Bussolenzug

[411] Bussolenzug, Polygonzug (s. Polygonisieren), dessen Streckenazimute mit Hilfe einer Bussole gemessen werden.

Geht z.B. (Fig. 1) von einem Punkte ⊙ 1 aus ein Polygonzug bis zu ⊙ 5, so ist das Punktsystem 1–5 geometrisch bestimmt, sobald die Azimute α1 α2 α3 α4 und die Strecken s1 s2 s3 s4 gemessen sind (die Richtung des magnetischen Meridians für das Gebiet zwischen 1 und 5 als parallel vorausgesetzt).

I. Die Azimutmessung kann erfolgen 1. indem, wie in Fig. 1 angedeutet ist, auf einem Punkte jeder einzelnen Strecke das Azimut bestimmt wird, oder 2. indem auf einem Punkte, z.B. ⊙ 2, die Azimute für zwei aufeinander folgende Strecken 1–2 und 2–3 bestimmt werden, so daß dadurch die Instrumentaufstellung je einen Punkt überspringen kann (Methode der Azimutmessung nach »Springständen«), oder 3. indem an beiden Enden jeder Strecke, z.B. für 1–2 (Fig. 2) die Azimute α1–2 und α2–1 gemessen werden, wobei das Mittel = [α1–2 + (α2–1 ± 180°)] : 2 sowohl eine Probe für die Richtigkeit als auch eine größere Genauigkeit für die Azimutbestimmung gewährt.

II. Die Ergebnisse der Punktbestimmung im Bussolenzuge können entweder 1. graphisch oder 2. rechnerisch zum Ausdruck gebracht werden. 1. Bei der graphischen Methode wird der Zug durch Absetzen der Azimute mit dem Transporteur (Strahlenzieher) und der Strecken mit dem Maßstab aufgezeichnet. 2. Bei der rechnerischen Methode erfolgt die Punktbestimmung in einem rechtwinkligen Koordinatensystem, dessen Abszissenachse bestimmt wird a) entweder unmittelbar durch die Richtung des magnetischen Meridians, oder b) durch die des astronomischen Meridians, oder c) durch die Abszissenachse eines geodätischen Koordinatensystems. Im Falle a) werden die beobachteten Azimute unmittelbar der Rechnung zugrunde gelegt. Im Falle b) ist den direkt gemessenen Azimuten der Betrag der magnetischen Deklination beizulegen, die entweder direkt bestimmt oder Karten oder Tabellen [1] entnommen werden kann (s. Erdmagnetismus). Im Falle c) ist der Abweichungswinkel des magnetischen Systems gegen das geodätische durch Vergleichung des magnetischen und geodätischen Azimutes einer oder mehrerer Strecken zu ermitteln. Bei dem Polygonzüge von ⊙ 1 nach ⊙ 5 (Fig. 3) wären z.B. auf den beiden Endpunkten des Zuges ⊙ 1 und 5 die den bekannten geodätischen Richtungswinkeln γ1–6 und γ5–7 entsprechenden magnetischen Azimute α1–6 und α5–7 zu messen, so daß der mittlere Abweichungswinkel dm sich ergibt aus: dm = [d1 + d5]: 2, worin d1 = γ1–6α1–6, d2 = γ5–7α5–7, und daraus sich die Richtungen für die einzelnen Strecken im geodätischen Koordinatensystem ergeben zu:

α1 + dm = n1, α2 + dm = n2, α3 + dm = n3, α4 + dm = n4.

Mit den in jedem einzelnen Fall nach a), b) oder c) festgestellten Richtungen n ergeben sich sodann die Koordinaten y x der einzelnen Punkte nach der allgemeinen Formel:


Bussolenzug

Näheres s. Polygonisierung. Die infolge der Messungsfehler auftretenden Abschlußfehler gegen die feststehenden Koordinaten der Endpunkte werden proportional den Streckenlängen s verteilt, s. [2]. Die Zahlenrechnung wird zweckmäßig durch Koordinatentafeln erleichtert (s. Koordinatentafeln).[411]

III. Die Anwendung der Bussolenzüge ist eine sehr vielseitige und liefert, sobald die eigenartigen Vorteile der Bussolenmessung ausgenutzt werden, eine sehr empfehlenswerte polygonometrische Punktbestimmungsmethode. – Die Azimutmessung durch die Bussole hat eine verhältnismäßig geringe Genauigkeit; da aber in einem Zuge die Messung des Azimuts einer Strecke unabhängig von dem der vorhergehenden und nachfolgenden Strecke ist, so gestaltet sich die Fehlerfortpflanzung für einen Bussolenzug sehr günstig, und zwar (ohne Rücksicht auf die Länge des Zuges) am günstigsten, wenn die Strecken klein genommen werden.

Ist nämlich L die Länge des Zuges, n die Anzahl der Strecken s, so daß L = ns, und ist φ der Fehler einer Azimutmessung, so ist die daraus entstehende fehlerhafte Lage des Endpunktes einer Strecke s, d.h. der Querfehler, = φs, und daraus nach dem Fehlerfortpflanzungsgesetz der Querfehler für den ganzen Zug, d.h. für n Strecken,


Bussolenzug

d.h. die Größe des genannten Fehlers ist proportional der Quadratwurzel der Streckenlänge. Dieser theoretischen Forderung, kleine Strecken zu benutzen, entspricht besonders die bequeme Aufstellungsart der kleinen Stockbussolen. Bussolenzüge mit kurzen Strecken sind daher besonders brauchbar, wenn die Verhältnisse vielfach gebrochene Züge bedingen, eine schnelle Erledigung verlangen und die geringere Genauigkeit der Bussolenazimute genügt, so daß die exaktere Resultate ermöglichende, aber (besonders bei vielfach gebrochenen Zügen) umständliche Theodolitmessung nicht in Anwendung zu kommen braucht. Demnach kommen für die Technik in Betracht: 1. Bussolenzüge bei den Liniennetzen der Stückvermessung als untergeordnete Polygonzüge, und bei Waldvermessungen, wenn nicht die Ausdehnung der Messung oder die Eigentumsverhältnisse die Theodolitmessung erforderlich machen. Die Berechnungsart ist die unter II. zu c) gegebene (vgl. [2], [3]), das zu verwendende Instrument eine größere Bussole (Theodolitbussole, Bussolentheodolit). Die Behandlung der Züge entspricht im übrigen derjenigen der Theodolitzüge (s. Polygonisieren). – 2. Bussolenzüge bei topographischen oder tachymetrischen Aufnahmen mit dem Tachymetertheodolit, wobei die Strecken in der Regel durch Distanzmessung bestimmt werden (s. Tachymetrie). – 3. Bussolenzüge zu tachymetrischen Bestimmungen (Einschaltungen) mit der Stockbussole in Verbindung mit dem 20-m-Meßband. Die Bussole wird auf die Meßbandziehstäbe aufgesetzt und liefert unmittelbar die Azimute der Bandlagen (von Ziehstab zu Ziehstab). Sollen diese Züge in eine Karte eingetragen werden, so werden sie zunächst mit dem Transporteur auf Pauspapier aufgezeichnet und dann im Anschluß an gegebene Festpunkte (eventuell Zwischenpunkte, die vom Meßbandzug aus angemessen und auf der Pause dargestellt sind) in die Karte, in möglichster Uebereinstimmung mit den End- und eventuellen Zwischenpunkten, eingepaßt (die Genauigkeit der Messung entspricht derjenigen der Zeichnung). Werden gleichzeitig mit einem geeigneten Höhenwinkelmesser (s. Neigungsmesser) die Neigungswinkel der Bandlagen gemessen, so liefert die Aufnahme ebenfalls die Höhe der Brechpunkte. Derartige Meßbandzüge liefern ausgezeichnete Resultate als Zwischenzüge bei tachymetrischen Aufnahmen in schwierigem Gelände (s. Tachymetrie). – 4. Bussolenzüge bei Reisewegaufnahmen mit der Taschenbussole, wobei die Entfernungen in der Regel aus der Marschzeit erhalten werden und die Züge eine große Länge (Tagemärsche) annehmen. – 5. Bussolenzüge in der Grube, welche die eigenartigen Verhältnisse des Bergbaues erforderlich machen, werden ausgeführt mit der Grubenbussole und dem Hängezeug (s.d.). Vgl. a. Erdmagnetismus.


Literatur: [1] Berghaus, Physikalischer Atlas, 5. Abt., Gotha 1887; eine neue Karte ist: Neumayer, Linien gleicher magnetischer Deklination für 1900, Karte in Kupferstich und koloriert, Berlin 1900; eine neuere Zusammenstellung über die magnetische Deklination gibt Messerschmitt in der Zeitschrift f. Vermessungswesen 1903, S. 339 u. 681. – [2] Die Lehrbücher der Geodäsie, z.B. Jordan, Handbuch der Vermessungskunde, Bd. 2, 6. Aufl., 1904, § 177–180; sowie, die Lehrbücher der Markscheidekunde, z.B. Uhlich, Freiberg i, S., 1901, Abt. 5. Ueber die Anwendung bei Katastervermessungen z.B. [3] Gauß, F.G., Die trigon. und polygon. Rechnungen, Berlin 1893, S. 67; Anweisung IX für die trigon. und polygon. Arbeiten u.s.w., S. 315, Berlin 1894.

Reinhertz.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 411-412.
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