[688] Hydrasystem (Gella-, Schneeball-, Lawinensystem, Couponsgeschäft, Gutscheinsystem) ist eine Art des Absatzes, bei welcher der Produzent oder Händler seine Abnehmer durch Inaussichtstellen größern Gewinns dafür zu gewinnen sucht, ihm weitere Kunden zuzuführen. Es spielt sich in folgenden Formen ab. Der Gewerbtreibende verbreitet im Publikum Prospekte des Inhalts, daß man bei ihm z. B. für 35 Pf. eine Kollektion solider Waren (Stahlwaren), Wert mindestens 4 Mk., erwerben könne und zwar auf folgende Weise: man muß direkt oder indirekt von dem betreffenden Gewerbtreibenden für 25 Pf. einen Coupon desselben erwerben. Dieser besteht in einem Postanweisungsformular über 1 Mk., auf dem als Adressat dieser Gewerbtreibende genannt ist. Der Abschnitt (Coupon) dieses Formulars ist mit einer Nummer und dem Ausdruck bezeichnet, daß sein Inhaber, wenn er die eine Mark portofrei an den Gewerbtreibenden absende, vier weitere Coupons (Formulare gleichen Inhalts mit dem verlockenden Namen Fortunabüchern. dgl.) à 25 Pf. erhalte. Sind ihm diese vier weitern Coupons auf Einsendung der einen Mark zugegangen, so muß er sie an Freunde und Bekannte weiter absetzen und erhält so die eingesandte Mark zurück. Haben dann die Abnehmer dieser vier Koupons je 1 Mk. wieder an den Gewerbtreibenden gesandt und dafür je vier weitere Coupons erhalten, so erhält er die von ihm ausgewählte Kollektion Waren. Er hat also dafür nur 25 Pf. und dazu 10 Pf. Porto ausgegeben, also lediglich 35 Pf. Gelingt es dem Erwerber des ersten Coupons nicht, die vier Coupons, die er dann erhält, abzusetzen, oder lassen sich ihre Abnehmer nicht auf die Einzahlung von je 1 Mk. ein, so sind an sich die ausgelegten 1 Mk. 35 Pf. verloren. Aber der Gewerb treibende bietet dem Inhaber des Coupons gegen Barzahlung des Betrags, der nicht durch die Einzahlungen auf abgesetzte Coupons gedeckt ist, also wenn gar keine weitere Einzahlung geschieht, gegen Einsendung von 3 Mk. die gewünschte Kollektion an. Sind Einzahlungen nur auf einen Teil der vier abzusetzenden Coupons erfolgt, so kann auch die Auswahl eines Gegenstandes im Werte des eingegangenen Betrags erfolgen. In der Anwendung des Hydrasystems durch Gewerbtreibende wie durch Nichtgewerbtreibende liegt nun rechtlich eine öffentliche Ausspielung (s. Ausspielen) von Waren verbunden mit dem Angebote, die Ware bei Verlust im Ausspielgeschäft unter Anrechnung des größern Teils des Verlustes (nicht der 35 Pf.) käuflich abzulassen, also eine Kombination von Ausspiel- und Kaufgeschäft. Das Reichsgericht hat seit dem Jahre 1901 in konstanter Praxis die Gewerbtreibenden, die auf dem Wege des Hydrasystems ohne Erlaubnis ihre Waren vertreiben, wegen unerlaubter öffentlicher Ausspielung (§ 286, Abs. 2 des Reichsstrafgesetzbuches) verurteilt, die Abnehmer und die Gutscheine Weitervertreibenden aber machen sich wegen Beihilfe zum Vergehen der strafbaren[688] Ausspielung schuldig (§ 49 des Reichsstrafgesetzbuches). Die Polizei erblickt in Anwendung des Hydrasystems eine den ansässigen Handel stark schädigende Art des Versandgeschäfts und erteilt daher nicht die Erlaubnis dazu. Von der Schweiz ausgehend, hat dieses System sich über fast ganz Europa verbreitet, wurde jedoch allmählich meist verboten. Vgl. die Zeitschrift »Das Necht«, 1901, S. 400 ff.