Kaṇṭhaçruti-Upanishad.

[695] Der Name dieser Upanishad Kaṇṭhaçruti tauchte zuerst auf in Colebrooke's Verzeichnis Misc. Ess., 2. ed., p. 86 n. 3, und in Bergstedt's Abschrift, Ind. Stud. I, S. 302, wurde aber von Weber, Ind. Stud. II, S. 396 und Lit., 2. Aufl., S. 181 (mit Berufung auf den prosodischen Fehler in dem Anfangs- und Schlussverse des Kommentars von Nârâyaṇa) in Kaṭhaçruti abgeändert, was dann sowohl im Pet. Wörterb. s.v. Kaṭha als auch von Jacob, Concordance pref. p. 7 akzeptiert wurde; – beides etwas vorschnell: denn mit Ausnahme des Telugudruckes (und, entsprechend, der Handschrift des India Office, Eggeling p. 127), welcher, nach der von ihm befolgten Aufzählung der Muktikâ-Up. v. 37 (Bomb)., das Werk Kaṭha-Upanishad (im Bombayer Neudruck Kaṭharudra-Upanishad) nennt, sowie möglicherweise auch des Nârâyaṇa1, bieten alle uns bekannten Handschriften (ausser den oben, zu Anfang, genannten: vermutlich alle Handschriften der Calcuttaer Ausgabe, da wenigstens eine Variante nicht vermerkt ist, – zwei Handschriften des India Office, Eggeling p. 110. 112, – die Oxforder Handschrift, Aufrecht p. 394b, – Stein's Katalog der Kaschmirsammlung, welche drei Kopien der Upanishad besitzt, p. 25, – die Punaer Sammlung in einem freundlichst für mich angefertigten Verzeichnisse) mit merkwürdiger[696] Übereinstimmung Kaṇṭhaçruti. Dass dies hier und da in Kaṭhaçruti korrigiert wurde, ist ebenso begreiflich, wie es unbegreiflich ist, dass der Name einer der bekanntesten Vedaschulen übereinstimmend in den verschiedensten Gegenden Indiens in das seltsame und unverständliche Kaṇṭhaçruti hätte korrumpiert werden sollen. Wir werden also diesen letztern Namen für den ursprünglichen zu halten haben und müssen versuchen, eine Erklärung für denselben zu finden. – Wenn man die Geringschätzung erwägt, mit welcher diese Asketen das Schriftwesen behandelten (wie ihnen denn auch in den Schlussversen unserer Upanishad die Veden ausdrücklich verboten werden), und sich erinnert, dass für »auswendig gewusst« im Sanskrit (wenigstens in dem heutigen, gesprochenen) ganz allgemein kaṇṭhastha »in der Kehle steckend« (vgl. par cœur, by heart) gesagt wird, so wird man vielleicht die Hypothese nicht allzu verwegen finden, dass Kaṇṭhaçruti eine (im Gegensatze zu dem bereits aufgeschriebenen Veda) »nur zum Auswendiglernen, nicht zum Niederschreiben bestimmte Çruti« bedeuten könnte.

Dieser ungeordneten Art der Überlieferung entspricht das bunte Durcheinander von Asketenregeln, welches den Inhalt unserer Upanishad ausmacht:

Kap. 1. Letztes Opfer des Sannyâsin (ein Vaiçvânara-Opfer).

Kap. 2. Abschied vom Sohne. Nahrung, Wohnung und Kleidung des Sannyâsin.

Kap. 3. Mythus zur Empfehlung des Maunam (der Schweigsamkeit). Abschied vom Sohne, nochmals und ausführlicher.

Kap. 4. Letztes Opfer (ein zwölftägiges Milchopfer), in einer von Kap. 1 abweichenden Darstellung. Lebensweise des Sannyâsin.

Kap. 5. Weihe (dîkshâ) des Sannyâsin. Sein Aufzug, seine Lebensweise. Alles ausser einem Tuchfetzen (zum Durchseihen des Getränkes) wird ihm verweigert, auch gerade diejenigen Gegenstände, die ihm in der Parallelstelle der Sannyâsa-Upanishad (oben S. 690) gestattet bleiben.

Man könnte versucht sein, auf Grund des letzterwähnten Widerspruches verschiedene Richtungen von milderer und strengerer Observanz zu konstruieren, wäre nicht bei der von Haus aus schwankenden Beschaffenheit des Textes, bei der unglaublichen Einfalt des Kommentators und bei der schmählichen Nachlässigkeit des Herausgebers jeder Versuch, festere Schlüsse zu ziehen, zur Zeit noch unratsam.

Ebenso bedenklich wäre es, auf Grund der Widersprüche und Wiederholungen, die in unserm Texte vorliegen, eine Zerlegung desselben in mehrere Upanishad's vorzunehmen, wie eine solche der Telugudruck bietet (Kap. 1-2 sind bei ihm = Sannyâsa-Up., 3-5 = Kaṭha-Up.; an beide schliesst sich, wie so oft in dieser Sammlung, ein Kometenschweif weiterer Verse an). Auch die, zum Teil wörtliche, Übereinstimmung und der daneben bestehende Widerspruch zwischen Kaṇṭhaçruti 5 und Sannyâsa 3-4 (oben S. 689 fg). bleiben zur Zeit noch unaufgehellt.

Und nur soviel lässt sich für jetzt erkennen, dass unter den Sannyâsin's allerlei Regeln, Sprüche und Verse umliefen, dass die Erzeugnisse dieser Bettlerpoesie oder Bettlerphilosophie allmählich zu kleinen, natürlich nur[697] mündlich (kaṇṭhastha) weiter kolportierten Ganzen zusammenschmolzen, bis dann endlich diese bunt zusammengewürfelten, teils sich wiederholenden, teils einander widersprechenden Stücke ihre Aufzeichner fanden und als Kaṇṭhaçruti-, Sannyâsa-, Âruṇeya-Upanishad usw. unter die Atharva-Upanishad's aufgenommen wurden.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 695-698.
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