Deutsche Schutzgebiete

[318] Deutsche Schutzgebiete.


Inhalt: Entwicklung des Bahnnetzes. Gesetzliche und finanzielle Grundlagen. Baudurchführung und Aufsicht, Betriebsverpachtung. Technische Anlage.


Entwicklung des Bahnnetzes.


Erst 10 Jahre, nachdem Deutschland im Jahre 1884 in die Reihe der Kolonialmächte eingetreten war, erfolgte die Eröffnung der ersten Bahn, der am 16. Oktober 1894 in Betrieb genommenen ersten 14 km der Usambarabahn in Deutsch-Ostafrika. Weitere 11 Jahre vergingen, bis diese Bahn in der ganzen Ausdehnung von Tanga bis Mombo dem Verkehr übergeben werden konnte.

Der zweite koloniale Bahnbau wurde in Deutsch-Südwest 1897 begonnen, als daselbst die Rinderpest ausgebrochen war. Die 382 km lange Bahn brauchte eine nahezu 5jährige Bauzeit, bis Juni 1902.

Das Schutzgebiet Togo erhielt 1904 die erste Bahn durch Eröffnung der Küstenlinie Lome-Anecho. In Kamerun wurde erst 1909 in der zunächst eröffneten Teilstrecke der Manengubabahn die erste Eisenbahn dem öffentlichen Verkehr übergeben.

Der Bau der ersten 100 km Eisenbahn erforderte 5, jener der ersten 1000 km 121/2 Jahre. Aber das zweite Tausend wurde schon in 3 Jahren, Anfang 1909, fertiggestellt, das dritte und vierte Tausend wird voraussichtlich in gleicher Frist, etwa mit Ende des Rechnungsjahres 1912, vollendet werden.

Es fehlte zunächst an technischen Erfahrungen im kolonialen Bahnbau und an Verständnis von der Wichtigkeit der Eisenbahnen für die Entwicklung der Kolonien.

Erst im Jahre 1906 trat hierin, auch unter dem Eindrucke des schweren Aufstandes in Südwestafrika, ein Umschwung ein. Der Staatssekretär des Reichskolonialamtes Dernburg wußte das Interesse des Reichstages insbesonders durch eine im April 1907 veröffentlichte Denkschrift über »Die Eisenbahnen Afrikas, Grundlagen und Gesichtspunkte für eine koloniale Eisenbahnpolitik in Afrika« zu wecken und machte selbst eine Reise nach Ostafrika, um sich über die dortigen Verhältnisse zu unterrichten.

Die Entstehung und Entwicklung der Bahnen in den einzelnen Schutzgebieten ist bei diesen (s. Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Kamerun und Togo) dargestellt. Unter Voraussetzung der Vollendung der bewilligten und im Bau begriffenen Bahnstrecken wird die Betriebslänge betragen:


für OstafrikaEnde 1913:1612 km
für KamerunEnde 1913: 520 km
für TogoEnde 1912: 323 km
für SüdwestEnde 1912:2106 km

im ganzen 4561 km


(ohne Kleinbahnen.)

Fast alle afrikanischen Bahnen bringen von Eröffnung an oder doch bald danach ihre Betriebskosten auf, einige haben von vornherein schon eine wenn auch geringe Rente erzielt. Im übrigen haben die Kolonialbahnen weitreichende wirtschaftliche Wirkungen: eine Erhöhung des Ein- und Ausfuhrhandels, eine Steigerung der Zolleinnahmen, die Sicherung und Verbilligung der allgemeinen Landesverwaltung, die Verminderung der Ausgaben für die Schutztruppe, die Steigerung des Ertrages der den Eingeborenen auferlegten Kopf-, Hütten-, Wege- oder Arbeitsteuern. Die Gesamtfinanzen der Kolonien haben sich durch den Eisenbahnbau meist wesentlich verbessert.


Gesetzliche und finanzielle Grundlagen.


Ein Eisenbahngesetz für die D. gibt es nicht. Die Kolonialbahnen sind auch begrifflich keine Kleinbahnen, da der Verkehr, dem sie dienen, keineswegs örtlich beschränkt ist. In ihrem Wesen kommen sie am nächsten den heimischen Nebenbahnen, besonders wegen der unbewachten Bahnübergänge, der geringen Fahrgeschwindigkeit der Züge, der leichteren Ausbildung des Oberbaues, der geringeren Verkehrsstärke, der schwächeren Zugeinheiten u. dgl. Für die Umgrenzung des[318] Lichtraumes der Bahnen und der Fahrzeuge sind einheitliche Vorschriften festgesetzt, auch ist eine für die Meter- und Kapspur einerseits, die Feldspur anderseits, einheitliche koloniale Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung – KBO. – für alle dem öffentlichen Verkehr dienenden Schutzgebietsbahnen erlassen worden, die am 1. Januar 1913 in Kraft tritt. Ebenso wird das Frachtrecht durch eine demnächst zu erlassende koloniale Eisenbahn-Verkehrsordnung – KVO. – so weit erforderlich, einheitlich geregelt werden.

Die wichtigsten Bahnen in den D. sind heute Staatsbahnen, bis auf die Manenguba- oder Kameruner Nordbahn, die der Kamerun-Eisenbahngesellschaft gehört.

Die Mittel für die Bahnbauten wurden anfangs aus den eigenen Einnahmen der Schutzgebiete oder aus deren Reichszuschüssen, seit Einbringung der großen Kolonialbahnvorlage vom Jahre 1908 durch Schutzgebietsanleihen (4%) unter Bürgschaft des Reiches (Reichsgesetz vom 18. Mai 1908) bereitgestellt.


Baudurchführung und Aufsicht, Betriebsverpachtung.


Das in der Heimat übliche Verfahren, die Bauausführung nach vorausgegangener – öffentlicher oder beschränkter – Ausschreibung an einen Unternehmer zu vergeben, ist in den D. zurzeit noch nicht anwendbar, weil eine Mehrheit von Unternehmern nicht zur Verfügung steht und die Aufstellung der Unterlagen zur Vorbereitung einer Ausschreibung die Bauausführung erheblich verzögern würde. Diese erfolgt daher meist in Gesamtunternehmung auf Grund eines Bauvertrages, durch dessen Fassung der Unternehmer einen starken Anreiz erhält, die Bauausführung möglichst wohlfeil zu gestalten, dabei aber doch die Bahn so herzustellen, daß sie auch eine möglichst wirtschaftliche Betriebsführung ermöglicht. Der letztere Zweck wird dadurch sichergestellt, daß der Unternehmer zugleich für eine Reihe von Jahren mit der Betriebsführung der Bahn unter Auflage der Zahlung einer Mindestpachtsumme verpflichtet wird. Die Ausführung der ausführlichen Vorarbeiten und die Aufstellung des gesamten Bauentwurfs bis in alle Einzelheiten ist hierbei zugleich Aufgabe der Unternehmung. Die baupolizeiliche und eisenbahntechnische Aufsicht wird durch den Gouverneur und die von ihm bestellten Eisenbahnkommissare ausgeübt.

Die Bauausführung in den Schutzgebieten in eigener Regie der Verwaltung hat sich bis jetzt im allgemeinen weniger bewährt. Solange die Bahn an einen Unternehmer verpachtet ist, beschränkt sich die Betriebsaufsicht auf die dem Gouvernement obliegende Wahrnehmung der öffentlichen Interessen und auf die Handhabung der landespolizeilichen und eisenbahntechnischen Aufsicht; sie wird gleichfalls von den Eisenbahnkommissaren ausgeübt Zu einer Organisation besonderer Eisenbahnbehörden in den Schutzgebieten war einstweilen kein Anlaß.


Technische Anlage und Verkehr.


Als Normalspur der Schutzgebietsbahnen gilt die Meter- und die um nur 67 mm breitere Kapspur (1∙067 m = 31/2 Fuß englisch); beide stehen sich in ihrer Leistungsfähigkeit ungefähr gleich. Die Meterspur ist außer in Ostafrika, Togo und Kamerun vorwiegend auch in den französischen Kolonien (Dahome und Elfenbeinküste) und auf der britischen Ugandabahn eingeführt Die Kapspur entstammt dem englischen Maßsystem und ist in Ägypten und im Sudan, an der Goldküste, in Lagos-Nigerien, in Portugiesisch-Ostafrika und den Ländern der südafrikanischen Union vorherrschend; sie ist auch die Spurweite der Kap-Kairo-Bahn (s.d.). Wo bei unseren Bahnen ein Anschluß an das englische Bahnnetz in Frage kommen kann, hat man die Kapspur gewählt, so bei der Südbahn und bei der Nordsüdbahn in Deutsch-Südwest.

In dem Bestreben, die Anlagekosten der Kolonialbahnen möglichst herabzumindern, ist mehrfach von der Feldbahnspur von 0∙60 m Gebrauch gemacht worden. Diese Spurweite wird indes – für afrikanische Verhältnisse – bei einem Jahresverkehr von etwa 50 bis 60.000 t insofern unwirtschaftlich, als die jährlichen Mehrkosten des Betriebs und der Unterhaltung gegenüber einer Anlage in Meter- oder Kapspur bereits die Summe übersteigen, die der jährliche Zinsendienst für die einmaligen Mehrkosten der Bauausführung in Meter- oder Kapspur erfordern würde.

Wo ein lebhafter Personenverkehr in Betracht kommt, muß die Entscheidung noch mehr zugunsten der afrikanischen Normalspur fallen.

Ähnliche technische und wirtschaftliche Mängel, wie die 0∙60 m-Spur, zeigt die Spurweite von 0∙75 m, die im Kongostaat und in Deutsch-Ostafrika bei der Sigibahn zur Anwendung gelangt ist.

Wie bei der zu geringen Spurweite haben sich auch beim Oberbau durch die Erfahrungen mit dem zu schwachen Gestänge der 60 cm-spurigen Bahn Swakopmund-Windhuk[319] (s. Deutsch-Südwestafrika) die Anschauungen dahin geklärt, daß ein zu leichter Oberbau wirtschaftlich nicht vertretbar ist.

Die 5 m lange Feibahnschiene von 9∙5 kg/m Gewicht, die nur 1∙3 t Raddruck zuläßt, hat sich in Südwest nicht bewährt. Sie ist bei der Bahn Swakopmund-Windhuk selbst bei Steigungen von 1 : 21 und 1 : 18 angewandt worden und drückt die Leistungsfähigkeit der Schmalspur herab. Die gleichfalls feldspurige Otavibahn und die Bahn Otavi-Grootfontein haben eine 15 kg/m schwere Schiene von 9 m Länge mit einem Raddruck von 3∙5 t angewandt. Auch die Anfangsstrecke der Usambarabahn, Tanga-Muhesa, krankte an einem zu leichten Oberbau, die Schiene wog 15∙5 kg/m und gestattete nur 3∙3 t Raddruck. Bei den Togobahnen, der Lüderitzbahn und der Manengubabahn in Kamerun hat man 20 kg/m schwere Schienen von 10 m Länge auf 12, in Krümmungen 13 eiserne Schwellen von 30 kg Gewicht verlegt und damit die Anwendung von 3∙5 t Raddruck ermöglicht. Aber auch dieser Oberbau erschien nicht hinreichend für die Überlandbahn Daressalam-Tabora-Kigoma, und für die Kameruner Mittellandbahn. Hier wurde ein Raddruck von 5 t zugrunde gelegt. In den Schutzgebieten, wo es an gut ausgebildeten Arbeitskräften fehlt, war eine Anordnung geboten, die eine möglichst ruhige und sichere Lage des Oberbaues gewährleistet und möglichste Einschränkung der Unterhaltungsarbeiten gestattet. Diesen Anforderungen entspricht der Oberbau 11 a der preußischen Nebenbahnen mit einer 27∙8 kg/m schweren Schiene von 10/m Länge auf 15 Schwellen mit einem Schwellenabstand am Stoß von 0∙50 m und einer Schwellenteilung von 0∙75 m; gesamtes Metallgewicht rund 132 kg/m.

In den Schutzgebieten werden zurzeit eiserne Querschwellen vor hölzernen bevorzugt, weil Holz durch die Angriffe der Termiten in kurzer Zeit zerstört wird.

Was die Fahrbetriebsmittel anbelangt, so ist neuerdings statt der früher fast allein üblichen Tenderlokomotiven die Anwendung fest gekuppelter Schlepptender in Aufnahme gekommen. Die Lokomotiven haben meist Kurvenbeweglichkeit nach der Bauart Gölsdorf. Wegen der außerordentlich heftigen Sandstürme im Wanderdünengebiet von Deutsch-Südwest ist bei der Lüderitzbahn und der Otavibahn das ganze Gangwerk der Lokomotive eingekapselt, um Heißlaufen zu verhüten.

Auf den kap- und meterspurigen Bahnen ist die selbsttätige Luftsaugebremse, Bauart Hardy oder Körting, in Anwendung oder in der Einführung begriffen.

Der geringeren Spurweite und Fahrgeschwindigkeit entsprechend ist bei den Fahrzeugen das Einbuffersystem und die Mittelkuppelung eingeführt.

Die Personen- und Güterwagen zeigen im allgemeinen die Anordnungen der heimischen Nebenbahnen, in den tropischen Kolonien mit dem Unterschiede, daß das Dach der Personenwagen zum Schutz gegen die Sonnenstrahlen, zur Erzielung einer ruhenden Luftschicht, doppelt hergestellt und an beiden Seitenwänden als Sonnenschürze oder aufklappbare Blende bis zur Höhe der Fensterunterkante herabgeführt wird. Für Lüftung ist in reichlichem Maße Sorge getragen.

Für den Personenverkehr bestehen drei Wagenklassen, die nach Ausstattung und Raumbemessung etwa der heimischen II, III. und IV. Klasse entsprechen. In der I. Klasse werden nur Weiße, in der III. Klasse im allgemeinen nur Farbige befördert (in Togo ist mit Rücksicht auf die Missionare die III. Klasse auch den Weißen freigegeben). Die Benutzung der II. Klasse steht jedermann frei; für die Weißen werden besondere Abteile freigehalten. Die Grundform der Wagen mit zwei den Zugang bildenden überdeckten Endplattformen und einem Mittel- oder Seitengang, von dem die einzelnen Abteile zugänglich sind, ist vorherrschend; dabei sind die Sitzbänke meist rechtwinkelig gegen die Fahrtrichtung angeordnet. Für die längeren Reisestrecken werden vierachsige Wagen mit zwei Drehgestellen verwendet, sonst vorwiegend zweiachsige. Bei den Güterwagen, die für Ladegewicht von 5, 7, 10, 12 und 15 Tonnen gebaut werden, kommt die vierachsige Bauart nur ausnahmsweise vor, besonders bei den Wagen der Otavibahn und solchen von hohem Ladegewicht. Als Besonderheit sind zu erwähnen: Fliegensichere Viehwagen für Ostafrika, die zum Schutz gegen die Tsetsegefahr an den Öffnungen mit dichtem Drahtnetz bespannt sind, und Sisalwagen zur Beförderung des in Ballen gepreßten Sisalhanfs, mit einer auf Laufrollen wagrecht verschieblichen Decke, die zur Seite geschoben werden kann, um beim Beladen das Ausnutzen des Laderaumes von oben bis zum letzten Rest zu ermöglichen.

Wegen der Tarife und Betriebsergebnisse wird auf die Artikel über die einzelnen Schutzgebiete verwiesen.

Baltzer.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 3. Berlin, Wien 1912, S. 318-320.
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Faksimiles:
318 | 319 | 320
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