[880] Recht (lat. Jus), 1) im objectiven Sinne der Inbegriff der Normen, welche in einem Gemeinwesen als die Ordnung für die äußeren socialen Beziehungen der Individuen unter einander bestehen. Schon die Natur des Menschen bedingt es, daß er, obschon als ein mit Freiheit des Willens begabtes Wesen geschaffen, doch sich gewissen Schranken unterwerfen muß. Solche Schranken stellt schon die natürliche Ordnung der Dinge, vermöge deren der Mensch den Naturgesetzen unterworfen ist. In gleicher Weise waltet über ihm die sittliche Ordnung, welcher er als ein höheres, geistiges Wesen nach Gottes Gebot u. nach der Stimme seines inneren Gewissens zu gehorchen hat. Auch für diese Ordnungen wird oft die Bezeichnung als R. gebraucht, so daß man von einem R. der Natur, der Moral u. der Liebe spricht. Alle diese Begriffe lassen sich jedoch nur im uneigentlichen Sinne als R. auffassen; das R. im eigentlichen Sinne findet seine Begründung dagegen erst in dem Zusammenleben des Menschen mit Gliedern seiner Gattung, in der Vereinigung der Menschen zu einer Gesammtheit, in welcher, vermöge der gemeinsamen Beziehungen u. Interessen, sich ein Gesammtwille ausbildet, welchem der Einzelne sich unterzuordnen hat. Insofern stellt sich daher das R. nur als eine rein menschliche Ordnung dar, welche ebendeshalb auch einen nach dem Charakter, den Sitten, der Entwickelungsstufe der Gesammtheit wandelbaren Inhalt hat; indessen diese Ordnung ist immer eine natürliche u. überall nothwendige Einrichtung, da der Mensch überall von Natur als ein geselliges Geschöpf erscheint, welches dem Zusammenleben mit andern seiner Gattung sich nicht entziehen kann u. somit dem Willen einer Gesammtheit sich zu unterwerfen genöthigt ist. Als die erste Stufe einer solchen Gesammtheit erscheint schon die Familie; in höherer Vollkommenheit zeigt sie sich in der Gemeinde, ihren Gipfelpunkt findet sie im Staate, der Verkörperung der gesammten Beziehungen u. Interessen eines durch gemeinsame Geschichte zu einer Einheit erwachsenen Volkes. Der Staat, in welchem die Gemeinden u. Familien nur als Gliederungen seines Organismus erscheinen, ist daher die wesentlichste Grundlage des ausgebildeten Rechtes; er ist selbst das höchste Product u. das vollkommenste Organ des rechtlichen Lebens, indem in allen Handlungen, mit denen der Staat in die äußere Erscheinungswelt hervortritt, die rechtlichen Beziehungen vorwalten. Neben dem Staate kann indessen auch die religiöse Glaubensgemeinschaft zur Bildung eines besondern Rechtes führen, insofern diese Gemeinschaft sich in selbständigen, vom Staate gesonderten Formen zu verkörpern vermag. Auf diese Weise hat sich für die christlichen Religionsgemeinschaften das Kirchenrecht ausgebildet. Ja selbst über die Grenze des Staates hinaus hat das Rechtsgebiet sich erweitert, indem die Staaten selbst unter dem Einflusse der christlichen Gesittung zu einer Gemeinschaft sich zusammengeschlossen u. in ihrem Verkehr unter einander der Idee einer höheren Vereinigung, bei welcher die einzelnen Staaten selbst wieder nur als Individuen einer großen Völkerfamilie auftreten, Raum gegeben haben. Das Product dieser Rechtsbildung ist das Völkerrecht. In allen diesen Kreisen besteht das R. nicht als ein von Anfang an vollendetes Ganze, sondern wird allmälig gebildet, indem eine gewisse Norm als die bestimmte Äußerung des Gesammtwillens hervortritt. Diese Äußerung kann aber entweder unmittelbar dadurch erfolgen, daß der Rechtssatz als die gemeinsame Überzeugung der in Gemeinschaft Stehenden zur Übung kommt, so entsteht das Gewohnheitsrecht; od. mittelbar dadurch, daß die durch den gemeinsamen Willen an die Spitze der Gesammtheit gestellte Gewalt als Organ der Gesammtheit den Rechtssatz als die auf verfassungsmäßige Weise gewonnene gemeinsame Überzeugung ausspricht u. verkündet, so entsteht das gesetzliche R.; beide zusammen bilden die eigentlichen Quellen des Rechts. Da aber auch das vollständigste Gewohnheits- u. gesetzliche R., gegenüber der unendlichen Mannigfaltigkeit stets neu sich erzeugender Rechtsverhältnisse, nicht für alle Fragen des Rechtes durch aus genügende Sätze an die Hand zu geben vermag, so muß die Rechtswissenschaft die Ergänzung bieten, indem sie aus den Principien des vorhandenen Rechtsstoffes durch die juristische Consequenz od. mit Hülfe der Analogie den anzuwendenden Rechtssatz erschließt. Daher kann in diesem Sinne die Rechtswissenschaft auch als eine dritte Rechtsquelle betrachtet werden. Man theilt das R. im Allgemeinen: a) in natürliches u. positives R. (J. naturale u. J. positivum). Die Begriffe beider R-e sind jedoch sehr schwankend (vgl. Naturrecht). Im Allgemeinen ist davon auszugehen, daß das R. eigentlich nur ein positives sein kann, da Gewohnheiten u. Gesetze, aus welchen der Stoff des Rechts besteht, nur durch äußere Zeugnisse erkennbar sind. Ein natürliches R. kann daher, wenn man nur die eigenthümliche Natur des Rechtes dabei festhält, höchstens insoweit noch als zweite Art des Rechtes gedacht werden, als gewisse Rechtssätze, ohne auf solchen Zeugnissen zu beruhen, sich schon durch die Betrachtung der bürgerlichen Gesellschaft als solcher u. der einzelnen darin vorkommenden Verhältnisse begründen u. durch die aus diesen Thatsachen weiter zu ziehenden Folgerungen entwickeln lassen. In diesem Sinne faßten auch die römischen Juristen zum Theil den Begriff des, Jus naturale als den Inbegriff derjenigen Rechtssätze auf, welche sie bei den ihnen bekannten Völkern gleichmäßig beobachtet vorfanden. Indeß erscheint das natürliche R. selbst hierbei nur als ein Product der Erfahrung u. damit keineswegs als stricter Gegensatz des sogenannten positiven Rechtes. In anderer Weise hat man als natürliches R. wohl die Naturgesetze u. Naturbedürfnisse, od. das Sittengesetz, die Forderungen der Moral u. natürlichen Billigkeit bezeichnet, od. man ist bei der Entwickelung desselben von einer[880] dem Menschen inwohnenden Rechtsidee, einem ursprünglichen Rechtsgefühl ausgegangen, aus welchem dann gewisse Rechtssätze als unbedingte, auch ohne weitere Anerkennung vollgültige Rechtsnormen abgeleitet worden sind. Auch von diesen Gesichtspunkten aus läßt sich das Naturrecht indessen nicht begründen, da die Naturgesetze, wo die Forderungen der Moral ganz außerhalb des Rechtsgebietes fallen, aber der an sich nicht zu läugnende Trieb des Menschen, ein R. zu bilden, an sich noch kein R. schaffen kann, sondern erst die wirklichen, concreten Lebensverhältnisse ihm den Grund u. Boden hierzu bieten müssen. Die Idee eines Naturrechts, im Gegensatz des positiven Rechts, wird daher neuerdings mehr u. mehr aufgegeben; einen wahren Gegensatz kann höchstens die philosophische Betrachtung des Rechtsstoffes bieten, welche sich die Aufsuchung der letzten Gründe für das Bestehen u. die naturgemäße Entwickelung des Rechtes, die Aufstellung idealer Rechtssysteme etc. zur Aufgabe stellt; vgl. Rechtsphilosophie. b) Gemeines u. particulares R. (Jus commune u. J. particulare); ersteres begreift die Rechtsgrundsätze, welche im ganzen Staatsgebiete gültig u. unter der Voraussetzung eines vorhandenen Substrates allenthalben anzuwenden sind; letzteres diejenigen, welche nur für einen gewissen District des Landes gelten. Beide Begriffe sind selbst wieder relativ, je nachdem ein Land als eigener Staat, zugleich aber auch als ein Theil einer umfassenderen politischen Gesammtheit betrachtet werden kann; so ist für Deutschland das Gemeine R. das wegen Gemeinsamkeit der Rechtsquellen in Deutschland allgemein geltende R., im Gegensatz der Landesrechte der einzelnen Staaten; ebenso gibt es aber wieder ein gemeines Preußisches, gemeines Sächsisches R. etc. gegenüber den particulären Rechtsnormender einzelnen preußischen Provinzen, der einzelnen sächsischen Länder etc. Auf die Nationalität der einzelnen Personen kommt es dabei jetzt nicht mehr an, vielmehr ist jeder in einem Territorium sich Aufhaltende auch den Gesetzen des Territoriums unterworfen. Dagegen bestimmte sich in früherer Zeit, als die deutschen Stämme noch in großen Massen unvermischt zusammen wohnten u. noch nicht Ein Volk bildeten, die Geltung des Rechts nach der Nationalität (sogenanntes System der persönlichen Rechte), so daß der Sachse allenthalben nach Sächsischem Rechte, der Alemanne nach Alemannischem Rechte etc. lebte u. vor Gericht beurtheilt werden mußte. Reminiscenzen hiervon bildet für manche Länder noch das besondere R. der Juden. c) Gemeines u. besonderes R. (Jus commune u. J. singulare); unter dem ersteren wird dasjenige R. verstanden, welches alle Glieder des Staates verbindet u. bei allen Rechtsgeschäften als Regel eintritt, unter dem letzteren dagegen dasjenige, welches nur für gewisse Klassen von Unterthanen, z.B. den Adel, Geistliche etc. od. nur für eine gewisse Klasse von Sachen u. Rechtsgeschäften Geltung hat. d) Einheimisches u. recipirtes R. (Jus domesticum u. J. receptum), je nachdem das positive R., welches in einem Staate gilt, entweder dort auch entstanden ist od. die Rechtssätze u. Rechtseinrichtungen von anderen Völkern entlehnt worden sind. Das bedeutendste Beispiel einer solchen Reception bietet die noch dazu nur durch Gewohnheit erfolgte Aufnahme der römischen u. canonischen Rechtsbücher, sowie der longobardischen Lehnrechtssammlungen in den meisten Staaten des cultivirten Europa dar; auf dem Wege des Gesetzes wurden in neuerer Zeit namentlich die französischen Codes (s.d.) in vielen anderen Staaten recipirt. Das recipirte R. kann durch die Aufnahme entweder unbedingt gültig werden, od. es kann auch und in der Weise Gültigkeit erlangen, daß es blos zur Ausfüllung der vorhandenen Lücken des einheimischen Rechts dient. In letzterem Falle bezeichnet man das recipirte R. als Hülfsrecht (Jus subsidiarium). e) Öffentliches u. Privatrecht (Jus publicum u. J. privatum); dem öffentlichen R. gehören alle diejenigen Satzungen an, welche die organische Gliederung der Gesammtheit, von welcher das R. ausgeht, u. die Functionen derselben, so weit sie sich auf das Rechtsleben der Gesammtheit beziehen, betreffen; das Privatrecht hat diejenigen Rechtsverhältnisse zum Gegenstande, in welchen die Personen nur als einzelne menschliche Individuen auftreten u. bei denen es sich daher nur um individuelle Beziehungen, die Vertheilung u. den Schutz der äußeren Güter, deren der Einzelne zu seiner Existenz bedarf, handelt. f) Die Eintheilung in geschriebenes u. ungeschriebenes R (.Jus scriptum u. J. non scriptum) wurde von den Römern so verstanden, daß sie unter der ersteren Bezeichnung alle schriftlich vorhandenen Aufzeichnungen des Rechtes verstanden, in der neueren Kunstsprache fällt die Eintheilung mit der in Gewohnheits- u. gesetzliches R. zusammen, indem unter geschriebenem Rechte nur dasjenige verstanden wird, welches nicht blos schriftlich ausgedrückt, sondern auch als R. öffentlich auf verfassungsmäßigem Wege bekannt gemacht worden ist. 2) Im subjectiven Sinne bedeutet R. eine Befugniß, welche einer bestimmen Person nach dem geltenden Rechte im objectiven Sinne zukommt. In dem Rechte im subjectiven Sinne steht eine Verbindlichkeit gegenüber dasjenige zu thun od. zu unterlassen, was vermöge des Rechtes gefordert werden kann. Das subjective R. kann ein absolutes sein, insofern es keinen bestimmten Gegner voraussetzt, sondern der ganzen Menschheit gegenüber auf gleiche Weise gelten soll; od. es ist nur ein relatives, insofern es sich zunächst nur auf einen bestimmten Gegner, auf einen Verpflichteten bezieht, dem eine specielle Leistung od. Unterlassung wider den Berechtigten obliegt. Der Erwerb eines subjectiven Rechtes setzt immer eine Thatsache (Justa causa) voraus, welche erkennbar werden läßt, daß die Person, welcher das R. erworben wird, in das Rechtsverhältniß getreten sei, welches die objective Rechtsordnung schützen wollte. Diese Thatsachen selbst lassen sich auf drei Kategorien zurückbringen: a) mehre Rechte entstehen für Jeden schon mit der Geburt, indem er mit dieser z.B. sofort mit anderen Menschen in ein Familienverhältniß tritt, den Anspruch auf Schutz in einem bürgerlichen Gemeinwesen erlangt od., wie die Frauenspersonen, schon wegen des Geschlechtes gewisse Vorrechte erwirbt; Rechte dieser Art nennt man angeborene, Urrechte; b) andere Rechte setzen zu ihrer Entstehung nur den Eintritt gewisser Ereignisse voraus; der Erwerb geschieht aber dann auch hier ohne Weiteres in Folge einer für dieses Ereigniß bestehenden Rechtsvorschrift, welche demselben gewisse Wirkungen beilegt (Erwerb, ipso jure od. lege); c) der Erwerb setzt eine eigene Handlung der Person voraus, deren Zweck gerade die Begründung des subjectiven Rechtes ist (Erwerb durch Rechtsgeschäft). In gleicher Weise wird auch[881] der Untergang u. Verlust der Rechte nur durch Thatsachen herbeigeführt, bei denen ebenfalls die drei Gesichtspunkte hervortreten, daß manche Rechte (die höchst-persönlichen Rechte, Jura personalissima) mit der Vernichtung der Person, der Regel nach also mit dem Tode od. was dem gleichgestellt ist (sogenannter bürgerlicher Tod), andere mitbestimmten Ereignissen, mit denen das Gesetz den Verlust ohne Weiteres verbunden hat, noch andere mit eigenen Handlungen der Berechtigten verloren gehen, welche entweder auf die Aufgabe des Rechtes von Haus aus berechnet gewesen sind od. denen mindestens das Gesetz diese Folge beigelegt hat. Die einzelnen Entstehungs- u. Erlöschungsgründe der Rechte im subjectiven Sinne, so wie die Grenzen, nach denen sich die Ausübung derselben zu bestimmen hat, s. u. den besonderen Rechtsinstituten.
Adelung-1793: Recht, das · Recht · Majestäts-Recht, das
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