Kuntze-Knorr-Bremse

[379] Kuntze-Knorr-Bremse für Güterzüge, eine durchgehende, selbsttätig wirkende Luftdruckbremse, deren Einführung bei den deutschen Staatseisenbahnen im Gange ist, um die Fahrgeschwindigkeit der Güterzüge und damit die Leistung und Wirtschaftlichkeit des Güterzugbetriebes zu erhöhen.

Der Hauptmangel der Luftdruckbremse Bauart Westinghouse (Bd. 2, S. 268), ihre Erschöpfbarkeit und ungenügende Regelbarkeit, der beim Fahren auf langen Gefällstrecken mit schweren Zügen die Bremsung des Zuges, selbst bei geschicktester Handhabung der Bremse durch den Lokomotivführer, ganz erheblich erschwert, ist bei der Kuntze-Knorr-Bremse vermieden: sie ist unerschöpflich und ihre Bremswirkung kann nach Belieben verstärkt oder gemildert werden, was für gefahrlose Beförderung von langen Güterzügen in Gefällen unbedingt erforderlich ist.

Jeder Wagen ist ausgerüstet mit einem Verbundbremszylinder, dessen Kolben die Bremskräfte mittels des Bremsgestänges auf die Bremsklötze übertragen; einem, einerseits mit der durchgehenden Hauptleitung verbundenen, andererseits an den Bremszylinder angeschlossenen Steuerventil, das, den Aenderungen des Luftdruckes in der Hauptleitung entsprechend, die zur Betätigung der Bremse erforderlichen Druckänderungen in den Zylinderräumen herbeiführt, und einer von Hand zu bedienenden Umstellvorrichtung, um die Bremskraft nach dem Leer- oder Ladegewicht des Wagens einstellen zu können. Die Bremsausrüstung der Lokomotive ist die gleiche wie bei der selbsttätigen Luftdruckbremse Bauart Westinghouse. Abbildungen der Gesamtanordnung und der Einzelteile Kuntze-Knorr-Bremse finden sich in Glasers Annalen 1918, Bd. 82, Nr. 977 ff.

In Fig. 1 und 2 sind die wesentlichen Bestandteile der Kuntze-Knorr-Bremse rein schematisch dargestellt; die Steuerventile in erheblich größerem Maßstabe als die Bremszylinder mit Leitungen. Im Verbundbremszylinder sind die durch die beiden Kolben K1 und K2 abgetrennten Kammern A, B und C zu unterscheiden; der Inhalt der A-Kammer ist durch den Luftbehälter A1 vergrößert. Alle drei Kammern stehen durch Kanäle – in den Figuren als Rohrleitungen gezeichnet – mit dem Steuerventil in Verbindung, in dessen Gehäuse sich der Steuerkolben K mit dem Grundschieber S und dem Abstufungsschieber Sa befindet.

Um die Bremse gebrauchsbereit (Fig. 1, Füllstellung) zu machen, wird die Hauptleitung H von der Lokomotive aus mittels des Führerbremsventils aus dem Hauptluftbehälter mit Druckluft angefüllt (wie bei der Westinghouse-Bremse). Die Druckluft strömt von der Hauptleitung durch den Absperrhahn Z vor den Kolben K des Steuerventiles, der samt den beiden Schiebern S und Sa nach rechts in die in Fig. 1 gezeichnete Stellung geschoben wird; außerdem strömt Leitungsluft durch die Kanäle b und c in die B-Kammer, aus dieser über die Nute n in die A-Kammer und den Luftbehälter A1 und durch den Kanal i hinter den Kolben K, bis alle diese Räume mit Druckluft von 5 Atm. angefüllt sind. Die C-Kammer steht über die Kanäle e und d mit der freien Luft in Verbindung. Die Bremskolben stehen in Lösestellung, die Bremse ist geladen und gebrauchsbereit. Zum Anziehen der Bremsen läßt der Lokomotivführer mittels des Führerbremsventils eine gewisse Luftmenge aus der Hauptleitung ausströmen, etwa 1/2 Atm. Diese Druckverminderung tritt zunächst im Steuerventil des ersten, der Lokomotive[379] folgenden Fahrzeuges in Erscheinung und bewirkt infolge des entstehenden Druckunterschiedes auf beiden Kolbenseiten das Verschieben des Steuerkolbens K nach links und damit auch das Verschieben der Schieber S und Sa, bis diese die Stellung in Fig. 2 (Bremsstellung) einnehmen. Dabei kommt die Hauptleitung über die Kanäle b und a mit der Uebertragungskammer Ü in Verbindung, die zuvor (Fig. 1) über die Kanäle f und d mit der freien Luft verbunden war und nunmehr einen Teil der Leitungsluft verschluckt, so daß sich die vom Lokomotivführer eingeleitete Druckverminderung auch bei sehr langen Zügen sehr schnell von Fahrzeug zu Fahrzeug bis zum Schluß des Zuges fortpflanzt. Durchschlagsgeschwindigkeit bei der Kuntze-Knorr-Bremse bis zu 180 m/Sek. Bei der Schieberstellung in Fig. 2 strömt Druckluft aus der B-Kammer durch die Kanäle g und h und den Umschalthahn U unter das Ventil V, drückt dieses hoch und strömt weiter durch die Bohrung l nach der C-Kammer: der C-Kolben wird nach links gedrückt und das Bremsgestänge angezogen. Dabei steigt der C-Druck, während der B-Druck fällt. Infolge des dadurch eintretenden Druckunterschiedes zwischen B- und, A-Kammer bewegt sich der diese Kammern trennende Kolben ebenfalls nach links, so daß der Druck in der A-Kammer bei größer werdendem Volumen allmählich ebenfalls sinkt. Ist die gewünschte Bremswirkung erreicht, dann schließt der Lokomotivführer mit dem Führerbremsventil die Hauptleitung ab, so daß in dieser keine weitere Druckverminderung mehr stattfindet. Da die Stellung der Steuerschieber dadurch nicht beeinflußt wird, so geht das Abströmen der B-Luft in die C-Kammer noch so lange weiter, bis[380] der Druck in der A-Kammer um ein geringes unter den Druck in der Hauptleitung gesunken ist. Nunmehr wird der Steuerkolben K samt dem Abstufungsschieber Sa langsam nach rechts geschoben, bis er an den Grundschieber S anstößt. In dieser Stellung (Bremsabschlußstellung) ist die Verbindung zwischen C- und B-Kammer unterbrochen; die in diesem Augenblick vorhandene Bremswirkung ändert sich nicht weiter.

Soll die Bremswirkung verstärkt werden, so wird mittels des Führerbremsventils eine weitere Druckverminderung in der Hauptleitung herbeigeführt: sofort bewegt sich der Steuerkolben K wieder nach links in die Bremsstellung (Fig. 2); die Verbindung zwischen B- und C-Kammer ist wiederhergestellt und der Bremsdruck in der C-Kammer steigt weiter an. Auf diese Weise kann der C-Druck bis zum Druckausgleich zwischen C und B bei etwa 3,2 Atm. gesteigert werden; dann schließt das Ventil V ab und bringt die B-Kammer durch die Bohrung k mit der freien Luft in Verbindung, so daß sie vollständig entlüftet wird. Nunmehr wird unter dem Ueberdruck der A-Luft auch der Kolben K2 wirksam und ergänzt die Teilbremsung zur Vollbremsung.

Zum stufenweisen Lösen der Bremse bringt der Lokomotivführer das Führerbremsventil in die Lösestellung, wobei Druckluft aus dem Hauptluftbehälter in die Hauptluftleitung strömt und den Druck in ihr erhöht. Sobald der Druck über den in der A-Kammer und rechts vom Steuerkolben K gestiegen ist, wird dieser mit den Schiebern nach rechts in die Lösestellung, Fig. 1, geschoben und dadurch die B-Kammer über die Kanäle b und c mit der Hauptleitung und die C-Kammer über die Kanäle e und d mit der freien Luft verbunden. Aus der C-Kammer entweicht die Druckluft, während in B der Druck allmählich zunimmt und gleich dem, A-Druck wird. In beiden Zylindern wird dadurch die Bremswirkung der Kolben allmählich abgeschwächt, sie bewegen sich langsam nach rechts.

Unterbricht der Lokomotivführer die Luftzuführung zur Hauptleitung und damit zur B-Kammer, dann kommt der Kolben K2 zum Stillstand, sobald die Kräfte auf beiden Seiten im Gleichgewicht sind, wobei aber wegen des in der A-Kammer vorhandenen kleinen Gegenkolbens K3 der Druck in A etwas größer ist als in B. Dieser Druckunterschied wirkt auch auf den Steuerkolben K und schiebt ihn samt dem Abstufungsschieber Sa bis zum Anschlag am schwerer beweglichen Grundschieber S nach links, wodurch wieder der Zufluß von Leitungsluft nach B und der Abfluß der Druckluft aus C ins Freie unterbrochen wird. Die in diesem Augenblick gerade vorhandene Bremswirkung bleibt weiter bestehen.

Durch Einlassen oder Auslassen von mehr oder weniger Druckluft in die Hauptleitung mittels des Führerbremsventils ist der Lokomotivführer in der Lage, nach Belieben die Bremse stufenweise weiter zu lösen oder wieder anzuziehen und damit auch steile Gefälle mit voller Sicherheit zu befahren (Betriebsbremsungen). Soll der Zug schnell zum Halten gebracht werden, so geschieht dies durch eine Schnellbremsung, indem der Druck in der Hauptleitung plötzlich schnell vermindert oder ganz beseitigt wird.

Um bei leeren Güterwagen ein Festbremsen der Räder bei einer Vollbremsung zu vermeiden, wird der Umschalthahn U vor Beginn der Fahrt, vom Wagenwärter auf »leer« gestellt. Dadurch ist die Verbindung der Bohrung k im Ventil V mit der freien Luft unterbrochen, so daß auch bei geschlossenem Ventil V der Druck in der B-Kammer erhalten bleibt und der Kolben K2 nicht zur Wirkung kommt. Die Bremswirkung des C-Kolbens allein entspricht dabei annähernd der Vollbremswirkung der beiden Kolben K1 und K2 bei beladenen Wagen.


Literatur: [1] Glasers Annalen 1918, Bd. 82, Nr. 977 ff. – [2] Desgl. 1916, Bd. 79, S. 186. – [3] Techn. Eisenbahnzeitschr. 1918, Nr. 16.

Dauner.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 379-381.
Lizenz:
Faksimiles:
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