[136] Begeisterung. (Schöne Künste)
Alle Künstler von einigem Genie versichern, daß sie bisweilen eine außerordentliche Würksamkeit der Seele fühlen, bey welcher die Arbeit ungemein leicht wird; da die Vorstellungen sich ohne große Bestrebung entwikeln, und die besten Gedanken mit solchem Ueberfluß zu ströhmen, als wenn sie von einer höhern Kraft eingegeben würden. Dieses ist [136] ohne Zweifel das, was man die Begeisterung nennt. Befindet sich ein Künstler in diesem Zustande, so erscheinet ihm sein Gegenstand in einem ungewöhnlichen Lichte; sein Genie, wie von einer göttlichen Kraft geleitet, erfindet ohne Mühe, und gelangt ohne Arbeit zum besten Ausdruk dessen, was es erfunden; dem begeisterten Dichter ströhmen die fürtreflichsten Gedanken und Vorstellungen ungesucht zu; der Redner urtheilt mit der größten Gründlichkeit, fühlt mit der höchsten Lebhaftigkeit, und die Worte zum stärksten und lebhaftesten Ausdruk werden ihm auf die Zunge gelegt. Der begeisterte Mahler findet das Bild, das er gesucht hat, vor seine Stirne gemahlt, und in der größten Kraft, er darf nur nachzeichnen; selbst seine Hand scheinet von einer außerordentlichen Kunst geleitet, und mit jeder Bewegung der Finger bekömmt das Werk einen neuen Grad des Lebens.
Was soll man aus einer so sonderbaren Erscheinung machen, die dem Philosophen in ihrem Ursprung, und dem Künstler in ihrer Würkung so sehr wichtig ist? Woher kömmt diese außerordentliche Würksamkeit der Seele, und wie kann sie so glükliche Würkungen haben?
Diese erhöhte Würksamkeit zeiget sich entweder in den Begehrungskräften, oder in den Vorstellungskräften der Seele, in jeden mit besonderm Erfolg. In jenen durch andächtige, oder politische, oder zärtliche, oder wollüstige Schwärmereyen; in diesen durch erhöhte Fähigkeiten des Genies, durch Reichthum, Gründlichkeit, Stärke und Glanz der Vorstellungen und Gedanken. Also ist die Begeisterung von doppelter Art: die eine würkt vorzüglich auf die Empfindung, die andre auf die Vorstellung.
Beyde haben ihren Ursprung in einem lebhaften Eindruk, den ein Gegenstand von besondrer ästhetischer Kraft in der Seele macht. Ist dieser Gegenstand undeutlich, daß die Vorstellungskraft wenig darin entwikeln kann; ist das Gefühl seiner Würkung lebhafter, als die Kenntniß seiner Beschaffenheit, von welcher Art die Gegenstände der gemeinsten Leidenschaften sind; so wird alle Aufmerksamkeit auf die Empfindung gerichtet, die ganze Kraft der Seele vereiniget sich zu dem lebhaftesten Gefühl. Zeiget sich aber der Gegenstand, der den starken Eindruk gemacht hat, in einer hellen Gestalt, die der Geist in ihren mannigfaltigen Theilen übersehen kann, so wird mit der Empfindung auch die Vorstellungskraft gereizt, und mit Gewalt auf den Gegenstand geheftet; Verstand und Einbildungskraft bestreben sich, denselben völlig und mit der größten Deutlichkeit und Lebhaftigkeit zu fassen. Im ersten Fall ensteht der Enthusiasmus des Herzens; im andern Falle die Begeisterung des Genies. Beyde verdienen, etwas umständlicher in ihrer Natur und in ihren Würkungen betrachtet zu werden.
Der Enthusiasmus des Herzens, oder die erhitzte Würksamkeit der Seele, die sich hauptsächlich in Empfindungen äußert, wird von wichtigen Gegenständen erwekt, in denen wir nichts deutlich sehen, bey denen die Vorstellungskraft nichts zu thun findet, wo die Aufmerksamkeit von dem Gegenstand selbst abgezogen, und auf das, was die Seele fühlt, auf ihr eigenes Bestreben gerichtet wird.1 Dabey verliert der Geist den Gegenstand aus dem Gesichte, und fühlt desto lebhafter seine Würkung. Alsdenn wird die Seele ganz Gefühl; sie sieht nichts mehr als außer sich, sondern alles in ihr selbst. Alle Vorstellungen von Dingen, die außer ihr sind, fallen ins dunkele; sie sinkt in einen Traum, der die Würkungen des Verstandes größtentheils hemmet, die Empfindung aber desto lebhafter macht. In diesem Zustand ist sie weder einer genauen Ueberlegung noch eines richtigen Urtheils fähig; desto freyer und lebhafter aber äußern sich die Neigungen, und desto ungebundener entwikeln sich alle Triebfedern der Begehrungskräfte.
Da die Vorstellungskraft nun nicht mehr vermögend ist, das würklich vorhandene von dem blos eingebildeten zu unterscheiden, so erscheinet das blos mögliche als würklich; selbst das unmögliche wird möglich; der Zusammenhang der Dinge wird nicht mehr durch das Urtheil, sondern nach der Empfindung geschätzt; das abwesende wird gegenwärtig, und das zukünftige ist schon itzt würklich. Was [137] jemals mit einiger Beziehung auf die gegenwärtige Empfindung in der Seele gelegen, kömmt itzt wieder hervor.
In dieser Art der Begeisterung liegt nichts klar in der Seele, als die Empfindung, und alles, was eine nahe oder entfernte Beziehung darauf hat. Daher entsteht die ungemeine Leichtigkeit, das, was in der Empfindung liegt, auszudrüken; die Lebhaftigkeit und Stärke des Ausdruks; die süße Schwatzhaftigkeit in zärtlichen Affekten; der wilde, erstaunliche oder herzrührende Ausdruk in heftigen Leidenschaften; die große Mannigfaltigkeit lieblicher oder starker Bilder; die vielfältige Schattirungen der Empfindung; die seltsamen und träumerischen Verbindungen der Gegenstände; der, jeder Empfindung so genau angemessene, Ton, und alles, was sonst in dieser Art der Begeisterung sich offenbaret.
Dichter, die in diesem Zustand ihre Empfindungen äußern wollen, ergreifen die Leyer, und singen Hymnen, Oden oder Elegien. Nirgend sieht man alle diese Würkungen lebhafter, als in den Oden und Elegien der Propheten des jüdischen Volks.
Dieser Zustand hat seine verschiedenen Grade und mancherley Schattirung, so wol nach der Stärke und Art der Empfindung, als nach der Gemüthsart der fühlenden Person. Bisweilen zeiget sich die Empfindung mit der Gewalt eines wütenden Feuers oder eines alles fortreißenden Strohms; der Dichter fühlt sich von einer höhern Macht fortgerissen, wie Horaz, wenn er ausruft:
Quo me Bacche rapis tui
Plenum? –– ––
In dieser Begeisterung reißt er auch uns gewaltig mit sich fort, setzt uns in Erstaunen, oder in Schreken, oder in ausgelassene Freude. Andremale ist sie ein sanft schmelzendes Feuer, das die ganze Seele in Wollust oder Zärtlichkeit zerfließen macht. Alsdenn fließen die Worte, wie ein sanfter Strohm, aber mit einem Ueberfluß von Gedanken und Vorstellungen. Daher entstehen die Oden und Elegien der sanftern Gattung, die den Leser mit Zärtlichkeit, oder leichtem Vergnügen, oder süßer Traurigkeit erfüllen.
Fällt diese Begeisterung auf eine Seele, die in ihrem ordentlichen Zustand eine gesunde Urtheilskraft und wolgeordnete Empfindungen besitzt; so bleibet auch ihren Schwärmereyen etwas von dem Gepräge einer ordentlichen Natur übrig: befällt sie aber Menschen von geringem Verstand und von unordentlichen Leidenschaften, so können ihre Würkungen nicht anders, als abentheuerlich und voll Narrheit seyn.
Es ist nicht schweer zu bestimmen, durch was für Gegenstände und in was für Umständen diese Art des Enthusiasmus entstehe. Man kennt die gewöhnlichen Veranlasungen starker Leidenschaften, der Freude, der Traurigkeit, der Zärtlichkeit, der Ehrbegierde. Erscheinet ein leidenschaftlicher Gegenstand in einem hellen Lichte, und rührt er ein Gemüthe, das schon für sich zu der Leidenschaft, worauf er sich bezieht, geneigt ist; so entsteht plötzlich die erhöhete Würksamkeit, die der Grund des Enthusiasmus ist. Bey reizbaren Seelen, die gewisse Empfindungen, von welcher Art sie seyn, oft und bey mancherley Gelegenheiten gehabt haben, werden selbige bisweilen von einer gering scheinenden Ursache mit großer Lebhaftigkeit wieder rege. Wer lange unter dem Druk einer Widerwärtigkeit geseufzet, und selbigen von vielen Seiten her empfunden hat; wer lange in Traurigkeit über einen schmerzhaften Verlust vertieft gewesen; wer Empfindungen, von welcher Art sie seyen, lange in seinem Herzen genährt hat, der erfährt den vollen Ausbruch derselben, als einen plötzlichen Sturm, so bald eine auch blos zufällige Gelegenheit, nur eine einzige dahin gehörige Vorstellung recht klar macht. Wie ein einziger Funken schnell einen großen Brand erregt, wenn die Materien vorher erhitzt gewesen; so kann die geringste Vorstellung von einer gewissen Lebhaftigkeit eine Menge in der Seele liegender Empfindungen plötzlich aufweken. Auf diese Art wird auch bey Dichtern, die Empfindungen von gewisser Art lange in ihrem Busen genährt haben, der volle Enthusiasmus erwekt, so bald ein damit verbundener Gegenstand, durch welche Veranlasung es seyn mag, in einem sehr lebhaften Licht erscheinet. Horaz sieht seinen Freund, Virgil, in ein Schiff steigen, und wünscht ihm eine glükliche Reise. Auf einmal fällt ihm dabey die Gefahr einer solchen Reise ein; die Zärtlichkeit für seinen Freund setzt ihn in Schreken; er verwünscht die Erfindung solcher verwegenen Reisen, und nun wacht plötzlich in ihm alles auf, was er jemals über die Verwegenheit der Menschen gedacht oder empfunden hat. So ist der Enthusiasmus der bekannten Ode an den Virgil entstanden.2 [138] Die andre Art der Begeisterung äußert ähnliche Erscheinungen in der Vorstellungskraft. Sie hat ihren Grund in einem starken Reiz, der diese Kraft schnell angreift. Sie kann von der Größe, dem Reichthum, oder der Schönheit des Gegenstandes entstehen. Soll dieser vorzüglich auf den Geist, und nicht blos auf die Empfindung, würken, so muß er eine deutliche Entwiklung zulassen. Die Vorstellungskraft muß das mannigfaltige darin erbliken, und davon gereizt werden, alles in größerer Klarheit zu sehen. Daraus entstehet eine außerordentliche Anstrengung aller Kräfte, und, wenn es erlaubt ist, sich so auszudrüken, eine vermehrte Elasticität der Seele, die nun groß genug zu seyn wünschet, einen solchen Gegenstand völlig zu fassen. Der Geist rafft alle seine Kräfte zusammen, ruft sie von allen andern Gegenständen ab, und bestrebt sich nur deutlich zu sehen. Diesen Zustand beschreibt einer unsrer größten Philosophen in folgenden Worten: Psychologis patet in tali impetu totam quidem animam vires suas intendere; maxime tamen facultates inferiores, ita ut omnis quasi fundus animae surgat nonnihil altius et maius aliquid spiret, pronusque suppeditet, quorum obliti, quae non experti, quae praevidere non posse nobis ipsis, multo magis aliis, videbamur.3
Niemand hat die Tiefen der menschlichen Seele hinlänglich ergründet, um dieses völlig zu erklären. Doch verdient das wenige, was die Beobachtung hierüber an die Hand giebt, genau erwogen zu werden.
Aus der Theorie der Empfindungen läßt sich begreifen, wie gewisse Gegenstände eine Begierde erweken, sie ganz zu fassen und zu entwikeln, und wie die Aufmerksamkeit, durch ein anhaltendes Bestreben, vorzüglich darauf gerichtet werde. Man weiß auch, daß nicht nur die innerliche Beschaffenheit einer Sache, sondern auch blos zufällig damit verbundene Vortheile, dergleichen Ehr und Ruhm sind, große Kraft haben, die Würksamkeit der Seele ganz auf solche Gegenstände zu heften.
Hat der Geist einmal eine solche bestimmte, durch anhaltende Kraft unterstüzte, Richtung bekommen, so ist sein Bestreben nicht nur stark, sondern auch anhaltend. Der gefaßte Gegenstand schwebt ihm unaufhörlich vor Augen; alle andre Vorstellungen werden nur in der Beziehung auf denselben erwogen. So wie der Geizige in allem, was seine Sinnen rühret, nichts als den Geldwerth, der Ruhmsüchtige nichts, als was seine Eitelkeit schmeichelt, gewahr wird; so sieht der Künstler, den ein Gegenstand stark gereizt hat, in der ganzen Natur nichts, als in Beziehung auf denselben: nichts entgeht ihm, was er zu merken und zu fassen, nach seinem Genie, vermögend ist. Daß er den Gegenstand von allen möglichen Seiten und in allen möglichen Beziehungen sieht, ist sehr natürlich. Wie eine völlige Gleichgültigkeit gegen eine Sache, alle Aufmerksamkeit auf dieselbe benimmt, daß auch das offenbareste darin unbemerkt bleibet; so wird auf der andern Seite durch das Intresse das Auge so geschärft, daß man auch das unmerklichste gewahr wird.
Nun ist es eine aus der Erfahrung bekannte, wie wol schweer zu erklärende Sache, daß die Gedanken und. Vorstellungen, die durch anhaltende Betrachtung eines Gegenstandes entstehen, sie seyen klar oder dunkel, sich in der Seele aufsammeln, daselbst wie Saamenkörner in fruchtbarem Boden, unbemerkt keimen, sich nach und nach entwikeln, und zulezt bey Gelegenheit plözlich an den Tag kommen. Alsdenn sehen wir den Gegenstand, zu dem sie gehören, der bis dahin verworren und dunkel, wie ein unförmliches Phantom vor unsrer Stirne geschwebt hat, in einer hellen und wolausgebildeten Gestalt vor uns. Dieses ist der eigentliche Zeitpunkt der Begeisterung.
Nun sieht man seinen Gegenstand in einem ungewöhnlichen Lichte; man sieht in ihm Dinge, die man noch nie gesehen; was man schon so lange zu sehen gewünscht, erscheinet itzt ohne Anstrengung; man ist geneigt zu glauben, ein wolthätiges Wesen von höherer Art habe unsre Sinnen geschärft, oder habe auf eine übernatürliche Weise den gewünschten Gegenstand, vor unsre Einbildungskraft gestellt.
Aber dieser glükliche Augenblik, wie wird er hervorgebracht? wie erlangt der Künstler diesen Beystand der Muse?
– Welcher Macht des Gebets von unsträflichen Lippen,
Welchem sanften unschuldigen Zittern der Brust wird gegeben,
Daß die Himmlische ihn in stillen Nächten besuchet,
Oder bey einsamen Quellen verschwiegene Worte zu ihm haucht?
Wir wollen dem Künstler den glüklichen Wahn, von dem Beystand einer höhern Kraft nicht benehmen; [139] inzwischen aber dem Philosophen, der weniger gläubig ist, folgendes ins Ohr sagen.
Bey der unaufhörlichen Anstrengung der Vorstellungskräfte auf einen einzigen Gegenstand geschieht es wol, und vielleicht auch von ohngefehr, so gar im Traume, daß ein ungewöhnlich heller Gedanken davon hervorkommt. Die große Begierde, mit der man den Gegenstand schon so lange in einem hellern Lichte zu sehen gewünscht, wird nun plötzlich auf das Lebhafteste gereizt; nun werden alle Nerven gespannt; die Aufmerksamkeit wird jedem andern Gegenstand entzogen; alle Vorstellungen, die nicht mit der einzigen intressanten verbunden sind, sinken in die Dunkelheit. Selbst die Würkung der äußern Sinnen wird so geschwächt, daß der Geist daher keine Zerstreuung zu befürchten hat. Desto heller und lebhafter wird nun jeder Begriff, der sich auf den Hauptgegenstand bezieht; itzt treten alle gesammelte Vorstellungen aus der Dunkelheit empor, und, wie im nächtlichen Traum, wenn alle Zerstreuung gänzlich auf höret, das Bild, welches wir wachend in dunkele Dünste eingehüllt gesehen, in der Klarheit des hellesten Tages, vor unsern Augen steht, so sieht der Künstler in dem süßen Traum der Begeisterung, den gewünschten Gegenstand vor seinem Gesichte; er vernimmt Töne, wenn alles still ist, und fühlt einen Körper, der blos in seiner Einbildung die Würklichkeit hat.
Hieraus nun läßt sich allerdings begreifen, woher die erhöhten Seelenkräfte in dem Zustand der Begeisterung ihre Stärke bekommen, und warum diese einen so vortheilhaften Einfluß auf die Werke des Geschmaks habe; woher es komme, daß jede einzele Vorstellung ein ungewöhnliches Leben bekömmt; warum abwesende Dinge, als gegenwärtig, vergangene oder zukünftige, als itzt vorhanden erscheinen. Hat aber der Künstler in der Begeisterung so lebhafte und so vollkommene Vorstellungen, so wird es ihm auch leicht, sie nach Maaßgebung seiner Kunst, es sey durch Worte, oder durch Zeichnung und Farbe, oder durch bloße Töne zu äußern.
Einem Werk, oder einem Theil desselben, das in der Begeisterung verfertigt worden, sind deutliche Spuren der großen Lebhaftigkeit und des herrlichen Lichts, in welchem der Künstler seinen Gegenstand gesehen hat, eingepräget. Alles scheinet aus einer reichen Quelle zu fließen; jedes Wort, jeder Strich ist kräftig, und würkt gerade das, was er würken soll. Man merkt es, daß dem Künstler alles leicht gewesen, daß er nichts gesucht, sondern jedes an seinem Orte gesehen hat; daß er ungeduldig gewesen ist, einen Gegenstand, der seine ganze Seele so lebhaft erfüllt hatte, außer sich darzustellen.
Man findet darin nichts mit Sorgfalt abgemessen, nichts das durch gesuchte Verbindungen, sich an das nächste anschließt. Alles folget Schlag auf Schlag, wir werden mit in das Feuer hingerissen, das in der Seele des Künstlers brennt, oder in das sanfte Entzüken gesezt, das ihn außer sich selbst gebracht hat.
Der Künstler, dem es nicht an Verstand und Genie fehlt, kann des guten Fortganges seines Werks versichert seyn, so bald er in Begeisterung gesezt ist; denn er hat alsdenn für nichts mehr zu sorgen: er darf sich nur seiner Empfindung überlassen. Alles, was er auszudrüken hat, liegt in seiner Phantasie deutlich vor ihm. Ohne Vorsaz und Ueberlegung ordnet seine Seele jeden Theil auf das beste an, bildet jeden auf das lebhafteste aus. Seine Feder oder Pinsel, seine Hand oder sein Mund, sind nicht schnell genug, das darzustellen, was ihm dargeboten wird. Es sah einmal jemand dem Michel Angelo zu, als er an einem Marmorbild arbeitete. In dem Blik des Künstlers war etwas wildes, der Hammer stürzte in seiner starken Faust mit Macht auf den Meißel, und die abgeschlagene Stüke Marmor flogen weit durch die Luft. Man hätte denken sollen, daß der ganze Blok auf jeden Schlag hätte in Stüken gehen sollen.4 Damals war dieser große Künstler in der Begeisterung. Er sah das Bild, welches er darstellen wollte, schon in dem Marmorblok, ungeduldig es heraus zu bringen, schlug er kühn die überflüßigen Theile weg, und war sicher, nichts von dem Bilde, das er sah, weg zu hauen. So feurig und so sicher ist jeder Künstler, dem die Begeisterung ein Bild in die Phantasie gemahlt hat.
Der Grund aller Begeisterung liegt in einem starken Reiz des Gegenstandes, der die ganze Kraft [140] der Aufmerksamkeit auf sich vereiniget. Daher sind diese zwey Dinge allemal dazu nöthig; ein Gegenstand, dem es nicht an Reiz fehlt, und von Seite des Künstlers eine empfindende reizbare Seele. Ein widriger, magerer, kahler Gegenstand löscht das Feuer des Genies aus; aber auch der herrlichste Gegenstand ist kaum vermögend eine träge Seele zu erwärmen. Die erste Veranlassung zur Begeisterung hängt also von der Wahl einer großen oder reizenden Materie ab; die andre ist eine Gabe der Natur, die durch Uebung kann verstärkt werden.
Den gänzlichen Mangel des feinern Gefühls, für das Schöne der Phantasie, für das Vollkommene des Verstandes, für das sittliche Große, kann kein Unterricht und keine Uebung ersetzen. Wer bey Betrachtung des Apollo in Belvedere nichts mehr fühlt, als bey den Bildern, womit neue Künstler den Gärten der Großen eine Zierde zu geben, sich vergeblich bemühen; wem ein Claudius so schätzbar, als Trajan ist, der muß sich aller schönen Künste enthalten; denn er wird niemal von dem himmlischen Feuer der Muse begeistert werden. Hat er aber eine feinere Seele, die das Schöne und Große zu fühlen vermag, so muß er diese Gabe der Natur durch fleißige Uebung verstärken. Es gehört zu unserm Vorhaben, daß wir den Künstlern alle uns bekannte Mittel dazu an die Hand geben. Das meiste haben wir in dem Art. ⇒ Geschmak ausgeführt. Denn eben die Mittel, welche den angebohrnen Geschmak verstärken und erweitern, erhöhen die Fühlbarkeit der Seele.
Weil in der Begeisterung alle Kraft der Aufmerksamkeit so nachdrüklich auf einen einzigen Gegenstand gerichtet ist, daß alle andren zugleich vorhandenen Vorstellungen der Seele in die Dunkelheit fallen, so ist hiernächst die Fertigkeit, seine Aufmerksamkeit gänzlich auf einen einzigen Gegenstand einzuschränken, auch ein Mittel zur Begeisterung. Diese Fertigkeit aber erlangt man durch scharfes und fleißiges Nachdenken. Man weiß aus dem berühmten Beyspiel des Archimedes, dem man verschiedene andre von neuern Mathematikern beyfügen könnte, daß ein scharfes Nachdenken über abgezogene Wahrheiten die Aufmerksamkeit so sehr fesselt, daß auch die stärksten Erschütterungen der äußerlichen Sinnen unmerklich werden. Wer sich demnach im scharfen Nachdenken fleißig geübt hat, der erlangt diese Fertigkeit, seine Aufmerksamkeit zu fesseln, und wird bey vorkommenden Fällen desto leichter in die Begeisterung versezt werden.
Diese strenge Aufmerksamkeit wird ofte durch die Stille der mitternächtlichen Ruh, oder durch die Einsamkeit, erleichtert. Daher finden wir ofte, daß solche äußerliche Umstände die Begeisterung sehr befördern.
Zu diesen wesentlichen und allgemeinen Mitteln der Begeisterung kommen noch einige besondre, zum Theil zufällige Mittel: wie viel das Temperament des Künstlers dazu beytrage, läßt sich aus gemeinen Beobachtungen über die Schwärmereyen melancholischer Menschen, über die Raserey solcher, deren Geblüth durch heftige Anfälle der Fieber in allzugroße Wallung gekommen ist, abnehmen. Eine ähnliche Würkung hat jede außerordentliche Antreibung oder Hemmung des Geblüths: der Wein, gesellschaftliche Freuden, die Liebe, der Zorn oder andre heftige Leidenschaften geben den Grund zur Begeisterung. Ueberhaupt kann dieselbe durch alles, was uns in so starke Empfindungen sezt, daß die Nerven des Körpers in eine merkliche Erschütterung kommen, hervorgebracht werden, weil in diesen Fällen die ganze Seele allein von dem Gegenstand unsrer Vorstellung eingenommen wird.
Eine genaue Aufmerksamkeit auf uns selbst läßt uns bemerken, daß jede Ursache, welche das Geblüthe zu einem etwas lebhaftern Umlauf antreibt, die Würksamkeit unsrer Seelenkräfte vermehre. Man ist witziger, lebhafter, scharfsinniger, empfindlicher, wenn durch Reiten oder Gehen das Geblüthe etwas angetrieben worden, oder wenn es durch einen mäßigen Ueberfluß starker Getränke dieselbe Würkung erfahren hat. Daher kommt es ohne Zweifel, daß man im Reden, nachdem man sich ein wenig erhizt hat, viel beredter wird, als man anfänglich gewesen. Menschen von empfindlichen Nerven kann die Musik, auch in so fern sie nur harmonisch ist, in ungemeine Leidenschaft setzen, und würklich begeistern.
Und hieraus läßt sich erklären, warum aus ganz entgegengesezten Ursachen, als die außerordentliche Stille und ein großer feyerlicher Lerm sind, gleiche Würkungen, in Absicht auf die Begeisterung entstehen können. Jene ladet die Seele durch Wegräumung alles dessen, was sie zerstreuen könnte, zur Aufmerksamkeit auf den einzigen Gegenstand [141] ein; dieses aber treibt sie mit gewaltigen Stößen, gegen die alle übrige Vorstellungen verschwinden, auf den einen Gegenstand hin.
Endlich sind auch die edle Ruhmbegierde, die Lust die Aufmerksamkeit aller Menschen auf sich zu ziehen, Liebe zum Vaterland, ein lebhaftes Gefühl der Rechtschaffenheit, gute Mittel zur Begeisterung. Kommen so starke bewegende Kräfte zu einem glüklichen Genie, und zu einem von gesunder Vernunft wol gesättigten Verstand, zu einer wolgeordneten Einbildungskraft, so entstehen alsdenn die herrlichsten Früchte der Begeisterung, die in den Werken der größten Künstler bewundert werden.
1 | Man kann hierüber den Artikel, ⇒ Empfindung, nachsehen. Ausführlicher aber ist diese Materie in einem Aufsatz abgehandelt worden, der sich in den Memoires der Königl. Preuß. Academie der Wissenschaften für das Jahr 1764, unter diesem Titel befindet. Observations sur les divers états, où l'ame se trouve en exerçant ses facultés primitives, celle d'appercevoir et celle de sentir. |
2 | Lib. I. od. 3. |
3 | Aesthetica. §. 80. |
4 | Diese Anekdote findet sich in einem der Briefe berühmter Künstler, welche vor wenig Jahren in Italien heraus gekommen, und, wo ich nicht irre, in dem 3. Theil der Sammlung. |
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