Trägheitskreis

[593] Trägheitskreis, Mohrscher. Der von Mohr (1888) angegebene Trägheitskreis bietet eine übersichtliche Darstellung der Trägheits- und Zentrifugalmomente beliebiger Flächen auf Achsen, die durch einen Punkt gehen. Er ersetzt daher in vorteilhafter Weise die Trägheitsellipse bei allen die Biegungslehre betreffenden Aufgaben.

Durch einen beliebigen Punkt O (Fig. 1) seien zwei Achsen (x) und (y) gelegt, die miteinander irgend einen Winkel einschließen. Die lotrechten Abstände des Flächenelements d F einer beliebigen Figur von diesen Achsen seien x und y. Die Entfernung des Teilchens d F von O sei ρ, ferner seien α und ß die Winkel, welche der von O nach d F führende Strahl mit den Achsen (x) und (y) bildet. Alsdann ist das Zentrifugalmoment von d F in bezug auf die beiden Achsen:

d Zxy = d F · ρ2 · sin α · β.

Legt man nun durch den Achsenschnittpunkt O einen beliebigen Kreis mit dem Radius r, dann ist die Sehne AC = 2 r · sin α, und der Abstand des Punktes C von der Kreissehne AB ist = 2 r · sin a · sin ß. Wenn man daher dem Punkt C eine Masse von der Größe d F · ρ2/2 r beilegt, so ist das statische Moment dieser Masse in bezug auf die Sehne AB = d F · ρ2/2 r 2 r · sin α · sin ß = d Zxy. Denkt man sich nun zu jedem Flächenelement d F der ebenen Figur den zugehörigen Kreispunkt und die letzterem beizulegende Masse bestimmt und schließlich den Schwerpunkt T aller dieser Massenpunkte ermittelt, so erhält man, wenn T von der Sehne AB den Abstand hxy hat,


Trägheitskreis

wo Jp das polare Trägheitsmoment der Fläche in bezug auf den Punkt 0 bedeutet. Den Punkt T bezeichnet man als Trägheitsschwerpunkt der Fläche F in bezug auf den Trägheitskreis OAB. Fallen die beiden Achsen (x) und (y) zusammen, so wird aus dem Zentrifugalmoment ein Trägheitsmoment und aus der Kreissehne AB eine Tangente. Bezeichnen also hx und hy die Abstände des Trägheitsschwerpunktes T von den in A und B an den Kreis gelegten Tangenten, so ist:

Jx = hx · Jp/2 r, Jy = hy · Jp/2 r

Wenn also die drei Flächenmomente Jx Jy Zxy auf irgend eine Art bestimmt wären, so könnte man die Lage des Punktes T auf Grund der Bedingung bestimmen, daß sich die Abstände hx : hy : hxy = Jx : Jy : Zxy verhalten müssen. Ist dann der Trägheitsschwerpunkt T bekannt, so ist man imstande, die Trägheits- und Zentrifugalmomente für alle durch den Punkt O gehenden Achsen sehr schnell anzugeben. Geht die Kreissehne A B durch den Punkt T, so ist das Zentrifugalmoment Zxy = 0; die Achsen (x) und (y) heißen dann zugeordnete oder konjugierte Achsen (Fig. 2). Stehen die Achsen (x) und (y) senkrecht aufeinander und macht man den Durchmesser des Trägheitskreises 2 r = Jp = Jx + Jy, dann wird die Sehne A B zum Durchmesser, und es ist dann Jx = hx, Jy = hy, Zxy = hxy. Sind also in diesem Fall die Jx, Jy und Zxy gegeben, so bestimmt sich der Trägheitsschwerpunkt T wie in Fig. 3 angegeben ist. Noch einfacher gestalten sich die Verhältnisse, wenn der Trägheitskreis mit dem Durchmesser 2 r = Jp so gelegt wird, daß er in O die x-Achse berührt (Fig. 4). Alsdann ist die Sehne A B identisch mit der (y)-Achse, es ist dann AE = Jx und das Lot ET = Zxy zu machen, wobei als Regel gilt, daß man das positive Zentrifugalmoment nach der Richtung der positiven x abträgt. Für zwei beliebige aufeinander senkrechte Achsen (x'y') erhält man dann die Trägheits- und Zentrifugalmomente, indem man auf die Sehne (Durchmesser) A' B' von T aus ein Lot TE' fällt, und zwar ist A'E' = Jx', B'E' = Jy', T'E' = Zxy'. Die durch O gehenden Hauptträgheitsachsen der Fläche erhält man, indem man durch T den Kreisdurchmesser legt. Die Trägheitsmomente J1 und J2 sind die größten bezw. kleinsten Werte für die durch O gelegten Achsen; in bezug auf die Achsen (1) und (2) ist das Zentrifugalmoment gleich Null, also sind auch die Hauptträgheitsachsen einander zugeordnet. Der Mohrsche Trägheitskreis, findet hauptsächlich Anwendung bei Berechnung der Biegungsspannung in unsymmetrischen Querschnitten. Die für [593] Trägheitsmomente geltenden Formeln Jx + Jy = J1 + J2, J 45° = (Jx + Jy)/2 – Zxy, tg 2 ß = 2 Zxy/(Jx – Jy) können leicht aus Fig. 4 abgeleitet werden.


Literatur: Mohr, Zivilingenieur 1887, S. 43, und Abhandlungen aus dem Gebiete der technischen Mechanik, Berlin 1906; Land, R., Zivilingenieur 1888, S, 123, und Zeitschr. f. Bauwesen 1892, S. 550; Müller-Breslau, Graphische Statik der Baukonstr., Bd. 1, Stuttgart 1905.

Mörsch.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 593-594.
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