7. Sevahağe.1
7. Sevahage

7. Sevahage

[39] ›Mutter, ich hatte in dieser Nacht einen Traum; wenn ich nur wüsste, welches der Weg nach der Stadt Thelesxamsē ist!‹ – »Sohn, der Traum, den du gesehen, ist nicht dein Traum. Mit diesem Jahr sind einhundertdreissig Jahre meines Lebens vollendet, allein ich habe den Namen der Stadt Thelesxamsē noch nie gehört. Sohn, vielleicht du hast abends das heilige Buch nicht gelesen, und der blinde Teufel kam, um dich zu verspotten.« – ›Mutter, glaubst du nicht, so sieh! Ich vertauschte meinen Ring!‹

Mirza Mehmet bestieg danach sein Ross, nahm einen Säckel Gold mit und zog aus. Unterwegs begegnete er einem Hirten in reicher Kleidung, und verwundert fragte er ihn, wer er sei. Der Hirt antwortete: »Wenn du fragen willst, so sind alle meine Kleider aus meiner Geldtasche (bezahlt); einhundertdreissig Kurusch (Goldstücke) sind meine täglichen Ausgaben. O Reiter, wenn du fragen willst, gehört mir selbst kein Ohr einer Ziege; einmal täglich kommt Sevahağe mit ihren Dienerinnen auf die Wiese; es genügt mir und meinen sieben Vorahnen!« – Danach sah Mirzà Mehmet einen Fluss vorbeifliessen und erfuhr, dass dieser Thelesxamsē heisse. Als nun Sevahağe mit ihren Dienerinnen kam, bat der junge Mann sie um einen Becher Wasser; doch die stolze Schöne schlug empört diese Bitte ab: »Reiter, der Fluss Thelesxamsē fliesst reichlich. Stecke nur deinen Mund wie unser Esel ins Wasser! Denn niemand ist dein und deines Täters Diener.« Der beleidigte Mirzà kehrte um; das Mädchen sah plötzlich den Ring an seinem Finger, erkannte ihn und rief ihm zu: »Reiter auf dem braunen Ross, wenn du Gott liebst und Gott kennst, zieh den Zügel des braunen Rosses zurück! Ich will dir einen Becher kalten Wassers mit der rechten Hand reichen, mit der linken aber dir das Grusszeichen2 machen.« Mirzà kehrte zurück, trank das Wasser und erfuhr von Sevahağe, der Hirt sei Mir Mahmut Miri Barazan, der schon sechs Jahre ihrem Vater diene und als Lohn dafür[40] ihre Hand verlange; noch zwei Jahre blieben bis zur Vollendung seiner Dienstzeit; ihr Vater aber wolle sie demjenigen zur Frau geben, der ihm ein Meter ›Hamutē Kaitan‹ (seidener Schnur) bringe. Sevahağes Weisung folgend schlug Mirzà den Weg nach Muxur Zimin ein, wo er die Schnur von einer Alten für einhundertdreissig Säckel Gold kaufte, brachte sie dem Vater des Mädchens und erhielt sie zur Frau. Als er nun seine Braut heimführen und an dem schlafenden Hirten vorbeifahren sollte, hielt Sevahağe an und sang ein Abschiedslied. Mir Mahmut erwachte, erfuhr das Geschehene und begab sich zornig nach seiner Heimat Baraz, um ein Heer zu sammeln.

Sevahağe gebar dem Mirzà eine Tochter. Einige Jahre später sah einst Mirzà sein Haus von zahlreichen Feinden umgeben; es war Mahmut. Mirzà ging zu ihm ins Zelt und lud ihn nach alter Sitte vor dem Kampfe zum Mahle ein. Mahmut ward durch die Schönheit von Mirzàs Tochter bezaubert, die ihm nach Tisch Wasser auf die Hände goss; er hielt sie für Sevahağe selbst. Da rief Mirzà seine Frau und stellte sie dem Gaste vor. Der Hader ward nun durch Mahmuts Heirat mit Sevahağes Tochter beigelegt.

1

Eminsche Ethnogr. Sammlung 5, 268–273. Der Erzähler Aziz Thumasian gibt auch den kurdischen Text, dessen Verse gesungen werden, wieder.

2

Als Zeichen besonderer Ehre und des Gehorsams legt man die Hände kreuzweise auf die Brust mit einer Verbeugung- des Körpers. Diese Art der Huldigung ist auf altes religiöses Ritual zurückzuführen.

Quelle:
Chalatianz, Bagrat: Kurdische Sagen. In: Zeitschrift für Volkskunde 15-17 (1905-1907), S. 39-41.
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