[395] Elastizitätsquotient (Elastizitätskonstante, Elastizitätszahl). Ueber den allgemeinen Begriff s. Elastizitätsmodul. Für einen isotropen prismatischen Stab, der lediglich durch eine gleichmäßig auf seinen Querschnitt verteilte Kraft in seiner Achsrichtung gezogen wird, bezeichnet der Elastizitätsquotient e das Verhältnis der spezifischen Verlängerung in der Zugrichtung (Verlängerung pro Längeneinheit, Längsdehnung, Längsdilatation) zur spezifischen Verkürzung der Querdimensionen (Verkürzung der Breiteneinheit, Querzusammenziehung, Querkontraktion).
Der Wert von ε bleibt nach dieser Definition zunächst unbestimmt. Es ergibt sich jedoch z.B. die elastische Volumenänderung durch gleichmäßig verteilte Normalkräfte auf die ganze Oberfläche isotroper Körper Δ V = (ε 2)3σ/εE (vgl. [10], Aufgaben S. 172, 159). Setzt man nun voraus, daß diese Volumenänderung bei negativen σ, also gedrücktem Körper, eine Abnahme, bei positiven eine Zunahme des Volumens sein muß, so folgt ε > 2. Wird angenommen, daß je zwei Körperpunkte mit Kräften aufeinander wirken, die bei konstanter Temperatur nur von den Masten und Entfernungen derselben abhängen (vgl. am Schlusse des Art. Elastizitätsgesetz), so ergibt sich für isotrope Körper ε = 4 (s. Elastizitätslehre, allgemeine, und [10], S. 149), also nach der zwischen den Elastizitätsmoduln E, G für Zug und Schub begehenden Beziehung (s. Elastizitätsmodul)
G = 2/5E. Dies hat zuerst Poisson festgestellt [1], weshalb ε oder auch μ = 1/ε häufig die Poissonsche Elastizitätskonstante genannt wird.[395]
Die Versuche mit wirklichen Körpern haben verschiedene Werte von ε ergeben. So fanden für Stahl:
Alle für Stahl ermittelten ε liegen zwischen 4. und 3. (μ zwischen 0,25 und 0,33). Dagegen erhielten für Glas:
und nur Wertheim stark abweichend 0,330. Nach den bisherigen Versuchsresultaten wäre innerhalb der gebräuchlichen Beanspruchungen im Mittel etwa zu setzen für Stahl und Eisen ε = 3,5 (μ = 0,286), für Kupfer ε = 3,0 (μ = 0,333), für Messing ε = 2,9 (μ = 0,345), für Blei ε = 2,5 (μ = 0,400), für Kautschuk bei kleinen Formänderungen ε = 2,1 (μ = 0,476), doch sind die Verhältnisse noch keineswegs genügend aufgeklärt. Bauschinger, der die umfassendsten Versuche mit genauesten Meßapparaten anstellte [6], fand ε je nach Material und Beanspruchungsart in verschiedener Weise mit der Beanspruchung veränderlich. Für Druck von Gußeisen nahm ε bei einzelnen Probestücken anfangs zu (z.B. in einem Falle von 3,13 bis 5,00, worauf Abnahme bis 2,86), bei andern von Anfang an ab (in einem Falle von 7,14 bis 2,78). Auch Sandstein ergab eine Abnahme mit dem Drucke, von 12,5 bis 4. Bei Zugversuchen mit Walzeisen fand Bauschinger anfangs ε = 2,70, dann nahezu konstant bis zur Elastizitätsgrenze von 1475 kg pro Quadratzentimeter etwa 3,20, worauf Zunahme, Abnahme und Wiederzunahme folgten, während bei Druckversuchen mit Schmiedeeisen ε von 4,65 aus abnahm, mit etwa 3,80 bis über die Elastizitätsgrenze nahezu konstant blieb, bei Ueberschreiten der Streckgrenze plötzlich auf 1,88 fiel, um sich nach Erreichen des Minimums von 1,71 wieder etwas zu heben. Uebrigens beansprucht der theoretische Wert ε = 4 oberhalb der Proportionalitätsgrenze selbst für isotrope Körper keine Gültigkeit. Einen Einfluß der Querschnittsform auf ε vermochte Bauschinger nicht festzustellen, dagegen läßt sich vermuten, daß die Behandlung des Materials, wegen der Beeinflussung der Homogenität und Isotropie, nicht ganz gleichgültig sei. Es erhielt Okatow [3], [17], S. 234:
Trotz der starken Verschiedenheiten experimentell bestimmter ε hielten Saint-Venant, Cornu u.a. aufrecht, daß für wirklich isotrope feste Körper ε = 4 sei, da sich das angenommene Kraftgesetz (s. oben) im übrigen bei konstanter Temperatur bewährt hat. Voigt wies darauf hin [15], daß eine vollkommene Isotropie bis zu den kleinsten Teilen, eine gleiche Wirkung der Moleküle nach allen Richtungen, nicht annehmbar erscheine, weil sonst der Aufbau der Kristalle unerklärlich bleibe. Amagat vertrat die Ansicht [13], daß für gleichzeitig vollkommen isotrope und vollkommen elastische Körper der Grenzwert ε = 4 erreicht werde und daß die Annäherung an denselben um so größer sei, je weniger sich ein Körper bleibenden Formänderungen zugänglich zeige. Er selbst erhielt
und auch die obenerwähnten Mittelwerte stehen mit seiner Annahme nicht im Widerspruch.
Für die wichtigsten Konstruktionsmaterialien liegt nach allem Gesagten ε meist zwischen 3 und 4. Aus 1 folgt beispielsweise
so daß die Wahl zwischen diesen Grenzen nur geringen Einfluß auf G : E ausübt. Die Tabelle S. 394 zeigt, daß sich unter den dortigen Verhältnissen für G : E = 2/5 und 3/8, d.h. für ε = 4 und 3, im Mittel fast gleichgute Uebereinstimmung zwischen den Resultaten von Zug- und Biegungsversuchen ergab; s.a. Elastizitätskonstanten, Kompressionskoeffizient, Schubelastizität, Torsionselastizität und die an diesen Stellen angeführte Literatur.
Literatur: [1] Poisson, Mémoire sur l'équilibre et le mouvement élastique, Mém. de l'Acad. royale de France 1825, Bd. 8, S. 357 (ausgegeben 1829). [2] Kirchhoff, Ueber das Verhältnis der Querkontraktion zur Längsdilatation bei Stäben von federhartem Stahl, Poggendorffs Annalen 1859, CVIII, S. 369 (auch Ges. Abhandl., Leipzig 1882, S. 316). [3] Okatow, Ueber das Verhältnis der Querkontraktion zur Längsdilatation, Poggendorffs Annalen 1863, CXIX, S.U. [4] Navier, Résumé des leçons etc., avec des notes et des appendices de Saint-Venant, Paris 1864, S. 197, 642, 645. [5] Winkler, Die Lehre von der Elastizität und Fertigkeit, Prag 1867, S. 19, 21, 30. [6] Cornu, Methode optique pour l'étude de la déformation de la surface extérieure des solides élastiques, Comptes rendus 1869, LXIX, S. 333. [7] Schneebeli, Ueber das Verhältnis der Querkontraktion zur Längsdilatation, Poggendorffs Annalen 1870, CXL, S. 598. [8] Grashof, Theorie der Elastizität und Fertigkeit, Berlin 1878, S. 31. [9] Bauschinger, Ueber die Querkontraktion und Dilatation bei der Längsausdehnung und Zusammendrückung prismatischer Körper, Civilingenieur 1879, S. 81 (s.a. 1882, S. 625). [10] Weyrauch, Theorie elastischer Körper, Leipzig 1884, S. 119, 149 (auch Aufgaben dazu, Leipzig 1885, S. 158, 188). [396] [11] Voigt, Theoretische Studien über die Elastizitätsverhältnisse der Kristalle, Abhandl. d. Ges.d. Wiss. zu Göttingen 1887, XXXIV, S. 1. [12] Katzenelsohn, Ueber den Einfluß der Temperatur auf die Elastizität der Metalle, Berlin 1887 (Dissertation). [13] Amagat, Recherches sur l'élasticité des solides, Comptes rendus 1889, CVIII, S. 1199 (auch 1888, CVII, S. 618). [14] Violle, Lehrbuch d. Physik, I, Berlin 1892, S. 370, 394 u. f. [15] Voigt, Bestimmung der Elastizitätskonstanten einiger quasi-isotroper Metalle, Wiedemanns Annalen 1893, IIL, S. 674. [16] Bock, Ueber das Verhältnis der Querkontraktion zur Längsdilatation bei Stäben aus verschiedenen Metallen als Funktion der Temperatur, ebend. 1894, LII, S. 609. [17] Wüllner, Lehrbuch der Experimentalphysik, I, Leipzig 1895, S. 224 u. f. [18] Straubel, Ueber die Elastizitätszahlen und Elastizitätsmoduln des Glases, Wiedemanns Annalen 1899, LXVIII, S. 369. [19] Chwolson, Lehrbuch der Physik, I, Braunschweig 1902, S. 712, 734. [20] Tetmajer, Die angewandte Elastizitäts- und Festigkeitslehre, Leipzig und Wien 1904, S. 17.
Weyrauch.
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