Skepsis

[227] Skepsis, griech., Skepticismus, griech.-lat., der Zweifel, die Zweifelsucht, in der Wissenschaft und besonders in der Philosophie der Gegensatz zum Dogmaticismus (s. d.); Skeptiker, der Zweifler, skeptisch, zweifelsüchtig, unentschieden. Der Zweifel läßt sich im Allgemeinen als der Ausgang und die fortbewegende Kraft aller Wissenschaft und Philosophie betrachten, aber die S., wie dieselbe in der Geschichte der Philosophie erscheint, ist nicht sowohl Zweifelsucht im Allgemeinen als eine mehr oder minder schroff aufgetretene Verzweiflung an aller Wahrheit, welche einerseits nicht los werden kann von der Sehnsucht nach absoluter Wahrheit u. Gewißheit, anderseits keine Möglichkeit mehr sieht, wie der Mensch dazu zu gelangen vermöge. In der griech. Philosophie ließen sich zunächst die Sophisten als Vertreter der S. betrachten,[227] allein gewöhnlich beschränkt man die erste skeptische Schule im engern Sinne auf den Pyrrho von Elis und seinen Anhang (s. Pyrrho), unter welchem sein Schüler Timon aus Phlius der bekannteste ist. Gleich den Stoikern und Epikuräern wollten diese Skeptiker durch die Philosophie den Weg zum wahren Glücke finden n. fanden ihn in der Apathie, welche über nichts ein bestimmtes Urtheil abgibt u. gegen alles gleichgültig zu werden strebt. Die Zurückhaltung jedes entschiedenen Urtheiles aber begründeten sie mit 10 berühmten Tropen (Wendungen, Beweisführungen), nämlich 1) mit der Verschiedenheit der sinnlich lebenden Einzelwesen überhaupt; 2) mit dem großen Unterschied, der insbesondere unter den Menschen stattfinde; 3) mit der höchst verschiedenartigen Einrichtung der Sinneswerkzeuge u. 4) der Verschiedenheit der Zustände z.B. der Gesundheit, Freude, des Wachens u.s.f. sowie des Gegentheiles; ferner damit, weil 5) die Dinge uns je nach Ort, Lage, Stellung, Entfernung u.s.w. anders erscheinen; 6) durch Luft u. Licht, Wärme und Kälte u.s.f. sich stets verändern, dann 7) weil die Dinge je nach ihrer Größe oder Vielheit einen sehr verschiedenen Eindruck auf uns hervorbringen z.B. einige Sandkörner u. ein ganzer Haufen, der Genuß von wenig Wein und von sehr vielem; 8) weil überhaupt die Eigenschaften, die wir den Dingen beilegen, lediglich gewisse Verhältnisse derselben zu einander und zu uns, keineswegs aber ihre Beschaffenheit und das Wesen ausdrückten, und weil diese Verhältnisse zudem sehr veränderlich seien; 9) weil wir zwischen dem selten Vorkommenden und Gewöhnlichen einen großen Unterschied, durch Gewohnheit uns Schädliches unschädlich od. gar zum Bedürfniß machen und endlich 10) weil jeder in seinem Urtheil mehr oder minder von den Einrichtungen, Sitten, Gesetzen, Mären und Meinungen abhängig ist, unter denen und mit denen er aufwuchs. Obwohl sich alle diese Argumente auf das 8. zurückführen lassen, sind doch auch sie ein Beweis, welch scharfsinnige Denker noch das erlöschende Alterthum besaß. Zur Zeit der gänzlichen Auflösung der griech. Philosophie, etwa im Zeitalter des Cicero, tauchte die jüngere skeptische Schule auf, als deren Vertreter Agrippa, Aenesidemus und besonders Sextus Empiricus (s. d.) dastehen. Als Vertreter der S. des Mittelalters können die Nominalisten gelten, jedoch in sehr beschränktem Sinne, vgl. Nominalismus, Scholastik; die hervorragendsten Skeptiker der neuern Zeit waren: Montaigne, Locke, Hume und Kant, s. d. betr. Art.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 227-228.
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