Schwerpunktsbestimmung

[19] Schwerpunktsbestimmung auf graphischem Wege.

a) Kreisbogen (Fig. 1). Um S zu finden, streckt man den halben Bogen AB auf die Tangente AD und zieht die Linien C D, B E und E S. Das statische Element eines Bogenelements d s in bezug auf die Achse a ist nämlich gleich y · d s oder, da d s : d x = r : y, gleich r · d x, folglich das statische Moment des ganzen Bogens gleich r b, woraus sich die Entfernung des Schwerpunktes ys = r b : s ergibt. Durch die oben angegebene Zeichnung wird, wie man leicht erkennt, ys bestimmt.

b) Unregelmäßige Linie. Man zerlegt die Linie in kleine Strecken, die man als geradlinig ansehen darf, betrachtet deren Längen als Gewichte und setzt sie mittels Kräfte- und Seilpolygon (s.d.) zu einer Mittelkraft zusammen. Dadurch erhält man eine Schwerlinie. Dann wiederholt man das Verfahren, indem man die Kräfte in einer andern Richtung wirken läßt, erhält dadurch eine zweite Schwerlinie und damit den Schwerpunkt als Schnittpunkt beider Schwerlinien [vgl. Beispiel h].

c) Dreieck (Fig. 2). Man verbindet die Spitze C mit der Mitte D der Grundlinie und teilt die Verbindungslinie in drei gleiche Teile. C D ist nämlich eine Schwerlinie des Dreiecks, ebenso die Linie BE, die durch die Mitte von A C geht. Verlängert man B E bis F, so ist F C = A B und es verhält sich C S : S D = F C : D B – 2 : 1.

d) Trapez (Fig. 3). Man halbiert zunächst die beiden Grundlinien A B und C D und zieht E F; dann macht man B B' = C D und D D' = A B und verbindet B' mit D'. Zerlegt[19] man nämlich (Fig. 4) das Trapez in ein Parallelogramm und ein Dreieck und verbindet deren Schwerpunkte S1 und S2, so geht die Verbindungslinie durch den Schwerpunkt S der ganzen Figur. Nun ist aus einfachen geometrischen Gründen a = b + c, e = c + d und b + e = 2 (1/2 c + d), woraus folgt: d = b und e = a. Will man nicht den Schwerpunkt selbst, sondern nur die wagerechte Schwerlinie finden, so teilt man (Fig. 5) A D in drei gleiche Teile und zieht C E und B F, so geht die Schwerlinie durch den Schnittpunkt G. Denn wenn man die Linien C G und B G bis zu den gegenüberliegenden Grundlinien verlängert, so schneiden sie die Strecken A B + 2 C D und C D + 2 A B ab, also gerade doppelt so viel wie die Linien E F und B' D' in Fig. 3.

e) Viereck (Fig. 6). Man zieht die beiden Diagonalen, halbiert B D in F und macht A G = C E, so liegt der Schwerpunkt S im Drittel der Linie F G. Durch die Diagonale B D wird nämlich das Viereck in zwei Dreiecke geteilt, deren Schwerpunkte S1 und S2 in den Dritteln von A F und C F liegen und deren Inhalte sich verhalten wie A E : C E; man findet daher S, wenn man die Linie S1 S2 im Verhältnisse C E : A E teilt, was durch die Linie F G geschieht.

f) Kreisausschnitt (Fig. 7). Man streckt den halben Bogen A B auf die Tangente A D und zieht C D; dann teilt man B C in drei gleiche Teile und zieht durch den Drittelpunkt E die Senkrechte E F und die Wagerechte F S. Denkt man sich nämlich die Fläche in unendlich schmale Dreiecke geteilt, deren Spitzen in C liegen, so befinden sich deren Schwerpunkte alle auf dem Kreisbogen E E'; hieraus und aus a) ergibt sich obiges Verfahren.

g) Kreisabschnitt (Fig. 8). Man bestimmt nach f) den Schwerpunkt S1 des Kreisausschnittes B A B' C und nach c) den Schwerpunkt S2 des Dreiecks B B' C; dann macht man S1 G = H J und S2 F = A D, so schneidet F G den Schwerpunkt S ab. Um die Richtigkeit dieses Verfahrens einzusehen, betrachte man den Kreisabschnitt als den Unterschied zwischen Kreisausschnitt und Dreieck und beachte, daß sich die beiden Flächen zueinander verhalten wie A D : H J.

h) Unregelmäßige Figuren teilt man am besten in geeigneter Weise in regelmäßige Figuren, bestimmt deren Flächeninhalte und Schwerpunkte, betrachtet die Inhalte als Kräfte und setzt sie mittels Kraft- und Seileck zusammen; dabei läßt man die Kräfte zuerst senkrecht und dann wagerecht wirken, wodurch man zwei Schwerlinien und damit den Schwerpunkt erhält [vgl. b)]. Fig. 9 erläutert das Verfahren an einem ungleichschenkeligen Winkeleisen. Das Krafteck zeichnet man nur einmal und zieht dafür die Seiten des zweiten Seilecks senkrecht zu den Strahlen des Kraftecks.

i) Unregelmäßige symmetrische Figuren. Hier genügt zur Bestimmung des Schwerpunktes ein einziges Seileck. Fig. 10 erläutert das Verfahren an einem Schienenprofil. Man teilt die Fläche in wagerechte Streifen von ca. 1 cm Höhe und bestimmt deren Schwerpunkte entweder nach einem der obigen Verfahren oder nach Schätzung; als Kräfte trägt man in passendem Maßstab die Inhalte der Streifen auf.


Literatur: Bauschinger, Elemente der graphischen Statik, München 1871; Culmann, Graphische Statik, 2. Aufl., Zürich 1875; v. Ott, Grundzüge der graphischen Statik, Prag 1885; Müller-Breslau, Graphische Statik der Baukonstruktionen, Leipzig 1905; Keck, Vorträge über graphische Statik, Hannover 1894; Lauenstein, Graphische Statik, Stuttgart 1898. Manche andre Werke über graphisches Rechnen und graphische Statik.

Mörsch.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3., Fig. 4., Fig. 5., Fig. 6.
Fig. 3., Fig. 4., Fig. 5., Fig. 6.
Fig. 7.
Fig. 7.
Fig. 8., Fig. 9., Fig. 10.
Fig. 8., Fig. 9., Fig. 10.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 19-20.
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