Turm

[832] Turm, Gebäude von prismatischer oder zylindrischer Grundform, dessen Höhe die Abmessungen seiner Grundfläche wesentlich übertrifft. Die Türme werden mit Kirchen, Schlössern, Rathäusern, Stadttoren, Befestigungswerken etc. zu einem architektonischen Ganzen verbunden, oder sie stehen isoliert. Die ältesten Turmbauten waren zweifellos Befestigungstürme und finden sich in der asiatischen, griechischen, phönikischen und etruskischen Befestigungskunst. Auch die ägyptischen Tempelpylonen können als Vorläufer der Turmbauten gelten. Die Römer bauten Türme wohl auch nur zu Befestigungszwecken. Eine hervorragende Rolle spielt der T. aber im ganzen Mittelalter, und zwar nicht nur als wehrhafter Befestigungsturm, sondern auch in der kirchlichen und friedlich-bürgerlichen Baukunst (s. unten). Bei der mittelalterlichen Burg diente der Hauptturm (Bergfried, s. d.) der Besatzung als letzter, bis zum äußersten verteidigter Zufluchtsort. Dem Bergfried verwandt ist der normännische Donjon (s. d.). Bei den Burgen des Deutschen Ordens bildete ein T. (Danziger) ein vorgeschobenes Außenwerk und diente der Besatzung zugleich als Abort, weshalb er gern über einen Wasserlauf gestellt wurde. Nach Erfindung des Schießpulvers entstanden aus den Türmen die Basteien (Rondelle, Bastione), während eigentliche Türme außer Gebrauch kamen. Erst später wandte sie Vauban unter dem Namen Bollwerkstürme wieder an. Montalembert verbesserte diese Türme und gab ihnen eine vielfach veränderte Gestalt. Sie sind kasemattiert und so eingerichtet, daß die innern Gewölbe auf innern Strebepfeilern ruhen- und in bedeckten Geschützständen mehrere Reihen Geschütze übereinander stehen. Ähnlich eingerichtet sind[832] die sogen. Martellotürme (s. d.) zur Küstenverteidigung. Über gepanzerte Türme s. Panzerturm. Vgl. Panzerungen. Bewegliche, aus Holz konstruierte Angriffs- oder Wandeltürme, mit denen Festungen gestürmt wurden, kannten schon die alten Perser (vgl. Festungskrieg, S. 481). Die Türme zu einem wesentlichen Bestandteil der Kirchen und ihrer Architektur zu machen, war der christlichen Baukunst vorbehalten, indem man in der Zeit Konstantins die Gotteshäuser mit Glockentürmen zu versehen begann. Diese altchristlichen Kirchentürme standen, wie auch jetzt noch der italienische Campanile (s. d.) und das Minarett (s. d.) der osmanischen Baukunst, gesondert neben der Kirche; eine organische Verbindung des Turmes mit der Kirche wird erst im romanischen Stil Regel. Die vollkommenste architektonische Ausbildung erhielten die Türme aber erst in der gotischen Kirchenbaukunst.

Tabelle

Über den höchsten der hier angeführten Türme, den zurzeit höchsten T. der Welt, den Eiffelturm, s. d. und Tafel »Eisenbau II«, Fig. 7. Ein noch höherer T., der Watkinturm im Wembley-Park in London (335,5 m hoch geplant), ist zurzeit in Ausführung. Die schiefen Türme sind auf mangelhafte Gründung oder beabsichtigte Baukünstelei zurückzuführen. Bei dem berühmten schiefen Glockenturm zu Pisa (1174 erbaut, 4,8 m Lotabweichung) streitet man zurzeit noch über den Grund der Abweichung seiner Achse vom Lot, während die aus dem Anfang des 12. Jahrh. stammenden schiefen Türme von Bologna, der Torre Asinelli (83 m hoch, 1,23 m Lotabweichung) und der Torre Garisenda (47,510 hoch, 2,4 m Lotabweichung), nur Bauspielereien sind. Vgl. Sutter, Turmbuch, Turmformen aller Stile und Länder (2. Aufl., Berl. 1895,110 Tafeln); R. Schmidt, Die höchsten Bauwerke (Tafel, das. 1891); Bader, Turm- und Glockenbüchlein (Gießen 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 832-833.
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