Die Erzählung des Pfarrers.

[248] Unser lieber Herrgott im Himmel, welcher will, daß Niemand untergehen solle, sondern daß wir Alle zu seiner Erkenntniß gelangen und zum segensreichen Leben, welches ewig ist, ermahnt uns durch den Propheten Jeremias und spricht in dieser Weise: Stehet auf den Gassen und schauet und fraget nach den vorigen Wegen – das heißt den alten Bibelsprüchen – welches der gute Weg sei, und wandelt darinnen, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen! Viele sind der geistlichen Wege, welche das Volk zu unserm Herrn Jesus Christus führen und zum Reiche der Herrlichkeit. Unter diesen Wegen giebt es einen höchst edlen und vortrefflichen, der keinem Manne und keinem Weibe ermangeln kann, welche durch Sünde von dem rechten Pfade zum himmlischen Jerusalem abgewichen sind. Und dieser Weg heißt: die Buße; nach welchem Jedermann sich freudig umhören und von ganzem Herzen fragen sollte, um zu erfahren, was Buße sei, weßhalb sie Buße heiße, wie viele Handlungen und Werke der Buße es gebe, und in wie viele Gattungen die Buße zerfalle, was zur Buße nothwendig und unerläßlich sei, und was die Buße hindere. – St. Ambrosius sagt: Die Buße ist der Jammer eines Mannes über die Schuld, welche er auf sich geladen hat, und der Entschluß, nichts mehr zu thun, was ihm gereuen könnte. Und ein Doctor sagt: Buße ist das Wehgeschrei eines Mannes, der über seine Sünde bekümmert ist und sich mit Sorgen quält um das, was er gethan hat. Buße ist, umständlicher angegeben, die wahre Reue eines Mannes, den seine Sünde leid und peinlich ist; und um daher wahrhaft bußfertig zu sein, muß er zunächst die Sünde beklagen, welche er begangen hat und im Herzen den festen[249] Vorsatz fassen, sie zu beichten und zu sühnen und niemals etwas wieder zu thun, was er zu beweinen und zu beklagen hat, und stets in guten Werken zu beharren; denn sonst kann seine Reue ihm nichts nützen. St. Isidorus sagt: Der ist ein Schwätzer und ein Plapperer und nicht wahrhaft bußfertig, der wiederholt das thut, was er bereuen muß. Weinen und doch nicht von der Sünde lassen, hilft zu nichts. Indeß der Mensch soll immer hoffen, daß, wenn er fällt, und sei es noch so oft, er sich durch Buße wieder erheben kann, sofern er Gnade findet; doch dieses ist gewiß höchst zweifelhaft. Denn, wie St. Gregorius sagt: Nicht leicht erhebt sich aus der Sünde, wem der Vorwurf böser Angewohnheit trifft. Und darum hält die heilige Kirche reuige Leute, welche aufhören zu sündigen und von der Sünde lassen, oder von denen die Sünde läßt, ihres Seelenheils sicher. Und bei dem, welcher sündigt, aber an seinem letzten Tage aufrichtig bereut, hegt auch die heilige Kirche noch Hoffnung auf Rettung seiner Reue wegen durch die große Gnade unseres Herrn, Jesu Christi.

Aber nehmt Ihr den sichern und den zuverlässigen Weg! Und, nachdem ich Euch nun erklärt habe, was Buße ist, sollt Ihr verstehen, daß es drei Handlungen der Buße giebt.

Die erste ist: daß ein Mann getauft wird, nachdem er gesündigt hat. St. Augustinus sagt: Nur wer sein altes, sündenvolles Leben bereut, kann ein neues, reines Leben beginnen; denn, wenn er ohne Reue über seine Schuld getauft wird, so ist es sicher, daß er zwar das Zeichen der Taufe empfängt, aber nicht ihre Gnade, nach Vergebung der Sünden, bevor er nicht wahrhaftige Reue empfunden hat. Ein andrer Mißstand ist, daß Leute Todsünden begehen, nachdem sie die Taufe empfangen haben. Der dritte Mißstand ist, daß Menschen nach ihrer Taufe täglich in läßliche Sünden fallen. Hierüber sagt St. Augustin: Die Buße demüthiger und guter Leute ist eine tägliche Buße.

An Gattungen der Buße giebt es drei. Die eine ist: feierlich; die andere: allgemein; und die dritte: heimlich.

Diejenige Buße, welche feierlich ist, zerfällt in zwei Arten.

Wie in den Fasten aus der Kirche verwiesen zu werden für Kindesmord und derartige Sachen. Eine andere ist, wenn ein Mann öffentlich gesündigt hat und seine Schuld im Lande öffentlich ruchbar geworden ist; dann zwingt ihn die heilige Kirche durch ihr Urtheil, dafür auch öffentliche Buße zu thun. Allgemeine Buße ist, daß die Priester in gewissen Fällen den Menschen auferlegen, beispielsweise[250] nackend oder barfuß auf Pilgerfahrt zu gehen. Heimliche Buße ist die, so alle Menschen täglich für ihre heimlichen Sünden thun, die wir nur heimlich bekennen, und dafür heimliche Buße auferlegt erhalten.

Nun sollst Du lernen, was unerläßlich, nothwendig und dienlich für jede vollkommene Buße ist. Und dieses beruht auf drei Dingen: Zerknirschung des Herzens, Beichte des Mundes und Sühne. Deshalb sagt St. Johannes Chrysostomus: Buße bewegt den Mann, gutwillig jede Strafe anzunehmen, die ihm auferlegt wird, mit zerknirschtem Herzen, durch Beichte seines Mundes, durch Sühne und Vollbringung aller Werke der Demuth. Und dies ist die fruchtbringende Buße für jene drei Dinge, durch welche wir unsern Herrn Jesus Christus kränken, nämlich durch Sünde in Gedanken, im sorgenlosen Reden und im bösen Thun. Und in Bezug auf diese drei Sünden kann man die Buße einem Baume vergleichen. Die Wurzel des Baumes ist Zerknirschung, die im Herzen desjenigen ruht, der wahrhaft reuig ist, wie die Wurzel des Baumes in der Erde. Aus dieser Wurzel der Zerknirschung springt ein Stamm, der die Aeste und Blätter der Beichte und die Früchte der Sühne trägt. Von welchen Christus in seinem Evangelium spricht: Thut rechtschaffene Früchte der Buße; denn durch diese Früchte kann man den Baum nur unterscheiden und erkennen, nicht an der Wurzel, welche im Herzen des Menschen verborgen ist, nicht bei den Zweigen und Blättern der Beichte. Darum sagt unser Herr, Jesus Christ: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Aus dieser Wurzel springt auch der Samen der Gnade empor, welcher die Mutter des Heils ist und dieser Samen ist thätig und heiß. Die Gnade dieses Samens kommt von Gott durch die Erinnerung an den Tag des Gerichtes und die Strafen der Hölle. Hierüber sagt Salamo: daß aus Furcht vor Gott der Mensch seine Sünde verlasse. Die Hitze dieses Samens ist die Gottesliebe und das Verlangen nach ewiger Seligkeit. Diese Hitze zieht das Menschenherz zu Gott und macht ihm die Sünde verhaßt. Gewiß, nichts giebt es, was dem Kinde so gut schmeckt, als die Milch seiner Amme, aber nichts ist ihm mehr zuwider als die Milch, wenn ihm andere Nahrung gereicht wird. Gerade so erscheint dem Sünder die Sünde, welche er liebt, als das süßeste aller Dinge; doch sobald er ernstlich unserm Herrn Jesum Christum liebt und nach dem ewigen Leben verlangt, so giebt es nichts, was er mehr verabscheut. Denn, fürwahr, das Gesetz Gottes ist die Liebe Gottes. Deshalb sagt [251] David, der Prophet: Ich halte die Wege meines Herrn und bin nicht gottlos wider meinen Gott. Wer Gott liebt, hält seine Gebote und sein Wort. Diesen Baum sah der Prophet Daniel im Geiste beim Traumgesicht des Nebukadnezars, als er ihm rieth, Buße zu thun.

Buße ist der Baum des Lebens für die, so sie thun, und derjenige, der wahrhaft bußfertig ist, empfängt Segen nach dem Spruch des Salamo.

Bei dieser Buße oder Zerknirschung sind vier Sachen zu unterscheiden. Nämlich, was Zerknirschung heißt, welches die Ursachen sind, die uns zur Zerknirschung bringen, wie die Zerknirschung beschaffen sein soll und in welcher Art sie der Seele nützt. Nun aber steht es so, daß Zerknirschung der aufrichtige Kummer ist, welchen man im Herzen für seine Sünden fühlt mit dem ernsten Vorsatz zu beichten, zu büßen und niemals wieder zu sündigen. Und wie St. Bernhard sagt, soll dieser Kummer also beschaffen sein: er soll schwer, schmerzlich, scharf und schneidend sein. Erstens: weil der Mensch sich gegen seinen Herrn und Schöpfer vergangen hat; schärfer und stechender, weil er gegen seinen Vater im Himmel gesündigt hat; noch weit schärfer und stechender, weil er schuldbeladen und sündig vor dem ist, welcher uns durch sein kostbares Blut von den Banden der Sünde, von der Grausamkeit des Teufels und von den Qualen der Hölle losgekauft hat.

Die Gründe, welche einen Mann zur Zerknirschung bewegen sollen, sind sechsfacher Art. Zunächst soll der Mensch seiner Sünden eingedenk sein. Aber er sehe sich wohl vor, daß diese Erinnerung für ihn in keiner Weise ein Vergnügen, sondern große Scham und Sorge ob seiner Sünden sei. Denn Hiob sagt: Wer Sünde thut, soll seine Schuld bekennen. Und deßhalb sagt Hesekiel: Ich will mit Bitterkeit im Herzen mich aller Jahre meines Lebens erinnern. Und Gott sagt in der Apokalypse: Bedenket, wovon ihr gefallen seid. Denn ehe ihr sündigtet, waret ihr die Kinder Gottes und Glieder seines Reiches; aber durch eure Sünde seid ihr faule Knechte geworden, Glieder des Teufels, Verächter der Engel, Spötter der heiligen Kirche, Speise für die falsche Schlange und Brennstoff für das höllische Feuer. Ja, noch fauler und abscheulicher, denn ihr kehrt zur Sünde zurück, wie der Hund zu seinem Ausgespeiten, und weit fauler noch durch euer langes Verharren in der Sünde und lasterhafte Gewohnheit, durch welche ihr in Sünden verfault, wie das Vieh in seinem eigenen Miste.

Solche Gedanken machen den Menschen wegen seiner Sünde beschämt und nicht erfreut, wie Gott sagt durch den Propheten[252] Hesekiel: Ihr werdet eurer Wege gedenken und sie werden euch mißfallen. Gewiß, die Sünde ist der Weg, welcher den Menschen zur Hölle führt.

Der zweite Grund, welcher den Menschen bewegen sollte, Abscheu vor der Sünde zu haben, ist dieser, daß – wie St. Petrus sagt –derjenige, welcher Sünde thut, sich zum Knechte des Verderbens macht; denn Sünde bringt den Mann in große Knechtschaft. Und daher sagt der Prophet Hesekiel: ich ward betrübt und hatte Abscheu vor mir selber. Fürwahr, mit Recht sollte ein Mann die Sünde verabscheuen und sich von jener Knechtschaft und Missethat frei machen. Und seht, was Seneka über diesen Gegenstand sagt. Er spricht: Ob ich auch wüßte, daß weder Gott noch Menschen es je erführen, so würde ich doch verschmähen, zu sündigen. Und derselbe Seneka sagt auch: Ich bin zu größeren Dingen geboren, als der Sclave meines Körpers zu sein und meinen Körper zum Sclaven zu machen. Und keinen schlimmeren Sclaven kann Mann oder Weib aus dem Körper machen, als wenn sie denselben der Sünde überlassen. Wäre es auch der gemeinste Kerl und das gemeinste Weib von geringstem Werthe, sie werden dennoch in schlimmerer Lage und größerer Knechtschaft sein. Je höher der Rang ist, von welchem der Mensch herabfällt, um so mehr wird er immer Knecht und vor Gott und der Welt niederträchtig und verächtlich sein. O, guter Gott! wohl sollte der Mensch Abscheu vor der Sünde hegen, denn aus einem Freien macht sie ihn zum Sclaven. Und daher sagt St. Augustin: Wenn du den Knecht verachtest, weil er sich vergeht oder sündigt, dann fühle auch selber Abscheu, Sünden zu begehen. Denke an den eignen Werth, daß du nicht verächtlich vor dir selbst seist! Ach! wohl sollten die, so sich zu Knechten und Sclaven der Sünde nicht hergeben wollen, welche Gott in seiner endlosen Güte so hoch gestellt, denen er Witz, Körperkraft, Gesundheit, Schönheit und Wohlstand gegeben, und die er vom Tode mit seinem Herzblut erkauft hat, sich vor sich selber schämen, daß sie ihm seine Güte durch so schmählichen Undank lohnen, indem sie ihre eigene Seele abschlachten. O, guter Gott! ihr Weiber, die ihr so schön seid, denkt an den Spruch Salamos, welcher ein schönes Weib, welches eine Närrin ihres eigenen Leibes ist, mit einem Goldringe vergleicht, so in der Nase einer Sau getragen wird. Denn, wie die Sau sich in jeder Pfütze wälzt, so wälzt sie auch ihre Schönheit in dem stinkenden Schlamme der Sünde.

Der dritte Grund, welcher einen Menschen zur Zerknirschung[253] bewegen sollte, ist die Furcht vor dem Tage des Gerichts und den gräßlichen Strafen der Hölle. Denn St. Hieronymus sagt: Jedesmal, daß ich an den Tag des Gerichtes denke, bebe ich; denn esse ich, oder trinke ich, oder thue, was ich thue, so deucht mir, die Trompete töne in mein Ohr: Erhebt euch, die ihr todt seid, und kommt vor das Gericht! O, guter Gott! wie sehr sollte man solch ein Gericht fürchten, wo wir alle – wie St. Paul sagt – vor dem gerechten Gerichte unseres Herrn Jesus Christus stehen, wenn er die allgemeine Versammlung hält, wo niemand fehlen darf; denn sicherlich, es giebt keine Ausrede noch Entschuldigung, und nicht nur über unsere Fehler soll Recht gesprochen, sondern auch unsere Werke sollen öffentlich erkannt werden. Und – wie St. Bernhard sagt – dort wird keine Entschuldigung und keine List nützen, denn ihr müßt Rechenschaft geben von jedem unnützen Worte. Dort werden wir einen Richter finden, der nicht zu täuschen und nicht zu bestechen ist; und weßhalb? denn wahrlich alle unsere Gedanken sind ihm bekannt, und weder Bitten, noch Gaben können ihn bestechen. Und deßhalb sagt Salamo: Der Zorn Gottes wird niemanden verschonen um keiner Bitte und um keiner Gabe willen. Und daher ist keine Hoffnung, am Tage des Gerichts zu entfliehen. Deßhalb sagt St. Anselmus: Große Angst wird die Sünder zu dieser Zeit ergreifen. Der ernste und zornige Richter wird oben sitzen und unter ihm öffnet sich der gräßliche Schlund der Hölle, die zu verschlingen, so ihre Sünden nicht bekennen wollen, welche sich öffentlich vor Gott und jeder Kreatur zeigen werden; und zur Linken werden mehr Teufel sein, als irgend ein Herz denken kann, um die sündhaften Seelen in den Höllenschlund zu treiben und zu ziehen, und in den Herzen der Leute wird das beißende Gewissen sein, und sodann wird auch die ganze Welt in Flammen stehen. Wohin soll die elende Seele dann fliehen, um sich zu verbergen? Gewiß sie kann sich nicht verbergen, sie muß hervorkommen und sich zeigen. Denn sicherlich – wie St. Hieronymus sagt: die Erde wird ihn auswerfen und das Meer und die Luft, welche voll Donner und Blitz sein wird. Nun, wahrhaftig, wer sich dieser Dinge erinnern will, dem werden sicherlich seine Sünden keinen Kitzel erregen, sondern schwere Sorge aus Furcht vor den Strafen der Hölle. Und deßhalb sagt Hiob zu Gott: Gestatte, Herr, daß ich eine zeitlang klage und traure, ehe ich hingehe und komme nicht wieder, nämlich ins Land der Finsterniß, wo der Schatten des Todes ist und keine Ordnung[254] herrscht, sondern grausige Furcht ohne Ende. Ja! hier könnt ihr sehen, daß Hiob um einen kurzen Aufschub bat, seine Schuld zu beweinen und zu bejammern; denn wahrlich alle Sorgen, die sich ein Mann seit dem Beginne der Welt je machen konnte, sind nur geringfügige Sachen im Vergleiche zu den Sorgen der Hölle. Versteht es wohl! Der Grund, weßhalb Hiob die Hölle das Land der Dunkelheit nennt, ist dieser. Er nennt sie Land oder Erde, weil sie fest und ständig ist; und dunkel, weil der, so in der Hölle ist, Mangel leidet an dem natürlichen Lichte; denn, wahrlich, das dunkle Licht, das aus dem ewig und immerwährendem Feuer kommt, wird denen Schmerzen verursachen, welche in der Hölle sind, denn es zeigt ihnen die gräulichen Teufel, welche sie quälen. Bedeckt mit der Finsterniß des Todes; das heißt, daß demjenigen, der in der Hölle ist, das Angesicht Gottes fehlt, denn, wahrlich, Gottes Angesicht ist das ewige Leben. Die Dunkelheit des Todes; das sind die Sünden, die der elende Mensch gethan hat, und welche ihn verhindern, das Angesicht Gottes zu schauen, gleich wie eine dunkle Wolke, die zwischen uns und der Sonne steht. Es ist das Land des Unbehagens, weil dort an den drei Dingen Mangel ist, welche die Leute dieser Welt während ihrer Lebenszeit haben, nämlich Ehre, Vergnügen und Reichthum. Anstatt Ehre haben sie in der Hölle Schande und Verderben; denn ihr wißt wohl, daß man Ehre die Hochachtung nennt, welche die Menschen einander erweisen; aber, sicherlich, dort wird dem Könige nicht mehr Hochachtung gezollt als dem Knechte. Deßhalb spricht Gott durch den Propheten Jeremias: die, so mich verachten, werden verachtet sein! Ehre wird gleichfalls große Herrschaft genannt. Dort wird kein Mensch dem andern dienen, denn nur zum Schaden und zur Qual. Ehre wird auch große Würdigkeit und Hoheit genannt; aber in der Hölle wird sie von Teufeln zu Boden getrampelt werden. Wie Gott spricht, werden die gräulichen Teufel auf den Köpfen der Verdammten gehen und einherschreiten, und je höher sie in diesem gegenwärtigen Leben gestanden haben, um desto tiefer werden sie in der Hölle erniedrigt und entehrt werden. Statt der Reichthümer dieser Welt werden sie das Ungemach der Armuth haben, und diese Armuth wird aus vier Dingen bestehen: Mangel an Schätzen, worüber David sagt: die Reichen, welche mit ihren Schätzen hängen und kleben, werden den Schlaf des Todes schlafen, und sie werden von allen ihren Schätzen nichts in ihren Händen finden. Und ferner besteht das Ungemach der[255] Hölle in Mangel an Speise und Trank. Denn Gott spricht so durch Moses: sie werden durch Hunger verzehrt werden, und die Vögel der Hölle werden sie verschlingen zu bitterem Tod, und die Galle des Drachen wird ihr Trunk und das Gift des Drachen wird ihre Speise sein. Und zu noch größerem Ungemach wird ihnen Kleidung fehlen; denn sie werden nackend und ohne Hülle sein außer dem Feuer, in welchem sie brennen, und anderem Kothe; und sie werden nackend im Geiste sein, aller Tugend bar, welche die Kleidung der Seele ist. Wo bleiben da die lustigen Gewänder, die weichen Decken, die feinen Hemden? Seht! was spricht Gott durch den Propheten Jesaias? Unter sie sollen Motten gestreut werden und die Würmer der Hölle sollen ihre Decken sein. Und zu noch größerem Ungemach wird dort Mangel an Freunden sein; denn dort giebt es keinen Freund, denn weder Gott noch irgend ein gutes Geschöpf wird ihr Freund sein, und jeder von ihnen wird mit tödtlichem Hasse den andern hassen. Die Söhne und Töchter werden sich erheben wider ihre Väter und Mütter, Art gegen Art, und sie werden sich gegenseitig beschimpfen und schelten bei Tage und bei Nacht, wie Gott spricht durch den Propheten Micha. Und von den verliebten Kindern, welche ehedem so fleischlich liebten, würde jeder den andern auffressen, wenn er nur könnte. Denn, wie könnten sich in den Qualen der Hölle diejenigen lieben, die sich schon in der Glückseligkeit dieses Lebens gegenseitig haßten? Denn glaubt mir, ihre fleischliche Liebe war tödtlicher Haß. Wie der Prophet David sagt: Wer Schlechtigkeit liebt haßt seine eigene Seele, und wer seine eigene Seele haßt, der kann, fürwahr, einen andern nimmermehr lieben; und deßhalb giebt es in der Hölle keinen Trost und keine Freundschaft, und je näher diejenigen, so in der Hölle wohnen, mit einander verwandt sind, desto mehr wird auch des gegenseitigen Fluchens, Scheltens und tödtlichen Hasses sein. Und außerdem werden sie Mangel an Vergnügungen haben; denn, wahrlich, Vergnügungen entspringen den fünf Sinnen, wie Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen. Aber in der Hölle wird ihr Gesicht voll Dunkelheit und Rauch sein und ihre Augen voller Thränen; ihr Gehör voller Heulen und Zähneklappern, wie Jesus Christ sagt; und ihre Nasenlöcher werden voll Gestank sein; und ihr Geschmack – wie der Prophet Jesais sagt – wird bittere Galle sein; und was das Gefühl anbetrifft, so wird ihr ganzer Körper mit Feuer bedeckt sein, das unauslöschbar ist, und mit Würmern, die nimmer sterben, wie Gott durch den Mund des[256] Propheten Jesaias spricht. Und damit sie nicht wähnen mögen, sie könnten vor Qual sterben und durch den Tod derselben also entfliehen, sollen sie lernen die Worte Hiobs zu verstehen, welcher spricht: Dort ist der Schatten des Todes. – Jawohl! ein Schatten gleicht dem Gegenstande, welcher ihn wirft. Grade so steht es mit der Qual der Hölle. Sie gleicht dem Tode wegen der fürchterlichen Angst. Und weßhalb? Weil es sie immer schmerzt, als ob sie auf der Stelle sterben würden; aber, fürwahr, sie sollen nicht sterben! Denn – wie der heilige Gregorius sagt: den elenden Lumpenhunden soll der Tod ohne Tod sein, das Ende ohne Ende und an Mangel soll ihnen es nicht mangeln, denn ihr Tod soll ewig leben, ihr Ende soll immer von neuem beginnen und ihr Mangel soll nimmer aufhören. Und derowegen sagt St. Johann der Evangelist: Sie werden dem Tode nachgehen, aber sie werden ihn nicht finden; sie werden zu sterben wünschen, aber der Tod wird vor ihnen fliehen. Und auch Hiob sagt: daß in der Hölle keine Ordnung und keine Regel herrsche. Und wenn auch Gott alles in rechter Ordnung, und nichts ohne Ordnung geschaffen hat, dagegen alles geregelt und gezählt von ihm ist, nichtsdestoweniger stehen die Verdammten außer der Ordnung und halten keine Ordnung. Denn die Erde trägt für sie keine Frucht – denn, wie David sagt, Gott wird die Frucht der Erde vor ihnen zerstören – das Wasser giebt ihnen keine Feuchtigkeit, die Luft keine Erfrischung, das Feuer kein Licht. Denn – wie der heilige Basilius sagt – den Brand des Feuers dieser Welt wird Gott den Verdammten in der Hölle geben; aber die Klarheit und das Licht desselben seinen Kindern im Himmel, wie ein guter Hausvater seinen Kindern das Fleisch und den Hunden die Knochen giebt. Und sie werden keine Hoffnung zu entfliehen haben – sagt Hiob zuletzt–und Angst und grause Furcht soll dort für immerdar wohnen. Angst ist die stete Furcht vor den Leiden, die kommen werden und diese Furcht wird stets in den Herzen der Verdammten wohnen. Und somit haben sie aus sieben verschiedenen Ursachen all ihre Hoffnung verloren. Erstens: weil Gott, der sie richtet, ohne Gnade für sie sein wird; sie können ihm nicht gefallen, noch irgend einem Heiligen; sie können kein Lösegeld zahlen; sie haben keine Stimme mit ihm zu reden; sie können der Qual nicht entfliehen; sie haben keine Kraft zum Guten in sich, welche sie zeigen könnten, um sich von den Qualen zu befreien. Und daher sagt Salamo: Der gottlose Mensch stirbt; und ist er todt, so[257] bleibt ihm keine Hoffnung der Qual zu entrinnen. Wer also diese Qualen wohl erfassen und daran denken will, daß er sie selbst für seine Sünden verdient habe, der wird sicher mehr Neigung fühlen, zu seufzen und zu weinen, als zu singen und zu spielen. Denn – wie Salamo sagt: Wer Kunde hat von den Qualen, die über die Sünde bestimmt und verhängt worden sind, der möchte die Sünde verlassen. Diese Kunde – sagt St. Augustin – macht den Menschen wehleidig im tiefsten Herzen.

Der vierte Punkt, welcher den Menschen zur Zerknirschung bringen sollte, ist die sorgenvolle Erinnerung an die guten Thaten, die er vergeblich hier auf Erden vollbracht und an das gute, was er umsonst gethan hat. Fürwahr, die guten Werke, welche umsonst gethan sind, können solche gute Werke sein, welche der Mensch gethan hat, bevor er in Todsünde fiel, oder solche, die er verrichtete, während er in Sünden lag. Wahrlich, alle guten Werke, die er that, ehe er in Todsünde fiel, sind sammt und sonders getödtet, vernichtet und abgeschwächt durch sein wiederholtes Sündigen; die andern Werke, welche er that, während er in Sünden lag, sind gänzlich todt für das ewige Leben im Himmel. Denn diejenigen guten Werke, welche durch wiederholtes Sündigen getödtet sind, und die er gethan hat, während er in Huld stand, können ohne wahre Reue niemals wieder lebendig werden. Und darüber sagt Gott durch den Mund des Hesekiel: Wenn der gerechte Mensch sich wiederum von der Gerechtigkeit abwendet und Böses thut, wird er dann leben? – Nein! denn aller seiner guten Werke, die er verrichtet hat, wird nimmerdar gedacht werden, denn in seiner Sünde wird er sterben. Und über dasselbe Capitel äußert sich St. Gregorius so: Wir sollten vor allem begreifen lernen, daß, wenn wir Todsünde begehen, es uns zu garnichts helfen könne, uns der guten Werke zu erinnern, welche wir zuvor gethan haben und sie in unser Gedächtniß zurückzurufen; denn, sicherlich durch die Begehung von Todsünde ist kein Verlaß mehr auf die guten Werke, welche wir früher verrichtet haben, wenigstens nicht insofern wir dadurch das ewige Leben im Himmel erwerben können. Indessen nichtsdestoweniger kehren die guten Werke zurück und werden wieder lebendig, und helfen und fördern uns, das ewige Leben im Himmel zu erlangen, wenn wir Zerknirschung hegen. Aber, wahrlich, die guten Werke, welche man thut, während man in Todsünde ist, stehen nie wieder auf; denn das ist klar, ein Ding, welches nie gelebt hat, kann auch nimmer wieder[258] zu Leben kommen. Jedoch, ob sie zwar nicht dazu nützen können, das ewige Leben zu gewinnen, vermögen sie dennoch die Qualen der Hölle abzukürzen oder wir mögen zeitliche Güter durch dieselben erwerben, oder Gott mag durch dieselben das Herz des Sünders erhellen und erleuchten, damit er Reue fühle; auch nützen sie dadurch, daß sie den Menschen an das Verrichten guter Werke gewöhnen, damit der Feind weniger Gewalt über seine Seele habe. Und daher will der gütige Herr, Jesus Christ, daß kein gutes Werk verloren gehe, sondern zu irgend etwas nütze. Aber insofern die guten Werke, welche Menschen thun, während sie rechtschaffen leben, insgesammt durch die nachfolgende Sünde getödtet werden, und auch insofern alle guten Werke, welche Menschen verrichten, während sie in Todsünde sind, gänzlich abgestorben sind in Bezug auf die Erlangung des ewigen Lebens, so kann auch mit Recht der Mann, welcher keine gute Werke thut, jenes neue französische Lied singen: »J'ai tout perdu mon temps et mon labour.« Denn, gewiß, die Sünde beraubt den Menschen seiner natürlichen, sowie seiner ihm durch Gnade verliehenen Güte. Denn, wahrlich, die Gnade des heiligen Geistes fährt dahin wie ein Feuer, das nicht müssig bleiben kann; denn das Feuer erlischt, sobald es von seiner Arbeit läßt, und ebenso erlischt die Gnade, wenn sie in ihren Werken nachläßt. Dann verliert der sündige Mensch die Huld der Seligkeit, welche den Guten verhießen ist, so arbeiten und Gutes schaffen. Wohl mag dann derjenige traurig sein, der sein ganzes Dasein Gott verdankt, so lange er lebte und so lange er leben wird, daß er nichts Gutes gethan hat, seine Schuld an Gott abzutragen, dem er alles Leben verdankt; denn verlaßt euch darauf, ihr sollt Rechenschaft geben – sagt St. Bernhard – von all den Gaben, welche euch im gegenwärtigen Leben verliehen sind, und wie ihr sie angewandt habt, und zwar so, daß kein einziges Haar vom Haupte niederfallen, noch die Zeit einer Stunde vergehen soll, ohne daß ihr darüber Rechenschaft abzulegen habt.

Die fünfte Sache, welche einen Mann zur Zerknirschung bewegen sollte, ist die Erinnerung an die Leiden, welche unser Herr, Jesus Christus, um unsrer Sünde willen ertrug. Denn – wie St. Bernhard sagt: So lang' ich lebe, will ich im Gedächtniß tragen die Beschwerden, welche unser Herr, Jesus Christ, bei seiner Lehre erduldete; die Mühseligkeit seiner Reisen, seine Versuchung, als er fastete, sein langes Wachen, als er betete, und seine Thränen, die er aus Mitleid[259] um das gute Volk vergoß; die Worte der Kränkung, der Schande und des Schmutzes, welche die Leute wider ihn sprachen; den faulen Speichel, welchen sie in sein Angesicht spuckten; die Faustschläge, welche sie ihm gaben; die faulen Gesichter, welche sie ihm schnitten, und die faulen Vorwürfe, welche sie ihm machten; die Nägel, mit denen man ihn an das Kreuz schlug, und den ferneren Fortgang seines Leidens, das er nur allein um der Sünde der Menschheit willen und nicht durch eigene Schuld ertrug. – Hier könnt Ihr sehen, wie durch die Sünde des Menschen jede Ordnung und jede Regel auf den Kopf gestellt wird! Denn es ist klar, daß von Gott Vernunft, Sinnlichkeit und der menschliche Leib so geordnet sind, daß jedes dieser vier Dinge Herrschaft über die Vernunft haben soll; das heißt: Gott soll Herrschaft über die Vernunft haben; die Vernunft über die Sinnlichkeit, und die Sinnlichkeit über den menschlichen Leib. Doch, wahrlich, wenn der Mensch sündigt, so stellt er diese Ordnung und Regel auf den Kopf, und daher kommt es, daß, wenn die menschliche Vernunft nicht Gott unterthänig und gehorsam sein will, der doch zu Recht ihr Oberherr ist, sie auch ihre Herrschaft verliert, welche sie über die Sinnlichkeit und über den menschlichen Leib ausüben sollte. Und warum? weil Sinnlichkeit alsdann gegen Vernunft rebellirt, und dadurch die Vernunft ihre Herrschaft über die Sinnlichkeit und über den Körper verliert. Denn, wie die Vernunft ein Rebelle gegen Gott ist, so sind auch die Sinnlichkeit und der Körper Rebellen wider die Vernunft. Und, wahrlich, diese Unordnung und Rebellion hatte unser Herr, Jesus Christ, mit seinem theuren Leibe schwer zu zahlen; und hört, in welcher Weise. Denn alldieweil Vernunft ein Rebelle gegen Gott ist, verdient der Mensch Sorgen zu tragen und zu sterben. Dies litt unser Herr, Jesus Christus, für die Menschheit, nachdem er von seinem Jünger verrathen und gefesselt und gebunden war, so daß – wie St. Augustin sagt – sein Blut unter jedem Nagel seiner Hände hervorspritzte! Und fernerweit, da die Vernunft des Menschen die Sinnlichkeit nicht in Zaum halten will, wie sie könnte, so hat der Mensch auch Schande verdient, und diese Schande hat unser Herr, Jesus Christus, für den Menschen erlitten, als sie ihm in das Angesicht spieen. Und weiter noch: derweil der jammervolle Menschenleib ein Rebelle ist wider Vernunft und Sinnlichkeit, so hat er dieserhalb den Tod verdient; und diesen Tod hat unser Herr, Jesus Christ, am Kreuze erlitten, wo kein Theil seines Körpers frei war von großem Schmerz und bitterm Leiden. Und alles[260] dieses erduldete unser Herr, Jesus Christ, der nichts verbrochen hatte, und also sprach er: Zu sehr werde ich gequält um Dinge, für welche ich es niemals verdient habe, und zu sehr werde ich erniedrigt der Verdammniß halber, welche dem Menschen gebührt. Und wohl mag daher der Sünder sprechen, wie St. Bernhard sagt: Verflucht sei die Bitterkeit meiner Sünde, um derenwillen so große Bitterkeit zu erdulden war. Denn gewiß nach den verschiedenen Mißgattungen unserer Schlechtigkeit war das Leiden Jesu Christi auch verschieden gestaltet, und zwar so: Wahrlich, die Seele des Sünders wird vom Teufel verrathen durch die Begehrlichkeit nach zeitlichem Wohlergehn, und durch Hinterlist verspottet, wenn sich der Mensch fleischlichen Lüsten ergiebt; und darnach wird sie im Unglück durch Ungeduld gequält und durch die Knechtschaft und Unterwürfigkeit unter die Sünde bespeit, und endlich zuletzt wird sie erschlagen. Für diese Mißgattungen der Sünde im Menschen ward Jesus Christus erst verrathen und dann gebunden; er, welcher kam, uns loszubinden von der Sünde und der Pein. Dann wurde er verspottet, er, welcher in allen Dingen und vor allen Dingen hätte geehrt werden sollen. Dann wurde sein Angesicht, welches zu sehen die ganze Menschheit wünschen sollte und welches die Engel zu schauen verlangen, elendiglich bespeit. Dann wurde er gegeißelt; er, welcher nichts übles gethan hatte; und endlich ward er gekreuzigt und erschlagen. So waren die Worte des Propheten Jesaia erfüllt: Er ward verwundet wegen unserer Missethat und beschimpft wegen unser Verbrechen! Nun, da Jesus Christ für alle unsere Schlechtigkeit die Pein auf sich selbst genommen hat, wie sehr sollte der Sünder da weinen und wehklagen, daß Gottes Sohn vom Himmel für seine Sünden alle diese Qualen erdulden mußte.

Die sechste Sache, welche einen Mann zur Zerknirschung bewegen sollte, ist die Hoffnung auf drei Dinge, nämlich: auf Vergebung der Sünden, auf die Gabe der Gnade, rechtschaffen zu wandeln, und auf die Herrlichkeit des Himmels, durch welche Gott den Menschen für seine guten Thaten belohnen will. Und deßhalb, weil Jesus Christ uns diese Gaben aus seiner Freigebigkeit und unendlichen Güte schenkt, ist er Jesus Nazarenus Rex Judaeorum genannt worden. Jesus heißt nämlich Erlöser oder Erlösung, dieweil alle Menschen hoffen sollen durch ihn Vergebung der Sünden zu erlangen, worin die eigentliche Erlösung von der Sünde besteht. Und daher sprach der Engel zu Joseph: Du sollst ihn Jesus heißen denn er wird sein Volk von[261] seiner Sünde erlösen. Und hiervon spricht auch St. Peter: Es ist kein andrer Name unter dem Himmel, der irgend einem Menschen gegeben ist, durch welchen wir von unseren Sünden erlöst werden, denn einzig der Name: Jesus.

Nazarenus heißt so viel wie blühend, dieweil der Mensch hoffen soll, daß er, welcher ihm die Vergebung der Sünden verschafft hat, ihm auch die Gnade verleihen werde, rechtschaffen zu wandeln; denn in der Blüthe ist die Hoffnung auf Frucht für kommende Zeiten, und in der Vergebung der Sünde ist die Hoffnung auf Gnade, rechtschaffen zu wandeln. »Ich stand vor der Thüre deines Herzens« – spricht Jesus – »und klopfte an, um Einlaß bittend. Der mir öffnet, soll Vergebung der Sünden empfahen, und ich will in ihm eintreten und mit ihm essen von den guten Werken, welche er thun wird, denn diese Werke sind die Speise Gottes, und er soll mit mir essen von der großen Freude, welche ich ihm gebe werde.« So soll der Mensch hoffen, daß durch seine Werke der Buße ihm Gott das Himmelreich verleihen werde, welches er ihm im Evangelium verheißt.

Nun soll der Mensch verstehen lernen, wie seine Zerknirschung beschaffen sein muß. Ich sage: sie muß allgemein und vollständig sein; das heißt: ein Mensch soll wahrhaft bußfertig sein für alle seine Sünden, welche er im Wohlgefallen seiner Gedanken gethan hat; denn Wohlgefallen ist gefährlich. Denn es giebt zwei Arten der Einwilligung aus Neigung, nämlich, wenn ein Mann sich zur Sünde bewegen läßt und dann länger mit Vergnügen an die Sünde denkt, aber nicht seine faule Lust und Neigung bezwingt, obschon seine Vernunft wohl begreift, daß es Sünde gegen das Gesetz sei, und wiewohl er klar einsieht, daß es gegen die Ehrfurcht vor Gott ist. Und wenn auch eine Vernunft zwar nicht einwilligt, die Sünde thatsächlich zu begehen, so sagen doch einige Doctoren, daß eine solche Lust, so länger in uns wohne, höchst gefährlich sei, wie unbedeutend sie auch immer erscheinen möge. Und daher sollte ein Mann ganz besonders betrübt sein über alles, was er je dem Gesetze Gottes zuwider gewünscht hat mit voller Einwilligung seiner Vernunft, denn es ist kein Zweifel, daß solche Einwilligung Todsünde ist. Denn, gewiß, es giebt keine Todsünde, welche nicht zunächst in dem Gedanken des Menschen ihren Ursprung hat und dann später zur Lust und dann zur Einwilligung und dann zur That wird. Darum sage ich, daß viele Leute über solche Gedanken und Neigungen niemals Reue fühlen und sie niemals beichten, sondern[262] nur die sichtbaren Thaten gröblicher Sünde. Darum sage ich, daß solche böse Gelüste schlaue Betrüger sind, sintemal die Menschen dafür verdammt sein werden. Auch fernerhin sollte man nicht minder Sorge tragen wegen seiner bösen Worte, als wegen seiner bösen Thaten. Denn, wahrlich, Reue über eine besondere Sünde und keine Reue über die allgemeine Sünde, oder Reue über die allgemeine, aber keine Reue über die besondere Sünde hilft zu nichts.

Fürwahr, Gott der Allmächtige ist die vollkommene Güte; und deßhalb vergiebt er entweder alle Sünden, oder gar keine überhaupt. Und daher sagt St. Augustin: Ich weiß gewiß, daß Gott der Feind jedes Sünders ist; und wie das? Soll der, welcher eine Sünde bekennt, Vergebung für den Rest seiner Sünden haben? Nein! Und fernerhin muß die Zerknirschung wunderbar sorgenvoll und qualvoll sein, und dann schenkt uns dafür Gott ehrlich seine Gnade. Und wenn daher meine Seele voll Sorgen und voll Qual war, dann hatte ich Gott im Gedächtniß, damit mein Gebet zu ihm dringen möge.

Fernerweit muß die Zerknirschung anhaltend sein, und man muß den festen Entschluß hegen, zu beichten und sein Leben zu bessern. Denn, wahrlich, wenn die Zerknirschung dauernd ist, mag der Mensch Hoffnung hegen, Vergebung zu erlangen. Und daraus entsteht Haß gegen die Sünde, welcher dieselbe in ihm selber wie in anderm Volke, auf welches er Einfluß hat, zerstört. Weßhalb David sagt: Die, so Gott lieben, hassen das Böse; denn Gott lieben, heißt das lieben, was er liebt, und das hassen, was er haßt.

Das letzte, was der Mensch hinsichtlich der Zerknirschung verstehen lernen soll, ist, wozu die Zerknirschung nützt. Ich sage, daß Zerknirschung den Menschen manchmal von Sünde befreit, worüber David sagt: Ich hatte den festen Vorsatz zu bekennen, und Du, o Herr! sprachst mich meiner Sünden los. Und grade so, wie Zerknirschung nichts hilft ohne den ernsten Vorsatz der Beichte und Buße, ebensowenig Werth hat Beichte und Buße ohne Zerknirschung. Und außerdem zerstört Zerknirschung den Kerker der Hölle und macht die Gewalt der Teufel kraftlos und schwach und erneuet die Gaben des heiligen Geistes und aller Tugenden, und sie reinigt die Seele von Sünde, und befreit sie von der Qual der Hölle, von der Gesellschaft des Teufels und von der Knechtschaft der Sünde, und macht sie wieder tüchtig für alle geistlichen Güter und für die Gemeinschaft der heiligen Kirche. Und fernerweit macht sie den, welcher ehedem ein Kind des Zornes[263] war, zum Kinde der Gnade; und alles dieses wird durch die heilige Schrift bezeugt. Und wer daher nach diesen Dingen streben will, wird sehr weise sein; denn, fürwahr, er wird dann in seinem Leben nicht mehr den Muth haben zu sündigen, sondern wird sein Herz und seinen Leib dem Dienste Jesu Christi weihen und ihm solcher Weise huldigen. Fürwahr, unser Herr Jesus Christ, hat uns so gütereich in unserer Thorheit geschont, daß wir alle ein trauriges Lied singen könnten, wenn er nicht Mitleid mit den Menschen hätte.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 248-264.
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