[80] Britisch-Ostafrika. Dieses Landgebiet wurde durch den Bau der Ugandabahn erschlossen. Die Bahn ist 940 km lang und verbindet den englischen Hafen Mombassa am Indischen Ozean mit Port Florence oder Kisumu am Viktoria-Nyansa-See in der Bucht von Kawirondo unmittelbar unter dem Äquator. Die Entfernung zwischen den beiden Endpunkten der Bahn ist um etwa 30 km kürzer als der Reiseweg Berlin-Frankfurt-Basel-Zürich. Während man diesen in etwa 15 Stunden zurücklegen kann, braucht man von Mombassa bis Port Florence 46 Stunden.
Die Bahn ist ursprünglich angelegt, um den Sklavenhandel im Innern Afrikas wirksam zu bekämpfen. Es wurden die Kosten für die Unterhaltung eines Kreuzergeschwaders gespart, das zur Überwachung des Sklavenhandels an den Küstenpunkten erforderlich gewesen war. Die Bahn ist als eine Überlandbahn von großer Leistungsfähigkeit mit 1 m-Spur und kräftigem Oberbau von der Regierung gebaut und wird von ihr betrieben.
Das ganze Baukapital, 5,550.000 ₤ oder 113,220.000 Mark, wurde vom Mutterland aufgebracht. Im Dezember 1895 begannen die Vorbereitungen zum Bau von Mombassa aus. Das zu durchschneidende Land war im allgemeinen dünn bevölkert, vielfach wasserlos, ohne natürliche Hilfsquellen, und in den tiefer gelegenen Bezirken wegen der Tsetsefliege für Zugtiere höchst gefährlich. In der stärksten Bauzeit wuchs die Zahl der Beamten und Arbeiter über 18.000 Köpfe; die am weitesten vorgeschobenen Kolonnen für die Vorarbeiten befanden sich zeitweilig bis zu 600 km entfernt vor der eigentlichen Bauspitze. Alle Lebensmittel, Baugeräte und Baustoffe mußten von weither eingeführt werden; alles mußte man in dem unbesiedelten Lande zuerst mit Trägerkarawanen befördern, bis ein erstes Stück der Bahn geschaffen war. Es wurden große Sammelstellen von Kamelen, Maultieren, Eseln und Zugtieren eingerichtet, ungefähr 1500 eingeborene Träger angeworben und zahlreiche Arbeiter aus Indien eingeführt.
Nachdem der Bau im August 1896 begonnen hatte, erreichte im Dezember 1901 die erste Lokomotive den Viktoriasee und am 1. März 1902 konnte der regelmäßige Verkehr auf der ganzen Bahn eröffnet werden. Die Gesamtbauzeit hat somit reichlich 51/2 Jahre betragen.
Ihren Anfang nimmt die Bahn in Kilindini auf der Insel Mombassa, wo ein geräumiger natürlicher Hafen vorhanden ist; sie überschreitet dann auf einer rund 400 m langen eisernen Brücke die Straße von Macupa, die die Insel vom Festlande trennt, und steigt, durch Palmenwälder, Orangen- und Maisschamben hindurchführend, zunächst bis zu den Rabai-Hügeln bei der Station Mazeras. Hinter Mazeras[80] folgen hübsche Waldungen, die allmählich in das Taru-Dickicht und in die Taru-Wüste übergehen. In sanfter Steigung wird Voi erreicht, von wo man bei klarem Wetter den Kilimandscharo erblickt. Hier zweigt die Straße ab nach Taveta und den deutschen Ansiedlungen südöstlich des Kilimandscharo; die Ausfuhrgüter aus diesem Gebiet erreichen hier die Ugandabahn auf kürzestem Wege. Hinter Voi beginnt ein wellenförmiges, sanft ansteigendes Steppenland, das von Tsavo im Gebiet der Wakamba bis zu den Kikuyu-Bergen reicht. Auf dieser Strecke hat die englische Regierung ein zusammenhängendes Wildschongebiet entlang der Bahn eingerichtet und dadurch die einzigartige Anlage eines etwa 300 km langen zoologischen Gartens geschaffen. Zahlreiche Jäger und Sportfreunde lockt der herrliche Wildstand in jene Bezirke von Ostafrika, und so ist diese Einrichtung mit Hilfe eines eifrigen und geschickten Reklamedienstes für Bahn und Land eine gute Einnahmequelle geworden.
Die Ankunft in der Hauptstation Nairobi macht dieser Fahrt ein Ende. Nairobi, 1700 m über dem Meer gelegen, ist Hauptstadt und Sitz des Gouverneurs von Britisch-Ostafrika, zugleich Mittelpunkt der Bahnverwaltung und Sitz der Hauptwerkstätten und Magazine; die Stadt hat sich infolge der Bahn rasch entwickelt und zeichnet sich durch gesundes trocknes Klima aus. Hinter Nairobi beginnt der steile Aufstieg in die Kikuyu-Berge, deren Paß auf 2340 m Meereshöhe in dichtem Urwald von tropischer Schönheit erreicht wird; die Bahn erhält hier den Charakter einer Hochgebirgsbahn. Nach Überschreiten der Wasserscheide zwischen den Stationen Lamoru und Escarpment fällt die Bahn steil in den Großen Afrikanischen Graben hinab; hier bietet sich dem Auge ein Bild von unbeschreiblicher Pracht und Großartigkeit; 2000 Fuß tief unten liegt der 4050 km breite Graben, der sich vom Sambesi im Süden nördlich bis nach Ägypten verfolgen läßt, der aber hier seine eigentümlichsten Formen aufweist. Vulkanische Bergkegel erheben sich aus der Grabensohle und begrenzen den Hintergrund; mehrere Bergseen, gleichfalls vulkanischen Ursprungs, erglänzen beim Sonnenuntergange wie Silberspiegel. Bei Naivasha wird die Grabensohle erreicht, die sich bis Nakuru erstreckt. Hier beginnt der zweite ebenso steile Anstieg zum westlichen Grabenrand, der bei Mau auf 2545 m Seehöhe von der Bahn erreicht wird. Sodann fällt die Bahn in ausgedehnter künstlicher Längenentwicklung, mit großen Windungen und Kehren, durch viele Felseinschnitte und über zahlreiche Stahlviadukte hinweg, stetig in ein wellenförmiges Waldgelände hinab, das sich nach dem Viktoriasee hin verflacht, wo die Bahn ihr Endziel erreicht.
Die Bahn hat den wichtigen politischen Zweck, dem Britischen Reiche einen festen Stützpunkt zur Beherrschung der oberen Nilländer zu sichern und in Kriegszeiten, wenn einmal der Suezkanal gesperrt sein sollte, für die Truppenbeförderung nach Indien eine sichere Landverbindung zu gewähren. Aber auch wirtschaftlich hat sich der Einfluß der Bahn in der kurzen Zeit ihres Bestehens als außerordentlich stark erwiesen. Seit dem Jahre 1904 erzielt sie einen langsam wachsenden Betriebsüberschuß. Die Bahn hat besonders auf die gesamte landwirtschaftliche Erzeugung im deutschen Hinterlande des Viktoriasees sehr befruchtend gewirkt, indem sie für viele Landeserzeugnisse zum ersten Male eine Absatzmöglichkeit geschaffen und so die Ein- und Ausfuhr und die Zolleinnahmen in den deutschen Stationen Muansa, Bukoba und Schirati am Viktoriasee ebenso wie den Ertrag der dortigen Hüttensteuer von ganz unbedeutenden Beträgen zu namhaften Summen steigerte. So kommt die Ugandabahn auch dem deutschen Schutzgebiete in Ostafrika zu gute.
Die Kosten der Bahn haben rund 51/2 Mill. ₤, das sind 119.400 M. f. d. km betragen. Der Oberbau besteht aus Stahlschienen von 24∙8 kg/m, in 9∙14 m Länge auf je 12 eisernen Querschwellen von je 34 kg Gewicht verlegt. Die Bahn hat jetzt 43 Stationen. Die stärksten Steigungen betragen 1 : 50, die schärfsten Krümmungen haben 175 m Halbmesser. Die Lokomotiven sind mit Schlepptender versehen, haben 50 t Dienstgewicht und können bei 1 : 50 eine Zuglast von 146 t schleppen; sie werden sämtlich mit Holz geheizt.
Um die Erschließung des Küstengebiets des Viktoriasees durchzuführen, wurde auch ein regelmäßiger Verkehr auf dem See durch Seedampfer eingerichtet. Zunächst wurden zwei Doppelschraubendampfer, »Winifred« und »Sybil« mit je 600 Registertonnen im April 1903 und Januar 1904 in Betrieb gesetzt. Diese Dampfer sowie der 1907 folgende »Clement Hill« 866 Registertonnen und der wenig größere »Nyansa« vermitteln einen regelmäßigen Dienst zwischen den englischen und den deutschen Stationen des Seegebiets.
Der Dampferdienst ist der Eisenbahnverwaltung angegliedert.
Zurzeit verkehren wöchentlich 7 über die ganze Bahn durchgehende Züge. Die größte Fahrgeschwindigkeit beträgt 40 km/Std.
Die nachstehende Zusammenstellung zeigt die allmähliche Steigerung des Verkehrs und seiner Erträgnisse für die Jahre 1903 bis 1910.[81] Mit dem Jahre 1905 ist der Betriebskoeffizient wesentlich heruntergegangen; gleichwohl ist auf eine angemessene Verzinsung des beträchtlichen Anlagekapitals noch nicht zu rechnen; für den Anleihezinsendienst der Bahn hat das Mutterland jährlich über 2 Mill. M. aufzubringen.
Die Fahrpreise betragen 1/32 Rupie f. d. engl. Meile in der niedrigsten Klasse, d. s. 2∙6 Pf. f. d. km; die Zwischenklasse hat den doppelten, die zweite den dreifachen, die erste den sechsfachen Satz. Der niedrigste regelmäßige Frachtsatz ist 1 Anna = 1/16 Rupie f. d. t und engl. Meile = etwa 5∙3 Pf. f. d. tkm, ein für afrikanische Verhältnisse sehr niedriger Satz.
Die wichtigsten Ausfuhrgüter der Bahn sind Elfenbein, Gummi, Felle und Häute, Vieh, Körnerfrüchte, Erdnüsse, Kopra, Pflanzenfasern, Sesamsaat, Bohnen, Reis und Tabak.
Zur weitern Erschließung des britisch-ostafrikanischen Schutzgebiets werden neue Eisenbahnen geplant. Zunächst soll die Ugandabahn unter Benutzung der Wasserstraße des Nils vom Viktoriasee (+ 1190 m) bis an den Albertsee (+ 680 m) verlängert werden, um das Gebiet des Albertsees leichter erreichbar zu machen. Der Nil bildet bei seinem Austritt aus dem Viktoriasee die Riponfälle und erweitert sich bei dem Orte Kakindu zu dem buchtenreichen 800 km2 großen Kiogasee, den er oberhalb Mruli verläßt; er ist von den Riponfällen bis Mruli ohne Hindernis schiffbar. Die Fälle werden zunächst durch eine Eisenbahn umgangen, die bei Jinja am Nordufer des Viktoriasees beginnt und bei Kakindu endet.
Diese in der Landschaft Busoga gelegene, daher auch als »Busogabahn« bezeichnete Bahn wurde auf dem rechten Ufer des Nil im November 1910 begonnen und, nebst einer 11 km langen Stichbahn nach Namasagala, in der 1 m-Spur mit 98 km Gesamtlänge, am 1. Januar 1912 vollendet. Die Kosten betrugen etwa 33.000 M./km. Sie verbindet einen wichtigen Baumwollbezirk des Ugandaprotektorats mit dem Viktoriasee.
Eine zweite Bahn soll den Strom unterhalb des Kiogasees mit dem Albertsee verbinden: entweder durch eine Linie von Mruli in westnordwestlicher Richtung zum Ostufer des Albertsees, nach Butiaba, oder weiter stromabwärts, von Foweira westsüdwestlich nach Butiaba.
In Zukunft würde man dann von Mombassa nach Butiaba in etwa 14 Tagen gelangen können, während man heute für diese Reise von der Ostküste noch mehr als sechs Wochen braucht.
Ferner wird als Vorläufer einer künftigen Bahn von Nairobi in nordöstlicher Richtung nach Fort Hall, der Hauptstadt der Kenia-Provinz, zunächst auf der dahin führenden Landstraße ein Schienengleis in der 1 m-Spur bis zum Thikafluß, etwa 48 km lang, hergestellt, auf dem Dampfstraßenbahnwagen fahren sollen (sog. Thikatrambahn).
Wegen Herstellung einer Bahn von der Station Kin, südöstlich Nairobi, in südwestlicher Richtung nach dem Magadisee, etwa 150 km lang, zur Ausbeutung seiner angeblich reichen Natronschätze, schweben Verhandlungen mit einer Privatgesellschaft. Der Magadisee liegt einige 20 km nordöstlich von dem großen deutschostafrikanischen Natronsee, der den englischen an Größe wesentlich übertreffen soll und dessen Erschließung und Ausbeutung durch eine deutsche Bahn, anschließend an die Usambarabahn, erwogen wird.
Literatur: Zentralbl. d. Bauverw. 1908, S. 97 f. Deutsches Kolonialblatt 1911, S. 169 ff.
Baltzer.
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