Einförmigkeit

[298] Einförmigkeit. (Schöne Künste)

Ist eigentlich die Gleichheit der Form durch alle Theile, die zu einer Sache gehören. Sie ist der Grund der Einheit; denn viel Dinge, sie liegen neben einander oder sie folgen auf einander, deren Beschaffenheit oder Ordnung nach einer Form, oder nach einer Regel bestimmt ist, können durch Hülfe dieser Form mit einem Begriff zusammen gefaßt werden, und in so fern machen sie zusammen Ein Ding aus. So wie man vermittelst der einen Regel, wie diese Zahlen 1. 2. 3. 4. 5 etc. oder 1. 2. 4. 8. 16 etc. auf einander folgen, die ganze unendliche Reyhe derselben auf einmal übersehen kann, so thut die Einförmigkeit überall diese Würkung. In einem [298] Tonstük, das durchaus einerley Takt hat, darf man nur den ersten Takt ins Ohr gefaßt haben, um durch das ganze Stük den Takt richtig anzuschlagen. Also erleichtert die Einförmigkeit die Vorstellung einer aus viel Theilen bestehenden Sache, und macht, daß man sie, wenigstens in Absicht auf eine Eigenschaft, auf einmal sieht oder erkennet.

Erstrekt sich aber diese Einförmigkeit auf alles, was zur Beschaffenheit oder zur Ordnung der Theile gehört, so wird der Begriff des vielfachen einigermaassen zernichtet, und wir erbliken in einer ganzen Reyhe von Dingen immer nur dasselbe. So ist die Reyhe 2. 2. 2, etc. eigentlich keine unendliche Reyhe, wie die vorher angeführten, sondern eine Zahl, ohne End wiederholt; da diese Reyhe 1. 2. 3. 4. etc. verschiedene Zahlen enthält, deren jede aber nach derselben Regel, wie alle andre, aus der vorhergehenden entsteht. Jene sich auf alles erstrekende Einförmigkeit ist der Mannigfaltigkeit entgegen gesetzt, macht eine vollkommene Gleichheit der Theile aus, und giebt der Vorstellung anstatt des vielfältigen nur eines.

Sie zernichtet also den Reiz, den die Vorstellungskraft durch das Mannigfaltige bekömmt, sie bringt eine Erschlaffung in derselben hervor, und ist die Mutter der Langenweile und des Schlafs. Nichts ist langweiler, als ein Leben, wo jeder Tag dem andern gleich ist; und eine völlige Einförmigkeit sinnlicher Eindrüke, wie das Murmeln eines Baches, oder das Eintönige einer Rede, schläfert sehr bald ein.

Da also in den Theilen eines Gegenstandes Einförmigkeit und Mannigfaltigkeit zugleich vorhanden seyn müssen, wenn er sinnliche Aufmerksamkeit unterhalten soll, diese beyden Eigenschaften aber einander einigermaassen entgegen stehen; so wird ein feiner Geschmak dazu erfodert die Dinge so einzurichten, daß Einförmigkeit und Mannigfaltigkeit einander gleichsam die Waage halten.

Es sind zwey Künste, deren Werke den übrigen hierin zum Muster dienen können; die Baukunst für Dinge, die zugleich neben einander sind, und die Musik für solche, die auf einander folgen. Das Geheimniß der Vereinigung der Einförmigkeit und der Mannigfaltigkeit kommt im Grunde darauf hinaus, daß das dunkle Gefühl einer völligen Einförmigkeit alle sinnliche Zerstreuungen hemme, damit die Aufmerksamkeit auf die etwas helleren Vorstellungen desto freyer und ungehinderter sey. Eben die einschläfernde Eigenschaft der Einförmigkeit, wenn sie blos die Zerstreuung der Sinnen hemmt, bewürkt eine desto freyere Aufmerksamkeit auf weniger sinnliche Dinge. Es ist sehr viel leichter bey einem immer einförmigen Geräusche eines Wasserfalles mit völliger Freyheit des Geistes einer Betrachtung nachzuhängen, als wenn alle Augenblik ein anderes Geräusche sich hören läßt. Die Wahrheit dieser Beobachtung beweiset die Musik am deutlichsten. Der Takt und die Reinigkeit der Harmonie sind das Einförmige, die das Gehör in immer gleicher Fassung oder in ruhiger Lage erhalten; die den hellern Empfindungen, welche durch das Sprechende der Töne erregt werden, völlige Freyheit verstatten. Man glaubt bey jedem guten Gesang einen von gewissen Empfindungen gerührten Menschen sprechen zu hören; man folget ihm in allen Aeusserungen seiner Empfindung nach, so lange die völlige Einförmigkeit des Takts und die Reinigkeit der Harmonie das Gehör in einer ruhigen Fassung lassen: aber jeder Fehler gegen die völlige Einförmigkeit des Takts oder gegen die reine Fortschreitung der Harmonie unterbricht die Ruhe des Gehörs; die Aufmerksamkeit wird von dem Inhalt des Gesanges abgezogen, und auf das blos Tönende desselben gelenkt, weil darin etwas neues vorkommt. Dieses ist im Grund eben das, was wir erfahren, wenn wir einem Redner lange mit Aufmerksamkeit zugehört, jeden Begriff und Gedanken völlig gefaßt haben, auf einmal aber, wenn er zu stottern, oder überhaupt in einem andern Tone zu reden anfangt, plötzlich die Aufmerksamkeit von den Gedanken der Rede auf ihren Ton lenken.

Jedes Werk der Kunst hat einen Körper, der die äußern Sinnen rührt, und einen Geist, der die innern Sinnen beschäftiget. In der Musik sind Takt und Harmonie der Körper; der Ausdruk aber sezt den Geist in Würksamkeit, der nun einen von tiefer Empfindung gerührten Menschen hört, dem er durch alle Entwiklungen des Affekts folget. In dem Gemählde sind die Farben, das helle und dunkele, die verschiedenen Massen, der Körper; diese fesseln das Aug, mittlerweile aber beschäftiget der Geist sich mit den Handlungen, Gedanken und Empfindungen der vorgestellten Personen, oder wenn es eine Landschaft ohne Personen ist, mit dem vergnüglichen oder traurigen oder schreklichen, was sie an sich hat. [299] Der Körper des Werks der Kunst fesselt durch seine Einförmigkeit unsre Sinnen, hemmt ihre Zerstreuung, und überläßt die ganze Kraft der Aufmerksamkeit dem geistlichen Theil. So ist im Gebäude Regelmäßigkeit, Ebenmaaß, Einförmigkeit der Bauart das, was zum Körper gehört: die Begriffe von Pracht, von Reichthum, von Annehmlichkeit, oder was sonst zu dem Charakter des Gebäudes gehört, sind der Geist desselben, dessen Kraft wir empfinden, so lang der Körper nichts gegen die Einförmigkeit hat. Sollten wir aber in einer Reyhe jonischer Säulen eine dorische entdeken, oder unter einer Reyhe vierekigter Fenster ein rundes, so wird die Ruhe der Sinnen unterbrochen, und die Aufmerksamkeit von dem Geist des Gebäudes abgelenkt. Eben so sind in der Poesie Vers, Wolklang und Ton das Körperliche, das die Sinnen fesselt, und die Aufmerksamkeit auf den Inhalt richtet.

Hieraus ist sowol die gute als die schlechte Würkung der Einförmigkeit zu erkennen. Einförmig muß das Körperliche eines Werks seyn, so lange die Aufmerksamkeit auf das Geistige desselben keiner neuen Lenkung bedarf; ist aber diese nöthig, so muß auch die Einförmigkeit des Körperlichen unterbrochen werden. Der Tonsetzer bleibet nicht nur in einem Takt, sondern auch in einem Ton, so lang er dieselbe Empfindung im Gemüth unterhalten will; soll sie nun eine andre Wendung bekommen, so ändert er den Ton; dadurch wird die Aufmerksamkeit auf den bisherigen Gegenstand unterbrochen, und kann eine neue Lenkung bekommen. So ändert der Redner den Ton der Stimme, wenn er eine neue Reyhe der Gedanken anfängt.

Aus diesen Betrachtungen, worin vielleicht einiges zu subtil scheinen möchte, fließt denn doch zuletzt diese ganz einfache Lehre, die jedem Künstler wichtig seyn muß. Was in einem Werk der Kunst die innern Sinnen mit klaren oder deutlichen Vorstellungen beschäftiget, muß durchaus Mannigfaltigkeit haben; jeder Begriff muß etwas eigenes haben, wenn das Werk nicht langweilig seyn soll. Aber so lange diese mannigfaltigen Begriffe zu Entwiklung einer einzigen Art der Vorstellung gehören, so lange muß in dem Körperlichen des Werks eine gänzliche Einförmigkeit herrschen, damit alle Aufmerksamkeit blos auf den Geist der Sachen gerichtet sey. Wo Gedanken oder Empfindungen eine andre Wendung nehmen, oder gar in eine andre Gattung übergehen, da nimmt auch das Körperliche eine andre Form an.

Da aber endlich in jedem Werk der Kunst, wenn es wahrhaftig Ein Werk ist, gewisser Maaßen durchaus Ein Geist herrschen muß, so muß auch durchaus in dem Körperlichen etwas ganz Einförmiges vorkommen.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 298-300.
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