Kinderpsychologie

[14] Kinderpsychologie. Angeregt durch den von Darwin zu allgemeiner Geltung gebrachten Entwickelungsgedanken wie durch die in Deutschland von G. Th. Fechner und E. H. Weber begründete Psychophysik, wandte besonders Ad. Kußmaul sich der Erforschung des Seelenlebens in dessen ersten kindlichen Erscheinungen zu, die er teils in ihren physiologischen Voraussetzungen, teils in ihrem eignen seelischen Zusammenhang zu verstehen suchte. Ihm folgte W. Preyer im selben Sinne mit seinen Forschungen über das allmähliche Erwachen oder Entstehen des Seelenlebens im Kinde (Psychogenesis). Die Arbeiten beider Gelehrter erweckten sowohl in Deutschland als namentlich in England und Nordamerika lebhaftes Interesse und eifrige Nachfolger. Besonders in Nordamerika wurde dadurch die K. im Ausgang des[14] 19. Jahrh. zu einem selbständigen Zweige der Seelenforschung, zu dessen Aufblühen das pathologische Interesse einer-, das pädagogische anderseits wesentlich mitwirkte. Beide hatten in der von L. Strümpell begründeten pädagogischen Pathologie oder Lehre von den Fehlern der Kinder inzwischen auch diesseit des Ozeans sich zusammengefunden. Daher die einschlagenden Schriften des Amerikaners Stanley Hall, des Engländers J. Sully u. a. bei ihrem Bekanntwerden in Deutschland bereiten Boden und vielfachen Widerhall fanden. Vgl. Kußmaul, Untersuchungen über das Seelenleben des neugebornen Menschen (Tübing. 1859, 3. Aufl. 1896); Preyer, Die Seele des Kindes (5. Aufl., Leipz. 1900) und Die geistige Entwickelung in der ersten Kindheit (Stuttg. 1893); Compayré, Die Entwickelung der Kindesseele (deutsch von Ufer, Altenb. 1900); Stanley Hall, Ausgewählte Beiträge zur K. und Pädagogik (deutsch von Stimpfl, das. 1902) und Mental development in the child and the race (New York 1895); Egger, Beobachtungen und Betrachtungen über die Entwickelung der Intelligenz und der Sprache bei den Kindern (deutsch von H. Gaßner, Leipz. 1903); James Sully, Studies of childhood (2. Aufl., Lond. 1903; deutsch, mit Anmerkungen von Stimpfl, 2. Aufl., Leipz. 1903); Grvos, Das Seelenleben des Kindes (Berl. 1903); Milicent W. Shinn, Körperliche und geistige Entwickelung eines Kindes in biographischer Darstellung (deutsche Bearbeitung von Glabbach u. Weber, Langens. 1905); »Zeitschrift für pädagogische Psychologie«, herausgegeben von Kemsies u. Hirschlaff (Berl., seit 1899) und die Literatur bei Artikel »Heilpädagogik«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 14-15.
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