[326] Gewere (Were, Saisine), nach älterem deutschen Rechte die factische Möglichkeit über ein Recht zu verfügen, wenn sie mit dem Rechte verbunden ist, den Schutz des Richters gegen jeden Dritten für sie in Anspruch zu nehmen. Das ältere Recht nimmt an, daß der Besitzer in diesem Sinne nicht nothwendig des Schutzes eines Dritten, welcher ihm etwa die Sache übertragen hat, zur Vertheidigung seines Rechtes bedarf, sondern daß derselbe wegen der Beschaffenheit seines Besitzrechtes von dem Richter geschützt (gewehrt) wird. Man unterscheidet: vollkommene (eigenthümliche, eigentliche, eigene) G., wenn das bezeichnete Recht einer Sache ungetheilt einer Person zusteht; u. unvollkommene (juristische, ideelle, G., wenn die G. zugleich verschiedenen Personen so zustehen, daß einzelne Nutzungsrechte aus dem gesammten Rechte an der Sache abgelöst u. als selbständige Befugnisse bestellt sind, ohne daß doch dadurch die G. im eigentlichen Sinne aufgehoben würde. Die unvollkommene G. kommt vor, wenn der Eigenthümer einem andern die G. u. Nutzung einer Liegenschaft überließ, während er nur einzelne Rechte sich reservirte, z.B. bei dem Lehns- u. Zinsmann, wo von Nutzgewer im Gegensatz der Eigengewer gesprochen wurde; wenn der Eigenthümer einen Andern in die G. eines Gutes od. einer Gesammtheit von Sachen dadurch aufnahm, daß man ihm einzelne Rechte, z.B. durch Setzen eines Zinses, gewährte; auch durch Gesetz, indem z.B. den Erben auch ohne Besitz der Güter eine G. daran gesichert wird; od. durch richterliches Urtheil. Ledigliche G. heißt die G., wenn damit der Gegensatz eines Besitzes in fremdem Namen bezeichnet werden soll. Vgl. Albrecht, Die G. als Grundlage des älteren Deutschen Sachenrechtes, Königsb. 1828. Für das neuere Deutsche Recht haben die älteren Grundsätze über G. nur wenig praktische Bedeutung mehr, indem auch in dieser Beziehung das Römische Recht die deutschen Rechtsbestimmungen überwuchert hat.