Phantasie

[521] Phantasie, griech., ein bei den alten Philosophen nicht allzu häufig u. meist in der Bedeutung von sinnlicher Vorstellung vorkommender Ausdruck, nannten die Neuern im allgemeinen die Macht der Seele über den Inhalt ihres Gedächtnisses, in Folge deren sie gehabte Vorstellungen und Ideen nicht nur willkürlich in sich zurückzurufen (Erinnerung), sondern dieselben auch zu verarbeiten und neue daraus zu gestalten vermag (Einbildungskraft). Wie dieses geschieht, wissen wir nicht, aber daß auch die Thierseele P. in diesem Sinne hat, zeigt z.B. das Träumen der Hunde, Pferde u.s.f. P. od. Einbildungskraft im höhern Sinne ist das Vermögen des Geistes, Ideen in der Form des Bildes oder der Sinnlichkeit in sich zu erzeugen; auch hier wird unterschieden die reproductive P. von der productiven oder P. im engern und eigentlichen Sinne, indem jene früher gegebene Ideen aus der Wirklichkeit sich wiederum vergegenwärtiget, diese dieselben verarbeitet und Neues daraus schöpferisch gestaltet. Auch hier ist das Wie ein psychologisches Räthsel und wird nicht aufgehellt, wenn man den Hergang mit der sog. Association der Ideen, intellectuellen Anschauung und dergleichen abermaligen Räthseln erklären will. – Phantasiren, sich dem Spiel seiner P. überlassen; beim Musiker: momentanen Empfindungen musikalischen Ausdruck verleihen; beim Improvisator: über irgend einen Gegenstand sofort in poetischer Form sich äußern; dann mit seinen Gedanken rasch oder wunderlich oder auf beide Arten zugleich umherirren, wie dies z.B. bei phantasiereichen Menschen im Zustande der Aufgeregtheit, bei Fieberkranken u.s.f. der Fall ist. – Phantasmata oder Phantome, wesenlose Gestalten, Scheinbilder, Trug- od. Hirngespinnste. – Phantasmagorie, die Kunst solche Gestalten erscheinen zu machen, wozu eine laterna magica und dergleichen Apparate verwendet werden. – Phantasmaskopie, das Sehen von Phantomen, die Gespensterseherei. – Phantast, ein Mensch, bei dem die productive P. lebhaft und in unordentlicher Weise thätig ist, so daß bei seinen Urtheilen über die Wirklichkeit die ruhige Ueberlegung u. der gesunde Menschenverstand ihm alle Augenblicke durchgehen; der Schwärmer, Narr. – Phantastisch, was einem Phantasten entspricht, somit schwärmerisch, hochfliegend, abenteurlich, ungeheuerlich.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 521.
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