucht, der zufolge die Landbischöfe schon früh die Pflicht hatten, Irrlehren zu steuern und die Visitationen der Kirchen ihrer Sprengel auch zur Ausspähung etwa auftauchender Ketzereien zu benutzen. Die höchste kirchliche Strafe gegen entdeckte Ketzer war die Exkommunikation, mit der als bürgerliche Strafe die Verbannung und der Tod verbunden sein konnten. Doch erklärten sich angesehene Kirchenlehrer, wie Chrysostomus und Augustin, gegen die Todesstrafe der Ketzer, während sie Hieronymus und Leo der Grosse befürworteten, doch so, dass die Kirche die Todesurteile von der weltlichen Macht vollziehen liess. Da die Bischöfe für die Aufrechthaltung der Glaubensreinheit nicht zu genügen schienen, wurden im 6. Jahrh. Sendgerichte angeordnet, die sich seit dem 9. Jahrhundert mehr und mehr ausbildeten und sich in bischöfliche, Archidiakonats- und erzpriesterliche Sende teilten. Als die Kirche durch die Katharer (Albigenser) und Waldenser beunruhigt wurde, war es das Institut der Legaten, durch welche der römische Stuhl gegen die Ketzer einschritt. Erst Papst Innocenz III. traf die Anordnung, die bisherige Wirksamkeit für die Ausspürung und Bestrafung der Ketzer zu einer bleibenden Einrichtung zu gestalten; er liess durch das vierte Laterankonzil das Verfahren gegen die Ketzer zum Hauptgeschäft der bischöflichen Sende machen, in dem Sinne, dass der Erzbischof oder Bischof diejenige Parochie, in der sich dem Gerücht nach Ketzer befinden sollten, selbst oder durch Stellvertreter besuchen und durch geeignete Personen eidlich sich des Namens der Ketzer versichern lassen sollte. Die Aufsicht über die Bischöfe führten aber bei diesem Geschäfte die Legaten. Genauere Bestimmungen über die Art der Ketzeraufspürung liess derselbe Papst 1229 durch das Konzil von Toulouse ergehen und dadurch die Inquisition zunächst in Toulouse und im übrigen südlichen Frankreich konstituieren. Als aber die Bischöfe immer noch nicht genügten, ernannte Gregor IX. 1232 in Deutschland, Aragonien und Österreich, 1233 in der Lombardei und in Frankreich die [455] Dominikaner zu beständigen päpstlichen Inquisitoren, die nun eine reiche ketzerverfolgende Thätigkeit entfalteten, welche durch immer neue Erfindungen der kirchlichen Ketzerprozessordnung unterstützt wurde. So durfte keinem Angeklagten ein Belastungszeuge namhaft gemacht werden; Mitschuldige und Verbrecher wurden als Zeugen zugelassen; die weltlichen Obrigkeiten wurden angewiesen, bei Verhafteten nicht bloss zum Geständnisse, sondern auch zur Anklage anderer ihnen bekannter Ketzer die Tortur anzuwenden; später nahmen, um die Aussagen des Gefolterten geheim zu halten, die geistlichen Inquisitoren die Anwendung der Tortur selbst in die Hand. Dem Begriffe der Ketzerei wurde eine masslos weite Bedeutung beigelegt, so dass ausser sektiererischer Meinung Zinswucher, Wahrsagerei, Beschimpfung des Kreuzes, Verachtung des Klerus, Verbindung mit Aussätzigen, Juden, Dämonen, dem Teufel, den Hexen zum Prozesse führen konnten. Die Strafen lauteten auf Verlust der Ehre, der bürgerlichen und kirchlichen Rechte, harte Gefangenschaft im Kerker oder auf der Galeere, Tod durch Hinrichtung, durch Einmauern, durch Feuer. Bald galt der Tag einer Ketzerhinrichtung als Feiertag. Appellation gab es nicht. Papst Innocenz IV. wies 1252 ein Drittel des eingezogenen Vermögens der Inquisition zu und befahl ein zweites Drittel für künftige Inquisitionszwecke zu deponieren. Später erhielt die Inquisition das ganze Vermögen der Angeklagten. Heftige Volksbewegungen und blutige Aufstände gegen die verhassten Tribunale fruchteten auf die Dauer nichts. Dagegen lähmten endlich das päpstliche Schisma und die Konzilien des 15. Jahrhunderts mit der Kraft der Hierarchie auch diejenige der Inquisition, so dass die französische Inquisition meist nur noch mit Anklage der Zauberei und Teufelsverbindung gegen heimliche oder verdächtige Ketzer einschritt. In der Mitte des 16. Jahrhunderts erlosch sie in Frankreich gänzlich.

In Deutschland verbreitete sich die Inquisition bald nach dem Konzil von Toulouse durch die Dominikaner Konrad Droso oder Torso und namentlich Konrad von Marburg, 1231–1233; doch fielen nicht bloss diese beiden Ketzerrichter als Opfer der Volkswut, sondern der Unwille und Widerstand des Volkes und der Grossen war überhaupt hier so allgemein gegen die Inquisition gerichtet, dass Deutschland über hundert Jahre lang nur vereinzelte Ketzerprozesse erlebte. Im 14. Jahrhundert gab das Auftreten der Begharden nochmals Veranlassung, der Inquisition wieder ein grösseres Feld zu eröffnen; doch blieb wie in Frankreich die Ketzerverfolgung meist auf sog. Hexen beschränkt; siehe den Art. Hexen.

In den Nordstaaten Europas, in England, Dänemark und Skandinavien, zeigt sich die Inquisition nur als eine vorübergehende Erscheinung. Desto wirksamer trat sie in Spanien auf, wohin sie im 13. Jahrhundert aus Frankreich den Weg fand. Hier war sie besonders gegen die Mauren und Juden eingeführt und dadurch gekräftigt worden, dass Sixtus IV. 1478 dem Königspaare das Recht gab, Inquisitoren ein- und abzusetzen und die Güter der Verurteilten einzuziehen, wodurch die Inquisition ein königliches Gericht wurde. Sie entwickelte alsbald eine furchtbare Thätigkeit, namentlieh seit der Prior der Dominikaner zu Segovia, Thomas de Torquemada, zum Generalinquisitor von Spanien ernannt worden war. Die Angeberei gewährte bürgerliche Vorteile und Ablass und säete Angst und Schrecken unter die Familien. Auf Torquemadas Rat mussten 1492 alle Juden, die nicht Christen werden[456] wollten, auswandern; 1501 traf die Mauren dasselbe Schicksal. Torquemado hatte von 1483 bis 1498, wo er sein Amt niederlegte, 8800 Menschen lebendig, 6500 in effigie verbrennen, 90,000 mit verschiedenen Strafen belegen lassen. Sein Nachfolger Doza sandte 1664 Menschen auf den Scheiterhaufen, und der dritte Generalinquisitor, Franz Iimenes de Cisneros, 1507–1517, ihrer 2536; 1368 wurden unter ihm in effigie verbrannt, 47,263 in anderer Weise gestraft.

Jedes Inquisitionstribunal zählte drei Inquisitoren, ausserdem Assessoren, Sekretäre, Einnehmer, Familiaren, Kerkermeister und andere Beamte. Für jedes Mitglied war Verschwiegenheit die strengste Pflicht. Das Haus der Inquisition hiess Casa santa. Der Prozess begann mit einer dreimaligen Ediktalladung des Angeklagten; erschien er, so wurde er nach einer sorgfältigen Untersuchung in ein dunkles Gefängnis gesperrt, das Haar vom Haupte geschoren, seine Bücher und Schriften sorgfältig verzeichnet, sein Vermögen gewöhnlich sofort konfisziert; er selbst galt als ein Geächteter. Schnelles Eingeständnis errettete zwar vom Tode, zog aber meist den Verlust bürgerlicher Rechte und des Vermögens wie die Übernahme strenger Büssungen nach sich. Leugnen hatte meist eine strengere Haft zur Folge. Gestand der Angeklagte nicht, so wurde er gefoltert, mit den Graden der Strick-, Wasser- und Feuertortur. Halfen diese Mittel nicht, so erfolgte die Verurteilung und langsames Hinsiechen im Kerker. Das Todesurteil bestand im Verbrennen. In der Reformation wandte sich die spanische Inquisition mit erneutem Eifer gegen die Anhänger des Protestantismus.

In Italien wurde die Inquisition 1233 gegen die Waldenser eingeführt; doch war ihre Macht hier nicht so gross, bis sie in der Mitte des 16. Jahrhundertt ebenfalls gegen den Protestantismus neu eingeführt wurde. Neudecker in Herzogs Real-Encykl.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 455-457.
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