[164] Bewundrung. (Schöne Künste)
Eine lebhafte Empfindung der Seele, die aus Betrachtung einer Sache entsteht, welche unsre Erwartung übertrift. Man wird finden, daß bey der Bewundrung immer ein Bestreben des Geistes ist, die Gründe der Sache, die uns in Verwundrung setzet, zu begreifen. Je verborgener sie sind, desto grösser wird die Bewundrung, und sie kommt auf den höchsten Grad, wenn etwas unsern Begriffen widersprechend scheinendes dabey ist. Wenn man mit Herrn Home zwey Arten dieser Empfindung [164] unterscheiden, und mit seinem Uebersetzer1 mit den Namen Verwundrung und Bewundrung belegen will, so würde ich der Empfindung, welche aus einer gegen unsre Vermuthung sich ereignenden Begebenheit entsteht, den Namen Verwundrung beylegen, und die Empfindung, welche aus Betrachtung einer ausserordentlichen und unbegreiflichen Kraft entsteht, Bewundrung nennen. Man könnte diese einen Affekt des Geistes nennen: denn sie hat mit den Affekten dieses gemein, daß sie mit einem lebhaften Bestreben, seine Begriffe zu der Grösse, die man vor sich sieht, zu erheben verbunden ist. Vermuthlich hat Descartes deshalben die Bewundrung unter die Leidenschaften gezählt. Wolff aber hat sie darum davon ausgeschlossen, weil dieses lebhafte Gefühl mit keiner offenbaren Zuneigung oder Abneigung gegen die bewunderte Sache verbunden ist, ob sich gleich etwas diesem ähnliches dabey zu zeigen scheinet.
Wie dem aber seyn mag: so ist dieses offenbar, daß die Bewundrung eine der lebhaftesten Empfindungen sey, die zur Beförderung des Guten, und zur Vermeidung des Bösen fürtrefliche Dienste thun kann. Und in so fern ist sie eine von den Empfindungen, welche die Künste vorzüglich müssen zu erwecken suchen. Sie wird aber eben sowol durch einen hohen Grad des Bösen, als des Guten hervorgebracht. Die ausserordentliche Bosheit des Satans bey Milton, und Klopstock, oder gewisser Menschen in den Trauerspielen des Shakespear, setzen uns eben so stark in Bewundrung, als die erhabenen Charaktere der Helden in dem Guten. Jenes würkt Abscheu und Verwünschung, dieses Ehrfurcht und Bestreben zur Nachahmung des Guten. Dieses alles ist so offenbar und so bekannt, daß es keiner weitern Ausführung bedarf.
Wir können also gleich diese Regel fest setzen, daß der Künstler die Gelegenheit, uns in Bewundrung zu setzen, niemal muß ungenutzt vorbey gehen lassen. Die Gelegenheiten zeigen sich überall, wo grosse Charaktere und grosse Handlungen können vorgestellt werden: im epischen Gedicht, im Trauerspiel, in der Ode, im historischen Gemählde, in Abbildung einzeler Personen durch den Pinsel oder durch den Meissel, und in ernsthaften Arten der Musik. Die besondern Quellen des Wunderbaren haben wir an einem andern Orte beschrieben.2
Der Künstler, welcher Bewundrung erregen will, muß nicht nur die Quellen des Wunderbaren kennen, er muß selbst groß denken und groß fühlen: gemeine Künstler erreichen diesen Grad der Würkung niemal. Wem die Natur die Grösse der Seele nicht gegeben hat, der unternehme es nicht, uns in Bewundrung zu setzen. Der, dem in der Natur alles scherzt und lacht, oder dem in den Handlungen der Menschen und in den Begebenheiten, alles eine poßierliche Seite hat; der, der überall Witz und ein feines Spiel der Phantasie sucht; wen eine angenehme Blume oder eine liebliche Gegend, mehr rühret, als ein rauschendes Wasser oder ein wildes Felsgebürge; alle diese würden sich vergeblich bemühen, unsre Bewundrung zu erweken. Hat aber die Natur die Anlage zum Grossen in die Seele geleget, so kann ein ernstliches Nachdenken über die größten Gegenstände in der Natur und in den Sitten, eine fleißige Uebung, alles auf grosse Gesichtspunkte zu führen, der Umgang mit großmüthigen Männern, fleißiges und ernsthaftes Studium der erhabensten Werke der Künste, desto fähiger machen, durch seine Werke Bewundrung zu erweken.