Glasgravieren

[549] Glasgravieren, eine uralte Kunst, bezweckt die Erzeugung von meist vertieften Verzierungen auf ebenen oder gekrümmten Glasflächen.

Die hierzu dienliche Vorrichtung (Trempelzeug, Schneidzeug) besteht im wesentlichen aus einem soliden Werktische, unter dem eine horizontale Kurbelwelle mit einem aufgekeilten Schwungrade angebracht ist. Die Welle ist an beiden Enden zugespitzt und läuft in den Vertiefungen zweier verstellbaren, harten Holzklötze, die den Namen Fröschel führen. Um das Schwungrad läuft eine Schnur, Riemen oder Darmsaite, welche die Bewegung nach oben auf das kleine Triebrädchen der Arbeitswelle übertragen. Letztere nennt man Spille. Die Kurbel hängt mit einem Tritte (Trempel) zusammen, der von dem Fuße des Arbeiters eine Winkelbewegung erhält. Die Spille läuft in Metallagern, die sich etwa 20 cm über der Fläche des Arbeitstisches befinden. Sie steht auf der dem Arbeiter zugekehrten Seite etwa 10–15 cm vor der Lagerkante vor und hat eine konische Bohrung mit einer eingeteilten Nut.[549] Das Ganze stellt also eine Art von Drehbank vor; während jedoch bei dieser das Werkstück umläuft, das Werkzeug aber stillesteht, ist es bei dem Schneidzeuge umgekehrt.

In die konische Bohrung der Spille werden entsprechend zugespitzte kleine eiserne Spindeln gefleckt, die an ihrem freien Ende die eigentlichen Werkzeuge – kleine Rädchen oder Knöpschen aus Metall – tragen. Der Glasgraveur muß hiervon eine große Anzahl besitzen, die ihm zur Hand in einem Gestell aus Brettchen mit eingebohrten Löchern auf dem Werktische stehen. Die Rädchen haben Durchmesser, die von 5 bis 150 mm variieren. Die größeren sind aus weichem Eisen, die kleineren aus Kupfer hergestellt, die Knöpschen aus Messing oder Kupfer. Meist fertigt sich der Graveur diese Geräte selbst an und dreht sie mit Stahlstichel oder zugeschliffener Sägefeile auf dem Schneidzeuge selbst ab, so daß sie, ohne zu schlagen, genau rund laufen. – Die Spindeln mit den Rädchen oder Knöpfen heißen Steinzeiger. Je nach Größe und Verwendungsart unterscheidet man Flachzeiger, Schneidezeiger, Bolzenzeiger, Spitzzeiger u.s.w. – Die Peripherie zumeist und nur in Ausnahmefällen die Stirnseite dieser Rädchen ist das eigentlich arbeitende Werkzeug. Sie wird mit einer Mischung von Oel und feingepulvertem Schmirgel beschickt. Die scharfen Körnchen setzen sich in dem weichen Metalle fest und greifen das ihnen entgegengeführte Glas an, wenn das Schneidzeug in Bewegung versetzt wird. Um das zentrifugale Abschleudern des Schleifmittels von dem Steinzeiger zu verhindern, ist über ihm eine kleine gekrümmte Blechfahne an einem Eisenarm befestigt. Ein an ihrer Spitze eingeklemmtes Stückchen Leder schleift auf dem Umfange des Rädchens. Je nachdem die Zeichnung es nun erfordert, wird ein größerer oder kleinerer Steinzeiger in die Spille eingesetzt. Der Graveur sitzt vor dem Werktische und setzt mit dem Fuße den Tritt in Bewegung. Beide Ellbogen sind auf dem Tische aufgestemmt, damit die Hände das zu verzierende Glas sicher regieren können. Letzteres trägt meist eine summarische Vorzeichnung, die in primitiver Weise mittels eines spitzen Hölzchens und einer Mischung von Gummilösung und Kreide, Zink- oder Bleiweiß aufgetragen ist. Bei dünnen Gläsern wird auch vielfach die Vorzeichnung auf einem Papierblatt angebracht, das sich von innen an die Glaswand anschmiegt. Der Erfolg beruht ausschließlich auf der Handfertigkeit des Graveurs, der seine Arbeit damit beginnt, die Hauptlinien und Umrisse mittels eines kleinen scharfen Kupferrädchens einzuschleifen. Die breiten Flächen werden mittels breiter größerer Steinzeiger angelegt. Einzelheiten schleift er dann zum Schlusse mit passenden Scheibchen ein. Meist werden einzelne Partien »auspoliert«, um die Gesamtwirkung zu steigern. Dies geschieht mit entsprechenden Rädchen aus Zinn oder Blei, die mit Tripel, Zinnasche oder mit Polierrot beschickt werden. Wird höchste Vollendung angestrebt, so kommen auch noch Scheibchen aus dickem Leder oder Kork zur Verwendung, die den Hochglanz erzeugen. – Kleine Fehler im Glase, Bläschen u.s.w. muß der Graveur mittels des Ornaments zu verdecken suchen. Vertiefte Linien wurden früher häufig mit Blattgold ausgelegt.

Ordinäre Weingläser, billige Blumenvasen, Brunnenbecher u.s.w. werden manchmal durch sogenanntes »Wischen« verziert. Diese Abart des Gravierens besteht darin, daß man die Kante eines größeren Kupferrädchens die Oberfläche des Glases nur insoweit angreifen läßt, daß sie an der betreffenden Stelle gerauht ist. Dies geht sehr schnell vonstatten. Der Arbeiter führt das Glas mit fortwährender Bewegung unter dem schnell umlaufenden Steinzeiger hinweg und erzeugt auf diese Weise Weinranken, Schnörkel und Schriftzüge. Diese Verzierungsweise ist recht billig, aber in ihrer Wirkung ziemlich fragwürdig. Auf Aufteilungen kann man die »Wischtechnik« häufig in Uebung sehen. – Der 1904 verdorbene verdienstvolle Gallé in Nancy hat die Glasschleiferei dadurch besonders gefördert, daß er mehrfache, sein abgetönte Lagen verschiedenfarbigen Glases übereinander legte und dann mit dem Schleifzeuge in meisterhafter Weise behandelte. Wahrscheinlich arbeitete er in der Weise, daß er die Gläser mit Flußsäure vorbereitete und erst durch die eigentliche Schleiftechnik vollendete.

Um Gläser auf elektrischem Wege zu gravieren, umgibt Planté die betreffende Stelle mit einem Wachsrande. In die so gebildete Zelle bringt er eine konzentrierte Salpeterlösung, die mit der Anode einer starken Elektrizitätsquelle in leitende Verbindung gebracht wird. Als Kathode dient ein seiner Platinstift, der, den Umrissen der beabsichtigten Zeichnung entsprechend auf dem Glase herumgeführt, dort eine deutlich sichtbare Spur hinterläßt.

Die Elektrizität wird auch noch in der Weise für die Zwecke der Glasgravierkunst dienstbar gemacht, daß man die Ankerwelle eines kleinen Elektromotors von etwa 1/10–1/21 PS. verlängert und als Spille ausbildet. Die Steinzeiger werden dann ohne weiteres hineingesteckt. Die hohe Umdrehungszahl der Welle kommt der Arbeit des Graveurs sehr zustatten.

Breuer.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 549-550.
Lizenz:
Faksimiles:
549 | 550
Kategorien: