[506] Photochemie. Neuere Untersuchungen zeigen, daß die chemischen Lichtwirkungen nicht nur von der photochemischen Lichtabsorption im allgemeinen abhängen, sondern daß oft mehrere Streifen der spektralen Lichtabsorption (die weit entfernt liegen können) in Betracht kommen, ja sogar entgegengesetzte Wirkung äußern können. Die photochemische Wirkung ist in ihrem primären Stadium ein lichtelektrischer Vorgang und wird bedingt durch die räumliche Lagerung der Elektronen im lichtempfindlichen Atom. Die Valenzelektronen können vom Licht angegriffen werden, und als Folge tritt chemische Umsetzung ein.
Plotnikow nimmt an, daß lichtempfindlich oder »photoaktiv« nur Verbindungen oder Elemente sein können, die noch freie Valenzelektronen übrig haben (d.h. photochemisch ungesättigt sind), sonst lind sie lichtunempfindlich, weil das Licht keinen Angriffspunkt findet. Die Photoaktivität ist eine periodische Eigenschaft des Elements, die Plotnikow in nachstehender Tabelle (die man sich als Spirale zylinderförmig aufgerollt denkt) darstellt:
Je mehr Valenzelektronen an einem Elemente haften und je größer sein Atomgewicht ist, desto größere Wellenlängen des Lichtes werden wirksam sein. Der photochemische Temperaturkoeffizient steht mit der Periodizität der Elemente im Zusammenhang; er schwankt von 1,03 bis 1,40. Für Chlor, Brom und Jod läßt sich nach Cohen die Existenz zweier Streifen der spektralen photochemischen Aktion annehmen; einer im Blauviolett, der andere bei 220 μμ; beide Streifen üben eine entgegengesetzte Wirkung aus. Die photoaktivsten Elemente (Ur, Fe, Haloide) sind starke Lichtkatalysatoren. Enthält eine Verbindung irgendwelche Elemente, die photochemisch nicht abgesättigt sind, so ist sie lichtempfindlich; z.B. Wasserstoffsuperoxyd. Die Methanreihe ist lichtbeständig; ihre Substitutionsprodukte durch Cl, Br, J, O, S, d.h. valenz-elektronenreiche Elemente, sind photoaktiv. Silberhaloide sind sehr lichtempfindlich, Silbernitrat sehr wenig. Aldehyde und Ketone sind lichtempfindlich, denn der Sauerstoff besitzt hier noch vier freie Valenzelektronen, weshalb das Licht das Bestreben hat, den Sauerstoff samt dem Kohlenstoff aus dem Verband loszureißen. Bei organischen Säuren findet im Licht die Reaktion statt: R COOH = RH + CO2. Bei lichtempfindlichen Diazoverbindungen ist die Angriffsstelle des Lichtes bei der Doppelbindung. Plotnikow stellt über den Verlauf der Lichtreaktionen organischer Verbindungen folgendes Reaktionsschema auf:
Das Licht hat im allgemeinen die Tendenz, photochemisch ungesättigte Systeme oder Verbindungen in lichtbeständige überzuführen. Stereoisomere und intramolekulare Umwandlungen können als erstes intermediäres Stadium der Lichtwirkung angesehen werden. Durch systematische Photolyse und entsprechende Lichtwellen kann jede organische Verbindung der oben angegebenen Klassen schließlich in H2, CO2, CO2, N2 und gesättigte (zyklische und offene Ketten) Verbindungen in fettreiche zerlegt werden.
Bei photochemischen Synthesen und Umsetzungen ist der Reaktionsverlauf viel mannigfaltiger und verwickelter als bei der Photolyse, indem jede Reaktionskomponente ihren Einfluß übt. Viele Ketone besitzen die Eigenschaft, im Lichte anderen Verbindungen den Wasserstoff zu entziehen und chemisch an sich zu binden; es findet Kondensation, Polymerisation oder irgendwelche andere Anlagerung statt. Meistens bilden sich dabei Pinakone. Bei zahlreichen Photooxydationen wird das Molekül dort angegriffen, wo sich die ungesättigten Elemente befinden. So werden z.B. die Aldehyde und die Alkohole zu Säuren oxydiert. Bei Photochlorierungen erhält man kein gesättigtes System, sondern die Zahl der freien Valenzelektronen bleibt dieselbe, nämlich 12. Auch bei lichtempfindlichen Gasgemischen (H2 + Cl2, H2 + Br2, CO + Cl2, 2O3, H2O) erhält man auf beiden Seiten des Gasgleichgewichtes die gleiche Anzahl der freien Valenzelektronen. Es ist deshalb photochemisch ganz gleich, und es hängt nur von den Energieverhältnissen ab, nach welcher Richtung der umkehrbare Prozeß verläuft.[506]
Das Licht hat das Bestreben, die photochemisch ungesättigten Systeme in gesättigte Verbindungen überzuführen, wobei der Verlauf arbeitsspeichernd oder arbeitsleistend sein kann Ist keine Möglichkeit vorhanden, gesättigtere oder ungesättigtere Systeme zu bilden, so stelle sich Lichtgleichgewichte ein, die durch verschiedene Lichtarten nach der einen oder andere Richtung hin verschoben werden (Plotnikow).
Literatur: [1] Plotnikow, Die Ursache der Lichtempfindlichkeit chemischer Verbindungen Chemiker-Ztg. 1919, 67. [2] Kümmell, Gottfr., Photochemie (Aus Natur und Geisteswelt, Bd. 227), 2. Aufl., 1918. [3] Scheiner, J., Spektralanalyse und photometrische Theorien (Nr. 1 aus »Wissen und Können«), Leipzig 1909. [4] Plotnikow, Joh., Photochemie, Halle a. d. S 1910. [5] Ders., Photochem. Versuchstechnik, Leipzig 1912. [6] Geigel, Rob., Licht und Farbe (Reclam, Univ.-Bibl. Nr. 5188/90). [7] Weigert, Fritz, Die chemischen Wirkungen de Lichtes, Samml. ehem. u. chem.-techn. Vorträge, Bd. XVII, Stuttgart 1911. [8] Benrath, Alfr., Lehrbuch der Photochemie, Heidelberg 1912. [9] Leimbach, G., Das Licht im Dienste de Menschheit, Bd. 114 von »Wissenschaft und Bildung«, Leipzig 1912. [10] Urbain (Meyer), G Einführung in die Spektrochemie, Dresden 1913. [11] Andresen, M., Das latente Lichtbild Halle a. d. S. 1913. [12] Ciamician, G., Photochemie der, Zukunft, Stuttgart 1913. [13] Sheppard, S.E., Photo-Chemistry, London 1914. [13 a] Ders., Lehrbuch der Photochemie, Leipzig 1916. [14] Eder, J.M., Photochemie, Ausf. Handb. d. Phot. (Bd. I, 2. Teil), 3. Aufl., Halle a. d. S 1906 Ferner: Referate in Jahrb. d. Radioaktivität und Elektronik; Zeitschr. f. wissenschaftl. Photogr.; Meyers Jahrb. d. Chemie; Chemisches Zentralblatt.
J.M. Eder.
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