Berliner Ringbahn

[243] Berliner Ringbahn. Bereits im Jahre 1844 wurde der Bau einer Bahn angeregt, die die Endbahnhöfe der vier derzeit in Berlin einmündenden Fernbahnen verbinden sollte; es bedurfte aber noch langwieriger Verhandlungen, ehe dieser Plan zur Ausführung gelangte. Erst durch Gesetz vom 12. Mai 1851 wurde der Bau der sog. alten Verbindungsbahn auf Staatskosten endgültig genehmigt.

Die etwa 9 km lange eingleisige Bahn, die in einfachster Weise als Straßenbahn mit Regelspur für etwa 900.000 M. hergestellt wurde, führte vom Stettiner Bahnhof aus durch die Invalidenstraße über die Moltkebrücke, am Brandenburger Tor vorüber durch die Königgrätzer-, Gitschiner-, Skalitzer- und Eisenbahnstraße nach dem Schlesischen Güterbahnhof. Unterwegs erhielt die Bahn Anschlüsse an die Hamburger, Potsdamer und Anhalter Bahn. Am 15. Oktober 1851 konnte die Bahn bereits dem Betrieb übergeben werden.

Mit der zunehmenden Bebauung wurde die Führung der Güterzüge durch die Straßen für den Straßenverkehr so lästig und zeitigte solche Mißstände, daß sich der preußische Staat zum Bau einer außerhalb der bebauten Stadtteile liegenden Ringbahn entschloß.

Die rund 36∙9 km lange Bahn geht von Moabit aus durch die nördlichen Gebiete des Berliner Weichbildes, dann durch an Berlin im Osten, Süden und Westen anschließende Vorortgemeinden und kehrt nach dem Ausgangspunkt Moabit zurück. Die eigentliche Ringbahn wurde zweigleisig, die Anschlüsse an die Fernbahnen dagegen nur eingleisig ausgeführt. An Stationen erhielt die Ringbahn 10 Bahnhöfe und 2 Haltepunkte.

Zunächst wurde die 24∙53 km lange Teilstrecke von Moabit über den Norden Berlins bis Tempelhof (mit Anschluß nach Schöneberg) ausgeführt und am 17. Juli 1871 für den Güterverkehr, sowie am 1. Januar 1872 auch für den Personenverkehr eröffnet.

Im Jahre 1873 bewilligte der Landtag die Mittel für die Reststrecke von Schöneberg über Westend nach Moabit, die am 15. November 1877 gleichzeitig für Personen- und Güterverkehr eröffnet werden konnte.

Der Bahnbau bot keine besonderen Schwierigkeiten. Das durchzogene Gelände ist ziemlich eben und war damals noch fast unbebaut Die Linienführung und die Gefällsverhältnisse konnten daher recht günstig gestaltet werden. Besondere Kosten verursachten nur die zahlreichen Bauwerke. Die Spree mußte zweimal überbrückt und die von der Bahn geschnittenen Straßen und Wege mußten mit wenigen. Ausnahmen in ihrer vollen planmäßigen Breite über- oder unterführt werden. Da der der Ringbahn zufallende Verkehr sich im voraus nicht bestimmen ließ, so gestaltete man die Bahnhofsanlagen so einfach wie nur irgend möglich. Die Hochbauten wurden nur in Fachwerk hergestellt. Anderseits sorgte man aber durch Ankauf des erforderlichen Geländes dafür, daß die Bahnhöfe leicht erweitert werden konnten; auf der zuletzt ausgeführten Strecke [244] Schöneberg-Moabit wurde sogar das Gelände für ein später herzustellendes zweites Gleispaar miterworben. Die Kosten der ganzen Ringbahn mit ihren Anschlüssen betrugen rund 28 Mill. M.

Der anfangs nur schwache Verkehr wurde bald sehr lebhaft. Einen besonderen Anstoß zur Hebung des Güterverkehrs gab die Verstaatlichung der Privatbahnen und zur Hebung des Personenverkehrs die Verbindung der Stadtbahn mit der Ringbahn zu einem einheitlichen Bahnnetz. Dem stetig wachsenden Verkehr gegenüber zeigten sich die zunächst ausgeführten Anlagen sehr bald nicht mehr gewachsen; schon wenige Jahre nach der Eröffnung der Schlußstrecke sah man sich zu umfangreichen Erweiterungen und Verbesserungen genötigt. Die Bahn hat im Laufe der Jahre ein zweites Gleispaar erhalten, die alten Stationen wurden gänzlich umgebaut und erweitert, neue Stationen und neue Anschlüsse wurden gebaut, Kreuzungen in Schienenhöhe wurden beseitigt, vorhandene Straßen- Unter- und Überführungen wurden erweitert und neue hergestellt.

Die Ringbahn in ihrer heutigen Gestalt und ihre Verbindungen mit den andern Linien des Eisenbahndirektionsbezirkes Berlin zeigt die beigefügte Linienskizze vom Jahre 1910 (Abb. 87). Ende dieses Jahres hatte die Bahn 25 Stationen, von denen 14 ausschließlich dem Personenverkehr, 9 dem Personen- und Güterverkehr und 2 (Charlottenburg und Moabit) nur dem Güterverkehr dienen. Im Bau begriffen ist ein größerer Ortsgüterbahnhof zwischen Treptow und Rixdorf; geplant sind noch 2 Personenstationen, die eine östlich von Rixdorf; die andre zwischen Halensee und Westend.

An die Ringbahn angeschlossen ist eine Reihe größerer gewerblicher Anlagen, unter denen der Zentralviehhof zwischen den Stationen Landsberger Allee und Frankfurter Allee, die Berliner Gasanstalten bei Weißensee und Schmargendorf, die Charlottenburger Gasanstalt zwischen Jungfernheide und Moabit und der Lagerhof bei Gesundbrunnen hervorzuheben sind. Geplant ist noch der Anschluß an einen Hafen, den die Stadt Berlin am rechten Ufer der Oberspree baut.

Von den beiden in Linien betriebenen Gleispaaren der Ringbahn dient das eine ausschließlich dem Personenverkehr, das andre dem Güterverkehr. Auf den Personengleisen verkehren die Stadtringzüge, die Vollringzüge und die Teilringzüge. Die Stadtringzüge nehmen, von der Stadtbahn ausgehend, ihren Weg entweder über den nördlichen oder südlichen Abschnitt der Ringbahn und gehen dann wieder auf die Stadtbahn über. Diese Züge werden kurz Nordring- oder Südringzüge genannt. Die Südringzüge machen von Station Papestraße oder Ebersstraße aus den Umweg über Schöneberg und den Potsdamer Bahnhof und schaffen somit eine unmittelbare Verbindung zwischen letzteren und den Südringstationen. Die Vollringzüge durchfahren im Kreislauf die ganze Ringbahn. Die Teilringzüge pendeln, dem örtlichen Verkehrsbedürfnis entsprechend, zwischen zwei bestimmten Stationen der Ringbahn hin und her. Während die Stadtringzüge während des ganzen Tages verkehren, werden die Vollring- und Teilringzüge vorläufig nur zu den Stunden des stärkeren Arbeiter- und Geschäftsverkehrs gefahren. Außer von den vorgenannten Zügen werden einzelne Abschnitte des Südringes auch noch von einigen andern Zügen mitbenutzt, so z.B. die Strecke Stralau-Rummelsburg-Treptow von den Zügen zwischen Charlottenburg und den Vorortstationen der Görlitzer Bahn, die Strecke Schöneberg bis Rixdorf von den Zügen zwischen dem Potsdamer Bahnhof und Grünau und endlich die Strecke Schöneberg-Halensee von den Zügen zwischen dem Potsdamer Bahnhof und Grunewald.

Die Ringzüge haben durchschnittlich 500 Sitzplätze. Auf einzelnen Strecken der Ringbahn verkehrten im Jahre 1910 bereits bis zu 14 Zügen stündlich in jeder Richtung.

Die Wege der auf der Ringbahn verkehrenden Güterzüge sind sehr verschieden. Die meisten Güterzüge beginnen auf einem der außerhalb der Ringbahn liegenden Verschiebebahnhöfe, nehmen ihren Weg über einen Abschnitt der Ringbahn und endigen auf einem andern Verschiebebahnhof. Die Züge vermitteln den Ortsverkehr der Ringbahn und den Durchgangverkehr.

Durch die starke Verkehrszunahme sind die Gütergleise der Ringbahn derart in Anspruch genommen, daß bereits der Bau einer großen Umgehungsbahn genehmigt ist, die den Durchgangverkehr von der Ringbahn ablenken soll.

Die Ringbahn ist ein Bestandteil des preußisch-hessischen Staatsbahnnetzes und ist der Königlichen Eisenbahndirektion Berlin unterstellt. Die Bahn hat sehr fördernd auf die Entwicklung der näheren Umgebung Berlins eingewirkt, und umgekehrt hat das Aufblühen der von der Bahn durchzogenen Stadtteile und Ortschaften den Güter- und Personenverkehr der Ringbahn günstig beeinflußt (über die Entwicklung des Personenverkehrs s. Berliner Stadtbahn). Der Ortsgüterverkehr aller Ringbahnstationen betrug im Empfang und im Versand im Jahre 1895 1,183.000 t, darunter 43.000 t Stückgut, im Jahre 1910 4,473.000 t, darunter 202.000 t Stückgut. Der Gesamtverkehr hat sich somit innerhalb 15 Jahren nahezu vervierfacht. Von[245] dem Gesamtverkehr des Jahres 1910 entfallen 3,607.000 t auf den Empfang.

Über die Betriebseinnahmen der Ringbahn lassen sich zuverlässige Angaben nicht machen, weil die Ringbahn nur ein einzelnes Glied der Berliner Bahnanlagen ist, für das eine besondere Berechnung der Einnahmen und Ausgaben nicht stattfindet.

Literatur: Berlin und seine Bauten vom Jahre 1896. Verlag von Wilhelm Ernst und Sohn, Berlin 1896. – Berlin und seine Eisenbahnen 1846–1896, heraus gegeben im Auftrage des Herrn Ministers der öffentlichen Arbeiten. Verlag von Julius Springer, Berlin 1896.

Suadicani.

Abb. 87.
Abb. 87.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 243-246.
Lizenz:
Faksimiles:
243 | 244 | 245 | 246
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon