|
[187] Unvermutet, wie zumeist,
Kommt die Tante zugereist.
Herzlich hat man sie geküßt,
Weil sie sehr vermöglich ist.
Unser Julchen, als es sah,
Daß die gute Tante da,
Weiß vor Freude nicht zu bleiben
Und hat allerlei zu schreiben. –
[187]
Sutitt hielt vor großem Kummer
Grade einen kleinen Schlummer.
Froh wird er emporgeschnellt,
Als er dies Billett erhält:
»Weißt du, wo die Rose blüht???
Komm zu mir, wenn's keiner sieht!!«
Stolz und schleunig diese Zeilen
Mickefetten mitzuteilen,
Eilt er zur Aptheke hin.
Ach, wie wurde dem zu Sinn;
Plump! so fällt ihm wie ein Stein
Neidgefühl ins Herz hinein.
[188]
Aber sagen tut er nichts. –
Scheinbar heitern Angesichts
Mischt er mancherlei Essenzen,
Ums dem Freunde zu kredenzen
Unter Glück- und Segenswunsch;
[189] Und dem Freunde schmeckt der Punsch. –
Hoffnungsvoll, beredt und heiter
Schlürft er arglos immer weiter.
Aber plötzlich wird er eigen,
Fängt sehr peinlich an zu schweigen
[190]
Und erhebt sich von dem Sitz.
»Ei«, ruft Mickefett, »potzblitz!
Bleib doch noch ein wenig hier!«
Schnupp! Er ist schon aus der Tür. –
[191]
Mickefett voll List und Tücke
Wartet nicht bis er zurücke,
Sondern schleicht als falscher Freund,
Wo ihm Glück zu winken scheint. –
Seht, da steigt er schon hinein.
Freudig zittert sein Gebein.
[192]
Und er küßt die zarte Hand,
Die er da im Dunkeln fand.
Und er hält mit Liebeshast
Eine Nachtgestalt umfaßt. –
Mickefett! Das gibt Malör,
Denn die Tante liebt nicht mehr! –
[193]
Ängstlichschnelle, laut und helle
Schwingt sie in der Hand die Schelle.
Schwerbewaffnet kommt man jetzt.
Mickefett ist höchst entsetzt.
Schamverwirrt und voller Schrecken
Will er sich sogleich verstecken.
[194]
Aber autsch! Der Säbel ritzt,
Weil er vorne zugespitzt.
Schmerzgefühl bei großer Enge
Wirkt ermüdend auf die Länge.
[195]
Bratsch! Mit Rauschen und Geklirr
Leert sich jedes Waschgeschirr.
Man ist sehr verwirrt und feucht.
Mickefett entschwirrt und fleucht.
[196]
Schmerzlich an den Stoff der Hose
Heftet sich die Dornenrose.
Ausgewählte Ausgaben von
Julchen
|
Buchempfehlung
1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro