Eisenbahnpostbeförderung

[316] Eisenbahnpostbeförderung, d.h. die Beförderung der Postsendungen und etwaiger begleitender Postbeamten nebst den zur Bearbeitung der Postsendungen unterwegs erforderlichen Gerätschaften auf Eisenbahnen.

In der vollkommensten Form vollzieht sich die Eisenbahnpostbeförderung so, daß in den Zügen Postwagen mitgeführt werden, in denen die Postsendungen nicht nur befördert, sondern von den mitfahrenden Postbeamten bearbeitet werden. Die von der Ausgangsstation und von den Unterwegsstationen mitgegebenen Briefsäcke und Briefpakete werden, soweit sie an solches fahrendes Postamt gerichtet sind, geöffnet, die Briefschaften werden sortiert und es werden unter Neuverpackung der Sendungen neue Kartenschlüsse für die weiteren Unterwegsstationen, die Endstation für anschließende Bahnposten und Bahnposten über diese hinaus gefertigt. Bei geringerem Umfange des Postverkehrs pflegt nur ein Postschaffner die geschlossenen Sendungen zu begleiten. Bisweilen ist dann nur ein Teil eines Eisenbahnwagens für Postdienstzwecke eingerichtet, oder ein Postbeamter fährt mit den Sendungen in einem gewöhnlichen Abteil oder im Packwagen mit, sofern nicht die Postsendungen in geschlossenem Zustande dem Zugbegleitpersonal mitgegeben werden. Postpakete werden bisweilen auch der Eisenbahn zur Beförderung übergeben, bisweilen werden auch bei starkem Paketverkehr ganze Postpaketzüge gebildet, auch geschlossene Paketbeiwagen für größere Orte (z.B. Hamburg, Breslau) und weiter liegende Bahnposten.

Die Bahnpostwagen müssen für ihren Zweck besonders eingerichtet sein mit Sortierfächern, Tischen, verschließbaren Gelassen für Wertstücke, Beleuchtung, Heizung, Abort, Wascheinrichtung, guter Federung, Ausrüstung mit Briefkasten u.s.w. (s. Eisenbahnwagen). Zur Paketbeförderung dienen bisweilen besondere Abteilungen der Bahnpostwagen, bisweilen auch besondere Wagen und im Notfalle Güterwagen. Bei der deutschen Reichspostverwaltung unterscheidet man: Bahnpostwagen, Postpäckereiwagen und Eisenbahnwagen mit Postabteilungen. So hat man namentlich zur Ersparnis an Kosten für die aus großen Drehgestellwagen gebildeten Züge vielfach vereinigte Post- und Gepäckwagen gebaut.

Häufig sind zur Erledigung der Eisenbahnpostbeförderung auf den Bahnhöfen besondere Postämter eingerichtet. Auf Stationen, wo die Züge nicht halten, bisweilen auch auf freier Strecke, werden in manchen Ländern Briefbeutel ausgeworfen, oder es werden auch Fangvorrichtungen zum gegenseitigen Austausch der abzuliefernden und mitzunehmenden Briefpostsäcke verwendet ([7], S. 202), s.a. Bd. II, S. 298. In Deutschland ist man vom Auswerfen der Briefbeutel wegen der damit verbundenen Gefahren mehr und mehr abgekommen.

In vielen Ländern, namentlich wo ein strenges Postregal bestand und die Bahnen als Privatbahnen gebaut wurden, hat man von Anfang an den Eisenbahnen für die ihnen verliehenen Vorrechte und als Entschädigung für die der Post entzogenen Transporte durch Gesetz oder Konzessionsurkunde weitgehende Verpflichtungen zugunsten der Post auferlegt, während in andern Ländern die Leistungen der Eisenbahnen für die Post mehr oder weniger der freien Vereinbarung überlassen blieben. Aber auch in ersteren Ländern wurden durch die Veränderung der Verkehrsverhältnisse (namentlich durch die Entwicklung der Postpaketbeförderung) und der Eigentumsverhältnisse (Verstaatlichung der Eisenbahnen) Aenderungen in der Regelung der Beziehungen zwischen Eisenbahn und Post erforderlich. Im Deutschen Reiche (ausschließlich Bayern und Württemberg) ist nach dem Eisenbahnpostgesetz vom 20. Dezember 1875 (nebst Vollzugsbestimmungen) der Eisenbahnbetrieb, soweit es seine Natur und Erfordernisse gestatten, in Uebereinstimmung mit den Bedürfnissen des Postdienstes zu bringen. Die Einlegung besonderer Postzüge kann indessen nicht beansprucht werden. Die Postverwaltung wirkt bei Feststellung der Fahrpläne mit (s. Eisenbahnbetrieb V.) und bezeichnet, nachdem ihr die festgestellten Fahrpläne mitgeteilt sind, die Züge, die sie zur Postbeförderung benutzen will. Mit jedem für den regelmäßigen Beförderungsdienst der Bahn bestimmten Zuge ist auf Verlangen der Postverwaltung ein von ihr beschaffter und gestellter Postwagen unentgeltlich zu befördern. Diese unentgeltliche Beförderung umfaßt: a) die Briefpostsendungen, Zeitungen, Gelder, ungemünztes Gold und Silber, Juwelen, Pretiosen, alles ohne Gewichtsunterschied, ferner sonstige Poststücke bis zum Einzelgewicht[316] von 10 kg einschließlich; b) die begleitenden Postbeamten (auch wenn sie vom Dienste zurückkehren) und die Gerätschaften, die von ihnen zum Postdienste gebraucht werden. Statt des besonderen Postwagens kann nach Vereinbarung zwischen Eisenbahn und Post eine Abteilung eines gemeinsam für Bahn- und Postzwecke eingerichteten Eisenbahnwagens, den die Eisenbahn liefert, gegen Entgelt benutzt werden. Reicht der eine Postwagen oder die an seiner Stelle benutzte Wagenabteilung für die Bedürfnisse des Postdienstes nicht aus, so hat die Eisenbahnverwaltung nach Wahl der Postverwaltung gegen Zahlung einer Vergütung 1. entweder mehrere Postwagen zur Beförderung zuzulassen, oder 2. der Postverwaltung Güterwagen oder einzelne geeignete Abteilungen solcher Personenwagen zur Verfügung zu stellen, deren übrige Abteilungen in demselben Zuge für Eisenbahnzwecke verwendbar sind, oder endlich 3. die ihr von der Postverwaltung überwiesenen Postsendungen zur eignen Beförderung zu übernehmen. Statt Einstellung eines Postwagens kann die Postverwaltung der Eisenbahnverwaltung Briefbeutel sowie Brief- und Zeitungspakete zur unentgeltlichen Beförderung durch das Zugpersonal überweisen oder zur Beförderung solcher einen Postbeamten unentgeltlich mitfahren lassen. Bei besonders schnell fahrenden Zügen ist auf Erfordern der Eisenbahnverwaltung die Mitnahme von Päckereien, die nicht zu den Brief- und Zeitungspaketen gehören, gewissen Beschränkungen unterworfen.

Die Eisenbahnverwaltungen haben die Unterhaltung, äußere Reinigung, das Schmieren, das Ein- und Ausrangieren der der Postverwaltung gehörenden Wagen gegen eine den Selbstkosten entsprechende Vergütung zu bewirken und bei Beschädigung von Bahnpostwagen oder gemeinsamen Wagen als Ersatz geeignete Güterwagen zu stellen.

Bei Neu- und Umbauten von Bahnhöfen sind auf Verlangen der Postverwaltung die durch den Eisenbahnbetrieb bedingten, für die Zwecke des Postdienstes erforderlichen Diensträume mit den für den Postdienst etwa erforderlichen besonderen baulichen Anlagen sowie etwa erforderliche Dienstwohnungen der Bahnpostbeamten von der Eisenbahnverwaltung gegen Mietsentschädigung (7% des Baukapitals einschließlich Grund und Boden) zu beschaffen und zu unterhalten. Für etwaige besondere Postgebäude beschafft die Eisenbahn den Bauplatz gegen Erstattung der Selbstkosten.

Für Nebenbahnen gelten im allgemeinen dieselben Bestimmungen wie für Hauptbahnen. Doch werden in den ersten acht Jahren von Beginn des auf die Betriebseröffnung folgenden Kalenderjahres insofern Erleichterungen zugestanden, als die Postverwaltung für die Leitungen der Eisenbahnen bestimmte Vergütungen zahlt.

In Bayern und Württemberg, wo die Verwaltung von Staatsbahnen und Polten in einer Hand sich befindet (s. Eisenbahnverwaltung), werden über die Leistungen der Staatsbahnen für die Post und die Entschädigungen dafür von dem beiden vorgesetzten Ministerium Bestimmungen getroffen. Die pfälzischen Bahnen vollziehen ihre Leistungen für die bayrische Post laut Vertrag gegen bestimmte Vergütungen. Auch in Oesterreich-Ungarn sind die Eisenbahnen zur unentgeltlichen Beförderung der Post verpflichtet. Doch erhalten die österreichischen Staatsbahnen laut besonderem Abkommen für ihre Leistungen mäßig bemessene (etwa 50% der Selbstkosten) Vergütungen. In der Schweiz sind die Eisenbahnen dem Bund gegenüber zur unentgeltlichen Beförderung der Brief- und Fahrpost im Umfange des Postregals verpflichtet. Soweit die Bahnen vom Bund verstaatlicht sind, ist aus dieser Verpflichtung eine innere Angelegenheit der Bundesverwaltung geworden. Auch in Frankreich, Italien und vielen andern Ländern sind den Eisenbahnen weitgehende Verpflichtungen zugunsten der Post entweder durch die Konzessionsbedingungen oder durch Gesetze oder Verordnungen auferlegt. In Frankreich wird der Postpaketdienst im Namen und unter Kontrolle der Postverwaltung von den Eisenbahngesellschaften sowie von den staatlich unterstützten Dampfschiffunternehmungen ausgeführt. Besonders ungünstig ist die Stellung der Postverwaltung den Eisenbahnen gegenüber in England und den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo die Gesetzgebung nur spät und in geringem Maße zugunsten der Postverwaltung eingegriffen hat und diese daher nach den mit den Bahnen abgeschlossenen Privatverträgen an die Bahnen hohe Vergütungen für ihre Leistungen zu zahlen hat. Infolgedessen werden in England nur wenige Eisenbahnzüge (oft nur 1–2) zur Postbeförderung benutzt, wobei in der Regel keine Bahnpostwagen in die Züge eingestellt werden, sondern die Beförderung der Briefsäcke teils durch das Zugbegleitpersonal, teils durch mitfahrende Postbeamte geschieht. Daneben besteht in England die eigentümliche Einrichtung der Eisenbahnbriefe mit erhöhter Gebühr, die von den Eisenbahnen mit dem nächsten geeigneten Zuge befördert werden. Infolge des ungünstigen rechtlichen Verhältnisses der Postverwaltung zu den Eisenbahnen hat sich in England die Postpaketbeförderung erst spät entwickelt und steht noch jetzt an Bedeutung gegen die Eisenbahnpaketbeförderung erheblich zurück.


Literatur: [1] Roll, Encyklop. des gesamten Eisenbahnwesens, S. 2680, 2687. – [2] L'Union postale, Bern 1881, 1882, 1887, 1888. – [3] Sieblist, O., Die Post im Auslande, Berlin 1900, 3. Aufl. – [4] Cauer, Betrieb und Verkehr der Preußischen Staatsbahnen, I, S. 30 ff., Berlin 1897. – [5] Rolke, T., Der Bahnpostdienst, Berlin und Leipzig 1899. – [6] Veredarius, Das Buch von der Weltpost, Berlin 1894. – [7] Schweiger-Lerchenfeld, A. v., Das neue Buch von der Weltpost, Wien, Pest und Leipzig (nach 1900). Außerdem die Gesetze, Verordnungen u.s.w. der verschiedenen Länder.

Cauer.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 316-317.
Lizenz:
Faksimiles:
316 | 317
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon