Fremdenverkehrsförderung

[219] Fremdenverkehrsförderung. So alt wie die Eisenbahnen selbst ist das in ihrer kommerziellen Eigenart beruhende Streben, die Reiselust auf ihren Linien anzuregen und damit die Einnahmen des Personenverkehrs, mittelbar auch des Güterverkehrs zu erhöhen. Im friedlichen Wettbewerb der einzelnen Verkehrsanstalten innerhalb der betreffenden Staatsgebiete, noch lebhafter wohl mit den Konkurrenzunternehmungen des Auslandes, mußten sich diese Bemühungen aus ihren ursprünglich einfachen Formen systematisch entwickeln und ausbreiten.

Auf zwei gleichzeitig verfolgten Wegen war das Ziel zu erreichen. Man hatte die dem Reiseverkehr dienenden Einrichtungen den steigenden Bedürfnissen des Publikums entsprechend auszugestalten und zudem die öffentliche Aufmerksamkeit den besonderen Vorzügen des eigenen Reisegebietes zuzuwenden.

In der ersterwähnten Richtung kamen vor allem tarifarische Verfügungen in Frage, die sich im Laufe der Jahre ungemein vielgestaltig entwickelt haben. Man gewährte für bestimmte Zwecke wohlfeile Ausnahmstarife, wie zum Besuch von größeren Städten, Märkten und Bädern, von Ausstellungen und sonstigen festlichen oder wirtschaftlichen Veranstaltungen. Man leitete Vergnügungszüge mit billigen Preisen und Luxuszüge für das vornehme Publikum ein. Man versuchte es mit ermäßigten Familien-, Zeit-, Abonnement- und Rückfahrkarten, mit Sonn- und Feiertagskarten, Ferien- und Saisonkarten, mit Kilometerheften, Rundreisebillets, zusammenstellbaren Fahrscheinheften u. dgl. Man bewilligte besondere Preisnachlässe für die Mitglieder touristischer Vereine, für Reisen geschlossener Gesellschaften und für die Beistellung eigener Sonderzüge. Hier wären auch die sog. Generalabonnements (s.d.), die sich rasch beim Publikum große Beliebtheit erworben haben, sowie die mit Hotelcoupons (Cooksche Reisecoupons) ausgestatteten Reisehefte zu erwähnen.

Besondere Würdigung verdient das in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts in einzelnen Staaten angebahnte System, durch eine allgemeine, weitgehende Verwohlfeilung der Tarife den Verkehrsaufschwung zu beschleunigen. Dieses System, von dem hohen Gedanken der wirtschaftlichen Mission des Eisenbahnwesens getragen, hatte eine fühlbare Befruchtung des Reiseverkehres zur Folge. Auf den verstärkten Besuch weiter gelegener Reiseziele konnte es freilich nur in beschränktem Maße wirken. Bei weiteren, einen längeren Zeitraum beanspruchenden Reisen spielen eben die Kosten der Eisenbahnfahrt unter den gesamten Reiseauslagen nicht die entscheidende Rolle. Zudem wurden in sehr vielen Fällen die Vorteile der verbilligten Tarife dem reisenden Publikum durch die mit dem stärkeren Besuch zusammenhängende Verteuerung der Lebensführung in den betreffenden Sommerfrischen und Kurorten bald wieder entzogen.

Umso kräftiger äußerte sich die neue Tarifpolitik im Nahverkehr an Sonn- und Feiertagen, wo sie zu wahren Massenbeförderungen führte, die allerdings durch ihren stoßweisen Andrang dem Eisenbahnbetrieb arge Verlegenheiten bereiteten. Die zur Bewältigung der Massenbeförderungen notwendige, außerordentlich kostspielige Erweiterung der Verkehrsanlagen, insbesondere des Wagenparks, konnte sich bei der Eigenart dieses nur auf eine kleine Anzahl von Tagen beschränkten, überdies von der Witterung so sehr abhängigen Verkehres zu den niedrigen Tarifsätzen unmöglich einträglich gestalten. Es mußte sich also daraus auch ein gewisser Widerspruch mit den Grundsätzen einer ökonomischen Betriebführung ergeben, die bei einem seiner Wesenheit nach kommerziellen[219] Unternehmen nicht vernachlässigt werden dürfen.

Als weitere wirksame Mittel zur Entwicklung des Reiseverkehres erwiesen sich die verschiedentlichen Maßnahmen zur Erhöhung seiner Sicherheit, Bequemlichkeit und Schnelligkeit. In dieses Gebiet gehören die Erweiterung und moderne Ausgestaltung der Stationen, die Verstärkung des Oberbaues, die Blockierung der Strecken und andere Eisenbahnsicherungsanlagen, die in ihrer genialen Konzeption geradezu Triumphe der Technik darstellen, die Modernisierung des Fahrparkes, insbesondere durch Einführung schwerer Maschinen und langer, mit allem Komfort ausgestatteter Wagen, die Einführung eigener Schlaf- und Speisewagen, die Ausgestaltung des Fahrplanes, die Errichtung von Reisebureaux u. dgl. Allerdings erforderten auch diese Fortschritte des Verkehrswesens sehr große Geldmittel, so daß die Verteuerung des Eisenbahnbetriebs unter der gleichzeitigen Einwirkung der Materialpreissteigerung und vor allem des riesenhaften Anschwellens der Personalauslagen in fast beängstigend steiler Kurve vor sich ging.

Es ist begreiflich, daß diese Umstände einen entscheidenden Einfluß auf die Tarifpolitik nehmen mußten. Die Eisenbahnen sahen sich durch die rasch steigenden Betriebsauslagen wiederholt gezwungen, die Tarife zu erhöhen und bestehende Fahrpreisbegünstigungen aufzuheben, um das im Laufe der Jahre immer mehr hervortretende Mißverhältnis zwischen den Kosten des Personenverkehrs und seinen Einnahmen wenigstens einigermaßen zu mildern. Die reiche Erfahrung auf diesem Gebiet hat übrigens erwiesen, daß Tariferhöhungen und selbst unmittelbare Besteuerungen des Reiseverkehrs (wie z.B. durch Fahrkartensteuern) diesen nur in der ersten Zeit zu beeinflussen vermögen und ihre ungünstige Wirkung eigentlich bloß in Form einer zeitweiligen Abdrängung des Verkehrs aus den höheren in die niedrigeren Wagenklassen äußern. Die gewaltige Aufwärtsentwicklung des Personenverkehrs, die ebensosehr ein Kennzeichen des Kulturfortschrittes ist, als sie mit dem raschen Wachstum des Nationalvermögens zusammenhängt, vermochte bisher selbst durch einschneidendere Tarifsteigerungen nicht aufgehalten zu werden.

Von besonderer Bedeutung für die Erschließung neuer Verkehrsgebiete und sohin auch für die Zunahme des Reiseverkehrs erwies sich die Gründung von Eisenbahnhotels. Die großen Verkehrsanstalten verfügen über so viele Hilfsmittel zur Förderung des Hotelwesens, daß es nahelag, eigene Schöpfungen damit auszustatten. Insbesondere befaßten sich die englischen und späterhin in großartigem Maßstabe die amerikanischen Bahnen eifrig mit solchen Gründungen. Auch Österreich verdient in dieser Hinsicht hervorgehoben zu werden, da es der Errichtung von Eisenbahnhotels mehrere seiner schönsten und meistbesuchten Fremdenverkehrsorte verdankt.

Begreifliche Aufmerksamkeit haben die Eisenbahnen seit jeher dem Gebiete der Reklame im weitesten Sinne des Wortes zugewendet. Insbesondere haben sich jene Verkehrsanstalten, deren Linien durch landschaftlich oder klimatisch bevorzugte Gebiete führen, eifrigst bemüht, die Reklame in Schrift, Bild und Wort zu nutzen, um die Auerkfmsamkeit des Publikums anzuziehen und die Reiselust zu erhöhen.

Fahrpläne, Plakate und Broschüren hat es bereits in den Kinderjahren des Eisenbahnwesens gegeben. Auch die Presse wurde schon damals für die Zwecke der Reisepropaganda gewonnen. Es war weiters naheliegend, daß sich Verkehrsanstalten mit im großen Ganzen gleichen Interessensphären zu gemeinsamen Reklameaktionen verbanden, wiewohl es auch nicht selten vorkam, daß sich gerade solche Unternehmungen mit besonderer Heftigkeit bekämpften. Im allgemeinen blieb diese Tätigkeit den einzelnen Verkehrsanstalten nach Maßgabe ihrer subjektiven Würdigung überlassen, ohne daß der Staat einen unmittelbaren Einfluß darauf genommen hätte.


Ein ganz eigenartiger Entwicklungsgang war in Österreich zu beobachten. Hier kam in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, bald nachdem ein eigenes Ministerium für Eisenbahnen geschaffen war, der Gedanke zur Geltung, die bisher einzeln wirkenden Kräfte zu gemeinsamer Arbeit zu sammeln und die Förderung des Reiseverkehrs, vor allem des internationalen Fremdenverkehrs den staatlichen Verwaltungsaufgaben, zunächst unter dem Gesichtspunkt der hervorragend daran beteiligten Eisenbahninteressen, anzugliedern. Viel mochte zu diesen Bestrebungen, die sich in der Folge als überaus fruchtbar bewährten, die Sorge um die Erhaltung der mit gewaltigen Geldopfern durchgeführten Ordnung der Reichswährung beigetragen haben. Von den Schöpfern der Währungsreform waren als Grundlage der neuen Ordnung die Aktivsaldi der Handelsbilanz betrachtet worden, die nach den Erfahrungen der vorangegangenen Jahrzehnte hinreichten, um dem Aufwand für den auswärtigen Schuldendienst der Monarchie das Gleichgewicht zu halten. Aber die neue Währung war noch kaum eingeführt, als die Handelsbilanz eine von Jahr zu Jahr empfindlichere Verschlechterung erfuhr – eine Erscheinung, die übrigens bei allen Staaten den zunehmenden nationalen Wohlstand begleitet. Da zeigte das Beispiel der Schweiz und Italiens, daß eine sehr wichtige Aktivpost für die Zahlungsbilanz[220] eines Staates der Fremdenverkehr bilden könne, den man von diesem Gesichtspunkt aus in Österreich wenigstens früher niemals betrachtet hatte.

Die ersten Schritte des Eisenbahnministeriums nach dieser Richtung bestanden in der Einberufung periodischer Fremdenverkehrskonferenzen unter Heranziehung der hauptsächlichsten Interessentengruppen. Hierdurch ward die Fühlung mit den übrigen am Fremdenverkehr interessierten Kreisen hergestellt und der Boden für die gemeinsame Arbeit gewonnen. Gleichzeitig wurden die in Österreich für den Fremdenverkehr bereits bestehenden Organisationen durch Förderung der Regierung ausgestaltet und, soweit noch Lücken vorhanden waren, diese durch Neugründungen ausgefüllt. Als solche Organisationen kamen zunächst die auf Vereinsgrundlage geschaffenen Landesverbände für Fremdenverkehr in Betracht, die nach und nach für jedes einzelne Kronland ins Leben gerufen wurden. Das Vorbild gab der Tiroler Landesverband für Fremdenverkehr, der im Jahre 1890 gegründet (seit kurzem als Landesverkehrsrat auf gesetzliche Basis gestellt), sich bald als eine ungemein lebenskräftige und nützliche Einrichtung erwies. Tatsächlich haben sich auch in anderen Kronländern die nach dem Tiroler Beispiel errichteten Landesverbände als wertvolle Glieder der Gesamtorganisation erprobt.

Trotz der Geringfügigkeit der zunächst für solche Zwecke verfügbaren Mittel hat das Eisenbahnministerium, in dessen Gefolgschaft sich einzelne Privatbahnen durch besonderen Eifer hervortaten, eine ebenso unermüdliche wie ersprießliche Tätigkeit entfaltet. Die Propagandabroschüren und Plakate erreichten bald eine künstlerische Vollendung, die sie den gleichartigen Erzeugnissen des Auslandes mindestens ebenbürtig erscheinen ließ. Ebenso wurden künstlerische Landschaftsphotographien in reicher Anzahl hergestellt und zu Propagandazwecken aller Art verwendet. Durch Sonderausgaben internationaler illustrierter Zeitungen wurde manch wertvolle Spezialreklame geleistet. Ausländische Journalisten und Schriftsteller wurden eingeladen, einzeln oder gruppenweise die für den Fremdenverkehr hauptsächlich in Betracht kommenden Gebiete zu bereisen; auch sonst wurde eine innige Fühlungnahme mit der in- und ausländischen Presse sorgsam gepflegt. Selbstverständlich ließ es sich das Ministerium sehr angelegen sein, die Abhaltung internationaler Kongresse in Österreich anzuregen oder nach Kräften zu fördern. Im Ausland wurden Auskunfteien für den Reiseverkehr nach Österreich geschaffen. Internationale Ausstellungen wurden benützt, um in ihrem Rahmen Sonderausstellungen zur Propaganda der österreichischen Fremdenverkehrsgebiete zu veranstalten. Als sehr wirksam erwiesen sich im Auftrag oder mit Unterstützung des Eisenbahnministeriums im Ausland abgehaltene Lichtbildervorträge über besonders interessante Fremdenverkehrsgebiete Österreichs.

Durch eine Staatssubvention wurde schließlich der Zusammenschluß aller österreichischen Landesverbände für Fremdenverkehr zu einer Zentralkonferenz ermöglicht, die jeweils im Anschluß an die vom Eisenbahnministerium einberufenen Fremdenverkehrskonferenzen ihre Tagung abhielt.

Die Erfolge dieser mit den bescheidensten Mitteln durchgeführten Tätigkeit und das wachsende Verständnis der Öffentlichkeit für die hohe wirtschaftliche Bedeutung des Fremdenverkehrs brachten es mit sich, daß bei Gründung des Ministeriums für öffentliche Arbeiten im Jahre 1908 dort eine eigene staatliche Zentralstelle für die Förderung des Fremdenverkehrs errichtet wurde. Man ging dabei von dem Gedanken aus, daß diese für den Staatshaushalt und die Kronländer so wichtige Aktion noch von einem allgemeinerem Gesichtspunkt aus behandelt werden sollte, als von dem der allerdings hervorragend daran beteiligten Eisenbahnen. Zur Wahrung der Eisenbahninteressen blieb das Eisenbahnministerium ausschließlich berufen. Es ergab sich also eine Zweiteilung, die ein verständnisvolles Neben- und Miteinanderarbeiten der beiden Ministerien vorsah. Auch die der neuen staatlichen Zentralstelle obliegende Aufgabe mußte sich vorweg auf zwei Gebiete verteilen, auf die Ausgestaltung der Fremdenverkehrseinrichtungen im Inland und auf eine tatkräftige, umfassende Propaganda. In das Programm war ursprünglich eine ganze Reihe hochwichtiger Agenden aufgenommen, so die moralische und materielle Förderung des Kurorte- und Hotelwesens, des Straßen-, Wege- und Hüttenbaues, des öffentlichen Autoverkehres, des Schiffahrtwesens insbesondere auf den Binnenwässern u.a.m. Ebenso lag es nahe, die vom Eisenbahnministerium begonnene Organisation der Propaganda im Ausland entsprechend auszugestalten und auf alle Staaten auszudehnen, deren Reisepublikum für die österreichischen Fremdenverkehrsorte wesentlich in Betracht kommen konnte. Leider mußte man bei der Verfolgung dieser hochgesteckten, so sehr im wirtschaftlichen Interesse des Reiches gelegenen Ziele auf halbem Wege wieder innehalten, da die dafür vom Staate eingeräumten Geldmittel ganz unzulänglich waren.


Das von Österreich gegebene Beispiel der Einreihung der F. unter die Aufgaben der staatlichen Verwaltung hat in Frankreich teilweise Nachahmung gefunden. Auch sonst sind die Bestrebungen Österreichs auf diesem Gebiete für andere Staaten vorbildlich geworden, wie umgekehrt Österreich zahlreiche im Ausland bewährte Einrichtungen für sich übernommen hat.

Einen hohen Grad der Entwicklung haben diese Einrichtungen in der Schweiz erreicht. Hier ist die F. im wesentlichen auf drei neben- und miteinander wirkende Stellen verteilt: auf den Schweizer Hotelierverein, den Verband Schweizer Verkehrsvereine und Kommissionen sowie auf die Verwaltung der Bundesbahnen. Der Schweizer Hotelierverein, der über 2000 angesehene Hotels umfaßt, hat sich große Verdienste um die Ausgestaltung des Hotelwesens erworben und entfaltet gleichzeitig mit großen Mitteln eine überaus rege Propaganda. Ein Spezialgebiet seiner unermüdlichen Tätigkeit ist die Fremdenstatistik, die wohl in keinem anderen Lande so umfassend und zweckmäßig geführt wird. Sie bietet nicht nur ein ziemlich verläßliches Bild der Entwicklung des Hotelwesens, des Fremdenverkehrs und seiner Bedeutung für den nationalen Wohlstand, sondern gibt auch wertvolle Winke, wenn es irgendwo die lokalen Einrichtungen zu verbessern oder mit der Propaganda für ein bestimmtes Gebiet in dem einen oder dem andern Auslandstaat stärker einzusetzen gilt.[221]

Die Verkehrsvereine und Kommissionen, die in einem Verband mit wechselndem Verwaltungssitz (Vorort) zusammengefaßt sind, finden ihre Aufgabe in der Führung von Auskunfteien und einer überaus eifrigen Reklametätigkeit. Ihre Einkünfte setzen sich aus Mitgliedsbeiträgen sowie aus Subventionen zusammen, die sie in Würdigung ihres gemeinnützigen Wirkens von den Kantonalregierungen, den Bundesbahnen, den übrigen Verkehrsanstalten, aber auch von Banken, Industrieunternehmungen, Hoteliers u. dgl. erhalten. Mehrere dieser Vereine wissen sich zudem aus gewerbsmäßigen Betrieben Einnahmen zu verschaffen, so als Plakatierungsanstalten und Inseratenunternehmungen, als Reise- und Fremdenbureaus, aus dem Buchhandel u. dgl. m.

Bemerkenswert ist auch die Einrichtung des publizistischen Dienstes der Schweizer Bundesbahnen, der über ein großes Lager der verschiedenartigsten Reklamewerke und zudem über eine ausgezeichnete Organisation verfügt, die es ihm ermöglicht, sein Reklamematerial über die ganze Welt zu verbreiten. Erwähnt sei, daß bei der Generaldirektion der Schweizer Bundesbahnen eine besondere Fremdenverkehrskommission unter Zuziehung von Vertretern der Fremdenverkehrsinteressenten organisiert ist.

Mit großen Mitteln und in wohldurchdachter Weise wird die F. auch in Deutschland betrieben. Die deutschen Eisenbahnen haben sich mit der Propaganda für den Reiseverkehr allerdings erst in jüngster Zeit lebhafter beschäftigt. Früher hatte man die Initiative fast ausschließlich den übrigen Interessentengruppen (Fremdenverkehrsvereinen, Hoteliervereinen, Badeverwaltungen, Kurkommissionen, Verschönerungsvereinen u.s.w.) überlassen. Vermutlich durch das ausländische Beispiel angeregt, wurde im Jahre 1912 von den deutschen Bahnen ein Ausschuß zur Förderung des Reiseverkehrs gebildet, dem alle deutschen Staatsbahnverwaltungen, ein Vertreter des Bundes deutscher Verkehrsvereine, ein Funktionär des internationalen Verkehrsbureaus in Berlin u.a. geeignete Persönlichkeiten angehören. Dieser Ausschuß hat die Aufgabe, Propagandamaterial über Deutschland zu veröffentlichen und ebenso alle übrigen der Hebung des Fremdenverkehrs dienenden Maßnahmen zu treffen, soweit es sich um Deutschland in seiner Gesamtheit handelt. Die Förderung der Interessen der einzelnen Länder bleibt dagegen nach wie vor den lokalen Verbänden, Vereinen u.s.w. in Verbindung mit den großen Verkehrsanstalten der betreffenden Länder anvertraut, deren Regierungen, von der wirtschaftlichen Bedeutung des Fremdenverkehrs durchdrungen, seiner Förderung verständnisvoll die wirksamste Unterstützung bieten. Mit der Hebung des Reiseverkehrs befassen sich übrigens auch eine Anzahl von Handelskammern; ferner haben mehrere Städte eigene Verkehrsbureaus eingerichtet, zu deren Obliegenheiten die Reichspropaganda gehört.

Die Verbreitung des Propagandamaterials, das vielfach musterhaft genannt werden kann, erfolgt im In- und Auslande hauptsächlich durch die Fremdenverkehrsorganisationen sowie durch das internationale öffentliche Verkehrsbureau in Berlin. Auch die Einschaltung von Reisefeuilletons in der in- und ausländischen Presse, die Ausgabe von Sonderreklamenummern großer illustrierter Zeitungen, die Veranstaltung von Wandervorträgen mit Lichtbildern, die Beteiligung an Ausstellungen u.s.w. wird von den Fremdenverkehrsvereinen unmittelbar, teilweise mit Unterstützung der Regierungen, bzw. der Staatsbahnverwaltungen durchgeführt. In den bayerischen und anderen süddeutschen Fremdenverkehrsorganisationen haben auch Vertreter der Regierungen und Staatsbahnverwaltungen Sitz und Stimme, in Preußen dagegen nicht.

Völlig der privaten, bzw. der lokalen Initiative ist die F. in England überlassen, wo auch die Verkehrsanstalten durchaus Privatbetriebe bilden. Durch den Wettbewerb sehen sich die einzelnen Verkehrsanstalten zu dem größten Kraftaufwand angeeifert. Das hindert indes nicht die gegenseitige Unterstützung in der Reklametätigkeit durch Austausch von Reklamematerial, der mit pedantischer Genauigkeit stattfindet. Wenn eine Bahn 50 Plakate auf fremdem Gebiet ausgehängt haben will, muß sie auch 50 fremde Plakate zum Aushang übernehmen. Die Einschaltungen in der Presse beschränken sich im allgemeinen auf Kundmachungen, die mit dem Fahrplan zusammenhängen. Mit der Reisepropaganda sind bei den großen Bahnen eigene Bureaus betraut, denen die Aufgabe obliegt, alle einschlägigen Drucksachen zu verfassen und zu veröffentlichen, bzw. zu verbreiten. In diesen Bureaus werden auch Lichtbilder und Kinofilms für Vorträge dem Publikum zur Verfügung gehalten.

Die Bahnen stehen in Verbindung mit den lokalen Interessenten ihres Gebietes. Die Agenden des Fremdenverkehrs und der Reklame in den einzelnen Orten besorgt das Bürgermeisteramt. Eigene Vereine zur Hebung des Fremdenverkehrs oder Hoteliervereine gibt es nicht. Der Verkehr mit den Reisebureaus beschränkt sich auf die Versorgung mit Fahrkarten[222] und Reklamematerial. Alle Bahnen, die zur Küste führen, haben eigene Dampfer, die den Verkehr nach dem Kontinent oder nach Irland und den Inseln vermitteln und zugleich als Auskunftsstellen und Organe der Propaganda dienen.

Auch die großen französischen Verkehrsanstalten besitzen einen publizistischen Dienst, dessen Aufgabe darin besteht, die Beziehungen zwischen den Eisenbahnen und der Presse zu unterhalten. In den gemeinsamen Beratungen der großen Eisenbahnverwaltungen werden zeitweilig auch die Fragen der Propaganda durch die Presse erörtert. Nach dem österreichischen Vorbild ist jüngstens beim Ministerium für öffentliche Arbeiten eine eigene Behörde für die Förderung des Reiseverkehrs geschaffen worden, die sich aus den Vertretern der wichtigsten Verkehrsvereine eine Art Beirat gebildet hat. Die für die einzelnen Gebiete bestehenden »Syndikats d'Initiative« entsprechen beiläufig den österreichischen Landesverbänden, genießen aber keine staatliche Unterstützung. Der publizistische Dienst der einzelnen Bahnen besorgt die Ausgabe der Broschüren, Karten, illustrierten Fahrpläne u. dgl. sowie auch die Verlautbarung von Verkehrsnachrichten durch die Presse. Die Verbreitung der zum Teil mit künstlerischer Vornehmheit ausgeführten Eisenbahnbroschüren erfolgt durch ihre Zusendung an die Reisebureaus des In- und Auslandes. Nach ausländischem Vorbild sind für die nächste Zeit von einzelnen französischen Bahnen Wandervorträge mit Lichtbitdern in Aussicht genommen.

Eine sehr rege und überaus erfolgreiche Reklametätigkeit betreiben die Eisenbahnen und Verkehrsvereine in Italien, Schweden und Norwegen. Eine besonders hervorstechende Eigenart ist in den bezüglichen Einrichtungen kaum wahrnehmbar.

Unter von den europäischen Bahnen wesentlich abweichenden Voraussetzungen haben die großen amerikanischen Bahnen für die F. zu sorgen. Sie hatten vielfach die Mission, erst als Pfadfinder der Kultur in bisher unbesiedelten Gegenden zu wirken. Daraus erklärt sich, daß mehrere der großen Eisenbahnen gleichzeitig über einen gewaltigen Grundbesitz verfügen, dessen Besiedelung zu ihren wichtigsten Aufgaben zählt. Die Werbetätigkeit der amerikanischen Bahnen ist daher vorzugsweise auf Einwanderer und Ansiedler gerichtet, u.zw. auch solcher Verkehrsanstalten, die nicht Großgrundbesitzer sind, da die Kolonisten für das Eisenbahngeschäft natürlich eine ungleich wichtigere Rolle spielen als einfache Geschäfts- oder Vergnügungsreisende. Diesen Umständen entspricht auch die Wirksamkeit der übrigens noch nicht sehr zahlreichen Verkehrsvereine, die sich hauptsächlich mit den Fragen der Ansiedelung in ihren Tätigkeitsbezirken beschäftigen. Nur in einzelnen Gebieten oder Städten, wo besondere Anziehungspunkte für den Vergnügungsreiseverkehr vorhanden sind, wird durch die üblichen Mittel der Publizistik auf diesen einzuwirken versucht.

In der Verwaltung der einzelnen amerikanischen Bahnen ist natürlich auch ein eigener publizistischer Dienst eingerichtet. Die zahlreichen Fahrkartenbureaus sind vielfach verschiedenen Eisenbahnen gemeinsam und dienen auch als Auskunfteien. Für den Personenverkehr besteht bei den großen amerikanischen Bahnen ein eigener Direktor, dem Distriktsbeamte unterstellt sind. Diese Distriktsbeamten haben unter anderem auch Vorschläge für die Propaganda in ihren Bezirken zu erstatten. Für die Verlautbarung durch die Presse wird ihnen gewöhnlich ein Pauschalbetrag zur Verfügung gestellt, den sie nach ihrem Gutdünken verausgaben können. Unter den ihnen zugewiesenen Beamten befindet sich eine Anzahl von Reiseagenten, deren Hauptaufgabe es ist, sich mit dem reisenden Publikum, d.h. mit Reiseführern, Reisegesellschaften, Theaterdirektoren, Hotelportiers und sogar mit einzelnen Familien, die regelmäßig zu reisen pflegen, Fühlung zu erhalten. Diese Agenten sind gewöhnlich Mitglieder der lokalen Verkehrsvereine, deren etwaige Wünsche oder Ratschläge sie an ihre Bahnverwaltung weiterleiten.

Für die Propagandatätigkeit der amerikanischen Eisenbahnen werden Geldmittel auf geboten, die den Jahresaufwand für die F. ganzer europäischer Staaten überragen. Nach dem Vorbild europäischer Verkehrsanstalten geben auch einzelne amerikanische Bahnen periodische Druckschriften, u.zw. in riesiger Anzahl und in für den amerikanischen Geschmack berechneter Ausstattung heraus. Eine gemeinsame Stelle für den publizistischen Dienst besteht bei den amerikanischen Bahnen nicht.

Mündl.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 5. Berlin, Wien 1914, S. 219-223.
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