Müller [4]

[257] Müller, Johannes von, geb. 1752 zu Schaffhausen, Sohn eines Predigers, studierte in seiner Vaterstadt und zu Göttingen, ward hierauf Professor der griech. Sprache, lebte 1774–80 bei dem Staatsrathe Tronchin in Genf als Hofmeister, verkehrte mit Voltaire, Bonnet, Abbot etc., las privatim über Weltgeschichte, bereiste einen Theil von Frankreich und Deutschland u. ließ 1780 den 1. Bd. seiner Geschichte der Schweiz erscheinen, durch welchen er sich den Ruhm des ersten Historikers seiner Zeit erwarb. Er sprach 1781 Friedrich den Gr., war bis 1783 Professor der Geschichte und Unterbibliothekar zu Kassel, kehrte 1783 in die Schweiz zurück, ging 1786 als Bibliothekar nach Mainz, erhielt 1787 eine Mission nach Rom, wurde Hofrath, 1791 Staatsrath und von dem Kaiser geadelt. Das folgende Jahr wurde er in die Hof- und Staatskanzlei zu Wien berufen und erhielt 1800 die Stelle des ersten Custos der kaiserl. Bibliothek; 1804 trat er als geheimer Kriegsrath u. Historiograph in preuß. Dienste. ließ sich 1807 von Napoleon I. gewinnen und wurde Minister des Königs Hieronymus von Westfalen, später Staatsrath und Generaldirector des öffentlichen Unterrichts, als welcher er zu Kassel den 29. Mai 1809 st. M. besaß einen ungewöhnlichen Scharfblick. rege Empfänglichkeit. lebhafte Phantasie, arbeitete rastlos u. erwarb sich eine staunenswerthe historische Gelehrsamkeit; in dem Umgange mit der vornehmen Welt bildete er sich zum gewandten Hofmanne, streifte die Einseitigkeit des Gelehrten ab und öffnete sich den Zugang zur polit. Thätigkeit, wodurch seine natürliche Befähigung zum Historiker in selten eintretender W eise ergänzt wurde. Ihm fehlte aber die Festigkeit des Charakters; er huldigte in seiner Schweizergeschichte der Republik, schrieb für den Adel, für den Fürstenbund, für die großen Päpste des Mittelalters, gegen die franz. Republik, rühmte Friedrich II. und ebenso Napoleon I., u. alles dies in den gewähltesten Phrasen, die von Patriotismus, Seelengröße, religiöser Weihe etc. überfließen und wie Orakel hoher politischer Weisheit tönen. Sein Hauptwerk ist die »Schweizergeschichte«, in welcher er jedoch keineswegs so kritisch verfuhr, als lange geglaubt wurde u. mit Rücksicht auf die herrschende Aristokratie manches verschwieg oder entstellte, auch einen Hang zur Phraseologie und geschraubten Kürze des Ausdrucks entwickelte, der längere Zeit in der deutschen Geschichtsschreibung nicht zu ihrem Nutzen nachgeahmt wurde. Seine »24 Bücher allgemeiner Geschichten« imponiren durch die Darstellung, die aber manchmal die Inhaltlosigkeit verdeckt; in seinen »Reisen der Päpste« dagegen hat er zur Würdigung des mittelalterlichen Papstthums wesentlich beigetragen; seine Briefe, namentlich die an seinen Freund Bonstetten werden immerfort Jünglinge zum histor. Studium begeistern. Seine sämmtlichen Werke sind in mehrfachen Auflagen bei Cotta erschienen. Sein Bruder Joh. Georg M., geb. 1759, gest. 1819 als Professor zu Schaffhausen, gab einige pädagog. Schriften hrs.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 257.
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