Tuch [2]

[791] Tuch, aus Streichwollengarn hergestellter, meist leinwandartig gewebter Stoff, der durch Walken verfilzt und durch Rauhen mit einer Decke seiner Härchen versehen wird, die gewöhnlich durch Scheren gleichgemacht sind und daher eine glatte, seine Oberfläche bilden. Der Tuchmacherstuhl ist sehr breit, weil das T. wegen seines beträchtlichen Eingehens in der Walke, wenn es nach der Appretur 140 cm breit sein soll, auf dem Stuhl 220–240 cm Breite haben muß. Aus dem rohen Gewebe (Loden) werden die Knoten etc. mit kleinen Noppzangen durch Handarbeit oder mit der Noppmaschine entfernt, dann folgt das Waschen in Waschmaschinen, um Fett, Leim und Schmutz aus dem Loden zu entfernen. Nun wird das Gewebe zum zweitenmal genoppt oder karbonisiert und unter Zusatz von Seife, gesamtem Urin oder Walkererde gewalkt. Hierdurch verfilzen sich die seinen aus dem Garn hervorstehenden Fäserchen und bis zu einem gewissen Grade die Garnfäden selbst, so daß man aus gut gewalktem T. keinen Faden von einiger Länge unversehrt ausziehen kann. Das gewalkte Gewebe wird wieder gewaschen und auf dem Trockenrahmen oder der Trockenmaschine unter einer gewissen Spannung getrocknet. Bei der Appretur des Tuches werden die Härchen, die aus der Filzdecke hervorragen, mehr und gleichmäßiger herausgezogen und nach einer Richtung niedergestrichen (das Rauhen). Hierzu dienen die voll kleiner Widerhaken sitzenden Fruchtköpfchen der Kardendistel (Dipsacus fullonum) oder künstliche Karden aus Metall, mit denen die hängende Tuchbahn bearbeitet wird. Die herausgezogenen Härchen werden auf dem trockenen T. gegen den Strich aufgebürstet und durch Schermaschinen (s. Tafel »Appreturmaschinen«, S. II, Fig. 6) zu gleicher und geringer Länge abgeschnitten, damit sie zusammen eine glatte, seine Oberfläche bilden. Beide Behandlungen werden je nach der Feinheit des Tuches ein- bis fünfmal abwechselnd hintereinander vorgenommen. Die abgeschnittenen Härchen bilden die Scherwolle (Scherflocken). Nach dem Scheren wird das T. zum drittenmal genoppt, dann durch Pressen zwischen heißen Platten oder in der Glättmaschine (Walzenpresse, s. Tafel »Appreturmaschinen«, S. IV, Fig. 11) geglättet sowie durch Dämpfen von dem hohen Preßglanz (Speckglanz) befreit (dekatiert) und zum Einlaufen (Krimpen, Krumpen, Krumpfen) gebracht. Manche Tuche werden auch ratiniert (s. Ratin). In der Wolle gefärbtes T. wird aus gefärbter Streichwolle gefertigt, und das tuch farbige (stückfarbige) nach dem Walken. Letzteres T. zeigt oft einen weißlichen Anschnitt. Feine hellfarbige Tuche können aber in der erforderlichen Lebhaftigkeit nur im Stücke gefärbt werden. Weiße Tuche werden geschwefelt und in Wasser mit abgezogenem Indigo gebläut. Die schwarzen Tuche prüft man auf ihre Farbe mit verdünnter Salzsäure und unterscheidet Falschblau, das durch Behandeln mit der Säure rot wird, Halbechtblau, das einen violetten Schein bekommt, wenn der Grund mit Indigo angeblaut ist, und Ganzechtblau, das durch die Säure nicht verändert wird, also mit reinem Indigo gefärbt worden ist. In der Tuchfabrikation nehmen neben Preußen und Sachsen, die durch ihre ausgezeichneten Wollen begünstigt sind, Österreich, Frankreich, England und Belgien den ersten Rang ein. Von den preußischen Tuchen war vormals das Brandenburger Kerntuch sehr beliebt, die rheinpreußischen Tuche gehen als Niederländer. Holland liefert wenig, aber vortreffliches T. Österreich fertigt alle Sorten Tuche, vorzüglich viel farbige Tuche für den Orient. Die englische und belgische Tuchfabrikation erstreckt sich vorzugsweise nur auf die mittlern und ordinären Qualitäten. Vgl. Stommel, Das Ganze der Weberei der Tuch- und Buckskinfabrikation (2. Aufl., Düsseld. 1882); Ölsner, Lehrbuch der Tuch- und Buckskinweberei (Altona 1881, 2 Bde.); Behnisch, Handbuch der Appretur (Grünberg 1879); Löbner, Praktische Erfahrungen aus der Tuch- und Buckskinfabrikation (das. 1891, 3 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 791.
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