Begleitung

[142] Begleitung. (Musik)

Der Vortrag derjenigen Stimmen, welche die Hauptstimmen unterstützen, besonders des Generalbasses, der die ganze Harmonie, worauf das Tonstük beruhet, anschlägt. Jedes Tonstük hat, nach der itzigen Beschaffenheit der Musik, eine oder mehrere Hauptstimmen, die den eigentlichen Gesang oder die Melodie führen. Dieser werden insgemein noch andre Stimmen beygefügt, welche jene Hauptstimmen beständig durch harmonische Töne begleiten. Unter diesen begleitenden Stimmen ist der Baß die vorzüglichste; besonders der Generalbaß, der außer den Grundtönen, worauf die ganze Harmonie beruhet, auch noch die übrigen zur vollen Harmonie gehörigen Töne anschlägt, wie auf Orgeln, Clavieren und Harfen geschieht.

Durch die gute Begleitung erhält also ein Tonstük seine wahre Vollkommenheit; so wie es durch eine schlechte alle Schönheit verlieren kann. Der Tonsetzer schreibt jeder begleitenden Stimme alles, was ihr zukommt, vor; nur in dem Generalbaß, wird blos das Wesentlichste angezeiget, vieles aber der Ueberlegung des Spielers überlassen; weil es nicht möglich ist, ihm jeden Ton zur Harmonie vorzuschreiben, ohne seine ganze Parthie zu verwirren.

Was der Tonsetzer in Absicht auf die begleitenden Stimmen bey dem Satze selbst zu beobachten hat, gehört nicht hieher, und ist an den Orten, wo die Regeln des Satzes entwikelt worden sind, zu finden. Die Rede ist hier blos von dem, was diejenigen zu beobachten haben, welchen die begleitenden Stimmen zur Ausführung aufgetragen sind. Diesen sind (den Generalbaßisten ausgenommen) alle Töne, die sie zu spielen haben, genau vorgeschrieben; also kömmt es bey ihrer Begleitung blos auf eine wol überlegte Ausführung des vorgeschriebenen an.

Aber auch dazu wird so viel Geschmak und Ueberlegung erfodert, daß der vollkommene Begleiter allemal den Namen eines Virtuosen verdienet. Er muß die Natur, und in jedem Falle die besondre Beschaffenheit des Instruments, oder der Stimme, welche die Hauptparthie hat, vollkommen kennen; denn darnach muß er sein Instrument zu stimmen, und jeden Ton auf demselben zu temperiren, auch jede Note in der erfoderlichen Stärke anzugeben wissen.

Des Takts muß er so vollkommen Meister seyn, daß er sich mit der größten Leichtigkeit allezeit nach der Hauptstimme richtet, auch da, wo diese etwa fehlet; weil durch kluges Nachgeben der begleitenden Stimmen die Fehler selbst ziemlich bedekt werden können.

Er muß so viel Geschmak haben, daß er jede Schönheit der Melodie fühlt, und die Absichten des Setzers bey jeder Note erkennt; denn nur alsdenn kann er beurtheilen, was seine Töne eigentlich zur Schönheit des Ganzen beytragen, und mit welchem Nachdruk oder welcher Leichtigkeit er jeden angeben soll, wo er die Töne der Hauptstimme zu unterstützen, oder selbigen blos zur Schattirung dienen soll.

Es ist ein großes Vorurtheil, zu glauben, daß jeder gemeiner Spieler geschikt genug sey, eine begleitende Stimme zu führen. Aus dem angeführten ist offenbar, daß dazu Leute erfodert werden, die weit mehr verstehen müssen, als Noten lesen und Noten treffen. Dennoch herrscht das berührte Vorurtheil so sehr, daß eine gute Begleitung eine eben so seltene Sache ist, als eine in allen Stüken vollkommene Composition.

Ein vollkommner Begleiter ist vielleicht eine weit seltnere Sache, als ein vollkommener Solospieler. Da man also nur selten voraus setzen kann, daß die Begleiter aus eigner Einsicht und aus Gefühl, was ihnen oblieget, in Acht nehmen, so ist wenigstens darauf zu dringen, daß sie vorsichtig genug werden, nichts zu verderben.

Davor können sie sich am sichersten verwahren, wenn sie sich genau an dem halten, was der Tonsetzer ihrer Parthie vorgeschrieben hat; wenn sie nichts dazu thun, und nichts davon weg lassen. Sie [142] müssen sich dieses tief einprägen, daß sie mit ihren Stimmen weder herrschen, noch sich hervor thun, sondern der Hauptstimme dienen sollen. Sie thun am besten, sich aller Manieren, aller Zierrathen zu enthalten, jede Note, so wie sie steht, richtig, mit gemäßigter Stärke, und in der richtigsten Haltung, so anzugeben, daß man ihre Parthie nicht besonders bemerkt, daß selbige sich hinter der Hauptstimme gleichsam verstekt.

Vorzüglich müssen sich die Baßisten der äußersten Reinigkeit, so wie der höchsten Einfalt, befleissen. Nichts wird unerträglicher, als wenn ein Baßiste sich durch Zierrathen zeigen will. Er löscht dadurch ganze Stellen der Melodie wie mit einem Schwamm aus: nicht zu gedenken, daß dem Bassisten das zierlich thun eben so ansteht, als wenn ein alter Mann sich schminken, oder mit Bändern behängen wollte.

Der Baß ist die wichtigste aller begleitenden Stimmen, denn jeder kleinste Fehler desselben verderbt viel, und jede kleinste Schönheit erhebt die Hauptstimme; also ist im Basse nichts klein. Darum sollte er nur Spielern von dem feinsten Geschmak anvertrauet werden. Das gewisseste Zeichen, daß ein Capellmeister den wahren Geschmak der Musik nicht habe, ist dieses, wenn er die Bässe schlechten Spielern anvertrauet.

Wer die besondern Regeln der Begleitung für alle Arten der Instrumente näher erforschen will, der kann in Quanzens Anweisung die Flöte zu spielen, den ganzen XVII. Abschnitt nachlesen.

Der begleitende Generalbaß hat seine Schwierigkeiten. Man soll die vollständige Harmonie anschlagen. Diese kann der Spieler nicht anders, als durch die vor sich habende Partitur oder durch die Bezifferung des Basses wissen. Hat er das erste, so ist es in geschwinden Sachen sehr schweer, alle Stimmen zu übersehen. Zu dieser Fertigkeit gelangen nur wenige; hat er einen bezifferten Baß vor sich, so macht ihn so wol die Unvollkommenheit der üblichen Bezifferung, wovon in einem besondern Artikel gesprochen worden, als die andern Schwierigkeiten, verwirrt. Wer die großen Schwierigkeiten dieser Sache einzusehen wünschet, der mag Bachs Werk von der Begleitung des Generalbasses nachsehen. Sich in die besondern Regeln der Begleitung einzulassen, erfoderte allein ein ganzes Buch. Sehr wichtig sind folgende allgemeine Regeln.

Weil der Generalbaßiste nur die Harmonie anzugeben hat, so muß er sich aller Zierrathen, die nicht wesentlich zur Harmonie gehören, enthalten, und sich überhaupt allezeit der Einfalt befleißen.

Den Baß muß er schlechtweg anschlagen, und weder Ausfüllungen dazu greifen, noch die Noten, die der Setzer vorgeschrieben hat, theilen. Sind ihm ganze oder halbe Noten vorgeschrieben, so muß er sie nicht in Viertel verwandeln. Daraus entstünde ein Klimpern, das der Majestät der Harmonie schaden, und auch oft den Gesang verderben würde. Daß dem Baß keine ausfüllende Harmonie hinzu gefügt werden müsse, giebt die Natur bey Erzeugung der Harmonie selbst an die Hand, da sie zwischen dem Grundton 1 und seiner Octave 1/2 keinen Ton angiebt.1 Es ist auch gar leicht zu sehen, daß Ausfüllungen in der Tiefe seltsam dissonirende Töne hervorbringen würden.

Wegen der obern Stimmen hat der Begleiter darauf zu sehen, daß er die Hauptstimme in einer schiklichen Höhe begleite. Einen hohen Discant soll er nicht in der Gegend des Alts, noch einen Alt in der Höhe einer Discantstimme begleiten; sondern in jedem Fall sich in der Gegend der Hauptstimme auf halten.

In Ansehung aller übrigen Regeln eines guten Vortrags ist jedem Liebhaber zu rathen, daß er das 29. Capitel des Bachischen Werks mit der genauesten Ueberlegung studire.2

1S. Harmonie.
2Carl Phil. Em. Bachs Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen. II. Theil S. 242. u. f.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 142-143.
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