Ketten, Kettenlinien

[448] Ketten, Kettenlinien. Bei der Behandlung von Kettenlinien, Hängebrücken u.s.w. versteht man unter vollkommenen Ketten stabförmige Körper mit stetig aufeinander folgenden reibungslosen Gelenken in der Achse (vgl. Gelenke bei Ingenieurkonstruktionen). Werden solche Ketten in zwei oder mehreren Punkten unterstützt, so entstehen Hängebogen (s. Bogen, Bd. 2, S. 141, und Hängebrücken), während die Form der Kette zwischen zwei Stützpunkten, außer von deren Lagen, von der Länge und Belastung der Kette abhängt. Alle Linien, welche die Kettenachse hierbei bilden kann, heißen Kettenlinien. Die allgemeinsten Gleichungen derselben (für beliebige Belastung) wurden unter Hängebrücken a. gegeben. Nach den dortigen Beziehungen sind die Beanspruchungen und Stützenreaktionen einer gegebenen Kette benimmt, sobald man die Belastung derselben kennt.

Ist die Belastung auf die Horizontalprojektion (Spannweite) der Kette gleichmäßig verteilt, so entsteht eine parabolische Kettenlinie, deren Gleichungen ebenfalls unter Hängebrücken angeführt sind. Wird die Belastung auf die Kettenlänge gleichmäßig verteilt, so erhält man die gemeine Kettenlinie (s. Fadenkurven) Diese ist von geringerer praktischer Bedeutung als die parabolische Kettenlinie; annähernd hat man es mit ihr zu tun bei homogenen Ketten von konstantem Querschnitt. welche nur ihr eignes Gewicht tragen. Je flacher die Kette, desto eher kann auch in solchen Fällen das Eigengewicht als gleichmäßig verteilt auf die Horizontalprojektion gelten und also von den einfacheren Formeln für parabolische Kettenlinien Gebrauch gemacht werden. Wirken neben einer auf die ganze Spannweite gleichmäßig verteilten Last von u pro Längeneinheit beliebige Lasten P1, P2, ... in Entfernungen a1, a2, ... vom Stützpunkt 0, so folgt mit den Bezeichnungen in Fig. 1 die Gleichung der Kettenlinie:


Ketten, Kettenlinien

und mit


Ketten, Kettenlinien

während der Horizontalschub (s.d. und Hängebrücken) ausgedrückt ist:


Ketten, Kettenlinien

worin f den Wert von Y für x = l/2 = m bedeutet. Mit Wegfall der P gehen diese Gleichungen in solche für parabolische Kettenlinien über. Bei der Navierschen Kettenbrückenlinie (s.d.) werden außer dem näherungsweise berücksichtigten Eigengewicht der Kette (einem parabolischen Bogen von konstantem Querschnitt entsprechend) eine auf die Horizontalprojektion gleichmäßig verteilte Last (Fahrbahnlast) und eine nach den Stützen hin stetig zunehmende Last (Eigengewicht der Tragstangen) in Rechnung gezogen [2], S. 165. Ueber Berücksichtigung beliebiger stetig verteilter Lasten auf Grund der allgemeinen Formeln vgl. Belastung der Träger, Bd. 1, S. 661. Letztere Formeln, einschließlich 1.–3., gelten auch für die bei Hängebrücken vorkommenden Stabketten aus gelenkartig verbundenen geraden Stäben (Fig. 2), wenn die Gelenkreibung und Stabbiegung vernachlässigt werden. Ueber Tragketten und Spannketten s. Hängebrücken. Vgl. Fadenkurven, Kettenlinie, Seilpolygon.


Literatur: [1] Eytelwein, Handbuch der Statik fester Körper, Bd. 3, Berlin 1808, S. 95. – [2] Navier, Rapport et Mémoire sur les ponts suspendus, Paris 1823, S. 63. – [3] Tellkampf, Theorie der Hängebrücken, Hannover 1856, S. 16. – [4] Gretschel, Elementare Ableitung der Haupteigenschaften der Kettenlinien, Grunerts Archiv, 43. Teil, 1865, S. 121. – [5] Winkler, Die Lehre von der Elastizität und Fertigkeit, Prag 1867, S. 253. – [6] Thomson u. Tait, Handbuch der theoretischen Physik, Bd. 1, 2. Teil, Braunschweig 1874, S. 105, – [7] Weisbach, Lehrbuch der theoretischen Mechanik, Braunschweig 1875, S. 276. – [8] Zimmermann, Ueber Seilkurven, Zentralblatt der Bauverwaltung 1883, S. 224, 231, 254. – [9] Ritter, Lehrbuch der Ingenieurmechanik, Hannover 1885, S. 328. – [10] Rühlmann, Vorträge über die Geschichte der technischen Mechanik, Leipzig 1885, S 136, 369. – [11] Weyrauch, Aufgaben zur Theorie elastischer Körper, Leipzig 1885, A 51–53. – [12] Finger, Elemente der reinen Mechanik, Wien 1886, S. 249. – [13] Land, Neue Ableitung der Gleichung der (gemeinen) Kettenlinie und deren zeichnerische Bestimmung, Civilingenieur 1895, S. 501. – [14] Foeppl, Vorlesungen über technische Mechanik, II, Graphische Statik, Leipzig 1900, S. 66 (s.a. Zentralblatt der Bauverwaltung 1903, S. 332). – [15] Handbuch der Ingenieurwissenschaften, II, 5, Eiserne Bogenbrücken und Hängebrücken, Leipzig 1906, S. 7. – [16] Heun, Lehrbuch der Mechanik, I, Kinematik, Leipzig 1906, S. 133, 301. – S.a. Hängebrücken.

Weyrauch.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 448.
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