Darstellung

[528] Darstellung bezeichnet in der ältern Sprache soviel wie Sichtbarmachung, Vorführung, Hinstellung. Man stellt jemand oder etwas dar, heißt: man stellt eine Person oder eine Sache so hin, daß sie von allen gesehen werden kann. Die D. Christi im Tempel bedeutet die Hinstellung, Vorführung vor das Antlitz des Herrn; die D. von Zeugen bedeutet deren Herbeiführung etc. Bald aber wird das Wort D. beschränkt auf die Sichtbarmachung und Hervorbringung einer Sache; zwei Elemente sind dem Begriff in diesem Entwickelungsstadium unerläßlich: 1) daß das Dargestellte sinnlich wahrnehmbar ist, und 2) daß es durch menschliche Fertigkeit entsteht. In diesem Sinne bedient sich die Ästhetik des Ausdrucks D. Da nun das, was durch menschliche Fertigkeit entsteht, vorher in der Seele vorhanden gewesen sein muß, so ist D. die Erschließung eines seelischen Inhalts für die sinnliche Wahrnehmung (Auge und Ohr). Hierdurch, daß das nach außen Kundgegebene aus dem Innern geschöpft ist, unterscheidet sich die D. von der Nachahmung oder Nachbildung, bei der ein durch die Natur oder Kunst Vorgebildetes in äußerlicherer Weise wiederholt wird. Aber nicht nur eines seelischen Inhalts derartige Erschließung an und für sich heißt D., sondern auch die Art solcher Erschließung: der Begriff D. ist ein ästhetischer Wert begriff. Er berührt sich als solcher mit dem Begriff Stil (s.d.), ohne sich mit ihm zu decken: der »innere Stil« macht sich bereits geltend in der Auswahl und Auffassung des Gegenstandes, der »äußere Stil« bezeichnet die Formgebung auf Grund solcher Auswahl und Auffassung. Insofern bei dem Begriff D. weniger an die Gestaltung eines Stoffes an sich, als an die Art der Gestaltung gedacht wird, lehnt er sich an den Begriff des »äußern Stils« an. Aber das Hauptmerkmal des Begriffs D. liegt doch in der Tatsache der Erschließung des seelischen Inhalts, nicht in der Art. Über die Arten der D. s. daher den Art. »Stil«. – Der Gegensatz von Nachahmung und D. läßt bereits erkennen, daß die D. nicht auf die Erscheinungen der äußern Welt beschränkt ist: der Darstellende bemächtigt sich dieser, insoweit sie in seinem seelischen Leben Bedeutung gewonnen hat, und er darf sie, wenn er will, im Widerspruch zu den realen Gesetzen der Natur und des Lebens gestalten; indessen auch dort, wo er diese Gesetze anerkennt, bleibt er als Künstler kein Nachahmer, sondern Neuschöpfer. Da er aus dem Innern, aus der Welk seiner Vorstellungen, Gefühle und Willensregungen schöpft, so ist er nun aber auch befähigt und berechtigt, vieles zu gestalten, wozu die äußere Welt kein Analogon darbietet: solche D. herrscht in den »freien« Künsten der Musik und der Architektur, während die Neuschöpfungen der Poesie. [528] Malerei und Plastik, soweit sie nach Maßgabe wirklicher Lebenserscheinungen erfolgen, gern als »gebunden« bezeichnet werden (s. Kunst). – Neben diesen Unterschieden des Gegenstandes der D. sind diejenigen des Materials und der Darstellungsmittel von Bedeutung. Die D. der über sehr mannigfaltiges Material verfügenden bildenden Kunst erfolgt durch Formen und Farben im Raume, die der Musik durch geregelte Tonfolge in der Zeit; das Ausdrucksmittel der Poesie, die Sprache, wendet sich zwar an das Ohr, erweckt aber durch die Bedeutung ihrer artikulierten Laute nicht nur schnell wandelbare Gesichtsvorstellungen, sondern auch mannigfaltigste weitere psychische Inhalte. Das Gebiet ihrer D. ist, abgesehen von gewissen Schranken der Deutlichkeit, fast unbegrenzt, während sich bildende Kunst und Musik auf einem viel engern Gebiete bewegen, auf dem sie allerdings Darstellungen von intensiverer Wirkung erzielen. – In einem besondern Sinne wird das Wort D. in der Schauspielkunst gebraucht, wo es sowohl die Ausführung eines ganzen Stückes als insbes. die Verkörperung der einzelnen Rollen bezeichnet. Doch klingt die Grundbedeutung des Wortes auch hier scharf hervor, wonach D. die auf menschlicher Fertigkeit beruhende Versinnlichung eines seelischen Inhalts ist.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 528-529.
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