Niesen [1]

[682] Niesen (Sternutatio), eine krampfhafte Reflexbewegung der Atmungsmuskeln, die meist dadurch zustande kommt, daß sich ein die Gefühlsnerven der Nasenschleimhaut treffender Reiz auf das Gehirn fortpflanzt und von dort auf die Bewegungsnerven der Atmungsmuskeln übertragen (reflektiert) wird. Auch plötzlicher starker Lichtreiz bewirkt bei vielen Leuten N. Beim N. folgt auf eine tiefe Inspiration eine kurze, sehr kräftige Exspiration, wobei der durch die Nase gestoßene Luftstrom Schleimpartikelchen mit sich fortreißt, während zugleich durch einen Zweigstrom der Mundverschluß unter Erzeugung eines kurzen zischenden Lautes gesprengt wird. – Als sogen. Nieskrampf bezeichnet man ein fast krampfhaftes, länger andauerndes N. ohne wahrnehmbare Ursache, das zuweilen bei hysterischen Frauen beobachtet wird. Man benutzt das N. zuweilen als Haus mittel, z. B. bei Kopfschmerz, Ein genommen heil des Gehirns, oder um die Schleimhaut der Nase oder andrer naheliegender Organe in erhöhte Tätigkeit zu versetzen, und läßt die Betreffenden deshalb Schnupfmmittel gebrauchen, oder auch um eine heftige Erschütterung der Atmungsorgane, z. B. bei Schein tod, zu erzielen und wendet zu diesem Zweck unmittelbar mechanische Reizung der Nasenschleim haut (z. B. mittels Federposen) an. – Das Gesundheitwünschen beim N. soll bei Gelegenheit einer Pest aufgekommen sein, weil man da im ein Zeichen der beginnenden Genesung erkannt habe. Indes findet sich die Sitte bereits in den ältesten Zeiten (z. B. in der Odyssee) und in vielfach wechseln der Gestalt fast bei allen Völkern der Welt (vgl. Tylor, Anfänge der Kultur, deutsch, Leipz. 1373), jedenfalls hervorgerufen durch die Überraschung und Unwiderstehlichkeit des Reflexaktes, der den einen als ein gute-Omen, eine Bestätigung ausgesprochener Ansichten und Wünsche (»etwas beniesen«) oder eine Geistereinwirkung galt, der man durch einen zugefügten Wunsch eine günstige Wendung geben müsse, den andern als ein Akt, den man in bezug auf das wohl tätige Gefühl des Niesens als ein Zeichen der Gesundheit ansehen und aus Höflichkeit nicht unbeachtet lassen dürfe. Erst die neuere Zeit hat mit der früher streng beobachteten Sitte gebrochen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 682.
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