[57] Aesthetik ist eine Disciplin der neueren philosophischen Systeme, die Wissenschaft des Schönen; jedem dieser Systeme ist aber das Schöne etwas anderes, daher ist die A. der Schüler von Kant, Fichte, Schelling und Hegel eine sehr verschiedene. Unstreitig ist das Schöne das Gegentheil von dem Häßlichen; wie das Häßliche unsern Haß erregt, so das Schöne unsere Liebe, unser Wohlgefallen. Dieses Wohlgefallen erzeugen schon einzelne sinnliche Eindrücke, und darum nennen wir z.B. eine Farbe, einen Ton schön, die wissenschaftliche Sprache jedoch bezeichnet mit »schön« nie eine einzelne Empfindung, ihr ist das »Schöne« immer etwas Combinirtes. Immerhin aber erscheint als Resultat des Schönen für die Seele das Wohlgefallen, der Friede; wo ein Widerstreit der Gefühle bleibt, da ist von Schönheit keine Rede; erzeugt daher das Schöne eine Harmonie der Gefühle, so muß, was schön ist, in seinen einzelnen Theilen auch harmonisch sein. Die Harmonie der Gefühle ergibt sich unmittelbar bei der Anschauung vieler Erscheinungen der Natur, das Naturschöne und landschaftliche Schöne; vielmal ist dies aber nicht der Fall und erst Folge der Reflexion; so ist z.B. manches dem Naturforscher schön, was dem Unkundigen häßlich ist; man denke nur an verschiedene Thiere, die inneren Theile des menschlichen Leibes. Diese werden nur dann als schön erkannt, wenn wir die Zweckmäßigkeit ihrer Einrichtung und ihr wunderbares Zusammenwirken verstehen, denn alsdann offenbart sich in ihnen eine Idee, ein höherer Gedanke, die schöpferische Weisheit. Je höher demnach die Bildung des Menschen ist, um so mannigfaltigere und höhere Schönheit erkennt er auch in der Natur; der Anblick des gestirnten Himmels ist für jeden nicht thierischen Menschen ein schöner, aber noch viel schöner für den, welcher in den Gestirnen Welten sieht, welche Gottes Allmacht trägt und leitet; der Ungläubige hingegen, der sich nicht in Gottes schützender Liebe weiß, wird durch den Gedanken an jene ungeheuren Massen, gegen die er selbst verschwindet, gleichsam erdrückt, seine Seele empfindet keine harmonische [57] Ruhe, keinen Frieden. Weil der Mensch Gottes Ebenbild ist, so ist der Mensch selbst die Krone der Schöpfung oder das Schönste, insofern er seiner Bestimmung entspricht; denn der abgefallene Mensch, der seiner Bestimmung ungetreue, erreicht eben deßwegen als Gegensatz die Gränze des Häßlichen. Der Mensch ist frei, dem Zuge nach dem Bösen ausgesetzt, darum ist sein Thun ein beständiges Ringen und Streben, ein Fallen und Aufstehen, aber dieses Ringen und Streben ist von hoher Schönheit, wenn es siegreich endet, denn es erzeugt in uns den Frieden, die Harmonie der Gefühle, die Versöhnung. Dies ist das Sittlichschöne, das uns im Leben begegnet, und das Sittlich-häßliche. Die Freiheit des Menschen äußert sich aber in gewisser Weise auch schöpferisch; das Thier schafft auch, aber unfrei, z.B. die Biene, der Vogel bereitet Zelle und Nest sehr zweckmäßig, aber immer auf dieselbe Weise, durch seinen Naturtrieb gedrungen und gelehrt, der Mensch hingegen bereitet sich Wohnung, Geräthe, Waffen, Schmuck u.s.w. bald so, bald anders, je nachdem er einen Zweck verfolgt, er ist erfinderisch, Künstler (können und kennen, Kunst und Kunde sind verwandt). Diese Kunst, die sich auf die Bedürfnisse des Lebens beschränkt, ist die niedere, sie wird aber veredelt, je mehr ihre Producte die Kennzeichen an sich tragen, daß sie nicht ausschließlich dem Dienste des Bedürfnisses gewidmet sind; man vergl. z.B. die gemeine Töpferschüssel mit der Warwikvase. In der Baukunst erreicht sie ihre höchste Stufe, indem sie da für das Staatsleben und die Religion arbeitet und eben deßwegen freier schafft. Die höhere Kunst hat den Menschen selbst mit seinem Thun und Streben zum Gegenstande, mit seinen Freuden und Leiden, Siegen und Niederlagen, aber immer nur insofern er sich emporhebt aus dem Gemeinen, Niederträchtigen, d.h. insofern des Menschen Wesen sich als ein ideales zeigt. Die Dichtkunst gibt allem Worte, was des Menschen Herz bewegt, den Freuden des Mahles, des Naturgenusses, der Liebe, dem Hochgefühle, das die Thaten des Helden erregen, dem Schmerz, der Trauer, endlich der Andacht, und der Gesang und die Musik nehmen die Worte auf ihre harmonischen Wogen, welche der Tondichter strömen läßt. (Lyrische, epische und dramatische Dichtkunst, denen die Musik parallel geht, denn die Musik spricht in Tönen, was die Dichtkunst in Worten.) Die mannigfaltige Sculptur schafft ihre Gebilde aus Stein und Erz, die Malerei aus Farben, jede bestrebt sich den idealen Menschen darzustellen. Die Kunst idealisirt den Menschen (die Natur kann sie nicht idealisiren, es gibt z.B. kein schöneres Pferd, als das natürliche), d.h. sie stellt ihn dar im Kampfe mit dem Gemeinen und Bösen, oder als gekrönten Sieger, und wie ein solcher Mensch mehr ist als Berg, See u. dergl., insofern stehen auch die Schönheiten der Kunst über denen der Natur. Das Christenthum hat den Menschen zum höheren Leben wieder befähigt, deßwegen kann nur die christliche Kunst den Menschen in seiner ganzen Schönheit wiedergeben. Das Christenthum veredelt alle Freuden, versöhnt Schmerz und Trauer, es schafft den wahren Helden, die christliche Kunst ist daher einer viel höheren Ausbildung fähig als die klassische, die nur in einzelnen Richtungen ideal schaffen konnte. Der christlichen Kunst schweben als höchste Ideale der Gottmensch vor, der leidende und siegende, und die jungfräuliche Gottesmutter; in der Schaar der Heiligen ist der christlichen Kunst ein Reichthum der Auswahl dargeboten, daß er gar nicht erschöpft werden kann. Es ist auch gewiß bedeutungsvoll, daß in einer Kirche ächt christlicher Kunst alle Künste, die niederen und höheren sich in Gesellschaft finden: die Kunst des Baumeisters, Steinmetzen, Bildhauers, Bildschnitzers, des Glockengießers und Orgelbauers, des Erzgießers, des Juweliers, Vergolders, Malers, des Dichters, Sängers, Musikers und des Redners vereinigen sich daselbst. Indem die kath. Kirche dem Leben in allem Thun und Lassen eine veredelnde Weihe gibt, verleiht sie demselben auch mannigfaltige[58] Schönheit; man denke an Morgen- und Abendläuten, an die Flurgänge, an die Kapellen in Thälern und auf Höhen, die Processionen, Wallfahrten, an den Schmuck der Feste und ihre Ceremonien, bis an Bild und Kranz in der Hütte des kath. Armen, überall ist das Streben sichtbar, das christliche Ideal der Menschheit zu verwirklichen. Fällt die Kunst von dem Christenthum ab, so kann sie nicht einmal zur altklassischen Kunst zurückkehren, denn die Gefühlsweise der klassischen Völker und Meister ist ihr fremd geworden, daher befriedigen solche kalte Nachbildungen so wenig als die neuen antiken Dramen; die Kunst steigt dann herab zu Darstellungen, welche nur die Sinne reizen, Begierden erregen, statt Frieden und innere Harmonie zu schaffen, oder sie amusirt, wie die neuen Romane, mit künstlichem Schauer, berauscht wie die neue Musik, spielt also im besten Falle die Rolle eines Akrobaten, dessen verwegenen Künsten wir mit Vergnügen und Grausen zugleich zusehen, und froh sind, wenn es glücklich endet. Ein Abbild dieses Zustandes ist Jungdeutschland in seinem poetisch-philosophischen Dichten und Treiben.