Inquisition

[855] Inquisition (lat., »Untersuchung«, Inquisitio haereticae pravitatis, Ketzergericht, auch Sanctum Officium), das Glaubensgericht, das die römische Hierarchie zur Aufsuchung und Vertilgung der Ketzer ins Leben gerufen hat. Schon unter den Kaisern Theodosius d. Gr. und Justinian waren Gerichtspersonen zur Aufsuchung derjenigen, die den orthodoxen Glauben nicht teilten, z. B. der Manichäer, angestellt worden, und die Aufgefundenen pflegten alsdann mit kirchlichen, aber auch bürgerlichen Strafen belegt zu werden. Unter den Kirchenvätern vertrat insbes. Augustin den Donatisten gegenüber die gewaltsame Zurückführung der Ketzer in den Schoß der Kirche. Papst Lucius III. gab auf dem Konzil zu Verona 1184 nähere Instruktionen über die gegen die Ketzer zu ergreifenden Maßregeln, und Innozenz' III. Legaten verhängten mit Hilfe der weltlichen Obrigkeit gegen die Waldenser und Albigenser in Südfrankreich die härtesten Strafen. Das Laterankonzil 1215 machte die I. zunächst als bischöfliche Befugnis zu einem bleibenden Institut, und auf spätern Konzilien, namentlich dem zu Toulouse 1229, wurden die in dieser Hinsicht getroffenen Bestimmungen noch erweitert und verschärft. Die Inquisitoren gelangten zur Kenntnis eines Verbrechens durch die öffentliche Meinung, durch allen Gläubigen zur Pflicht gemachte Denunziation oder durch Nachforschung. Die auf die Ladung vor den Inquisitionsrichtern nicht Erscheinenden oder Flüchtigen wurden ohne weiteres als Schuldige angesehen. Wer erschien, wurde eingekerkert, Ankläger und Zeugen dem Angeklagten nicht genannt und ihre Namen nicht einmal in die Protokolle eingetragen. Freunde und Feinde, Schützer und Beschützte, Gläubige und Ungläubige wurden als Zeugen zugelassen. War der Angeklagte nicht imstande, alle Zweifel der Inquisitoren an seiner Unschuld zu lösen, oder waren die Zeugenaussagen nicht hinreichend belastend, so wurde seit 1252 zur Tortur geschritten, die bis zur Verstümmelung oder Tötung fortgesetzt werden durfte. Sämtliche von der I. zuerteilte Strafen zerfielen in kirchliche oder weltliche. Die kirchlichen waren: das Interdikt (s. d.), die Exkommunikation oder der Bann (s. d.), Wallfahrten, Bußübungen im Wohnort des Ketzers oder im Orte des Ketzergerichts bei freier Bewegung, wobei die Sträflinge ein Bußhemd (saccus benedictus, Sanbenito) tragen, sich alle Sonntage vor dem Priester mit einem Bündel Ruten in der Kirche einfinden und, um sich geißeln zu lassen, die Schultern entblößen mußten, etc. Die weltlichen oder bürgerlichen Strafen bestanden vor allem in Gefängnisstrafe, oft auf zeitlebens. Zum Einmauern verurteilte das Konzil zu Béziers 1246 die Rückfälligen (relapsi), die in späterer Zeit zum Feuertod verdammt wurden, die Flüchtlinge oder solche, die sich auf die Vorladung des heiligen Tribunals nicht gestellt hatten. Ein solches Gefängnis nannte man ein Vade in pace. Die Kosten der Gefangenschaft hatten die Verbrecher, falls sie Vermögen besaßen, selbst zu tragen; sonst wurden sie von der Strafkasse bestritten, der Ortsbehörde aufgebürdet oder seit 1258 vom jeweiligen Grundherrn getragen. Die Fesselung in Ketten war eine erhöhte Strafe für eingemauerte Verbrecher. Auch wurde die Gefängnisstrafe oft in Galeeren- oder Strafarbeitshausstrafe verwandelt. Die öffentliche Zurschaustellung bestand darin, daß der Verbrecher, dem über seine gewöhnliche Kleidung auf Brust und Rücken eine rote Zunge herabhing und am Hals ein Zeichen mit Angabe seines Verbrechens befestigt war, an die Kirchentür gestellt wurde. Der Staupbesen wurde am Tage des Glaubensaktes erteilt, indem der Verbrecher auf einem Esel durch die Straßen geführt und mit Ruten gepeitscht wurde. Der Verbrennung ging entweder zur Milderung die Erdrosselung oder zur Verschärfung der Strafe in Spanien eine Versengung mit leichtem Stroh voraus, was der Pöbel das »Bartmachen« nannte. Schon 1179 war ein Konzilbeschluß gefaßt worden, wonach Ketzern kein christliches Begräbnis gestattet werden durfte. Später wurden tote Körper wieder aus der Erde gegraben und verbrannt, sobald man in Erfahrung brachte, daß die Betreffenden bei Lebzeiten sich der Ketzerei schuldig gemacht.

Papst Gregor IX. hatte 1232 und 1233 die I. den Bischöfen entzogen und den Dominikanermönchen übertragen, die unter dem Schutz der Könige von Frankreich seit Ludwig IX. die Ketzergerichte zur höchsten Blüte brachten. In den folgenden Jahrhunderten verlor die I. in Frankreich an Geltung. Erst Franz I. wohnte 1535 zu Paris mit seinem ganzen Hofstaat wieder einem Ketzertribunal bei. Unter Heinrich II. wurden weitere Versuche zur Wiederherstellung der I. gemacht, und Franz 11. teilte 1559 den Parlamenten[855] das Amt der Glaubensrichter zu. Auf diese Weise entstand eine neue Art von Gerichten, die das Volk chambres ardentes, d. h. brennende Kammern, nannte. So bestanden die Inquisitionsgerichte in Frankreich, bald mit größerer, bald mit geringerer Macht ausgestattet, aber immer von dem gesunden Sinn des Volkes bekämpft, noch bis 1772. In Italien wurde die I. schon 1231 eingeführt und seit Paul III. durch den Kardinal Caraffa (Bulle »Licet ab initio«, 1542) als Sant' Offizio die furchtbarste Waffe der Gegenreformation. Nur in der Republik Venedig wurde sie von der Staatsgewalt abhängig gemacht. Der Hauptgegenstand des blutigen Hasses der italienischen I. waren und blieben die Waldenser (s. d.). Napoleon I. hob zwar 1808 die I. in Italien auf, doch ward sie 1814 von Pius Vll. wiederhergestellt, und noch 1852 wurden von ihr die Eheleute Madiai wegen Übertritts zum Protestantismus zu den Galeeren verurteilt. Erst die Neugestaltung Italiens seit 1859 machte ihrem Wirken ein Ende. Doch besteht noch heute das Inquisitionskollegium als Sacra congregatio Romana et universalis Inquisitionis seu Sancti Officii. Seine Aufgabe ist jetzt, über die Reinheit des Glaubens zu wachen und den Bischöfen in schwierigen Fällen Belehrung und Weisung zu erteilen. In Deutschland versuchte zuerst Konrad von Marburg (s. d.) die I. 1231–33 einzuführen. Der selbst der Ketzerei beschuldigte Friedrich II. begünstigte, um sich gegen jeden Verdacht sicherzustellen, ihre Einführung. Aber erst seit den Zeiten Karls IV. gelang es, sie dem widerstrebenden Volksgeist aufzuzwingen. Besonders seit Papst Innozenz VIII. blühte sie; einer seiner Inquisitoren, Sprenger, schrieb den »Hexenhammer« (s. Hexe, S. 300), und noch zur Zeit der Reformation führte der berüchtigte Hoogstraeten (s. d.) von Köln den Titel Haereticae pravitatis inquisitor. Dann aber verschwand die I. infolge der Reformation, und auch in England war sie nicht viel glücklicher. Zwar war schon in der letzten Zeit des 14. Jahrh. der Klerus gegen den Lollardismus und Wictifismus nach inquisitorischer Methode eingeschritten, und unter der Regierung Heinrichs VIII. und der Königin Maria tauchte die I. noch einmal in größerm Umfang auf. In Spanien wurde die I. unter Ferdinand dem Katholischen 1478–84 organisiert, anfangs für Kastilien und Leon, seit 1483 auch für Aragonien und Katalonien. Viele von denen, die seit dem Ausgang des 14. Jahrh. zum Übertritt vom Judentum und Islam gezwungen worden waren, waren ihrem Glauben im geheimen treu geblieben und wurden jetzt von der I. streng verfolgt. Den Großinquisitor ernannte der König, als ersten Thomas de Torquemada (s. d.). Spanien ward seit dieser Zeit das klassische Land der Autodafés (s. d.). Im 16. Jahrh. hat die spanische I. besondere Bedeutung wegen der durch sie angestrebten Unterdrückung des Protestantismus gehabt. Dabei ist sie durchaus nicht mit der ihr in der Überlieferung zur Last gelegten Grausamkeit verfahren, und die Zahlen ihrer Opfer sind sehr übertrieben worden. Von 2100 prozessierten Protestanten wurden 220 lebendig, 120 in effigie verbrannt. Von Spanien aus wurde die I. auch nach den amerikanischen Provinzen übertragen. Ihre Einführung in die Niederlande, wo ihr unter Karl V. nach der geringsten Schätzung 50,000 Personen zum Opfer fielen, hatte den Abfall dieser Provinzen zur Folge. 1781 wurde in Spanien das letzte Todesurteil gesprochen, 1808 die I. durch Dekret Napoleons I. aufgehoben. Seit 1834 ist sie endgültig in Spanien verschwunden. Auch in Portugal wurde die I. 1557 eingeführt und auch nach Ostindien verpflanzt. Als ihre Macht bereits durch den Minister Pombal gebrochen war, hob König Johann VI. sie auf. Ganz erloschen ist sie in Portugal erst 1821. Vgl. Llorente, Kritische Geschichte der spanischen I. (deutsch von Höck, Gmünd 1820–22, 4 Bde.); dela Mothe-Langon, Histoire de l'inquisitionen France (Par. 1829, 3 Bde.); Herculano, Da origem e estabelecimento da inquisição em Portugal (Lissab. 1854–59, 3 Bde.); Rodrigo, Historia verdadera de la inquisicion (Madr. 1876–77, 3 Bde.); F. Hoffmann, Geschichte der I. (Bonn 1877 bis 1878, 2 Bde.); Molinier, L'inquisition dans le midi de la France an Xlll. et an XIV. siècles (Par. 1880); Lea, A history of the I. of the middle ages (New York 1888, 3 Bde.); »Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis Neerlandicae« (hrsg. von Fredericq, Haag 1889–1903, 5 Bde.); Fredericq, De Geschiedenis der Inquisitie in de Nederlanden (Gent 1892–96, 2 Bde.); Tanon, Histoire des tribunaux de l'inquisitionen France (Par. 1893); Hansen, Zauberwahn, I. und Hexenprozeß im Mittelalter (Münch. 1900); v. Hoensbroech, Das Papsttum, Bd. 1 (3. Aufl., Leipz. 1901); E. Schäfer, Beiträge zur Geschichte des spanischen Protestantismus und der I. im 16. Jahrhundert (Gütersl. 1902, 3 Bde.); P. Flade, Das römische Inquisitionsverfahren in Deutschland bis zu den Hexenprozessen (Leipz. 1902); Langlois, L'inquisition d'après des travaux récents (Par. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 855-856.
Lizenz:
Faksimiles:
855 | 856
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon