Gesetz

[289] Gesetz, 1) jede Vorschrift od. Regel, welcher geschaffene Wesen unterworfen sind, daher Naturgesetz die Nothwendigkeit, welche sich in den sich gleichbleibenden Erscheinungen der Naturwelt kund gibt; Denkgesetz die Regel, nach welcher sich das Denken eines vernünftigen Menschen ordnet; Sittengesetz die Vorschrift, welche Gewissen u. vernünftige Anschauung der Dinge dem Menschen in Beziehung auf sein Streben u. Handeln vorschreibt; 2) im engeren Sinne die von der gesetzgebenden Gewalt des Staates ausgegangene u. zu allgemeiner Nachachtung aufgestellte Vorschrift, welche für alle künftig unter diese Vorschrift fallenden Vorkommnisse als Norm zu dienen hat u. im Nothfalle durch die Staatsgewalt in Schutz genommen wird. Das G. bildet nach den gegenwärtigen Verhältnissen des Staatslebens die vorzüglichste Entstehungsart des Rechtes, u. die gesetzgebende Gewalt ist die wichtigste Aufgabe u. das oberste Majestätsrecht des Staatsherrschers. Die verbindende Kraft des G-es u. die nothwendige Verknüpfung desselben mit der obersten Staatsgewalt ist darauf zurückzuführen, daß die letztere als Repräsentantin u. Personification des allgemeinen Willens jedenfalls den Beruf hat, näher festzusetzen, was wirklich als allgemeiner Wille, nach welchem sich die Staatsangehörigen zu richten haben, gelten solle. Doch braucht die gesetzgebende Gewalt nicht nothwendig ausschließlich bei dem Oberhaupt des Staates zu sein, vielmehr kann die Ausübung der mit ihr verbundenen Functionen je nach der verschiedenen Verfassung des Staates sehr verschieden geordnet sein; nur ist die oberste Staatsgewalt immer als die Quelle der gesetzgebenden Gewalt anzusehen, u. eben deshalb nothwendig, daß ihr, wo die Befugniß zum Erlaß allgemeiner Anordnungen zum Theil auf untergeordnete Behörden od. Corporationen, wie Provinzialregierungen, Gemeinden etc. übertragen worden ist, od., wie in der constitutionellen Monarchie, Beschränkungen für die Ausübung angeordnet sind, doch immer ein entscheidender Einfluß gesichert sei. Im strengsten Sinne versteht man unter G. 3) nur diejenigen allgemeinen Anordnungen, welche unmittelbar von der obersten Gewalt des Staates mit höchster staatlicher Autorität auf dem durch die Verfassung vorgeschriebenen Wege erlassen werden.

Mit Rücksicht auf den Inhalt der G-e werden unterschieden: a) Verfassungs- u. Grundgesetze, durch welche die Grundeinrichtungen des Staates, zuweilen auch die jedem Staatsbürger zukommenden Rechte normirt werden; b) Organische G-e, welche in Gemäßheit der durch das Grund- od. Verfassungsgesetz aufgestellten Grundsätze die Verfassung, den Behördenorganismus etc. im Einzelnen weiter ausbauen; c) Verwaltungsgesetze, welche zur Normirung der im allgemeinen Interesse nothwendigen Verwaltungshandlungen u. der vom Staate zu führenden Oberaufsicht über das Leben u. Treiben der Unterthanen dienen; d) Finanzgesetze, zur Normirung des Staatshaushaltes, Ordnung der Steuererhebung, oft auch nur die Ermächtigung an die Regierung zur Contrahirung einer Anleihe etc. enthaltend; e) Straf- u. Polizeigesetze, welche die Normen über verbotene Handlungen u. die Angabe[289] der auf sie gesetzten Strafen, so wie die bei Zuerkennung der letzteren zu befolgenden Regeln enthalten; f) Privatrechtliche G-e, zur Regulirung u. Sicherstellung der privatrechtlichen Verhältnisse; die letzteren haben das Eigenthümliche, daß sie in der Regel dem Privatwillen einen viel freieren Spielraum lassen u. mehr darauf berechnet sind, das, was im Zweifel als dem Privatwillen entsprechend anzusehen ist, declarirend festzusetzen, als ihn in bestimmte Vorschriften zu bannen. In constitutionellen Staaten wird zwischen G. u. Verordnung unterschieden. Als G. werden hier nur diejenigen Normen bezeichnet, welche verfassungsmäßig nicht ohne ständische Mitwirkung rechtsgiltig zu Stande kommen können; Verordnungen dagegen heißen diejenigen Erlasse, welche das Staatsoberhaupt od. in seinem Namen die Regierungsbehörden auch ohne Zustimmung der Stände mit rechtsverbindlicher Kraft ausfließen lassen können. An eine Mitwirkung der Stände pflegen nur diejenigen Anordnungen gebunden zu sein, welche allgemeine Grundsätze über die Verfassung aufstellen od. das Eigenthum u. die persönliche Freiheit der Unterthanen angehen; in den Kreis der Verordnungen fallen dagegen diejenigen Verfügungen, welche blos die zweckmäßige u. richtige Anwendung od. die strenge u. gleichmäßige Ausführung der bestehenden G-e betreffen, od. in Fällen, wo das G. etwa nur die leitenden Grundsätze an die Hand gibt, die Aufstellung der erforderlichen, diesen Grundsätzen entsprechenden Detailvorschriften u. die nähere Bestimmung der Anstalten u. Mittel, die zur Execution der G-e nothwendig sind. Außerordentlicher Weise hat der Landesherr auch bei Gegenständen, welche eigentlich nur durch G-e geregelt werden können, das Recht, wenn das Wohl od. die Sicherheit des Staates dringende Eile gebietet, mit einstweillger Umgehung der ständischen Mitwirkung allgemein verbindliche Verfügungen zu erlassen, welche auch Verordnung genannt werden (vgl. Ausnahmegesetze).

Das G. erhält sein juristisches Dasein begriffsmäßig durch den Act der Sanction, d.h. die ausdrückliche Erklärung der mit der gesetzgebenden Gewalt beauftragten Person, daß die Verfügung nunmehr als G. gelten solle. Für diese Erklärung ist gewöhnlich eine bestimmte Form (in constitutionellen Staaten eigenhändige Unterschrift mit Contrasignatur der Minister u. Besiegelung) vorgeschrieben. Das neuere Staatsrecht verlangt dazu außerdem aber auch meist noch die förmliche Verkündigung (Publication) des G-es. Im Alterthum war als Publication der G-e das Ausrufen durch Herolde u. die schriftliche Aufstellung an öffentlichen Plätzen gebräuchlich; im Mittelalter die Mittheilung an die berühmtesten Rechtsschulen; später wählte man das Verlesen von den Kanzeln u. Rathhäusern od. an Gemeindeplätzen; jetzt ist die fast überall gewöhnliche Form der Abdruck in Amtsblättern od. officiellen Gesetzsammlungen (s.d.). Mit dem Augenblicke der Publication tritt dann der Regel nach die verbindliche Kraft des G-es sofort ein, wenn nicht etwa das G. selbst, um die Unmöglichkeit auszugleichen, daß gleich im ersten Augenblicke alle dabei interessirten Personen von dem neuen G-e auch wirklich Kenntniß nehmen können, transitorische Bestimmungen enthält, welche entweder den Eintritt der Gesetzeskraft noch auf einige Zeit hinausschieben od. doch denselben durch Zwischenverfügungen noch zu mildern suchen. In größeren Staaten pflegt wohl auch eine allgemeine Bestimmung dahin getroffen zu sein, daß die in der Residenzstadt zuerst zur Veröffentlichung gelangenden G-e für die übrigen Theile des Landes je nach der Entfernung erst nach einem gewissen Zeitraum, z.B. in Preußen erst nach 8–14 Tagen, in Wirksamkeit treten. Eine rückwirkende Kraft in dem Sinne, daß auch bereits vollkommen zum Abschluß gediehene Rechtsverhältnisse dadurch betroffen werden könnten, kann einem G-e nie beigelegt werden; wohl aber können die bei Erlassung des G-es noch fortdauernden Wirkungen eines früher abgeschlossenen Rechtsgeschäftes od. einer früher begangenen Handlung durch das neue G. aufgehoben, modificirt od. abgeschafft werden. Das neue G. dauert in seiner Wirkung dann so lange, bis es durch ein neues od. etwa durch ein derogirendes Gewohnheitsrecht (s.d.) abgeändert od. verdrängt wird. Bei Verfassungs- u. organischen G-en aber kommt es öfters vor, daß für deren Abänderung eine strengere Form u. erhöhte Erfordernisse (z. B. öftere Berathung, größere Stimmenzahl bei der Berathung in den Kammern) vorgeschrieben sind, als bei anderen gewöhnlichen G-en.

In örtlicher u. persönlicher Hinsicht beschränkt sich die verbindliche Kraft eines G-es immer auf die Grenzen des Staatsgebietes, in persönlicher nur auf solche Personen, welche als zeitige od. ständige Unterthanen der Staatsgewalt unterworfen sind. Auch fremde, im Staate sich aufhaltende Personen, sind hiernach, insofern ihnen nicht das Recht der Exterritorialität (s.u. Gesandter) zukommt, dessen G-en wenigstens wegen ihrer im Staatsgebiete vorgenommenen Handlungen u. Rechtsgeschäfte unterworfen. Indessen ist die Grenze der Anwendbarkeit der einheimischen u. fremden G-e bei Nichtunterthanen u. deren Rechtsverhältnissen im Einzelnen sehr streitig u. erzeugt mannigfache Collisionen der G-e, für welche eine entscheidende Norm aus der Aufstellung allgemeiner Sätze schwer zu gewinnen ist. Für die Collisionen der Privatgesetze hat man gewöhnlich den Grundsatz aufgestellt, daß Alles, was den Stand (Status) u. die persönliche Rechtsfähigkeit eines Subjectes anlangt, nach den Gesetzen des Wohnortes (Leges domicilii, Statuta personalia); die Rechte an Sachen, seien diese bewegliche od. unbewegliche, nach den G-en des Landes, wo sie belegen sind (Leges rei sitae, Statuta realia); andere Vermögensrechte, insbesondere Vertragsrechte, nach den G-en des Ortes, wo sie zur Entstehung gelangten u. verhandelt wurden (Leges actus, Statuta mixta), od. wenn dabei ein besonderer Erfüllungsort verabredet wurde, nach den Gesetzen dieses letzteren zu beurtheilen seien. Allein hiermit lassen sich die verschiedenartigen Conflicte, welche auf diesem Gebiete, für welches neuerdings auch die Bezeichnung Internationales Privatrecht (s.d.) gebräuchlich geworden ist, vorkommen, nicht immer lösen (vgl. Jos. Story, On the conflict of law, foreign and domestic, Edinb. 1835; Fölix, Traité du droit internat ional privé, Par. 1843). Anlangend die Frage, ob auch der Regent an die G-e gebunden sei, so muß nach den neueren Verfassungsurkunden u. nach allgemeinen Grundsätzen, besonders nach dem Grundsatze der Unverantwortlichkeit[290] u. des Dispensationsrechtes des Landesherrn, die Unverbindlichkeit allerdings für die Beobachtung von Straf- u. Polizeigesetzen, ingleichen für die Verhältnisse zu seinen Familiengliedern, für welche lediglich die Grundsätze des besonderen Privatfürstenrechts (s. Fürstenrecht) zur Anwendung kommen, angenommen werden; insofern dagegen der Landesherr mit anderen Personen in Privatrechtsverhältnisse tritt u. es sich um die Erfüllung privatrechtlicher Verbindlichkeiten handelt, die er selbst od. Andere von ihm in Anspruch nehmen, ebenso bei der Beobachtung der bestehenden Verfassungsgesetze ist er, wie jedes andere Glied des Staates, an die bestehenden G-e als gebunden zu erachten.

Die Anwendung der G-e auf den einzelnen Fall, welche namentlich Sache der Behörden, bei entstehenden Streitigkeiten Sache der Gerichte ist, hat sich in folgende einzelne Operationen zu zerlegen: a) die Prüfung der formellen Gültigkeit des Gesetzes, d.h. die Beantwortung der Frage, ob das G. die durch die vorhandenen Rechtsbestimmungen festgestellten äußeren Merkmale, resp. die verfassungsmäßige Form eines G-es an sich trage u. ob dasselbe als noch jetzt in Kraft bestehend od. etwa durch eine neuere Verfügung als aufgehoben, abgeändert od. beschränkt betrachtet werden kann. In dieser Hinsicht gehört es jedenfalls in constitutionellen Staaten auch zu den Befugnissen der Behörden, zu untersuchen, ob, wenn z.B. nach dem Landesrechte vorgeschrieben ist, daß ein Gesetz nur mit ausdrücklicher Erwähnung des Beirathes u. der Zustimmung der Landstände erlassen werden dürfe, die anzuwendende Verfügung mit dieser Form erlassen worden sei. Dagegen können die Behörden zu einer Untersuchung darüber, ob diese Zustimmung wirklich erfolgt sei, ebensowenig für berechtigt erachtet werden, als ihnen verstattet sein kann, die Anwendung der Verfügung von einer vorgängigen Prüfung der inneren Rechtmäßigkeit od. Unrechtmäßigkeit od. Verfassungswidrigkeit derselben abhängig zu machen. Diese Prüfung ist vielmehr nur als eine Sache der Landstände anzusehen. In derselben Weise können die Behörden insbesondere auch nicht für befugt gehalten werden, bei Verordnungen (s. oben), welche ohne landständische Mitwirkung ergangen sind, sich auf eine Prüfung dessen einzulassen, ob der Inhalt derselben nicht vielmehr durch förmliches Gesetz zu erledigen gewesen, sondern es ist auch hier die Prüfung nur darauf zu beschränken, daß Gewißheit über die, für solche Verordnungen vorgeschriebenen Formalitäten vorliege, während im Übrigen die erwähnte Frage nur als eine zwischen Regierung u. Ständen zu verhandelnde Sache anzusehen ist. Vgl. Klüber, Die Selbständigkeit des Richteramtes, Frkf. 1832; Pfeiffer, Die Selbständigkeit u. Unabhängigkeit des Richteramtes, Gött. 1851; b) die Interpretation des Gesetzes (s.d.), welche in der Erforschung u. Auseinanderlegung des eigentlichen Inhaltes der gesetzlichen Vorschrift besteht; c) die Subsumtion der thatsächlichen Verhältnisse unter die im Gesetze aufgestellte Regel, welche sich dann im Ganzen nur als logische Schlußfolgerung darstellt. Die bei dem Erlaß neuer G-e zu befolgenden Klugheitsregeln kehrt in materieller Beziehung die Politik (s.d.); die in formeller Hinsicht zu beobachtenden Grundsätze hat man zuweilen unter die Bezeichnung Gesetzgebungskunst zusammengefaßt. Daes unmöglich ist, daß ein G. alle Fälle, worauf es berechnet ist, vollständig erschöpfen u. damit die Selbstthätigkeit der zu ihrer Anwendung berufenen Behörden überflüssig machen könnte, so gelten die zu sehr in das Detail eingehenden G-e nicht als bes. zweckentsprechend. Klarheit in den Grundbestimmungen, Bestimmtheit im Ausdruck u. eine leicht faßliche Sprache gelten vielmehr immer als die Hauptvorzüge eines gutabgefaßten G-es; vgl. Zachariä, Die Wissenschaft der Gesetzgebung, Lpz. 1806.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 289-291.
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