Dampfsteuerapparate

[620] Dampfsteuerapparate oder Rudermaschinen finden auf allen Seedampfern Verwendung, um das Ruder schnell und sicher von einer Person, dem Rudersmann, legen lassen zu können.

Obwohl der erste Dampfsteuerapparat schon 1866 auf dem Riesendampfer »Great Eastern« [l]i nach dem System von Mc. Farlane Gray aufgestellt wurde, wurden die Maschinen erst innerhalb eines Jahrzehnts so weit verbessert, daß sie allgemeiner Eingang fanden. Da bei größeren Schiffen zum Legen des Ruders mit der Hand vier bis zwölf Mann erforderlich waren, so brachte der Dampfsteuerapparat eine wesentliche Ersparnis an Personal mit sich; daneben wurde die Manövrierfähigkeit des Schiffes durch das schnellere Legen des Ruders wesentlich gesteigert, indem der Drehkreis ein kleinerer und die Zeit zum Durchlaufen desselben eine kürzere wurde. Die moderne Rudermaschine legt das Ruder bei großer Fahrt in 30 Sekunden von hart Steuerbord nach hart Backbord und umgekehrt. Das Konstruktionsprinzip derselben besteht darin, daß die Handhabung der Maschine mittels eines Steuerrades in gleicher Weise geschieht wie beim Steuern mit Hand, d.h. bei Rechtsdrehung des Steuerrades, Drehung nach Steuerbord, muß das Ruder nach Steuerbord ausweichen, und zwar sofort nach Beginn der Drehung; hört die Drehung auf, so muß die Maschine und demnach auch das Ruder zum Stillstand kommen und kann demnach in jeder Lage sicher festgehalten werden, so daß jeder Drehung des Handrades eine bestimmte Ruderlage entspricht. Ein Zuweitdrehen des Handrades und dementsprechend ein Zuweitlegen des Ruders wird durch besondere Hemmvorrichtungen ausgeschlossen; auch ist eine besondere Zeigervorrichtung (Axiometer) beim Handrade vorgesehen, die dem Steuermann die jeweilige Lage des Ruders angibt. Bei etwaigem Unklarwerden der Maschine kann der Dampfbetrieb schnell und sicher ausgeschaltet und in Handbetrieb umgeschaltet werden [2]–[4].

Die Rudermaschinen werden durchweg als Zwillingsmaschinen gebaut und arbeiten mit voller Füllung, damit sie jederzeit sicher anspringen können. Die Anlaß- und Umsteuervorrichtung besteht aus einem Wechselschieber, der in seiner Mittelstellung den Dampfzugang und -abgang nach dem Schieberkasten der Rudermaschine absperrt, in den abgelenkten Stellungen jedoch öffnet und bei der Bewegung nach rechts und links die Dampfwege vertauscht. Die Bewegung des Wechselschiebers erfolgt von der Steuerradwelle aus durch Schrauben oder Zahnradgetriebe und Hebelübertragung, die selbsttätige Rückbewegung in die Mittellage durch besondere Getriebe der Rudermaschine; soll das Ruder weiter gelegt werden, so muß der Wechselschieber mit Hilfe des Handrades von neuem ausgelenkt werden. Die Begrenzung des Handrades für zu weites Drehen besteht meist aus einer auf der Handradwelle aufgeschraubten Mutter,[620] die am Drehen verhindert wird und bei den Hartlagen des Ruders an Begrenzungen anstößt. Bisweilen erfolgt das Abstoppen der Maschine automatisch von der Ruderpinne aus [1].

Nach der Lage der Zylinder unterscheidet man drei Arten von Dampfsteuerapparaten: 1. die beiden Zylinder stehen unter 45° geneigt und arbeiten auf eine Kurbel (System Mc. Farlane Gray, Egells); 2. die beiden Zylinder oszillieren und arbeiten auf eine Kurbel (System The Steam quartermaster von Higginson), für kleine und mittelgroße Frachtdampfer viel ausgeführt; 3. die beiden Zylinder sind parallel angeordnet und greifen an zwei um 90° versetzte Kurbeln an (System Muir & Caldwell, Schichau, Brown u.s.w.) [1], [2]. Der Dampfsteuerapparat von F. Schichau, der sich durch geringen Raumbedarf und leichte Umstellung von Dampf- in Handbetrieb auszeichnet (Fig. 1), findet vorzugsweise auf Torpedofahrzeugen Verwendung [5]. Beim Drehen der Handradwelle a verschiebt sich dieselbe mittels der festgehaltenen Mutter b und bewegt den Schieberhebel c; dann treibt die Maschine das Schneckenrad d an, und mittels der Räder e und f wird die Mutter b wieder zurückgedreht und verschiebt die Handradwelle a in die Anfangsstellung, wodurch dann der Schieber auf Deckung kommt. Bei den neueren Anordnungen sind die Dampfzylinder oben angeordnet, und die Schneckenradwelle liegt mit den Uebertragungsrädern unten. Für den Handbetrieb wird das Schneckenrad von der Schnecke abgerückt und mit einem Zahnrad mit schrägen Zähnen, das auf der Handradwelle sitzt, in Eingriff gebracht. Zum[621] Stoppen der Maschine bei Hartruder dient die Mutter g, die an die Bünde h anstößt und dann ein Weiterdrehen der Handradwelle verhindert. Derartige Dampfsteuerapparate finden auf der Kommandobrücke oder unterhalb derselben auf dem Brückendeck Aufstellung und erhalten eine kurze Antriebsleitung zur Kommandobrücke. Die Uebertragung zur Ruderpinne erfolgt durch Ketten und Stangen, die zum Nachspannen mit Spannschrauben versehen sind.

Für die großen Fracht- und Passagierdampfer sowie bei den geschützten Kriegsschiffen werden die Dampfsteuerapparate möglichst nahe der Ruderspindel aufgestellt, um die Bewegungsübertragung möglichst kurz und zwangsläufig und auf diese Weise die Bewegung des Ruders stoßfrei zu gestalten. Während bei Kriegsschiffen allgemein die Drehung des Ruderjoches mittels Lenkstangen und rechts- und linksgängiger Schraubenspindel starr erfolgt, kommen in der Handelsmarine Federn und Bremsscheiben zur Anwendung, welche die Stöße des Ruders abschwächen sollen (Dampfsteuerapparate von Wilson & Pirrie sowie von Brown) [1], [2]. Letzterer findet auf allen transatlantischen Schnelldampfern Anwendung (Fig. 2). Bei der Brownschen Steuervorrichtung ist die Rudermaschine auf der Ruderpinne montiert und dreht sich daher mit derselben; sie erhält die Dampfzuführung und -abführung durch Rohre, die sich in einer Rohrstopfbuchse vereinigen, die über dem Ruderschaft in der Achse desselben gelagert m. Die Kurbeln der liegenden Zwillingsmaschine treiben ein Schneckenrad, das auf einer senkrechten Welle nicht festgekeilt, sondern durch eine Bremsscheibe mit derselben gekuppelt ist. Am unteren Ende der vertikalen Welle ist ein Stirnrad aufgekeilt, das in einen mit dem Schiffsrumpf fest verbundenen Zahnkranz eingreift und bei dem Arbeiten der Maschine sich an demselben abrollt und auf diese Weise die Pinne bewegt. Die Bewegung des auf den Schiebergehäusen angeordneten Wechselschiebers erfolgt mittels Schwingehebels direkt vom Telemotor aus (vgl. weiter unten), der von der Kommandobrücke aus betätigt wird. Für die Reservesteuereinrichtung ist eine Reserverudermaschine vorhanden, die mit einer Gelenkkette auf die Ruderpinne arbeitet. Andernfalls ist auf Deck eine kräftige Säule befestigt, in der ein Schneckenradgetriebe, das vom Handrad bewegt wird, gelagert ist und das unter Einschaltung einer Bremsscheibe ein Stirnrad treibt, das in einen Zahnquadranten der Ruderpinne eingreift [1], [2]. Bei den Kriegsschiffen wird die Rudermaschine unterhalb des Panzerdecks aufgeteilt; bei größeren Schiffen werden zwei Rudermaschinen in getrennten Räumen derart aufgestellt, daß jede derselben die Ruderpinne oder das Ruderjoch bewegen kann [1–4]. Von besonderer Bedeutung ist für diese Maschinen die Uebertragung vom Handrad der Steuerstelle auf der Kommandobrücke oder im Panzerkommandoturm auf den Wechselschieber. Bei Anordnung einer mechanischen Uebertragung durch Wellenleitung wurde früher bei langen Leitungen eine Zwischenmaschine eingeschaltet, die vom Handrad durch einen Wechselschieber in Betrieb gesetzt wurde und dann die Wellenleitung zur Bewegung des Wechselschiebers der Rudermaschine, die sogenannte Rudermaschinenanlaßleitung, drehte. Durch sachgemäße Führung und Lagerung dieser Anlaßleitung im Mittelgang unter Verwendung von Kugellagern [1] ist neuerdings die Verwendung von Zwischenmaschinen hinfällig geworden. In der Handelsmarine hat die hydraulische Uebertragung nach Art des Brownischen Telemotors die weiteste Verbreitung gefunden. Dieselbe besteht aus zwei hydraulischen Zylindern mit je einem Kolben von gleichem Durchmesser; von diesen ist der kürzere Zylinder; in der Nähe der Rudermaschine, der längere auf der Kommandobrücke montiert. Beide Zylinder sind derart durch Rohrleitungen verbunden, daß, wenn der Kolben an der Steuerstelle durch Räder und Zahnstangengetriebe bewegt wird und alsdann die beiden Zylinderhälften voneinander abgeschlossen werden – nur in der Mittelstellung des Kolbens kommunizieren beide Zylinderhälften –, der Kolben an der Rudermaschine die gleiche Bewegung macht und durch eine Schubstange den Wechselschieber bewegt. Diese Stange ist mit zwei Spiralfedern verbunden, die beim Ruderlegen gespannt werden und den Kolben und somit auch den Wechselschieber der Rudermaschine auf die Mittelstellung zurückfedern lassen. Die elektrische Uebertragung zum Antrieb des Wechselschiebers gestaltet sich sehr kompliziert und ist noch im Versuchsstadium [1], [2].


Literatur: [1] Middendorf, F.L., Die Steuereinrichtungen der Seeschiffe, Jahrbuch der Schiffbautechn. Gesellschaft, Berlin 1900. – [2] Hartig, J., Aus der Praxis für die Praxis, Bremerhaven 1903. – [3] Klamroth, G., Leitfaden für den Unterricht in der Maschinenkunde, Berlin 1902. – [4] Dick, C., und Kretschmer, O., Handbuch der Seemannschaft, Berlin 1902. – [5] Mitteilungen aus dem Gebiet des Seewesens, 1886.

T. Schwarz.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 620-622.
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Faksimiles:
620 | 621 | 622
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