Devilles kaltwarme Röhre

[726] Devilles kaltwarme Röhre. Chemische Reaktionen in gasförmigen Systemen verlaufen im allgemeinen nur bei hohen Temperaturen mit großer Geschwindigkeit, bei niederen dagegen so langsam, daß die Gleichgewichte sich in endlicher Zeit nicht einstellen. Diese Tatsache benutzte Deville 1863 bei der Konstruktion der nach ihm benannten kaltwarmen Röhre zur Untersuchung der Dissoziation der Gase bei hoher Temperatur. Die von ihm benutzte Röhre bestand aus einem auf Weißglut erhitzten Porzellanrohr, in dessen Achse sich ein von kaltem Wasser durchströmtes Silberrohr befindet. Die bei der hohen Temperatur entstandenen Dissoziationsprodukte der eingeleiteten Gase werden an dem Silberrohr schnell abgekühlt und so ihre Wiedervereinigung zu der bei dieser niederen Temperatur stabilen Verbindung verhindert. Es läßt sich so z.B. der Zerfall von CO2, SO2 und HCl bei hoher Temperatur nachweisen.

Neuerdings wird die Methode von Deville zur quantitativen Untersuchung der auch für die Technik hohes Interesse besitzenden Gasgleichgewichte bei hohen Temperaturen (z.B. 2 SO3 = 2 SO2 + O2 [1], 2 NO = N2 + O2 [2], 2 H2O = 2 H2 + O2 [3], CO2 + H2 = CO + H2O [4]) verwendet, wobei sie in der Weise abgeändert ist, daß die Gase in einem auf die Untersuchungstemperatur erhitzten Ballon geleitet werden, in dem das Gleichgewicht, eventuell noch beschleunigt durch Einführen von Katalysatoren wie Platinasbest, sich einstellt. Um ein möglichst schnelles Abkühlen und damit eine möglichst geringe Verschiebung des Gleichgewichtes zu erreichen, läßt man die Gase aus einer sehr engen, gekühlten Kapillare ausströmen. Die mathematische Theorie des Gleichgewichts in Röhren mit Temperaturgefälle gab Nernst [5].


Literatur: [1] Knietsch, Bericht der deutschen ehem. Ges. 34, 4069, 1901. – [2] Nernst, W., Nachr. der Ges. der Wiss. zu Göttingen 1904, 4. Heft. – [3] Nernst, W., und Wartenberg, H. v., ebend., Februar 1905. – [4] Hahn, O., Zeitschr. phys. Chemie 44, 513, 1903. – [5] Nernst, W., Boltzmann-Festschrift, Leipzig 1904, S. 904.

F. Krüger.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 726.
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