Burg [1]

[616] Burg (hierzu Tafel »Burgen I u. II«; v. griech. pýrgos, lat. burgus), ursprünglich jeder durch Wall und Graben befestigte Platz (Wallburg), insbes. ein aus dem Mittelalter herrührender abgesonderter und befestigter Wohnsitz eines Grundherrn. Diese Burgen waren entweder Wasserburgen oder Höhenburgen. Die Wasserburgen waren meistens regelmäßig viereckige Anlagen mit Ecktürmen und in Teichen oder von Wassergräben umgeben. Sie fanden sich vornehmlich in der norddeutschen Ebene. Die Höhenburgen wurden besonders auf vereinzelten Anhohen, auf vorspringenden Bergnasen und an den Rändern steiler Flußufer angelegt. Die für eine größere Hofhaltung eingerichteten Burgen nennt man Hofburgen. Unter Burgstal verstand man im Mittelalter zunächst die Stelle einer Burg, dann auch letztere selbst oder die Ruine einer solchen. Auch Höhlen wurden zu Burgen ausgebaut (Höhlenburg) oder in Felsen mehr oder weniger umfassend Hohlräume ausgehauen (ausgehauene B.). Nur sehr selten ist ein römischer Wehrbau (Kastell oder Wachtturm) später zu einer B. umgebaut worden. Der Bau gemauerter Burgen beginnt im deutschen Sprachgebiet erst gegen das zweite Jahrtausend n. Chr. In alterer Zeit wie auch noch später vielfach bestanden dieselben großenteils aus Holzbauten. Die von den Kreuzfahrern im Morgenland gemachten Erfahrungen kamen dann etwa um 1200 auch dem heimischen Burgenbau wesentlich zu statten. Die allgemeine Einführung wirksamer Pulverwaffen gaben gegen den Ausgang des 15. Jahrh. vielfach zu entsprechenden Umbauten Anlaß. Nur wenige aber haben als inzwischen zu förmlichen Festungen ausgebaute Wehr bauten den Dreißigjährigen Krieg überdauert. Eine vollständigere B. hatte wohl hinter einem Graben eine äußere Ringmauer (Zingeln, vom lat. cingere, »umgürten«). Über den Graben führte eine Zugbrücke zum Burgtor, das außerdem durch ein Fallgitter verschlossen wurde. Neben dem Tor befand sich eine engere, nur für Fußgänger bestimmte Pforte. Außen war über demselben wohl eine erkerförmige Pechnase mit offenem Boden angebracht, und über dieser war die Mauer mit Zinnen versehen, hinter denen sich oft ein bedeckter, nach dem Innern der B. zu offener Gang (die Wer oder Letze) hinzog. von wo aus man schießen[616] oder mit Steinen werfen konnte. Durch das Tor gelangte man in einen Zwinger, der, häufig kaum wegbreit, auf der einen Seite von der Burgmauer, auf der andern oft von Gebäuden gebildet ward. Von diesem Zwinger, der häufig nicht um die ganze B. herumlief, gelangte man durch ein zweites Tor in die Vorburg, die Stallungen und sonstige Nebengebäude enthielt. Ein drittes Tor führte dann in den innern Burghof (ballium, bayle). Von den letztern umgebenden Gebäuden war der Palas (palatium) als das herrschaftliche Wohnhaus das bedeutendste. Das gewölbte Parterre enthielt Vorratskammern, Keller u. dgl., im obern Stockwerk war in der Regel ein Saal, zu dem bei romanischen Hofburgen eine Freitreppe (die Grede) aus dem Hof emporführte. Das starke Mauerwerk war durch Fenster mit tiefen Nischen, die besonders in der gotischen Zeit Sitze enthielten, durchbrochen.

Grundriß der Riune Greifenstein in Thüringen.
Grundriß der Riune Greifenstein in Thüringen.

Die Decke war in der Regel durch querübergelegte Balten, bisweilen durch ein Gewölbe gebildet. Der Fußboden war mit Estrich, gebrannten oder behauenen Steinplatten belegt, über die man Teppiche oder Binsen breitete. Bei reicherer Ausschmückung waren auch die Wände mit Teppichen oder Tapeten (Stuollachen) beschlagen. Neben dem Palas, auch Mushaus genannt, wurde um die Mitte des 14. Jahrh. die Anlage einer Dirnitz (Dornze), eines durch Ofen heizbaren Gebäudes, bei Hofburgen beliebt. Auch Kemenate (von caminata) bedeutet einen heizbaren Raum und so auch auf Burgen ein Wohngemach. Bei alten Hofburgen bezeichnete man so auch ein besonderes Wohnhaus der Frauenzimmer, doch hatten auch ganze Burgen danach ihren Namen, Kemnath, Kempe etc. Weitaus die meisten Burgen hatten einen starken Hauptturm, Berchfrit (Bergfried, franz. donjon). Meist rund oder viereckig, aber auch drei- bis achteckig, hatte er meistens zu ebener Erde keinen Eingang. Der finstere Raum unter dem letztern enthielt das Burgverlies, in das Gefangene von oben herabgelassen wurden. Die obern Stockwerke waren mitunter bewohnbar eingerichtet. Als Palas und Berchfrit zugleich diente mitunter der Wohnturm, ein erweiterter Berchfrit oder turmartiges Wohngebäude (s. Donjon). Besonders in Südwestdeutschland findet sich nicht selten auf der Angriffseite ein besonderer Deckungsbau, die Schildmauer, eine hohe Mauer von solcher Stärke, daß in derselben Räume für die Verteidiger ausgespart werden konnten. Die Küche war entweder im Palas untergebracht, oder in größern Burgen auch wohl ein abgesonderter Bau, der sich nach oben allmählich als Rauchfang zuspitzte. Außerdem umgaben den Burghof noch Vorrats-, untergeordnete Wohn- und sonstige Nebengebäude. Die in einigermaßen größern Burgen nicht fehlende Kapelle war an den verschiedensten Orten angebracht und wechselte ihrer Größe nach von einer bloßen Altarnische in einem Wohnraum bis zum selbständigen Gebäude, das auch mitunter zweistöckig war (Doppelkapelle). Die auf Felsen liegenden Höhenburgen haben oft Ziehbrunnen von ungemeiner Tiefe. Sonst begnügte man sich auch mit einer Zisterne für das Regenwasser. Die Ringmauer war meistens mit Zinnen bekrönt, hinter denen auf einem Mauerabsatz ein Wehrgang hinlief. Dieser konnte auch durch eine Holzkonstruktion erweitert und überdacht sein. Schießscharten waren in den Zinnenmäuerchen (Wimpergen), auch tiefer in der Mauer selbst ausgespart. Letztere war, abgesehen von den in dieselbe eingerückten Gebäuden, auch von nach außen vorspringenden Türmen unterbrochen, die häufig gegen das Burginnere offen waren (Schalen). Besonders im 15. Jahrh. kamen starke Batterietürme, Rondeln oder eckige Bastionen hinzu. Zur Verteidigung besonders auch des Mauerfußes dienten außen vorgekragte Wehrgänge in Stein mit Gußlöchern im Fußboden (Maschikulis) oder in Holzkonstruktion. Besonders bei Höhenburgen wurde durch die Größe und die Umrißfigur des von Natur festen Bauplatzes sowie durch Höhenunterschiede innerhalb desselben eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit der Anlage veranlaßt. Während die Deutschordensburg Marienburg mit ihren Außenwerken ca. 210,000 qm groß ist, bestanden die kleinsten Burgen (jetzt fälschlich Burgstall genannt) im wesentlichen nur aus einem wehrhaften Gebäude. Alle vorhin aufgeführten Burgteile können vervielfacht vorkommen (bis auf die Schildmauer) oder auch ganz fehlen.

Ein Beispiel einer großen romanischen Hofburg bietet die 1067 erbaute und seit 1847 (nicht[617] überall stilgetreu) wiederhergestellte Wartburg; Tafel II, Fig. 2 Ostansicht, Fig. 3 Grundriß. Der Palas hat hofwärts eine Freitreppe, die zu dem über dem nicht zu Wohnräumen benutzten Erdgeschoß liegenden Saal emporführt, und längs desselben eine Galerie. Nachträglich (1130) ist darüber ein zweiter, größerer Saal aufgebaut worden. In späterer Zeit ist auf die Ringmauer der Vorburg in Fachwerk der eigentümliche, überdachte Gang (Lauf) ausgesetzt worden. Greifenstein (Grundriß der Ruine auf S. 617) zeigt das Beispiel einer nach Einführung der Feuerwaffen (um die größere westliche Hälfte und die Außenmauer der östlichen) erweiterten B. Südöstlich neben dem gotischen Palas (Hauptgebäude) hat der 1800 zusammengestürzte Berchfrit gestanden. Wie unter Greifenstein das Städtchen Blankenburg liegt, so bildeten sich nicht selten am Fuß einer B. kleine und größere Ansiedelungen (z. B. Nürnberg), und beide wurden dann auch durch Ringmauern miteinander verbunden.

Was die Besitzverhältnisse betrifft, so bedurfte es dazu, eine B. als Eigentum oder Pfand innezuhaben, durchaus keiner besondern persönlichen Qualifikation (etwa der eines »Ritters«). Auch Könige nahmen Burgen etwa von einer Abtei zu Lehen. Häufig gehörten solche einer mehr oder weniger großen Anzahl von Miteigentümern (Ganerben) entweder unter örtlicher Teilung oder nur ideell nach Bruchteilen. Von den ungefähr zehntausend innerhalb des deutschen Sprachgebietes vorhanden gewesenen Burgen ist der größere Teil völlig verschwunden. Etwa 400 sind noch mit größtenteils alten Bauten bewohnbar erhalten. Die im 19. Jahrh. beliebt gewordenen »Wiederherstellungen« lassen durchweg, so auch besonders bei den Rheinburgen unterhalb Rüdesheim, eine hinlängliche Kenntnis des alten Burgbauwesens vermissen. Eine löbliche Ausnahme bildet die umfassende Restauration des Marienburger Schlosses.

Die beigegebenen Illustrationen zeigen im besondern folgendes: Tafel I, Fig. 1 eine wohlerhaltene Höhenburg aus gotischer Zeit mit einfachen, mannigfaltig gruppierten Baulichkeiten, fast ohne Ringmauer. Fig. 3 u. 4 eine kleine, inmitten eines Stromes gelegene Wasserburg, fast nur aus Berchfrit und Umfassung bestehend. Die letztere hat innen mehrstöckige Wehrgänge, auf den Ecken vorgekragte Scharwachttürmchen (échauguettes). Die (nicht ganz genaue) Ansicht ist eine alte, um 1630. Fig. 5 einen Berchfrit (nach Blatten in der Schweiz) mit rekonstruiertem hölzernen Wehrgang, Fig. 6 den Durchschnitt eines solchen. Fig. 7 eine große Wasserburg. Die nach 1250 hinzugefügten flankierenden Türme haben oben Maschikulis. Tafel II, Fig. 1, eine malerische Ganerbenburg. Die turmförmigen Anteile der einzelnen Miteigentümer umgeben einen engen Hof. Fig. 2 u. 3 s. oben. Fig. 4 eine B., deren Wohngebäude durch eine dahinter aufsteigende hohe Schildmauer gedeckt ist. Fig. 5 einen Torturm mit Pechnase und Zugbrücken. Fig. 6 einen Teil einer Deutschordensburg.

Die außerdeutschen Burgen unterscheiden sich nicht wesentlich von den unsrigen. Nur zwei Ausnahmen sind da etwa zu bemerken. Siebenbürgen hat eine Anzahl von Burgen, die nicht als Wohnsitze einzelner, sondern als umfängliche feste Zufluchtsorte der Bevölkerung angelegt waren, und die siegreich in Frankreich, England und Unteritalien eindringenden Normannen haben da Burgen errichtet, für die ein fest und schön gebauter, umfänglicher, jedoch turmförmiger Kernbau charakteristisch ist. Ein Beispiel zeigt Tafel I, Fig. 2. Vgl. Piper: Burgenkunde (Münch. 1895), Abriß der Burgenkunde (Sammlung Göschen, Leipz. 1900), Die angebliche Wiederherstellung der Hohkönigsburg (Münch. 1902), Österreichische Burgen (Wien 1902ff.); Cori, Bau und Einrichtung der deutschen Burgen im Mittelalter (2. Aufl., Linz 1895); Ebhardt, Die deutschen Burgen in Wort und Bild (Berl. 1899ff.); Ringler, Deutsche Burgen und Schlösser, nach der Natur gezeichnet (das. 1902ff.); Steinbrecht, Die Ordensschlösser Preußens (das. 1888); v. Essenwein, Die Kriegsbaukunst (Darmst. 1889); v. Cohausen, Die Befestigungsweisen der Vorzeit (Wiesb. 1898). Für Frankreich: De Caumont, Architecture civile et militaire (3. Aufl., Caen 1869); Viollet-Le Duc, Dictionnaire de l'architecture (1854–69, 10 Bde.). Für England: Clark, Mediaeval military architecture (Lond. 1884). »Der Burgwart«, Zeitschrift für Burgenkunde (Berl., seit 1899).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 616-618.
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