Hydrodynamik

[155] Hydrodynamik, die rein mathematische Behandlung der Bewegung eines flüssigen Systems im Gegensatze zu der mehr mit empirischen Formeln arbeitenden Hydraulik (s.d.).

Eine ideale Flüssigkeit (wozu auch die vollkommenen Gase gehören) ist ein Medium, in welchem der Druck überall senkrecht auf dem Flächenelement steht, welches den Druck aufnimmt. Es ist dann auch der Druck in einem Punkte der Flüssigkeit gleich groß nach allen Richtungen,[155] und das Spannungsellipsoid, das in einem beliebigen Medium zur Darstellung der Drucke nach den verschiedenen Richtungen durch einen Punkt des Mediums dient, wird hier eine Kugel. Um die Bewegungsgleichungen einer solchen Flüssigkeit aufzuhellen, denkt man sich ein unendlich kleines, rechtwinkliges Flüssigkeitsparallelepiped von der übrigen Masse abgetrennt und drückt nach dem d'Alembertschen Prinzip das Gleichgewicht zwischen der Reaktionskraft, den gegebenen und den Druckkräften analytisch aus. Diese Gleichungen sind partielle Differentialgleichungen zwischen den Koordinaten x, y, z des Punktes, in welchem das Massenelement verschwindet, den Komponenten u, v, w seiner Geschwindigkeit, dem Druck p, welcher ringsherum auf dasselbe einwirkt, seiner Dichtigkeit ρ und der Zeit t, so daß durch deren Integration die fünf Größen x, y, z, p, ρ als Funktionen von t bestimmt werden, sobald die Anfangslage und der anfängliche Geschwindigkeitszustand des Systems bekannt sind. Zugleich wird hierdurch auch die Bahn bekannt, welche das Element im Laufe der Zeit beschreibt.

Gewöhnlich geht man behufs Aufstellung der Bewegungsgleichungen von einer etwas andern Auffassung aus, indem man die Geschwindigkeit, mit welcher ein Teilchen der Flüssigkeit zur Zeit t durch den Punkt x, y, z hindurchgeht und ihre Komponenten u, v, w als Funktionen von x, y, z und t ansteht. Diese Größen sind an demselben Orte zu verschiedenen Zeiten und zu derselben Zeit an verschiedenen Orten verschieden. Dasselbe findet in bezug auf den Druck p und die Dichtigkeit ρ statt. Hiernach hat man für die fünf Größen u, v, w, p und ρ fünf Differentialgleichungen aufzuteilen zwischen ihnen und den vier Variablen x, y, z, t, durch deren Integration sie als Funktionen dieser dargestellt werden können. Nach dieser Auffassungsweise verfolgt man nicht die Bahn und die Bewegungszustände des einzelnen Flüssigkeitsteilchens, vielmehr beantwortet man die Frage, wie der Bewegungszustand in einem Punkte x, y, z zur Zeit t beschaffen ist und sich mit Ort und Zeit ändert.

Von den genannten fünf Gleichungen ist jene eine endliche Gleichung, die den Zusammenhang der Dichtigkeit ρ und des Druckes p angibt. Dieser Zusammenhang hängt von der inneren Beschaffenheit des Mediums ab, und man unterscheidet in dieser Hinsicht zwei Hauptarten von Flüssigkeiten: inkompressible, für welche ρ konstant bleibt, und elastische, für welche o eine gegebene Funktion von p ist. Für Gase kommen dabei zumeist folgende Zustandsänderungen in Betracht: isotherme, für welche ρ = p k ist, und adiabatische ρ = k pλ, wo γ das Verhältnis der spezifischen Wärmen bei konstantem Volumen und konstantem Druck (γ für Luft 1 : 1,408) angibt. Die vier übrigen Gleichungen sind partielle Differentialgleichungen zweiter Ordnung; ihre Integration würde die Gleichungen liefern, aus denen man durch Elimination von p und ρ die Koordinaten x, y, z eines Teilchens als Funktionen der Zeit t finden würde. Hierdurch wäre die obige, zuerst aufgestellte Auffassungsweise des Problems in ihrem Zusammenhange mit der zweiten nachgewiesen. – Die durch die Integration einzuführenden unbestimmten Funktionen sind durch den Anfangszustand und die Bedingungen zu bestimmen, welche die Begrenzung des Systems (Gefäßwände, freie Oberfläche u.s.w.) betreffen.

In dem Systempunkt x, y, z verschwindet ein unendlich kleines, rechtwinkliges Massenparallelepiped von den Kanten d x, d y, d z, welches sich im Zeitelement um d x, d y, d z parallel den Koordinatenachsen fortbewegt. Die an ihm angreifende Reaktionskraft hat die Komponenten, welche die Produkte aus der Masse und den Komponenten der Beschleunigung sind. Die letzteren sind du/dt, dv/dt, dw/dt, oder da die u, v, w Funktionen von x, y, z, t sind,


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oder da u = dx/dt, v = dy/dt, w = dz/dt sind,


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Die Masse des Elementes ist d m = ρ d x d y d z. Daher sind die Komponenten der Reaktionskraft


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Die Resultante der am Punkte x, y, z angreifenden gegebenen Kräfte bezieht man auf die Masseneinheit, und es seien demnach X d m, Y d m, Z d m, d.h. X ρ d x d y d z, Y ρ d x d y d z Z ρ d x d y d z ihre Komponenten. Beziehen wir den Druck p auf die Flächeneinheit, so stellt p d y d z den Druck auf die Seitenfläche d y d z des Parallelepipeds parallel zur x-Achse dar. Aus ihm ergibt sich der Druck auf die gleich große gegenüberliegende Fläche d y d z, indem man p in p + ∂p/∂xdx übergehen läßt, und da er jenem entgegengesetzt ist, so wird er – (p + ∂p/∂xdx) d y d z. Beide zusammen stellen die Druckkomponente – ∂p/∂xdxdydz parallel der x-Achse vor und ähnlich sind – ∂p/∂ydxdydz und – ∂p/∂zdxdyd die Druckkomponenten parallel der y- und z-Achse. Die Gleichgewichtsbedingungen zwischen den gegebenen, den Druck- und den Reaktionskräften am Massenelement werden daher nach Division mit dem gemeinschaftlichen Faktor d x d y d z:[156]


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oder nachdem man die Werte für du/dt, dv/dt, dw/dt eingesetzt hat:


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Zu diesen drei Gleichungen kommt eine vierte hinzu, welche die Aenderung der Dichtigkeit ρ im Punkte x, y, z im Zeitelement d t gibt. Man erhält dieselbe, indem man die Masse bestimmt, welche im Zeitelement in das Volumenelement d x d y d z eintritt und aus ihm während desselben austritt. Diese Masse besteht aus drei Teilen. Durch die Seitenfläche d y d z tritt parallel der x-Achse mit der Geschwindigkeit u die Masse ρ d y d z u d t ein, da während d t zusammenhängende Masse um u d t fortrückt. Zugleich tritt aber durch die gegenüberliegende Seitenfläche Masse aus, die man erhält, indem man in der eben bestimmten Masse x um d x zunehmen läßt. Diese austretende Masse ist daher d y d z (u ρ + ∂(u ρ)/∂x) d t. Die Differenz beider, nämlich – ∂(u ρ)/∂xdxdydzdt ist die Aenderung, welche die Masse des Volumenelementes im Zeitelement parallel der x-Achse erfährt. Aehnlich sind – ∂(vρ)/∂ydxdydzdt und – ∂(v ρ)/∂zdxdydzdt die entsprechenden Massenänderungen parallel den beiden andern Koordinatenachsen. Addiert man diese drei Größen und dividiert ihre Summe mit d x d y d z d t, so erhält man die vierte Gleichung, die Gleichung für die Dichtigkeitsänderung auf die Zeiteinheit bezogen, nämlich:


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Die Gesamtänderung der Dichtigkeit beim Uebergang des Massenelements von der Stelle x, y, z zur Stelle x + d x, y + d y, z + d z im Zeitelement würde aber sein:


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und hieraus folgt:


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Hiermit erhält man an Stelle der vierten Gleichung nach Ausführung der Differentiationen die sogenannte Kontinuitätsgleichung:


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Hierzu tritt als fünfte Gleichung noch, wie obenerwähnt, eine Gleichung:

ρ = f(p),

welche von der Beschaffenheit der Flüssigkeit abhängt. Diese fünf Gleichungen sind die gesuchten Gleichungen der Bewegung der Flüssigkeit.

Für die inkompressiblen Flüssigkeiten reduziert sich die fünfte auf ρ = const., also wird /dt = 0 und hiermit die vierte Gleichung: ∂u/∂x + ∂v/∂y + ∂w/∂z = 0.

Diese Gleichungen rühren von Euler her, der sie auch noch in einer zweiten Form aufgeteilt hat, die gewöhnlich als die Lagrangesche Form der hydrodynamischen Gleichungen bezeichnet wird. Sie sind bis jetzt nur unter bestimmten Voraussetzungen in einzelnen Fällen integriert worden.

Die Veränderung, welche ein mit Flüssigkeit erfülltes Volumelement während eines Zeitteilchens infolge der Bewegung erleidet, ist eine Translationsbewegung, eine Kondensation oder Dilatation und eine Rotation. – Es kann gezeigt werden, daß die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit im Falle der Rotation um Achsen parallel den Koordinatenachsen sind:


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Sollen die Flüssigkeitsteilchen nicht rotieren, so müssen diese Größen verschwinden. Wenn aber ∂u/∂y = ∂v/∂x, ∂v/∂z = ∂w/∂y, ∂w/∂x = ∂u/∂x, so existiert eine Funktion φ von x, y, z, deren partielle Differentialquotienten u, v, w sind, d.h. es ist


Hydrodynamik

Die Funktion φ heißt das Geschwindigkeitspotential und die Flüssigkeitsbewegung, für welche eine solche charakteristische Funktion existiert und welche also die Rotationsbewegung ausschließt, eine Potentialbewegung. Daneben können auch die Komponenten X, Y, Z der auf die Flüssigkeit wirkenden Kräfte ein Potential besitzen, d.h. es kann eine Funktion V von x, y, z existieren, deren partielle Differentialquotienten nach den Koordinaten X, Y, Z sind, so daß X = ∂V/∂x, Y = ∂V/∂y, Z = ∂V/∂z ist. Die allgemeine Bewegung der Flüssigkeit, wobei die Teilchen rotieren, heißt die Wirbelbewegung.[157]

Die Theorie der Wirbelbewegung ist zuerst von v. Helmholtz begründet worden (Crelle, Journal für reine und angewandte Mathematik, 55. Jahrg., 1858). Geht man von einem Teilchen zu einem folgenden über, welches auf der Rotationsachse des ersteren liegt, von diesem zu einem nächsten, auf der Rotationsachse dieses gelegenen u.s.w., so bildet der Inbegriff aller solcher Teilchen eine sogenannte Wirbellinie der Flüssigkeit. Eine solche Wirbellinie bleibt stets Wirbellinie und enthält immer dieselben Teilchen. Sie muß als das Grundelement der wirbelnden Flüssigkeit angesehen werden. Ein unendlich dünnes Bündel von Wirbellinien heißt ein Wirbelfaden. Auch der Wirbelfaden enthält stets dieselben Teilchen; Wirbellinie und Wirbelfäden können im Inneren der Flüssigkeit nicht anfangen und nicht enden. Sie enden vielmehr auf der Oberfläche oder laufen in sich zurück. Im letzteren Falle heißen sie Wirbelringe.

Linien von der Eigenschaft, daß ihre Tangentenrichtung mit der Richtung der Geschwindigkeit in einem bestimmten Zeitmoment zusammenfällt, heißen die Stromlinien für diesen Zeitmoment. Ist die Bewegung stationär, d.h. ist die Geschwindigkeit in einem bestimmten Punkt des Raumes unabhängig von der Zeit, so sind es auch die Stromlinien, und sie fallen unter dieser Voraussetzung mit den Bahnen der Flüssigkeitsteilchen zusammen. Bei einer Potentialbewegung der Flüssigkeit, wobei die Geschwindigkeitskomponenten Differentialquotienten des Geschwindigkeitspotentials φ sind, stehen die Stromlinien senkrecht zu den Flächen gleichen Potentials φ = const., welche Niveauflächen heißen. Die Größe der Geschwindigkeit ist dem Abstand benachbarter Niveauflächen von derselben »Niveaudifferenz« umgekehrt proportional. – Von großer Wichtigkeit für den Verlauf von Flüssigkeitsbewegungen ist die innere Reibung oder Zähigkeit der Flüssigkeit, die bei einer idealen Flüssigkeit als Null vorausgesetzt wird. Diese Reibung wirkt wie eine Scherkraft und ist der Geschwindigkeitsdifferenz benachbarter Teilchen, nicht aber dem Drucke proportional. – Nicht weniger wichtig ist schließlich der Umstand, daß eine Bewegung, die nach dem Ansatz der Hydrodynamik an sich möglich ist, noch nicht stabil zu sein braucht und bei der geringsten Störung aufhören und ganz unregelmäßigen, sogenannten turbulenten Bewegungen Platz machen kann. So ist die einfachste Bewegung einer zähen Flüssigkeit im Inneren einer zylindrischen Röhre, wobei die Stromlinien der Achse parallel laufen, nur für kleine Geschwindigkeiten in engen Röhren stabil (Poiseuillesche Bewegung), in weiten Röhren bei größerer Geschwindigkeit tritt dagegen Turbulenz auf, die bewirkt, daß der Widerstand der Röhre, der für enge Röhren der Strömungsgeschwindigkeit proportional war, bei weiten Röhren annähernd mit dem Quadrate derselben wächst.


Literatur: Kirchhoff, Vorlesungen über mathematische Physik und Mechanik, Leipzig 1897, Bd. 15, 26. Vorlesung; Auerbach, Die theoretische Hydrodynamik, Braunschweig 1881; Lamb, Einleitung in die Hydrodynamik, bearbeitet von Reiff, Freiburg i.B. und Tübingen 1884; Ders., Hydrodynamics, Cambridge 1895; Auerbach, Hydrostatik, Hydrodynamik u.s.w. in Winkelmanns Handbuch der Physik, Breslau 1891; Basset, A treatise on Hydrodynamics, Cambridge 1888; Wien, Lehrbuch der Hydrodynamik, Leipzig 1900; Reynolds, O., An experimental investigation whether the motion of water shall be direct or sinuous etc., Land. Philos. Trans. 174 (1883); Boussinesq, Théorie de l'écoulement tourbillonnant, Paris 1897.

(Schell) Finsterwalder.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 155-158.
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