[927] Winddruck auf Baukonstruktionen spielt als angreifende Kraft eine Rolle bei allen freistehenden und hochragenden Bauwerken, insbesondere aber bei Dachkonstruktionen, Schornsteinen, Türmen, Gasbehältern und Hochreservoiren, Brückenüberbauten und eisernen oder hölzernen Brückenpfeilern.
Die Erforschung der Gesetze des Widerstandes, den eine bewegte Fläche in ruhiger Luft (Luftwiderstand) oder des Druckes, den eine ruhende Fläche durch die bewegte Luft erfährt (Winddruck), hat seit Galilei und Newton sehr viele Autoren und Experimentatoren beschäftigt. Eine ziemlich vollständige Uebersicht hierüber s. in [1]. Für den Druck auf eine dem Winde normal entgegengestellte ebene dünne Platte von der Fläche F gilt als feststehend das Gesetz W = γ/g F v2, worin γ das Gewicht von 1 cbm Luft, g = 9,81 die Beschleunigung der Schwerkraft und v die Windgeschwindigkeit in Metern pro Sekunde; für mittlere Dichte der Luft wird hiernach W = 0,130 F v2. Der »Beaufortschen internationalen Skala für Windstärken« entsprechen die nachstehend beigesetzten Windgeschwindigkeiten und die daraus nach der Formel W = 0,122v2 gerechneten Winddrücke.
Trifft der Wind die ebene Fläche nicht normal, sondern unter dem Winkel α, so setzen auf Grund eigner Versuche für den normal zur Fläche sich äußernden Druck: Hutton (1788) W' = W · sin αcos α 1, Duchemin (1842) W' = W 2sin α/(1 + sin2 α) und v. Lößl (1880) [2] W' = W sin α. Hiernach ließe sich durch Integration auch der Winddruck auf gekrümmte Flächen ermitteln; jedoch stimmen diese Rechnungsergebnisse mit den Versuchsresultaten nicht besonders gut überein, was Friedr. Ritter [3] damit erklärt, daß sich vor der getroffenen Fläche ein sogenannter Lufthügel, d.i. ein windstiller Raum, bildet, wodurch der Winddruck auf die gekrümmte Fläche vermindert werden kann. Die Wirkung des Windes auf gekrümmte (zylindrische und sphärische) Flächen kommt übrigens vornehmlich nur bei Dachkonstruktionen (Kuppeln [4]), zylindrischen Hochbehältern u.s.w. in Betracht. Bei Brückenüberbauten und andern aus stabförmigen Teilen zusammengesetzten Bauwerken wird in der Regel von der Formgebung der einzelnen Teile abgesehen und die in der Windrichtung sich ergebende Projektionsfläche des Bauwerks als Windanprallfläche eingeführt; doch kann bei runden Teilen wohl eine Verminderung Platz greifen. So wurden bei der Firth-of-Forth-Brücke die röhrenförmigen Druckglieder nur mit 50% ihrer Projektionsfläche in Rechnung gebracht. Im ganzen enthalten die Annahmen, wie Größe und Einwirkung des Windes auf Baukonstruktionen berücksichtigt werden, noch sehr viel Willkürliches, und man ist über den Sicherheitsgrad, den diese Annahmen bieten, in ziemlicher Ungewißheit, obwohl schon viele Ingenieure (Shaler Smith, Collingwood 1880 [5], Baker 1884/90 [6], Allen Hazen 1886 [7], Cleveland Abbe 1887 [8], T. Clayton Fidler 1887 [9], O.T. Crosby 1890 [10], S.P. Langley 1890/93 [11], Kernot 1893 [12], G. Wellner 1894 [13]) bemüht waren, entweder durch Experimente oder durch theoretische Untersuchungen hierüber Aufschlüsse zu erhalten. Hinsichtlich der vorkommenden größten Winddrücke geben zunächst die Beobachtungen der meteorologischen Observatorien Anhaltspunkte. Die hierfür in Verwendung stehenden Apparate sind teils Schalenanemometer zur Messung der Windgeschwindigkeit, teils Federdruckanemometer mit Maximumzeiger zur Messung der Windpressung. Letztere kann, wie sich zeigt, viel höher werden als der durchschnittlichen Windgeschwindigkeit nach Angabe des Schalenanemometers entspricht. So wurde beispielsweise am Bidstone-Observatorium bei Liverpool bei einem Sturme 1870 eine Windgeschwindigkeit von 82 Meilen pro Stunde (= 36,6 m pro Sekunde) und ein Winddruck von 65 Pfund pro Quadratfuß (= 317 kg/qm), 1871 bei 79 Meilen Geschwindigkeit pro Stunde (35,3 m pro Sekunde) sogar 90 Pfund 439 kg/qm Windpressung beobachtet. Der Formel W = 0,13v2 (für Metermaß) würde ein viel geringerer Winddruck entsprechen, und berechnet daher die Kommission englischer Ingenieure, welche 1881 aus Anlaß des Tay-Brückeneinsturzes die Frage des Winddruckes auf Brücken beriet, aus der an Anemometern gemessenen Windgeschwindigkeit v (in Metern pro Sekunde) den dabei vorkommenden Winddruck (in Kilogramm pro Quadratmeter) nach W = 0,244v2.
Man hat übrigens auch aus verschiedenen Zerstörungen an Bauwerken, Umwerfen von Eisenbahnwagen u.s.w. rechnerisch auf die Größe des dabei in Tätigkeit gewesenen Winddrucks geschlossen. Solche Berechnungen sind allerdings wegen der Unbestimmtheit der Windangriffsflächen meist etwas unsicher, doch hat man beispielsweise aus dem Einsturz der Tay-Brücke einen Winddruck von 122195 kg/qm, aus dem Abwerfen von Brückenüberbauten (Shaler Smith [5]) und aus der Demolierung von Gebäuden [14] Winddrücke von 127290 g/qm berechnet. Weitere Beispiele in [15]. Bauwerke in einigermaßen geschützter Lage sind aber, wenigstens in unsern Gegenden, so Harken Stürmen nicht ausgesetzt. Man begnügt sich dabei bei Berechnung von Hochbauten (Dachkonstruktionen u.s.w.) meist mit der Einführung eines Winddruckes von 125150 kg/qm und nimmt allerdings dabei häufig einen Windeinfallwinkel[927] von etwa 10° gegen die Horizontale an, obwohl bei starken Stürmen die Luftbewegung erwiesenermaßen stets parallel zur Terrainoberfläche ist.
Für Brücken empfiehlt sich mit Rücksicht auf ihre meist freie Lage eine höhere Annahme des Winddrucks. In England wurden durch den Board of Trade nach dem Einsturze der Tay-Brücke folgende Regeln aufgestellt [16]: Anzunehmender Winddruck auf den vom Winde zuerst getroffenen Träger und auf den Zug 56 Pfund pro Quadratfuß (273 kg/qm), hierzu noch Winddruck auf den zweiten Träger, und zwar mit dem 1/2, 3/4- oder 1 fachen Betrage, wenn die Lücken des ersten Trägers bis 2/3, 3/4 oder mehr als 3/4 der Gesamtumrißfläche ausmachen. In Deutschland, Oesterreich und ähnlich auch in andern Ländern schreiben die Brückenverordnungen vor, daß bei belasteter Brücke der Winddruck auf die Brückenkonstruktion und auf den Zug mit 150 (170) kg/qm, bei unbelasteter Brücke dagegen mit 250 (270) kg/qcm anzunehmen ist. Dabei wird verlangt, daß bei durchbrochenen Trägern auch der Winddruck auf die zweite Tragwand in einem bestimmten verminderten Maße in Berücksichtigung gezogen werde. Versuche, welche die bei Brücken vorkommenden Verhältnisse näher klarlegen und insbesondere den Einfluß von hintereinander befindlichen Teilen und Tragwänden auf die Größe des gesamten Winddrucks feststellen lassen, sind bislang allerdings nur in sehr beschränktem Umfange von Shaler Smith [5] und Baker [6] anläßlich des Baues der Firth-of-Forth-Brücke angestellt worden. Gaudard bestimmt die Angriffsfläche, welche der Wind an zwei Tragwänden findet, nach der Formel F [ 1 (k f/F)2], worin F die Summe der Durchbrechungen derselben und k einen Koeffizienten bezeichnet, der für kleine Durchbrechungen = 0,65, für große = 1 zu setzen wäre; jedoch ist diese Formel nicht ausreichend durch Versuche begründet. Es ist übrigens nicht bloß von dem Verhältnis der Durchbrechungen zur vollen Fläche, sondern auch von dem gegenseitigen Abstande der hintereinander befindlichen Teile (Tragwände) abhängig, wie viel davon als vom Winde getroffen angenommen werden muß ([3], S. 210). So viel steht wohl fest, daß die jetzt üblichen Annahmen über die Größe des Winddrucks ein reichliches Maß von Sicherheit in sich einschließen, denn es unterliegt keinem Zweifel, daß Flächen von größerer Ausdehnung auch bei den stärksten Stürmen niemals gleichzeitig an allen Stellen von dem großen Drucke getroffen werden. Von den beiden von Baker bei der Forth-Brücke aufgestellten selbstregistrierenden Anemometern, von welchen das eine eine Drucktafel von 0,14 qm, das andre eine solche von 27,9 qm besaß, zeigte die große Drucktafel stets einen um etwa ein Drittel bis um die Hälfte kleineren Winddruck an als die kleine Drucktafel. Es dürfte dieser Umstand eine etwas verminderte Annahme hinsichtlich der Größe des Winddrucks bei Brücken von sehr großer Spannweite als zulässig erscheinen lassen.
Literatur: [1] Report of Board of Engineer Officers as to maximum span practicable for suspension bridges; Appendix, C, Wind pressures by Cap. W.H. Bixby, Washington 1894. [2] Zeitschr. d. Oesterr. Ing.- u. Arch.-Ver. 1881. [3] Zeitschr. f. Luftschiffahrt und Physik der Atmosphäre 1897. [4] Landsberg, Zentralbl. d. Bauverw. 1898, S. 297. [5] Transactions Am. Soc. Civil Engineers 1881 und 1890. [6] Engineering 1890; Firth-of-Forth-Brücke, Zeitschr. d. Oesterr. Ing.- u. Arch.-Ver. 1884. [7] Am. Journal of Science 1887, S. 241248. [8] Annual Report Secretary of War 1887. [9] Clayton Fidler, Practical Treatise on Bridge Constr., London 1887. [10] Engineering 1890. [11] Smithsonian Contributions, Nr. 801 und 884. [12] Engineering Record 1894. [13] Zeitschr. d. Oesterr. Ing.- u. Arch.-Ver. 1897. [14] Deutsche Bauztg. 1870, S. 3. [15] Winkler, E., Brückenbau; Die Querkonstruktionen eiserner Brücken, 2. Aufl., S. 310, Wien 1884. [16] Wochenschr. d. Oesterr. Ing.- u. Arch.-Ver. 1881, S. 218. [17] Lößl, s. v., Die Luftwiderstandsgesetze, Wien 1896.
Melan.
Buchempfehlung
Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.
64 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro